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Geschlechterkrieg - Geschlechtersieg


Victor und Victoria Trimondi

 

Die Hochzeit von Sonne und Mond

 

Mozarts  Zauberflöte und der Krieg der Geschlechter

 

Mozarts Zauberflöte, von Goethe als „öffentliches Geheimnis“ bezeichnet, hat den Geschlechterkampf, die Geschlechterliebe und die Metaphysik der Geschlechter zum Inhalt. Drei Paare bestimmen den Handlungsablauf. Auf der körperlich sinnlichen Ebene: Papageno und Papagena. Auf der seelischen Ebene: Tamino und Pamina und auf der metaphysischen Ebene: Sarastro und die Königin der Nacht. Auf der sinnlichen und seelischen Ebene finden eine Versöhnung und eine Vereinigung statt. Auf der metaphysischen Ebene wird der Konflikt zwischen Sarastro und der Königin der Nacht nicht behoben. Es kommt zu einer Vernichtung der Nacht-Göttin. Ihre Vereinigung wäre einer kosmischen Revolution gleichgekommen und wahrscheinlich lag das auch in Mozarts Absicht. Jahrtausende alte Barrieren wären eingerissen worden, die Urkräfte des Universums Tag und Nacht, Licht und Dunkel, Gott und Göttin - alle Gegensätze der Welt hätten sich vereint. Eine neue Religion wäre entstanden, die besagt, dass die Liebe zwischen Mann und Frau die Metaphysik bestimmt und nicht umgekehrt wie in den Freimaurerbünden, wo die Liebe einer pariarchalen Metaphysik untergeordnet wird.


Wolfgang Amadeus Mozarts vollendete seine letzte und bekannteste Oper, die Zauberflöte, kurz vor seinem frühen Tode (1791). Viele sehen in diesem Stück das Testament des Komponisten an die Nachwelt.

 

Mozart und der Librettist der Zauberflöte, Emanuel Schikaneder, waren Freimaurer. Der Komponist zählte zu den Mitgliedern der Wiener Loge "Zur Wohltätigkeit". Bis heute gilt bei den Logenbrüdern die Zauberflöte als das "Hohelied der Freimaurerei". Der festliche "Marsch der Priester" aus der Oper erklingt meist als Empfangsmusik beim Einzug der Hohen Würdenträger bei einer feierlichen Logensitzung. Die Zauberflöte ist jedoch nicht der einzige Beitrag Mozarts zur Verherrlichung seines Ordens. Weitere Musikstücke von ihm, die in den Logen erklingen, sind: "Zur Eröffnung der Loge" - "Gesellenreise" - "Die ihr des unermesslichen Weltalls Schöpfers ehrt" - "Die Seele des Weltalls" - "Maurerische Trauermusik" - "Zum Schluss der Loge".

 

Die Zauberflöte, von Goethe als „öffentliches Geheimnis“ bezeichnet, hat den Geschlechterkampf, die Geschlechterliebe und die Metaphysik der Geschlechter zum Inhalt. Drei Paare bestimmen den Handlungsablauf. Auf der körperlich sinnlichen Ebene: Papageno und Papagena. Auf der seelischen Ebene: Tamino und Pamina und auf der geistigen Ebene: Sarastro und die Königin der Nacht.

 

Mit Recht wird das Stück von den Zuschauern als die Apotheose menschlicher Liebe von Mann und Frau erlebt. Tamino und Pamina bestehen alle Hindernisse, die man ihrer Vereinigung in den Weg legt. Das Duett von Pamina und Papageno verkündet, dass eine solch tiefe Liebe die Macht hat, Menschen zu vergöttlichen: „Mann und Weib, Weib und Mann, reichen an die Gottheit an.“ - „Dies bedeutet ein Vielfaches: unter anderem, dass sich in Mann und Weib gleichermaßen die Gottheit abbildet und dass beider Wesen sich nicht im Hiesigen und Sinnlichen begrenzt, auch wenn es vorerst daran gebunden ist, sondern dass es – weil von dort herstammend – bis in die Sphäre des Göttlichen reicht.“ – schreibt der Symbolforscher Alfons Rosenberg in seiner Deutung der Oper.(1) Aber es geht in der Zauberflöte auch um Macht, insbesondere auch um spirituelle Macht, um die Machtstruktur in den Freimaurerlogen.

 

Sarastro, der Hohepriester der Sonne, besiegt die Königin der Nacht, verdammt sie als das Prinzip des Bösen, verweigert ihr jeglichen Zugang zum Sonnenheiligtum und regiert dort mit seinem Kollegium mit absolutem Herrschaftsanspruch. Die Frau ist von den diesen Männer-Mysterien ausgeschlossen. Auch der in der Oper nachgezeichnete Initiationsweg des Haupthelden Tamino verläuft nach dem bekannten patriarchalen Muster ab: von der Dunkelheit ins Licht, aus den Fängen der Großen Mutter an die Brust des Sonnenvaters, durch die verschlingende weibliche prima materia hin zum männlichen Stein der Weisen.

 

Trotz dieser Eindeutigkeit im Handlungsablaut, der ganz und gar der freimaurerischen Doktrin entspricht, zeigt der Text nach dem ersten Akt eine erhebliche Bruchstelle, die sich vor allem in einem radikalen Charakterwandel Sarastros und der Nachtkönigin ausdrückt. Mozart. versetzt uns gleich im ersten Aufzug in die Welt ägyptischer Mysterien. Auf die Bühne tritt gewaltig und Ehrfurcht gebietend die "sternenflammende Königin der Nacht". In Friedrich Schinkels berühmtem Bühnenbild zum ersten Akt erkennen wir die Größe und Glorie, die von Herrscherin des Sternenhimmels ausstrahlt. Erinnerungen an die mächtige ägyptische Göttin Nuit, die das Himmelsgewölbe symbolisiert werden wach.

 

Karl Friedrich Schinkels Bühnenbild zur Zauberflöte (1816)

 

Aus einem Klagegesang erfahren wir, dass der Tyrann Sarastro ihre geliebte Tochter Pamina entführt habe. Der Zuschauer denkt unwillkürlich an das trauernde Bildnis der Demeter aus der griechischen Mythologie, die ihre zarte Tochter Persephone/Kore an Hades, den grausamen Mädchenräuber und Herrn der Unterwelt, verlieren musste. Ebenso wie dieser erscheint uns Sarastro als ein Unhold, der die Liebeseinheit zwischen Mutter und Tochter zerschneidet. Er benutzt für seine "schwarzen Ziele" einen schrecklich anzusehenden Mohren mit dem Namen Monostatus. Die herzzerreißende Demeter-Klage der Nachtgöttin erklingt:

 

Zum Leiden bin ich auserkoren,

Denn meine Tochter fehlet mir.

Ein Bösewicht entfloh mit ihr:

Noch seh’ ich ihr Zittern

Mit bangem Erschüttern,

Ihr ängstliches Beben,

Ihr schüchternes Streben.

 

So wehklagt die beraubte und gekränkte Mutter, schreit nach Rache und findet in ihrer Not Tamino, den jugendlichen Helden, der, nachdem er ein Bild der schönen Pamina gesehen und sich in sie verliebt hat, bereit ist, jeglicher Gefahr zu trotzen, um die Tochter der Nachtkönigin zu befreien. Im Sinne dieses ersten Handlungsstrangs erwartet nun der Zuschauer die Heimführung von Pamina/Persephone, die Bestrafung des bösen Mädchenräubers Sarastro und die Hochzeit der beiden Geliebten. Insbesondere deswegen, weil bisher kein Makel an der bedauernswerten Nachtkönigin festzustellen ist. Auch die Musik lässt nichts von einem Zwiespalt in ihrem Charakter ahnen. Die Mondgöttin zeigt Adel und Größe, ihre Zauberinstrumente Flöte und Glocke erklingen in den schönsten Tönen und die drei Damen, von denen sie sich vertreten lässt, berücken durch ihren Charme und handeln mit größter Hilfsbereitschaft.

 

Aber alles kommt ganz anders! Ein völlig neuer Handlungsfaden weiter wird gesponnen, der vom ägyptisch­-griechischen Zaubermärchen fortführt und die Initiation in einen freimaurerischen Männermysterienbund zum Gegenstand hat. Sarastro erscheint nun im zweiten Aufzug als der Hohepriester der dreisonnigen Gottheit, damit als ägyptischer Hermes Trismegistos (Hermes der Dreimalgroße). Ein leuchtender Sonnentempel hat die Nachtsphäre verdrängt und glänzt als kosmisches Zentrum inmitten des Geschehens. In diesen "Heil'gen Hallen kennt man die Rache nicht!", erfährt der Zuschauer. Doch sobald man die Schwelle des Sonnentempels nach draußen hin überschritten hat, wird erbarmungslos gerächt. Der Racheverzicht in den Heil’gen Hallen hat sich jetzt ins pure Gegenteil verkehrt, wenn Sarastro entschlossen zur geraubten Pamina spricht: "Allein, du sollst sehen, wie ich mich an deiner Mutter räche.

 

Diese hat sich zum Erstaunen des Publikums jetzt voll und ganz verändert. Anstatt der noblen Nachtkönigin des ersten Aufzugs, die um den Raub ihrer Tochter trauert, erschreckt uns jetzt eine von Machtgier verzehrte Mordhexe, die den glänzenden Sarastro lieber heute als morgen zur Strecke bringen möchte, um das Insignum seiner Macht, den "Mächtigen Sonnenkreis", dessen magisches Abbild er auf seiner Priesterbrust trägt, an sich zu reißen. Sie ist herrisch, selbstsüchtig, intrigant und böse. Aus der würdevollen Demeter ist eine lechzende Hekate geworden eine Unterweltsgöttin, eine „schwarze, mit Totenschädeln bekränzte und Blut trinkende, furchtbare Kali.“ – schreibt Alfons Rosenberg. (2) Sie erscheint als Herrin der Destruktion („Tod und Verzweiflung flammt um mich her“) und als Erynnie („Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“).

 

In der Sonne liegt die Macht, wer sie besitzt, beherrscht die Welt - dieser bei Hermetikern, Alchemisten und Freimaurern bekannte Lockruf ertönt auch in der Zauberflöte. Schon am Totenbett von Sarastros Vorgänger, dem Gatten der Nachtkönigin, hat diese nach der Sonnenmacht greifen wollen. Die Bitte, ihr den glänzenden Kreis zu übertragen, lehnte ihr Mann jedoch schroff ab: „Weib, meine letzte Stunde ist da – alle Schätze, so ich allein besaß, sind dein und deiner Tochter. Aber der alles verzehrende Sonnenkreis ist den Geweihten bestimmt. Sarastro wird ihn männlich verwalten, wie ich bisher. Und nun kein Wort weiter, forsche nicht nach Wesen, die dem weiblichen Geiste unbegreiflich sind. Deine Pflicht ist, dich und deine Tochter der Führung weiser Männer zu überlassen." Die Sonnenmacht soll nicht in die Hände der Frau fallen; die (männliche) Sonne soll sich aber ebenso wenig die Macht mit den Mondkräften teilen, sondern will zum Alleinherrscher über das Universum werden.

 

Deswegen befiehlt ihr sterbender Gatte der Nachtkönigin, sich bedingungslos der Vorherrschaft der Sonnenpriester zu unterwerfen. Das muss ihr, da sie als Nacht- und Mondgöttin die weibliche Seite des Universums repräsentiert, wie Hohn geklungen haben. Das Drama ist nun eröffnet, von einer Teilung der Macht ist keine Rede mehr. Der Krieg der Geschlechter auf höchster Ebene ist eröffnet. Auch die stolze Königin will nun alleine herrschen. “Als Herrin des Mondes, des nächtlichen Reiches und der weiblichen Fruchtbarkeit, wollte sie auch noch über die geistigen, zeugenden Sonnenkräfte verfügen, das will sagen, die Weltherrschaft an sich reißen.“ – meint Alfons Rosenberg, ohne jedoch zu erwähnen, dass sich die Priester des „alles verzehrenden Sonnekreises“ ebenfalls die Weltherrschaft anmaßen und die Kräfte des Mondes vernichten wollten.(3) Rosenberg sieht denn auch im Kampf zwischen Sarastro und der Nachtkönigin eine Wiederholung des babylonischen Urmythos, in dem der Lichtgott Marduk und seine (Urgroßmutter) Tiamat in Stücke schlägt und „dadurch der Herrschaft der Finsternis ein Ende bereitet.“ Der Tod eines weiblichen Monsters führt zur Errichtung eines neuen Äons, das patriarchalen Gesetzen folgt. Marduk  „bringt solchermaßen die lichte, schön gestaltete Welt hervor. Sein Lohn sind die Schicksalstafeln, die er auf der Brust trägt, und die Huldigung der Götter vor ihm, dem All-Gott. – Der [babylonische] König vertrat den Lichtgott; er wurde jeweils in der Zeitenwende dessen Hoherpriester. Im Hohenpriester zeigt sich der Gott; er handelt für diesen, als ob er der Gott selber wäre – dies ist ein Grundgesetz jeglichen Kultes und der Riten.“ (4)  Das gilt auch für den Sonnenpriester Srarastro.

 

Er ist der „oberste Führer des Weisheitsbundes“ - „der der Mysterien Kundige“ -  Inhaber der herrschenden Autorität“ - „Herr der Wahrheit“ - „Mittler von Lebenskraft und von Charismen“ - „So steht in Sarastro das Urbild der ‚großen Vaters’, mit all seiner Kraft, Weisheit, Verantwortung und schöpferischen Phantasie vor uns als Licht umflossene, ragende Gestalt göttlicher kosmischer und menschlicher Allväterlichkeit, ein Garant der Würde und der Freiheit der Menschen.“ (5) und ein „Wächterengel“, der die Verbindung des Sonnen- und Mondtempels entschieden verhindern will. Er gleicht insofern der Nachtkönigin. In ihrer Unversöhnlichkeit stehen sich die beiden Urkräfte, Gott und Göttin, gegenüber.

 

Um des „alles verzehrenden Sonnenkreises“ habhaft zu werden, vergisst die Nachkönigin ihre frühere Mutterliebe und benutzt auf schändliche Weise ihre eigene, von Sarastro geraubte Tochter Pamina. Sie soll die Mordtat an dem Hohenpriester vollziehen. ."Siehst du hier diesen Stahl", spricht die Mutter zu ihr, "er ist für Sarastro geschliffen - Du wirst ihn töten und den mächtigen Sonnenkreis mir überliefern." Der Urhass der verhassten Nacht auf den gelobten Tag, der verachteten Dunkelheit auf das glorifizierte Licht, des hässlichen Drachen auf den schönen Lichthelden, des fahlen Mondes auf die glänzende Sonne, der erniedrigten Frau auf den triumphierenden Mann steigert sich bis zum Crescendo, als die Königin aufschreit:

 

Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen

Tod und Verzweiflung flammt um mich her

Hört Rachegötter - hört der Mutter Schwur!"

 

Alles spitzt sich jetzt auf ein dramatisches Ende zu, auf das hin sich die Kräfte der Dunkelheit zur letzten Schlacht gruppieren. Die charmanten Damen des ersten Aufzuges haben sich in giftige Gorgonen verwandelt. Der schwarze Monostatus, zu Beginn noch im Dienste Sarastros, wechselt die Fronten und wird zu einem gehorsamen Instrument der der Rachegöttin. Es gelingt den Nachtgeschöpfen, in den Vorhof des Sonnentempels einzudringen, allen voran die stolze Königin. Wir hören ihre Stimme:

 

Nur Stille! Stille! Stille! Stille!

 

Und die drei Damen, die sie begleiten singen:

 

Bald dringen wir in Tempel ein!

[Was ein unerhörtes Sakrileg darstellt.]

Dort wollen wir sie überfallen

Die Frömmler tilgen von der Erd

Mit Feuersglut und mächtigem Schwert

Dir, große Königin der Nacht, sei unsrer Rache Opfer gebracht

 

(Donner, Blitz, Sturm) Der Coup misslingt. Sie werden entdeckt:

 

Zerschmettert, zernichtet ist unsere Macht,

Wir alle gestürzet in ewige Nacht! ­

 

(Sie versinken - Sogleich verwandelt sich das ganze Theater in eine Sonne; Sarastro steht erhöht; Tamino, Pamina, beide in priesterlicher Kleidung. Neben ihnen die ägyptischen Priester auf beiden Seiten.) Sarastro:        

 

Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht

Zernichten der Heuchler erschlichene Macht.

 

Kurz: Die Sonne besiegt den Mond. Dass das Urthema der Zauberflöte einen Geschlechterkrieg darstellt, steht somit außer Zweifel. Der  Tiefenpsychologe Erich Neumann hat ihn denn auch als das Leitmotiv der Oper mit den folgenden Worten charakterisiert. Es gehe um die "Auseinandersetzung zwischen dem Matriarchat, der Herrschaft der Großen Mutter, und dem Patriarchat, der Herrschaft der Väterwelt, des Tages und der Sonne... Im Sinne dieses Gegensatzes einer matriarchal sich selbst bestimmenden und einer patriarchal das Weibliche beherrschenden und sich ihm überlegen fühlenden Welt sind auch die Aussagen Sarastros über die Königin der Nacht und ihren 'Stolz' zu deuten. Das patriarchale Selbstbewusstsein, der ganze Hochmut des Männlichen dem Weiblichen gegenüber spricht aus seinen Worten: "Ein Mann muss eure Herzen leiten, denn ohne ihn pflegt jedes Weib aus seinem Wirkungskreis zu schreiten!'" Im zweiten Teil der Oper sind entsprechend häufig Frauenverachtende Sprüche zu hören: "Ein Weib tut wenig, plaudert viel!" - lesen wir im Libretto, ebenso wie "Geschwätz von Weibern nachgesagt" oder "Sie ist ein Weib, hat Weibersinn."

 

Dennoch findet in der Zauberflöte eine Art Initiation von Pamina statt, die den von ihrer Nachtmutter für Sarastro bestimmten Dolch an die eigene Brust setzt und dadurch demonstriert, dass sie bereit ist, sich für den Sonnenpriester selbst zu opfern. Diese Bereitschaft bringt Sarastro zu der Aussage: "Ein Weib, das Nacht und Tod nicht scheut, ist würdig und wird eingeweiht."

 

Hans Biedermann ein guter Kenner der freimaurerischen Ideologie, die hinter der Zauberflöte steht, hat wohl mit einigem Recht diese revolutionären Worte Sarastros als einen unverbindlichen Euphemismus entlarvt: "Es handelt sich hier freilich um eine Einweihung", schreibt er, "die sich eher aus dramaturgischen Gründen 'ereignet', um die weibliche Hauptperson nicht aus den Augen zu verlieren, denn um eine lege artis vorgenommene Initiation. Es scheint, als hätte sich damals niemand ein paralleles Ritual für das weibliche Geschlecht vorstellen können" - und Biedermann fährt fort: "...die Einseitigkeit der Männerbund - Spiritualität (in der Zauberflöte) bleibt unbestreitbar. Nicht zu verkennen ist ja, dass die Welt des Lunaren, des 'Yin" nicht restlos integriert, sondern in der Person der Königin der Nacht eindeutig negativ besetzt und in die Sphäre des Bösartig-bedrohenden abgedrängt wird." (6) Auch Alfons Rosenberg meint, der frauenfreundliche Einweihungsspruch Sarastros müsse relativiert werden, denn der Weisheitsbund bestehe weiterhin aus "geprüften Männern". "Es bleibt dabei offen, ob Pamina durch ihre Einweihung in den Weisheitsbund der Männer aufgenommen wird – was allerdings ein den Bund sprengender Akt [!] wäre -, oder ob sie als Gattin des künftigen Königs Tamino Anteil an der priesterlich-königlichen Weisheit erhält.“ (7)

 

So dauert auch in der Zauberflöte der alte weiter Konflikt an. Zwischen dem Tag und der Nacht findet keine Versöhnung statt. Sonnengott und Mondgöttin stehen sich immer noch als zwei machtbesessene Prinzipien und Potenzen gegenüber. Auch im Tempel des Sonnengottes gilt der Spruch, der allen religiösen Männerbünden vertraut ist: mulier taceat in ecclesia (Die Frau hat in der Kirche zu schweigen). Mehr noch: Die Frau darf den Tempel nicht betreten.

 

Die gedemütigte Fürstin der Nacht will ebenfalls nicht die Hand reichen, sondern giert weiterhin nach dem "allmächtigen Sonnenkreis". So geht der Geschlechterkrieg zwischen den beiden Urkräften weiter. Er wird unter anderem in Johann Wolfgang Goethes Fragment zu einer Zweiten Zauberflöte fortgesetzt, wo die dunkle und verbitterte Königin erneut ihre Nachtheere rüstet, um in das Reich der Sonne einzudringen.

 

Die Widersprüchlichkeit, mit der die Mondgöttin im ersten und im zweiten Akt auftritt, lässt jedoch vermuten, dass die Zauberflöte ursprünglich anders konzipiert war. Wilhelm Zentner weist denn auch im Vorwort zum Textbuch darauf hin, dass die "an dem Stücke lebhaft interessierten freimaurerischen Kreise" eine Umarbeitung der ursprünglichen Anlage angeregt hätten und Mozart, "vom Auftauchen neuer hoch gestimmter Ideen begeistert", diesen Anregungen gefolgt sei.(8) Ob begeistert oder nicht, die Frage scheint berechtigt: Wollten Mozart und Schikaneder das alte patriarchale Ritual, nach dem die Sonne den Mond versklavt, durch eine große Versöhnungsfeier zwischen den beiden Gestirnen, sprich Geschlechtern, durch die unio mystica zwischen Sol und Luna ersetzen? Immerhin ist die Zauberflöte die Hochzeitsoper par excellence. Am Ende finden wir Papageno verheiratet mit Papagena und Tamino mit Pamina. "Erst wenn die Gegensätze und Widersprüche der Geschlechter durch die Kraft der Liebe verschmelzen (einmal waren auch der Sonnenkönig und die Königin der Nacht so vereint), kann auch die ‚göttliche Flöte’, ein Klangsymbol für die ‚Vereinigung der Gegensätze’, zur Hilfe und Rettung des liebenden Paares ertönen." (9)

 

Aber zwischen dem Sonnenpriester und der Mondgöttin klafft weiterhin ein Riss, tiefer denn je. Wenn wir die klassische Dreiteilung des Menschen in Körper, Seele und Geist auf die Zauberflötenpaare übertragen, dann bilden Papageno und Papagena die körperliche Ebene, Tamino und Pamina die seelische, Sarastro und die Nachtkönigin die geistige oder metaphysische. Die Oper lässt also eine Geschlechterbegegnung im Körperlichen und Seelischen zu und verherrlicht diese. Das macht sie zu einem Mysterienspiel des zur Macht greifenden Bürgertums, denn innerhalb der vorangehenden feudalistischen Gesellschaft war eine seelische Beziehung zwischen den Liebenden keineswegs die Bedingung einer Heirat. An die erste Stelle setzt man den Stand und das Vermögen. Die Oper kommt übrigens auf dem Höhepunkt der französischen Revolution 1791 in Wien zur Uraufführung.

 

Doch auf der metaphysischen Ebene endet der Krieg zwischen den Geschlechtern auch in der bürgerlichen Gesellschaft nicht, deren führende Mitglieder sich unter anderem spirituell und esoterisch in den patriarchalen Freimaurerbünden organisieren. Die Logen bleiben für die Frauen geschlossen. Mulier tacet in ecclesia ("die Frau schweigt in der Kirche") - das gilt auch bei Logenbrüdern. Die Göttin Isis, die sie verehren und die vom Chor in der Oper des Öfteren angesprochen wird, ist ein Substitut für die katholische Jungfrau Maria, sie bleibt letztendlich die „Magd des Herrn“. Jedenfalls hat ihre Präsenz nicht dazu geführt, dass Frauen von den Logenbrüdern gleichwertig behandelt werden. Auch der Freimaurer Johann Wolfgang von Goethe, der, wie schon erwähnt, an einem zweiten Teil der Zauberflöte dichtete, lässt die Königin der Nacht zusammen mit Monostatos weiterhin finstere Rachepläne schmieden.

 

So bekriegen sich Sonne und Mond auch in den folgenden Jahrhunderten bis heute, obgleich sich die irdischen und sozialen Systeme gewandelt haben. Die gesamte Weltenordnung ist immer noch durch diesen Urkonflikt der Geschlechter bedroht. "Solange der Sonnenkönig und die Mondkönigin durch Liebe verbunden waren – durch eine Liebe, deren Frucht Pamina ist –bestand diese Gefahr nicht. Aber nachdem der Sonnenkönig gestorben war – vielleicht sogar wie Osiris getötet wurde – wird die magna mater böse, indem sie Ort und Macht des Männlichen zu usurpieren sucht.“ – schreibt Alfons Rosenberg.(10) Weshalb musste der Sonnenkönig sterben? Wer hat ihn getötet? War vielleicht Serastro der Mörder? Ein Motiv hatte er, denn durch den in der Zauberflöte geschilderten Handlungsablauf wurde der freimaurerische Tempel als das hermetisch­ patriarchale Zentrum des Sonnenkultes bestätigt und gefestigt. Zu den im Tempel gepflegten Grundsätzen zählt auch der folgende: "Bewahret euch vor Weibertücken, dies ist des Bundes erste Pflicht." Dieses Gesetz hatte wahrscheinlich sein Vorgänger, der Gatte der Nachtkönigin nicht so ganz erfüllt, weil er seine Frau liebte.

 

Die metaphysische Vorherrschaft des Mannes wird also in Mozarts Oper nicht aufgehoben. „Nach der Lehre der Zauberflöte ist der Mann dazu berufen, das Weib zu leiten, denn ohne ihn pflegt jedes Weib aus seinem Wirkungskreis zu schreiten.“ (11) Dennoch gibt es hierzu im Text mehrere (teilweise schon erwähnte) Widersprüche. Dazu rechnet auch eine Aussage Paminas. Während der gefährlichen Feuer- und Wasserprobe übernimmt sie, durchdrungen von ihrer Liebe, die Leitung Taminos: "Ich werd an allen Orten an deiner Seite sein. Ich selber führe dich, die Liebe leitet mich. " Sie ist es auch, die ihren Geliebten dazu drängt, die Zauberflöte zu spielen und damit die Rettung einzuleiten.

 

Weist auch diese Szene daraufhin, dass die Zauberflöte ursprünglich anders konzipiert war? Sollte in ihr die Gleichwertigkeit der Geschlechter auf allen Ebenen als ein Mysterium gefeiert werden? Was hat es mit dem Bruch zwischen dem ersten und zweiten Akt auf sich? Wieso wird die zu Beginn göttliche Königin der Nacht plötzlich zu einer verdammten und machtlosen Dämonin? Wurden der Komponist und Schikaneder vielleicht von seinen Logenbrüdern zurückgepfiffen, als sie den Versöhnungsweg gehen wollten? Oder vollzog sich die Abkehr von einer mystischen Hochzeit zwischen Sonne und Mond als der innere Seelenkampf des vor seinem eigenen Mut zurück geschreckten Freimaurers Mozart?

 

Wie dem auch sei, eine Vermählung zwischen Nachtkönigin und Sonnenpriester wäre einer kosmischen Revolution gleichgekommen Jahrtausende alte Barrieren wären eingerissen worden, die Urkräfte des Universums Tag und Nacht, Licht und Dunkel, Gott und Göttin - alle Gegensätze der Welt hätten sich vereint. Eine neue Religion wäre entstanden, die besagt, dass Liebe zwischen Mann und Frau die die Metaphysik bestimmt und nicht umgekehrt wie in den Freimaurerbünden, wo die Liebe der Metaphysik untergeordnet wird. Und wahrscheinlich hätte das gar nicht Mozarts eigenen Absichten widersprochen. Denn immerhin sind die letzten Worte des Schlusschors am Ende des Originallibrettos einem Göttlichen Paar gewidmet. Dort heißt es:

 

Heil sey euch Geweihten! Ihr drängt durch die Nacht,

Dank sey dir, Osiris und Isis, gebracht!

Es siegte die Stärke, und krönet zum Lohn

Die Schönheit und Weisheit mit ewiger Kron'

 

Die meisten modernen Inszenierungen der Zauberflöte folgen der patriarchalen Vorlage. Zum Beispiel die spleenige filmische Aufführung des englischen Schauspielers und Filmemachers Kenneth Branagh (2007), der einen Großteil der Szenen in die Schützengräben des ersten Weltkriegs verlegt und aus Sarastro einen populistischen General Montgomery macht, der sowohl für seine Soldaten und als auch für Zivilisten als benevolenter Vater auftritt.

 

Es gibt aber auch Versionen, die den Geschlechterkrieg anders lösen, und die sich klar darüber bewusst sind, was für einen funadamentalen Konflikt Mozarts Oper auf die Bühne bringt. Drei davon möchten wir kurz erwähnen.

 

  1. Sarastro und die Königin der Nacht vernichten sich gegenseitig.
  2. Sarastro und die Königin der Nacht streiten sich weiter. Tamino und Pamina eignen sich zusammen den "Mächtigen Sonnenkreis" an.
  3. Sarastro und die Königin der Nacht versöhnen sich angesichts der tiefen Liebe zwischen Tamino und Pamina.

 

In David Pountneys viel beachtete Inszenierung der Bregenzer Festspiele (2013) sterben die beiden religiösen Protagonisten am Ende. Die Nachtkönigin fällt tot um und Sarastro verendet in einer grotesken Szene auf einer Treppe. Tamino und Pamina, endlich befreit vom hässlichen Streit der Götter und Göttinnen treten erlöst als Regenbogentänzer und Regenbogentänzerin in das Publikum, um einer von der Metaphysik freien Welt zu verkünden, dass der Geschlechterkrieg endgültig beendet ist. Der Regisseur hat den Gender-Konflikt der Oper hervorragend thematisiert und in vielen Interviews besondern hervorgehoben.

 

Der Österreichische Rundfunk schreibt über ihn und sein Meisterwerk: „Pountney betonte schon im Vorfeld immer wieder, dass für ihn die zentrale Botschaft der Zauberflöte sei, ‚dass ein normaler Mann und eine normale Frau die Verantwortung für die Zukunft der Gesellschaft’ trügen, Machtkämpfe, Religion und Standesdünkel hingegen ‚überflüssiges Brimborium’ seien. Vor Freimaurerideen, Chauvinismus und Sexismus, die sich hinter Sarastros Weisheitstempel verbergen, fürchtet sich Pountney daher auch nicht. Er stellt sie zwar nicht besonders groß aus, gibt ihnen aber dennoch Raum - und konterkariert sie durch das Bild von Tamino und Pamina als Repräsentanten des gesellschaftlichen Umbruchs. So laufen sie am Ende Hand in Hand in Regenbogenshirts in eine befreite Zukunft, getreu dem Motto des heurigen Festivals ‚Dem Licht entgegen’.“ (12) Dieses Motto drückte sich auch in dem Festspielplakat aus, das die Umrisse von Tamino und Pamina zeigt, wie sie der Sonne und dem Licht entgegengehen:

 

Plakat zur Zauberflöte Bregenz 2013

 

Ein Jahr vorher (2012) gab es in Salzburg eine Aufführung der Oper unter der Regie von Jens-Daniel Herzog, wo sich Sarastro und die Königin am Ende weiter streiten und in ihrem antagonistischen Hass aufeinander nicht einmal mehr auf das Signum der Macht den "Mächtigen Sonnenkreis" acht haben. Tamino und Pamina bemächtigen sich der Symbolscheibe, verlassen die nun entmachteten, aber immer noch zerstrittenen Urkräfte des Lichts und der Dunkelheit und verlassen zusammen mit Papageno und Papagena und einem Kinderwagen die Bühne.

 

Die dritte Version, der in den 90er Jahren weitgehend eine Aufführung in der Kammeroper der Wiener Drachengasse entsprochen hat, gefällt uns am besten. Leider ist uns der Name des Regisseurs, ein Engländer, entfallen. Angesichts der tiefen Liebe zwischen Tamino und Pamina sehen der Sonnenpriester und die Mondkönigin ihre Fehler ein, verzeihen einander, verwandeln ihren Hass in Liebe und bilden (das war jedoch in der Aufführung noch nicht zu sehen) ein leuchtendes Paar am Himmel.

 

© Victor und Victoria Trimondi

 


Fußnoten

 

(1) Die Zauberflöte – Geschichte und Deutung von Mozarts Oper – München 1972, 87(1) Alfons Rosenberg – Die Zauberflöte – Geschichte und Deutung von Mozarts Oper – München 1972, 84

(2) Alfons Rosenberg – Die Zauberflöte – Geschichte und Deutung von Mozarts Oper – München 1972, 201

(3) Alfons Rosenberg – Die Zauberflöte – Geschichte und Deutung von Mozarts Oper – München 1972, 76

(4) Alfons Rosenberg – Die Zauberflöte – Geschichte und Deutung von Mozarts Oper – München 1972, 76

(5) Alfons Rosenberg – Die Zauberflöte – Geschichte und Deutung von Mozarts Oper – München 1972, 191

(6) Biedermann, Hans – Das verlorene Meisterwort – Bausteine zu einer Kultur- und Geistesgeschichte der Freimaurertums – München 1986, 202, 203

(7) Alfons Rosenberg – Die Zauberflöte – Geschichte und Deutung von Mozarts Oper – München 1972, 170

(8) Biedermann, Hans – Das verlorene Meisterwort – Bausteine zu einer Kultur- und Geistesgeschichte der Freimaurertums – München 1986, 202, 201

(9) Alfons Rosenberg – Die Zauberflöte – Geschichte und Deutung von Mozarts Oper – München 1972, 119, 120

(10) Alfons Rosenberg – Die Zauberflöte – Geschichte und Deutung von Mozarts Oper – München 1972, 77

(11) Alfons Rosenberg

(12) „Die Zauberflöte“ als Fantasycomic in Bregenz – in: http://orf.at/festspielhighlights/stories/2593400/

 

 

 

© Copyright 2003 – Victor & Victoria Trimondi