Dieser Artikel erschien am 31. Juli 2007 in der
Print-Ausgabe der Welt:
http://www.welt.de/welt_print/article1067577/Keine_Religion_des_Friedens.html
Von Victor Trimondi;
Victoria Trimondi
Keine Religion
des Friedens
Es ist unglaublich, fast unheimlich, mit welcher
Ignoranz die treuherzigen Deutschen den Dalai Lama, diesen gelb-roten
"Gott zum Anfassen"("Spiegel"), der erst im 20.
Jahrhundert aus dem finstersten Mittelalter seines Landes entsprungen ist
und der sich mit erstaunlichem Geschick westliche Begriffe des
Liberalismus, Humanismus und der Psychologie angeeignet hat, als
"Jesus der Neuzeit" anbeten.
"Der Buddhismus sagt, dass man ein friedfertiges Leben führen
soll - Gewalt wird abgelehnt. Kreuzzüge im Namen des Buddhismus gab es
nicht. Erstaunlich ist, dass gerade der tibetische Buddhismus als so
friedfertig gilt. Die tibetische Geschichte war nicht friedfertig. Es gab
viel Gewalt und immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen, bei denen
es um Macht und Einfluss ging und die Religion gerne vorgeschoben wurde -
das war gar nicht anders als in anderen Ländern auch", konstatiert der
Münchner Tibetologe Volker Caumanns. Die inquisitorischen Vollstreckungen
des Lama-Staates im alten Tibet, der Leibeigenschaft und Sklaverei
befürwortete, standen der katholischen Inquisition in nichts nach,
einschließlich der Anwendung der Folter. Das tibetische Kriminalrecht
zeigte ein mittelalterliches Raffinement, das bis Mitte des vorigen
Jahrhunderts voll wirksam war.
"Schuld und Sühne" werden im Buddhismus durch den
Karma-Begriff ersetzt. Dessen gängige Interpretation unterscheidet sich
nicht wesentlich von dem christlichen Konzept, da schlechtes Karma (Schuld)
durch gute Taten (Sühne) aufgehoben werden muss, ansonsten kommt auch der
buddhistische "Sünder" in die Hölle, wo ungeheure Qualen auf ihn
warten.
Das Guru-System des Lamaismus, das die absolute Unterwerfung des
Schülers unter den Meister verlangt, verhindert jegliche
"individuelle" und autonome Entwicklung des Menschen und schon
gar, der "Schöpfer seines Schicksals" zu sein. Im Gegenteil, das,
was wir hier in Europa unter Individuum, Ich und Seele verstehen, zählt im
tibetischen Buddhismus überhaupt nichts. Dort wird das
"Individuum" gezielt durch meditative Praktiken
"ausgelöscht", um als "Gefäß" für eine der zahlreichen
Gottheiten zu dienen oder um den Zustand des Nirwana zu erreichen.
Das Machtgehabe "präpotenter Kirchenfürsten" ist ganz
besonders für die tibetische Mönchskultur charakteristisch, die im alten
Tibet eine striktlinien-hierarchische Buddhokratie entwickelt hatte.
Ende der 90er-Jahre hatte sich die Aufklärung über die
Tibetschwärmerei, den Lamaismus und den Dalai Lama in den internationalen Medien
eine breitere kritische Öffentlichkeit verschafft. Darauf musste der
Religionsführer einfach reagieren. Beschrieb er früher das "tibetische
Friedensreich" auf dem Dach der Welt mit sehr ähnlichen Worten wie
westliche Shangri-La-Enthusiasten, so spricht er heute (wenn es die
Umstände nützlich erscheinen lassen) von der Ungerechtigkeit der
Großgrundbesitzer, der Willkür der Äbte, sogar vom himmelschreienden
Unrecht, von Prunk und Machtgier. Aber offensichtlich haben diese
Äußerungen zur Schattengeschichte Tibets der Dalai-Lama-Idolatrie und
Buddhismus-Euphorie nicht schaden können.
Im Gegensatz dazu sind Papst und Christentum seit Jahrhunderten
einer ständigen, offenen Kritik ausgesetzt - und das ist gut. Nur so ist
eine kulturell fruchtbare Dynamik zwischen Staat und Kirche, Religion und
Humanismus, Gesellschaft und Glaube möglich. Würde sich die humanpolitische
Kritik auch mit dem tibetischen Buddhismus auseinandersetzen, dann würde
sie dort ebenfalls zahlreiche Strömungen entdecken, die sie bei den monotheistischen
Religionen als fundamentalistisch anprangert: den Zusammenfall von Staat
und "Kirche", der Ausschluss der Frauen aus der klerikalen
Hierarchie, Dämonenglaube, Geheimriten, und dazu kommen, als Spezifikum,
sexualmagische Praktiken. Häufig und sehr exzessiv sind auch die
"klassischen" Verfehlungen von (Lama-)Klerikern: sexueller und
mentaler Missbrauch von Schülern und Schülerinnen, Einschüchterungen,
Korruption.
Gemeinsame Kriterien für den Fundamentalismus jeglicher
Glaubensrichtung, der heute weltweit in der großen Politik mitmischt, sind
die Befürwortung des Heiligen Krieges gegen Andersgläubige, die Erwartung
eines militanten Erlösers, die Prophezeiung einer Endschlacht zwischen Gut
und Böse und die Errichtung eines theokratischen Weltreiches. All das
sollte man im Buddhismus nicht erwarten. Aber genau eine solche
apokalyptische Dschihad-Vision steht im Zentrum eines Heiligen Textes aus
dem 10. Jh. n. Chr., dem sogenannten Kalachakra-Tantra, der für den Dalai
Lama größte Bedeutung hat. Der Kalachakra-Text sagt einen blutigen
Religionskrieg zwischen Buddhisten und Nichtbuddhisten voraus, der nach dem
Sieg eines Furcht und Schrecken einflößenden Messias (Rudra Chakrin) in
einer Welt-Buddhokratie enden soll. In dem prophezeiten "Shambhala-Krieg"
orientiert sich die buddhistische Armee keineswegs nach den Friedensmaximen
des historischen Buddhas: Sie wird "gnadenlos" und
"grausam" sein, und "die äußerst wilden Krieger werden die
barbarische Horde niederwerfen" und "eliminieren". Der
Originaltext des Kalachakra-Tantra bezeichnet explizit die Führer der drei
monotheistischen Religionen "Adam, Henoch, Abraham, Moses, Jesus, der
im weißen Gewand (Mani), Mohammed und Mathani (der Mahdi)" als
"Feinde des Buddhismus" und als "Familie der dämonischen
Schlangen". Mit einer befremdlichen Begeisterung fürs Detail schildert
der Text zudem die mörderischen Superwaffen, die dann zum Einsatz kommen.
Die Shambhala-Schlacht gilt als der Heilige Krieg des tibetischen
Buddhismus und wird, wie der islamische Dschihad, im "Inneren"
wie im "Äußeren" ausgefochten. An der inneren Front (im Geiste)
ringt der Shambhala-Krieger (so wie der Mudschahedin) mit seinen schlechten
Charaktereigenschaften; an der äußeren Front kämpft er gegen die
"Feinde der buddhistischen Lehre". Deswegen kommt der vom Dalai
Lama designierte Exeget des Kalachakra-Tantras, der Tibetologe Alexander
Berzin, zu dem Schluss: "Die Kalachakra-Darstellung des
Shambhala-Krieges und die islamische Diskussion über den Dschihad zeigen
bemerkenswerte Ähnlichkeiten." Bisher gab es vonseiten des Dalai Lama
trotz heftiger Kritik keinen Kommentar zu den offenkundig kriegerischen und
die anderen Religionen diskriminierenden Passagen dieses Textes, die im
krassen Widerspruch zum "Prinzip der Gewaltlosigkeit" (ahimsa)
des Buddhas Shakyamuni stehen.
Und die Reformen des "Gottkönigs"? - Fast immer werden sie
großspurig angekündigt und dann doch nicht durchgeführt. So feierte die
deutsche Presse den "Buddha unserer Zeit" euphorisch als
sympathischen "Frauenrechtler", weil er in Hamburg die Ordination
der buddhistischer Nonnen befürwortet hatte und damit kokettierte, als Frau
zu reinkarnieren. Tatsache aber ist, dass er gleichzeitig darauf verwies,
wie schon Jahre vorher, er besitze keineswegs die Autorität, die reale
"Umsetzung" der Frauenordination zu verabschieden. Im Gegensatz
hierzu nahm er im sogenannten Shugden-Fall die ihm zustehende
"absolute Autorität in Glaubensdingen" sehr wohl in Anspruch und
verbot den jahrhundertealten weitverbreiteten Kult des konkurrierenden Orakelgottes
(Shugden). Trotz ständiger Lippenbekenntnisse zur Demokratie ist der Dalai
Lama de jure und de facto immer noch das nicht abwählbare Staatsoberhaupt
der Exil-Tibeter, oberster weltlicher Chef von sieben Ministerien und einem
Premier.
Im Falle des Dalai Lama und des Lamaismus vollzieht sich hierzulande
überhaupt keine bewusste und ausbalancierte Integration einer fremdartigen
östlichen, spirituellen Kultur mit einer westlich-rationalistischen, auch
wenn sich der "Gottkönig" gerne und demonstrativ mit
Wissenschaftlern aus Europa und Amerika trifft und mehrere Ehrendoktorhüte
westlicher Universitäten trägt. Die vielfachen irrationalen, berauschenden,
grausamen, düsteren und apokalyptischen Aspekte des Lamaismus sind in der
großen Öffentlichkeit wenig bekannt. Sie werden vom Dalai Lama und seinen
Anhängern verschwiegen, verstellt oder verharmlost. So kann der "Herr
des Weißen Lotos" schmunzelnd an die naiven und ignoranten Westler
deren eigene, in jahrhundertlangen Kämpfen errungenen humanistischen Werte
verteilen, verpackt als "wunscherfüllende Juwelen" aus dem
Himalaja, wo es diese hu- manistischen Juwelen nie gegeben hat.
Victor und Victoria Trimondi sind freie Schriftsteller,
Kulturwissenschaftler und Religionsforscher. Letzte Buchveröffentlichung:
"Krieg der Religionen - Politik, Glaube und Terror im Zeichen der
Apokalypse" (Fink-Verlag 2006)
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