Texte

Wer bin ich

Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle gelassen, heiter und fest, wie ein Gutsherr aus seinem Schloss. Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich spräche mit meinen Bewachern frei und freundlich und klar, als hätte ich zu gebieten. Wer bin ich? Sie sagen mir auch, ich trüge die Tage des Unglücks gleichmütig, lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist.
Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig, ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle, hungern nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen, dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe, zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung, umgetrieben vom Warten auf große Dinge, ohnmächtig bangend um Freunde un endloser Ferne, müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen, matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?
Wer bin ich? Der oder jener? Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer? Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling? Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer, das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?
Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin. Du kennst mich, Dein bin ich , o Gott!

Widerstand und Ergebung

1944 in der Zelle geschrieben, hilfreich für alle, die sich der (modischen) Bemühung um „Ich-Findung“ hingeben, entlarvend für alle, die den starken Mann spielen und nicht mehr zu sagen wagen, wie es wirklich in ihnen aussieht. Ichfindung ist keine beglückende Sache, am wenigsten für den, der allein ist mit sich. Beglückend ist eher schon, wenn dieses „ich“ von anderen hilfreich, stark und überzeugend erlebt wird, wenn ein Mensch erlebt, dass er anderen etwas bedeutet, dass sie ihn bewundern wie einen, „der Siegen gewohnt ist“. Bonhoeffer ist mit beidem so fertig geworden, dass er sich ganz Gott anvertraute, mit seiner ganzen Schwäche und mit der Kraft, die er hatte und die er seinen Mitgefangenen zugute kommen ließ.


Selig sind die Friedfertigen

Wenn um uns herum Streit und Tod ihre wilde Herrschaft üben, dann sind wir aufgerufen, nicht nur durch Worte und Gedanken, sondern auch durch die Tat Gottes Liebe und Gottes Frieden zu bezeugen. Lest Jakobus 4, 1 ff! Täglich wollen wir uns fragen, wo wir durch die Tat Zeugnis geben können für das Reich, in dem die Liebe und der Friede herrscht.
Nur aus dem Frieden zwischen zweien und dreien kann der große Friede einmal erwachsen, auf den wir hoffen.
Lasst uns allem Hass, Misstrauen, Neid, Unfrieden, wo wir nur können, ein Ende machen. „Selig sind die Friedfertigen, denn sie sollen Gottes Kinder heißen“.

Gesammelte Schriften Band II

Am 20. September schrieb Dietrich Bonhoeffer einen ersten Rundbrief an die Vikare und Pfarrer, die mit ihm im Predigerseminar der Bekennenden Kirche gelebt hatten und nun als Soldaten gegen die militärischen Feinde oder als Pfarrer daheim gegen die geistliche Verirrung zu kämpfen hatten. Für viele war diese Situation eine Zerreißprobe: Für einen Staat zu kämpfen, von dem man selbst bekämpft wurde. Für die Christen bestand die Anfechtung darin, nun einfach alle die Worte Christi zu vergessen und zu tun, was „man“ im Krieg tut: Feinde vernichten! In dieser Zerreißprobe und in dieser Anfechtung, die beide bald dadurch unerträglich wurden, weil immer mehr von den Brüdern an den Fronten gefallen sind, hilft Bonhoeffer mit seinen Rundbriefen. Seine Zeilen sind allen hilfreich, die sich dem Frieden Christi verpflichtet fühlen und die ihre Kampfbereitschaft nun in den Dienst dieses Herrn stellen wollen.


Den Dankbaren zeigt Gott den Weg

Undank erstickt den Glauben, verstopft den Zugang zu Gott. Nur zu dem einen dankbaren Samariter sagt Jesus: Dein Glaube hat dir geholfen. Den Undankbaren ist trotz Genesung in Wahrheit nicht geholfen.
Es ist die Ursünde der Heiden, dass sie Gott, von dessen Dasein sie wissen, nicht „als Gott gedankt haben“ (Röm 1,21).
Wo Gott als Gott erkannt wird, dort will er als erstes den Dank seiner Geschöpfe.
Undankbarkeit beginnt mit dem Vergessen, aus dem Vergessen folgt Gleichgültigkeit, aus der Gleichgültigkeit Unzufriedenheit, aus der Unzufriedenheit Verzweiflung, aus der Verzweiflung der Fluch.
Den Dankbaren zeigt Gott den Weg zu seinem Heil. Lass' dich fragen, ob dein Herz durch Undank so mürrisch , so träge, so müde, so verzagt geworden ist. Opfere Gott Dank, und „da ist der Weg, dass ich ihm zeige das Heil Gottes“ (Ps 50,23).

Gesammelte Schriften Band III

Im Juli 1940 formuliert Bonhoeffer diese Worte über den Dank. Damals hatte Deutschland bereits halb Europa erobert: Übermut herrschte bei vielen. Aber noch war Krieg. Heute herrscht der Wohlstand – Unzufriedenheit und Maßlosigkeit sind seine Folgen. „Den Dankbaren zeigt Gott den Weg zu seinem Heil“. Ist unsere Beziehung zu Gott durch die Dankbarkeit gekennzeichnet, bekommt unser Leben Ziel und Sinn. Seltsam, wenn man sich von einem verfolgten Pfarrer durch seine Bibelarbeit im Krieg zum Danken ermuntern lassen muss. „Undankbarkeit beginnt mit den Vergessen.“ Was haben wir vergessen?


Das erste, was die Schrift über die Freude sagt

Das erste, was die Schrift über die Freude sagt, lässt sich zusammenfassen in dem Liedanfang: „Jesu, meine Freude...“. Das ist der Grundton der biblischen Verkündigung von der Geburt Christi, vom Anbruch des Reiches Gottes in der Gemeinschaft Jesu mit seinen Jüngern, von seiner Auferstehung und Himmelfahrt. (Lk 2,10; Mk 2,19; Lk 24, 41.52; Joh 20, 20). Gott will uns durch Jesus Christus froh machen. Er will uns nicht bedrücken, uns nicht Probleme aufgeben, er will uns nicht vor unlösbare Aufgaben stellen, sondern er will, dass wir uns an Jesus Christus und seiner Herrschaft freuen... Das gehört wieder zu den einfachsten Dingen, die wir über den schwierigsten gern vergessen, dass wir uns an Jesus Christus freuen lernen wie die Kinder. Ist es nicht schlimmste Undankbarkeit und Verstocktheit unseres Herzens, wenn uns der, der uns zum Heil, zur Errettung kam, nun zur Last wird? Mit der Freude an Christus geht uns auch die Liebe zu ihm verloren. Ohne die Freude an dem Mensch gewordenen und auferstandenen Sohn Gottes geraten wir ins Murren, in den Widerspruch, in die Traurigkeit. Wie finden wir aber solche Freude? Allein durch den festen Glauben: Jesus lebt! Wenn es wirklich wahr ist, dass Jesus lebt, dass er sich uns bezeugt, uns führt und hilft, wie sollten wir dann nicht ebenso froh werden wie die Jünger, als sie ihn am Ostermorgen sahen? (Joh 20, 20)
Wer Christus gefunden hat, der geht mit Freuden seinen Weg, der geht mit Freuden hin und verkauft alles, was er hat und kauft die köstliche Perle (Mt 13, 44). Wer den Weg Jesu nicht mitgeht, der wird traurig wie der reiche Jüngling (Mt 19, 22). Wer sich dem Weg Jesu ganz anvertraut, der wird daran froh. Diese Freude bewährt sich auch im Leiden, das dieser Weg über uns bringen kann (Mt 5, 12;1. Ptr 4,13ff; 2. Kor 6, 10; Phil 2, 17; Kol 1, 24; Hebr 10, 24 u.ö.). Der Grund aller solcher Freude ist die Nähe Jesu (Phil 4, 4). „Ach, mein Herr Jesu, dein Nahesein...“ Zugleich aber ist hier die Gewissheit, dass sich gerade so das Werk Jesu Christi auf Erden erfüllt und vollendet (2. Tim 2, 10). So muss das, was uns Trübsal und Vernichtung bringen soll, durch Gottes wunderbare Gnade unsere Freude nur stärken. Stehen wir in der rechten Freude, dan ist es wirklich so: „Keiner nimmt eure Freude von euch“ (Joh 16, 22), denn sie bleibt in Ewigkeit (1. Petr 1, 8).

Die Gemeinde ist eine Gemeinschaft der Freude. An der besonderen Gnade, die dem einen widerfährt, nehmen alle mit Freuden teil (1. Kor 12, 26). Johannes kennt keine größere Freude, als wenn er seine Kinder in der Wahrheit wandeln sieht (2. Joh 4; 3. Joh 4 cf 1. Kor 13,6). An der Freude seines Leidens um Jesu Christi willen teilzunehmen, bittet Paulus seine Gemeinde (Phil 2, 17). Jesus aber ruft zur Mitfreude dort, wo ein Sünder Buße tut. Das ganze Kapitel Luk15 steht unter diesem Ruf (15, 6.9.23.32 cf 2. Kor 7, 9f). Die Christen sind einander täglich unaufhörlicher Grund der Freude (1. Thess 2, 19. Phil 4, 1). Wer seine Augen offen hat für seine Mitchristen, dem kann es an Grund zur Freude niemals fehlen. Es ist doch erstaunlich zu wissen, dass nicht nur „Jesus unsere Freude“ist, sondern auch unser christlicher Bruder. Haben wir heute nicht Grund genug, von dieser Freude erfüllt zu sein?
Der Ursprung aller wahren Freude ist Gottes Freude an uns. Bei Gott im Himmel ist Freude, wenn sein Werk auf Erden zur Erfüllung kommt, wenn der Sünder umkehrt zum Vaterhaus (Luk 15). Jesus ist erfüllt von Freude und es ist seine Freude, die in uns ist und die uns vollkommene, bleibende Freude schenkt (Joh 15, 11; 17, 13). An der Freude Gottes über sein Werk, an der Freude Jesu über die Liebe Gottes teilzunehmen, sind wir berufen. Dass unsere Gebete nunmehr erhört werden, das ist unsere vollkommene Freude (Joh 16, 24). Nicht betrüben sollen wir den Heiligen Geist
(Eph 4, 30), sondern das ist unser Ziel, einzugehen in die Freude unseres Herrn – Mt 25, 11.

Gesammelte Schriften II

Für Christen ist die Freude das Herzstück ihres Glaubens, der Pulsschlag ihres Lebens. Aber wie geht es der Freude in unserer Zeit? Ist sie noch am Leben? Ist unsere Botschaft froh machend, bringt sie Freude, ist sie Evangelium?
Zur Wiederentdeckung der Freude für unsere Lebensgestaltung ist eine gründliche Bibelarbeit ein guter Weg – Bonhoeffer möchte uns mit seiner Bibelarbeit Freude machen – und Mut, froher zu leben. Alle, die ihn kannten, erzählen, wie ansteckend fröhlich er sein konnte. Hier erfahren wir den Grund. An diesem Grund hat sich seit dem Februar 1939, in dem diese Bibelarbeit entstand, nichts geändert. „Haben wir nicht heute Grund genug, von dieser Freude erfüllt zu sein?“ Wir hätten schon...