DIE FUNKTIONELLEN ENTSPANNUNG NACH MARIANNE FUCHS
Vortrag gehalten am 8.
Dez. 1983 vor Studenten der medizinischen Fakultät Regensburg Liane Laschtuvka
Zu den Verständnisgrundlagen
der F.E.
Die F.E. geht aus vom gesunden Menschen. Gesund heißt hier in einem
dauernd zu findenden Gleichgewicht zu sein. Das
ist also kein statischer Zustand, sondern eine dauernde Bewegung von auf und ab,
(Atem), hin und her, auf und zu, wobei das Wesentliche das Bewußtsein einer
Mitte, eines Schwerpunktes ist. Dazu kommt die Bewegungsmöglichkeit, -
Freiraum, Flexibilität.
Krankheit bedeutet aus dem Gleichgewicht geraten zu sein (Kreislauf,
Atem, Stoffwechsel, Beziehungen zur Umwelt). Im Organismus gibt es Sperren,
Festhalten, Verkrampfungen, Funktionsbarrieren, die ein Zurückfinden zum
Ausgleich verhindern. Die F.E. geht davon aus, daß auch im kranken Menschen in
den tieferen Schichten gesunde Schemata vorhanden sind, Fähigkeit und Kräfte
zur Selbstheilung.
Ziel ist deshalb zuerst‚ daß der Kranke wieder Zugang bekommt zu
seinen gesunden Teilen und zu seinem gesunden Kern. Konkret heißt das Finden
des Eigenrhythmus in der Atmung, Umschaltung im vegetativen System.
Zur Methode der F.E.
Die Methode der F.E. wird vorwiegend in therapeutischer Einzelarbeit
angewandt. Der ganze Mensch in der Beziehung zum Therapeuten mit seinen
psychischen und leiblichen Problemen und seiner Geschichte ist das Thema.
Deshalb gibt es keine genau festgelegten Übungen oder ein Programm. Der
Schwerpunkt ist die Arbeit am Leib. Verbunden damit ist das Gespräch, Bewußtseinsarbeit
aus dem psychoanalytischen Hintergrund heraus, jedoch kein einseitiges Deuten
oder Interpretieren, sondern gemeinsames Suchen nach Bedeutung. Ausgehend vom
Leiberleben ist folgendes wichtig:
offen sein für Angebote vom Körper her (spontane Bewegungen,
Reaktionen,
Bedürfnisse), ausgehend von der Annahme, daß der Körper selbst weiß, was er
braucht, was ihm gut tut. Wir haben häufig verlernt, hinzuhören, uns zu
lassen, oft auch auf Grund von Normen (Gähnen und Strecken in der Öffentlichkeit
tut man nicht)
ausprobieren (eine andere Lage, Stellung, etwas Neues)
auf Einfälle und Assoziationen achten (ich könnte
mal...vielleicht...)
Erkennen von Widerständen und Hindernissen (was hindert mich?)
suchen (wo geht es hin, wo ist es besser)
in einen Dialog treten mit der symptomatischen Stelle. Weghabenwollen und
Nichtakzeptieren wirken negativ, wichtig ist der Wunsch zu verstehen, die
Beschwerden anzunehmen: Was sagt das aus? Was will der Kopf durch sein Drücken
sagen?
suchen nach Zusammenhängen, Bedingtheiten, Auslösern
Den Kern der Methode bilden die sogenannten Spielregeln. Sie bewirken,
abhängig von der Empfindungsfähigkeit des Patienten eine direkte Veränderung,
die sich in Druckausgleich, Schmerzverteilung und -ableitung, Spannungsausgleich
und Normalisierung der Funktionen ausdrückt.
Anreize (Bewegen/Spüren) werden in einer bestimmten Phase des
Atemrhythmus gegeben.
weniger Tun kann mehr Wirkung haben: Bewegen an einer Stelle nur 2—3
mal
Nachspüren
Die F.E. geht aus von der Ganzheit des Menschen. Leib und Psyche sind
eine nicht zu trennende Einheit. In unserer Kultur, Gesellschaft besteht jedoch
eine Trennung. Wir wurden zu einer Entfremdung von unserem Leib
erzogen. Das Bindeglied ist die Empfindung. Die Fähigkeit dazu ist inzwischen
fast verlorengegangen, sodaß Unwohlgefühle erst in Schmerzen ausarten müssen,
um gehört zu werden. Und dann will man das nur beseitigen, nicht verstehen. Die
Empfindungsfähigkeit, der Spürsinn“, muß wieder entwickelt werden.
Wir unterscheiden
verschiedene Empfindungsqualitäten:
Druck; von wo, wohin (außen, innen, unten oben) weich, hart
Schmerz; wo und wie
Temperatur
Gleichgewicht; schiefe Lage, hoch, tief
Pochen, Kribbeln, Strömen, Sinken, Fallen,
Gewicht; schwer, leicht
Körperschema; lang—kurz, dick—dünn, voll—leer,
weit—eng
Feuchtigkeit - Trockenheit
Spannung; angespannt, locker, fest, starr
Die
Verbindung von Körper (Empfindung) und Psyche (Gefühle, Denken, Vorstellungen)
wird deutlich über die Sprache. Alte deutsche Redewendungen (die wir meist ganz
unbewusst gebrauchen, zeigen oft sogar ganz konkrete Zusammenhänge zwischen
Erleben und bestimmten Körperteilen und Organen auf
das schlägt sich mir auf den Magen
dem ist eine Laus über die Leber gelaufen
das geht einem an die Nieren
sich etwas zu Herzen nehmen
sich den Kopf zerbrechen
der kann mir den Buckel runterrutschen
das geht mir von der Hand
es verschlägt einem den Atem
Dampf ablassen
den kann ich nicht riechen
er ist verschnupft über etwas
Sprache finden und Formulieren von leiblich Empfundenem bedeutet Bewusstwerdung.
Symptome sind Störungen, die keine Sprache gefunden haben. Eine wichtige Hilfe
dafür sind Bilder. So wird das Skelett bezeichnet als “inneres Gerüst“ mit
der Bedeutung von Halt.
Zur Entwicklung des Spürsinns gehört das konkrete Kennenlernen des
eigenen Leibes. Kennenlernen bedeutet Empfinden, Erleben, Reaktionen erfahren,
meine Beziehung zu mir erforschen.
1. Die Unterlage
2.
Das innere Gerüst
Das "oberste Kreuz“ (Querverbindung von Ohr zu Ohr, Längsverbindung vom obersten Halswirbel zur hinteren Schädeldecke),
das “obere Kreuz“ (Querverbindung von Schultergelenk .zu Schultergelenk, Längsverbindung von der oberen Hals- zur Mitte der Brustwirbelsäule) und
das “untere Kreuz“ (Querverbindung von Hüftgelenk zu Hüftgelenk, Längsverbindung
der Lendenwirbelsäule)
Erfahrbar ist dieses
psychisch als innerer Halt, Haltung, z.B. unbeweglich, steif.
3.
Der Grundrhythmus
Finden des eigenen Grundrhythmus ist ein Ziel, wird jedoch nicht
angesprochen und nicht
im Sinne von Atemtherapie geübt. Eine kleine Bewegung während
des Ausatmens (Spielregeln) wirkt über Mechanorezeptoren an den Gelenken direkt
anregend auf das Zwerchfell. Es wird schwingungsfähiger, was die Bauchatmung
begünstigt.
4. Löcher und Innenräume
Äußere sichtbare: Mund, Nasenlöcher, Ohren, After, Vagina;
Unsichtbare innere: Schädelraum, Brust- und Bauchraum, Augenhöhlen,
Nasennebenhöhlen und Blase.
Erfahrbar als Druck, Leere, Völle, Verstopfung, Einengung, Weite, Wärme,
Feuchtigkeit, Trockenheit.
5. Die Haut
Empfindbar als trocken, feucht, warm, kalt, rauh, weich, geschmeidig, spröde,
offen, zu, durchlässig...(sich in seiner Haut wohlfühlen). Bilder sind Hülle,
Schutz, Grenze...
Wirkung
der FE
Über die Spielregeln wird direkt
Einfluss genommen auf das vegetative
Nervensystem. Durch das Lassen (Entspannung) wird zurückgegriffen auf einen
funktionell und strukturell vorhandenen Bestand, entwicklungsgeschichtlich ältere
Nervensysteme werden angesprochen. Diese bewirken eine Anbahnung oder Neubahnung
von Funktionsabläufen im vorher gestörten, höheren System.
Psychische Fehlhaltung ist immer auch körperliches Feh1verhalten und
zugleich eine unphysiologische Haltung sowie eine gestörte Haltung sich und
anderen gegenüber. Therapeutisches Auflösen von Fehlverhalten (Halt finden in
sich selber) bewirkt eine Änderung auf allen Ebenen (physische, psychische,
soziale).
Die F.E. ist somit eine funktionelle Therapie an funktionellen
somatischen Störungen und zugleich verbal-nonverbale Psychotherapie (nach
Rosa,Rosa S 155)
Hierbei ist wichtig, daß Konflikte vom körperlichen zum psychischen
Bereich überwechseln können oder umgekehrt, oder diese Bereiche können sich
“gegenseitig in der Übernahme einer Störung vertreten“ (Wiesenhütter, S
200). Grundlage dafür ist die Erkenntnis, daß alle Lebensvorgänge gleichen
Rhythmen unterliegen (Beginn – Anschwellen – Höhepunkt – Abschwellen –
Ende - Neubeginn).
Nach Schettler gehören etwa 20—30% aller Patienten aus Klinik und
Praxis ganz oder teilweise zum Formenkreis der vegetativen Distonie, vegetativen
Regulationsstörungen. (Def.: V.R. sind Fehlregulationen einzelner Organe oder
ganzer Organsysteme ohne nachweisbare Organschädigung) . Hierher gehören
Hypotonie, Hypertonie, Herzrhythmusstörungen, nervöses Atmungssyndrom,
Kopfschmerz (Migräne, vasomotorischer Kopfschmerz) Funktionelle Magen - Darmstörungen
(Colitis Ulcerosa z.B.).
Weitere Erkrankungen mit gutem Behandlungserfolg sind Sprechstörungen,
Asthma Bronchiale, psychogene Frauenleiden. Bei Kindern (als Spieltherapie)
Stottern und Bettnässen.
Die psychosomatische Medizin sieht den krankheitsauslösenden Einfluß
von Psyche und Umwelt noch wesentlich stärker und bezieht mehr Krankheitsbilder
mit ein, wie z.B. Rheuma, Diabetes, Infektionskrankheiten, Hautkrankheiten (Jores,
1976).
Literatur zur
Funktionellen Entspannung:
Fuchs;
Marianne: Funktionelle Entspannung. Stuttgart 1974
Rosa,
K.R.; Rosa, Lotte: Psychosomatische Selbstregulation Grundlagen und Technik der
F.E. Stuttgart 1976
Stokvis,
Berthold; Wiesenhütter, Eckart: Lehrbuch der Entspannung. Stuttgart 1979
Laschtuvka,
Liane: Die Beziehung des Menschen zu seinem Körper. Diplomarbeit an der Uni
Bamberg
Lit. zur psychosomatischen
Medizin:
Jores,
Arthur: Praktische Psychosomatik. Bern 1976
Mitscherlich,
Alexander: Krankheit als Konflikt. Frankfurt 974
Rattner,
Josef: Psychosomatische Medizin heute. Frankfurt 1377
Schaefer,
Hans: Plädoyer für eine neue Medizin. München 1973
Beck,
Dieter: Krankheit als Selbstheilung. Frankfurt 1981
Eicke,
Dieter: Der Körper als Partner. München 1973
Außerdem:
Groddeck,
Georg: Das Buch vom Es. Frankfurt 1979
Adler,
Alfred: Studie über die Minderwertigkeit von Organen, Frankfurt 1979
Reich,
Wilhelm: Die Entdeckung des Orgons. Köln 1969
Grunert,
Johannes (Hrsg.): Körperbild und Selbstverständnis. München 1977
Weizsäcker,
Victor von: Natur und Geist. München 1977. und: Der Gestaltkreis. Stuttgart
1950
Capra,
Fritjof: Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild. München 1983