Gedichte
Von guten
Mächten treu und still umgeben, |
Von guten
Mächten wunderbar geborgen, |
Noch will das
alte unsere Herzen quälen, |
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Und reichst
du uns den schweren Kelch, den bittern |
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Doch willst du uns noch
einmal Freude schenken |
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Lass warm und hell die
Kerze heute flammen, |
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Wenn sich die Stille nun
tief um uns breitet, |
EKG für Bayern, Nr. 65 und 637 |
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Zu
Beginn des Jahres 1945 schrieb Dietrich Bonhoeffer dieses Gedicht
für seine Mutter und seine Braut. Wer es liest und hört,
ahnt wohl den Ort der Entstehung. Seit Oktober 1944 saß
Bonhoeffer im Kellergefängnis der Geheimen Staatspolizei in
der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin. Seit eineinhalb Jahren
war er zu dieser Zeit schon gefangen – und jetzt konnteman
ihm nachweisen, dass er am Widerstand gegen Hitler beteiligt war.
„Böser Tage schwere Last“ nennt er, was ihn
bedrückt: Berlin war durch Bomben zerstört, jeder
Widerstand gegen die verbrecherische Regierung war erloschen.
Doppelte Vernichtung raste durchs Land: die äußeren
Feinde zerstörten mit ihrer Übermacht, was da war an
Widerstand, und im Innern tobte die brutale Vernichtung derer, die
zu retten versuchten, was noch zu retten war. Die Kirche hatte
versagt, war mitschuldig geworden, weil sie die Kraft ihres
Glaubens nicht eingesetzt hatte im Kampf um die Gerechtigkeit und
im Einsatz für die Verfolgten. Diese Glaube befähigt ihn zur Hoffnung, zum Lobgesang und gibt ihm das Gefühl, „wunderbar geborgen“zu sein. So wird dieses Gedicht zur Hilfe, zur Ermutigung für alle, die in schwerer Zeit und in bedrückender Erfahrung nach Hilfe zum Durchhalten Ausschau halten. |
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Auf dem Gipfel des Gebirges (Der Tod des Mose) Auf
dem Gipfel des Gebirges |
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Gesammelte Schriften IV |
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Im
September 1944 schrieb Dietrich Bonhoeffer dieses Gedicht. Viele
dieser Zeilen, die er Mose in den Mund legt, gelten auch für
ihn. Der Widerstand gegen Hitler war zusammengebrochen,
menschliche Hoffnung für „dieses Volk“ war nun
dahin, Bonhoeffer muss für sich selbst mit einem baldigen
Ende rechnen – und darum blickt er jetzt zurück wie
Mose und sieht rettende Gnade und strafenden Zorn Gottes am Werk.
Und er blickt nach vorne, in die Zukunft wie in ein verheißendes
Land, und sieht dies Volk „in die Freiheit schreiten“.Diese
Vision drückt eine Hoffnung für die Kirche aus –
dass sie durch Gottes Vergebung frei wird von der Schuld ihres
Versagens, dass sie nicht mutiger bekannt, geliebt und
widerstanden hat – diese Hoffnung gilt auch für das
deutsche Volk, dass es frei wird von dieser Unrechtsregierung, die
Gottes Gebote mit Füßen getreten hat, und diese
Hoffnung gilt auch für ihn persönlich, und wenn er nur
auf dem Weg ist, den er in einem andern Gedicht dieser Tage
beschreibt: „Komm nun, höchstes Fest auf dem ewigen
Wege zur Freiheit, Tod, leg nieder beschwerliche Ketten und
Mauern!“ Der Christ kann – wie Mose hier – den
Tod als Freiheitsfeier sehen... „lässt mich durch den
Todesschleier sehn, dies mein Volk zu höchster Freiheit
gehn.“ |
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Nächtliche Stimmen in Tegel (Juni 1944) Langgestreckt
auf meiner Pritsche starre ich auf die graue Wand. Nacht
und Stille. Ich horche. Nur Schritte und Rufe der Wachen, Ich
höre, wie Männer sich schlaflos werfen und dehnen, Ich
höre glückliches Lispeln halbwüchsiger Knaben, Ich
höre Seufzen und schwaches Atmen der Greise, Nacht
und Stille, nur Schritte und Rufe der Wachen. Zwölf
kalte, dünne Schläge der Turmuhr wecken mich. Ich
will die Wende der Zeiten sehen, Bösewicht, tritt ins Licht, vor Gericht. Trug und Verrat, arge Tat, Sühne naht. Mensch, o merke, heilige Stärke ist richtend am Werke. Jauchzt und sprecht: Treue und Recht einem neuen Geschlecht! Himmel versöhne zu Frieden und Schöne die Erdensöhne. Erde, gedeih', Mensch werde frei, sei frei! Ich
habe mich plötzlich aufgerichtet, Ich
versinke in Grübeln. Warum
und wie lange zehrst du an unsrer Geduld? Die
Schuld! Ich höre ein Zittern und Beben, „Von
Menschen gehetzt und gejagt, Wir
verklagen, die uns in Sünde stießen, Unser
Auge musste Frevel erblicken, Und
was uns im Herzen gebrannt, Wir
Söhne frommer Geschlechter, Ruhig
und fest stehn wir Mann gegen Mann, Leidensscheu
und arm an Taten Lass,
so weit die Augen schauen, Stille
wolln wir uns bereiten, Bruder,
bis die Nacht entwich, Erstes
Morgenlicht schleicht durch mein Fenster bleich und grau, Da
hör ich draußen hastig verhaltene Schritte gehn. Mutig
und stolzen Schrittes hör ich dich schreiten. Langgestreckt
auf meiner Pritsche starre ich auf die graue Wand. |
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Widerstand und Ergebung |
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Seit April 1943 saß
Bonoeffer als Untersuchungsgefangener im
Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis in Tegel. Dort gehen ihm
diese nächtlichen Stimmen durch der Kopf. Uns gehen sie
durchs Herz. Das Flüstern und der Aufschrei, mitleidend oder
tröstend,das Schuldbekenntnis vor Gott und die mutige, kühne
Selbstrechtfertigung vor Meenschen: Es ist ergreifend und
bedrückend, und es klagt uns auch Jahre später noch an,
weil es wieder und immer noch stimmt: In einem Brief vom 3.8.1944 erwähnt Bonhoeffer dieses Gedicht zusammen mit einem Entwurf einer Arbeit über die Kirche. Dort heißt es: „Die Kirche muss ausGesammelte Schriften IV. S.613ff Ihrer Stagnation heraus. Wir müssen auch wieder in die freie Luft der geistigen Auseinandersetzung mit der Welt. Wir müssen es riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden.“(Widerstand und Ergebung) Es wäre gut, wenn uns dieses Gedicht dazu ermutigen könnte. Mitleid wollte Bonhoeffer jedenfalls nicht – und als Denkmal verehrt werden will er auch nicht. Aber er will als Zeuge ernstgenommen werden, heute, wo die „Zeiten der Bewährung“ da sind. |