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Der Tempelberg
Auszüge aus dem
letzten Kapitel des Buches: Krieg der Religionen
– Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse
Der Tempelberg als Garten
Alle Beiträge, den Streit um den
Tempelberg pragmatisch zu beenden, sind bisher gescheitert. Das liegt nicht
zuletzt daran, dass es sich in diesem Falle um einen Mythos handelt und ein
Mythos nicht ohne weiteres durch Vernunftgründe außer Kraft gesetzt werden
kann. Eine rationale Lösung ist hier nicht nur mit den politisch konträren
Ansprüchen streitender Parteien konfrontiert, sondern in der Tiefe mit dem
ganzen eschatologischen Doomsday-Wahn der drei
Religionen, über den wir in diesem Buch geschrieben haben. Auf dem Tempelberg konzentrieren sich,
wir wiederholen es, alle aggressiven, kriegerischen, totalitären, inhumanen
und destruktiven Endzeit-Mythen des monotheistischen Fundamentalismus. Er
ist mittlerweile zu einem Symbol für den „Krieg der Religionen“ geworden. Diese Tatsache
spricht man zwar in den offiziellen, meist internationalen Verhandlungen
über das Gelände nur selten an, aber sie brodelt wie eine sich anstauende
Lavablase im Untergrund, die jederzeit ausbrechen kann. Deswegen bewegt
sich der Diskurs darüber, ob der Tempelberg unter israelische,
palästinensische, jordanische oder internationale Verwaltung gestellt wird,
nur an der Oberfläche. Andererseits drängt sich in einem Umkehrschluss die Frage
auf, ob nicht gerade dieser umstrittene Platz als Raum für einen
konstruktiven, toleranten, friedfertigen und menschenfreundlichen Mythos
dienen könnte, der den Konflikt um den Berg und vielleicht darüber hinaus
für den ganzen Nahen Osten endgültig beenden könnte?
In diese Richtung zielt der schon öfters
gemachte Vorschlag, auf dem Moriah Berg mehreren
religionsspezifischen Gotteshäusern (Synagoge, Kirche, Moschee) zu
errichten. Die Folge hiervon wäre, dass die verschiedenen Tempel von drei
„Gottheiten“ (Jahwe, Christus, Allah) mit einem jeweils absolutistischen Selbstverständnis auf
engstem Platz zusammengepfercht würden. Dadurch dürfte das sie alle
trennende theologische Problem des „Einzigen Gottes“ kaum gelöst werden,
geschweige denn dass dadurch der eschatologisch-apokalyptische Anspruch des
jeweiligen Messias auf den Berg befriedigt würde. Die konfessionellen
Widersprüche könnten sich von Angesicht zu Angesicht noch mehr verschärfen.
Denn ein Tempel (d. h. die Synagoge, die
Kirche, die Moschee) gilt in den Traditionen aller drei Religionen
keineswegs nur als ein Versammlungsort der Gläubigen und als Stätte des
Gebetes, sondern er ist auch ein zentrales Machtsymbol, durch das die
Omnipotenz und Herrlichkeit des jeweiligen „einzigen“ Gottes demonstriert
wird. Im Tempel verwahrt man die tragenden Machtsymbole einer Religion,
ihre Heiligen Schriften und ihre
rituellen Gerätschaften. Er wird als eine spirituelle Festung angesehen,
die jeden unorthodoxen Einfluss von außen abwehren soll. Als ökumenische
Begegnungsstätte unterschiedlicher Religionen hat er in der Geschichte nur
sehr selten gedient. Im Gegenteil, im jeweiligen Tempel der drei
monotheistischen Bekenntnisse (Synagoge, Kirche, Moschee) soll ja, der
Tradition nach, gerade die unantastbare Absolutheit des jeweiligen Gottes
in den Mittelpunkt gestellt werden. „So glaubt an Gott und hört auf von der
Dreifaltigkeit zu sprechen. In Wahrheit ist Gott der Gott der Einheit.“ –
steht auf dem Felsendom in Alt-Arabisch geschrieben - ein Satz, der sich
klar vom christlichen Dogma der Trinität absetzt. In theokratischen
Gesellschaften ist zudem der Tempel nicht nur der Sitz der spirituellen,
sondern auch der politischen Macht. Nach den Doomsday-Prophezeiungen
der Fundamentalisten aus allen drei Konfessionen sollen die in der Endzeit
geplanten Sakralbauten auf dem Moriah-Berg sogar
zur Residenz ihres jeweiligen messianischen Weltenherrschers werden.
Man sollte sich ebenfalls daran erinnern, dass
der Tempel keineswegs nur als ein Ort des Friedens angesehen wird, sondern
er kann genauso ein Ort der Wehrhaftigkeit und des religiösen Militarismus
sein. Heute werden insbesondere viele Moscheen, selbst in nicht-islamischen
Ländern, in diesem Sinne genutzt. Sie dienen als Zentren zur Verbreitung
revolutionärer islamistischer Ideen. In ihnen werden terroristische
„Märtyrer-Operationen“ verherrlicht und in ihnen wird zur religiösen Gewalt
aufgerufen. Zweifelsohne hat die al-Aqsa Moschee auf dem Tempelberg in Tausenden von
Fällen als Forum für Hasspredigten und Hetzkampagnen gegen Christen und
Juden gedient. Andererseits verwandelten sich während des zweiten
Irak-Krieges viele Mega-Kirchen amerikanischer Fundamentalisten zu
Versammlungsorten, in denen zum Kreuzzug gegen den Islam aufgerufen wurde.
Ebenso dienten die orthodoxen Kirchen und die Moscheen Jugoslawiens während
der Balkankriege als Stätten der Kriegshetze. Aus diesen Gründen sind
Tempel symbolisch, theologisch und geschichtlich vorbelastet und eine
friedliche Koexistenz von drei Gotteshäusern auf dem Moriah-Berg
wäre ein viel zu großes Risiko. Förderlicher wäre da schon die Errichtung
eines gemeinsamen Sakralbaus für alle drei monotheistischen Religionen.
Doch das würde die kaum vorstellbare Anerkennung eines gemeinsamen
transkulturellen monotheistischen Gottes voraussetzen.
Vielleicht, so haben wir uns gefragt, lässt
sich aber die integrationistische Idee, die
hinter dem Konzept mit den verschiedenen Tempeln steht, durch etwas ganz
anderes verwirklichen? Etwas, das eine integrierende Rolle viel besser
spielen könnte und das von vorneherein die Konkurrenz zwischen den drei
Glaubensrichtungen ausschließt. Etwas, was verbindend wirkt und von Natur
aus eine Machtdemonstration des eigenen Glaubens nicht zulässt. Auf unserer
Suche nach einer Antwort sind wir auf das Bild des Gartens als Alternative
zu dem monotheistischen Tempel auf dem Moriah-Berg
gestoßen, denn ein Garten kann viel mehr sein, als ein durch menschliche
Arbeit gestaltetes Stück Natur. Er kann, ebenso wie der Tempel, zu einem
sakralen Territorium werden, auf dem sich das Göttliche und das Menschliche
begegnen. Der Garten kann sogar als ein friedlicher Gegenmythos zum
martialischen Mythos des Tempels imaginiert werden. Die Errichtung eines
Gartens auf dem Moriah-Berg ist, wenn man sich
die Gründe dafür näher ansieht, so nahe liegend, dass man sich wundern
muss, wieso bisher (unseres Wissens nach) dieser Vorschlag noch nicht
artikuliert. Denn:
- Der Garten
stellt für das Judentum, das Christentum und den Islam ein machtvolles
Symbol des Friedens dar.
- Ein
Paradiesgarten findet sich in den eschatologischen Heilserwartungen
aller drei monotheistischen Religionen.
- Der Garten,
als Stätte der Gottesbegegnung, lässt sich aus den jeweiligen Heiligen
Schriften theologisch ableiten.
- Der Garten
ist ein transkulturelles Friedenssymbol der Weltreligionen und ein
Freiheitssymbol der Aufklärung.
- Die
Konstruktion eines Gartens auf dem Tempelberg lässt sich praktisch umsetzen.
1. Der Garten stellt für
das Judentum, das Christentum und den Islam ein machtvolles Symbol des
Friedens dar
Ein Garten auf dem Moriah-Berg
muss notwendigerweise ein Symbol des Friedens sein. Tatsächlich sprechen
alle Heiligen Texte des Monotheismus
vom Garten als einem exquisiten Ort des Friedens und des Glücks. Aber
darüber hinaus wird er als eine Stätte
der Freude, der Schönheit, der Fruchtbarkeit, der Fülle, der Liebe
und des Eros erwähnt. Ein Garten ist frei von einander ausschließenden oder
miteinander konkurrierenden Symbolen und Ritualen. Palmen, Zedern, Feigen
und Reben genießen im Judentum dieselbe Verehrung wie im Christentum und im
Islam. Wasser, Bäume, Blumen sind für alle drei Religionen Konnotationen
der Glückseligkeit und der Harmonie. Krieg ist eine Metapher, die durchaus
im Zusammenhang mit dem Tempel genannt werden darf, nicht aber im
Zusammenhang mit dem Garten.
Das Bild vom Garten als einem göttlichen Raum
auf Erden mag vor allem deswegen im Judentum, im Christentum und im Islam
eine so häufige Sakralisierung gefunden haben, weil alle drei Religionen in
einer geographischen Region entstanden sind, in der das Spannungsfeld
zwischen Wüste und Oase einen hohen kulturgeschichtliche Rang einnimmt.
Gärten bedeuten im Nahen und Mittleren Osten auch Erlösung von der
Unfruchtbarkeit, von sengender Hitze, von Durst und Hunger, von Sandstürmen
und von Entbehrung.
2. Ein Paradiesgarten
findet sich in den eschatologischen Heilserwartungen aller drei
monotheistischen Religionen
Ein Garten auf dem Moriah-Berg
würde auch das heute so stark ausgeprägte eschatologische Bedürfnis von
Juden, Christen und Muslimen befriedigen, denn der Garten repräsentiert das
Alpha und Omega der Geschichte. In einem Paradiesgarten (Eden), so berichtet die Bibel ebenso wie der Koran, hat die Geschichte der
Menschheit einmal begonnen und es zählt ebenfalls zur eschatologischen
Tradition allen drei Glaubensrichtungen, dass die Menschheitsgeschichte
einmal in einem Paradiesgarten enden wird. Ein Garten Eden verbindet Himmel
und Erde, Sinnlichkeit und Spiritualität, Natur und Geist.
Außerdem wird der irdische Garten in der
abendländischen und islamischen Kulturgeschichte nicht selten als eine
Emanation des himmlischen Paradiesgartens angesehen. Oder auch umgekehrt - Lassen
wir hier den bosnischen Schriftsteller Dževad Karasahan zu Wort kommen, der den Paradiesgarten als
eine „eschatologische Projektion“ des irdischen Gartens bezeichnet hat:
„Der eine wie der andere ist aus denselben Elementen geschaffen (fließendes
Wasser, Bäume, Blumen, Früchte), aber der irdische ist materiell, während
der Paradiesgarten ideell (unveränderlich und außerzeitlich) ist.
Allerdings rückt die Tatsache, dass es einen ideellen, paradiesischen
Garten gibt, den irdischen Garten über die Grenzen der reinen Materie
hinaus und semantisiert ihn, indem eine Spannung
zwischen dem ideellen Modell und der materiellen Realisierung aufgebaut
wird: Wenn der ideelle Garten als eschatologischer Zufluchtsort im
Mittelpunkt eines kulturellen Systems steht, verweisen alle Elemente des
realen, irdischen Gartens von selbst auf diesen ideellen Garten und
funktionieren als materielle Fakten, die ihre materiellen Grenzen
überschreiten und, in dem sie sich auf ihr Äquivalent ‚zu bewegen’,
Bedeutung produzieren.“ - lesen wir bei Karasahan.
(1)
3. Der Garten, als Stätte
der Gottesbegegnung, lässt sich aus den jeweiligen Heiligen Schriften
theologisch ableiten.
Damit auf dem Moriah-Berg
ein Garten errichtet werden kann, wird jede der drei monotheistischen
Religionen großen Wert darauf legen, dass sich Legitimation für ein solches
Projekt aus ihren Heiligen Schriften
theologisch ableiten lässt. Das ist aber ohne weiteres möglich. Der Koran quillt geradezu über mit
Schilderungen von prachtvollen Gärten und sinnlichen Paradiesgärten. Den
Satz aus Sure 4: 57 - „Und
diejenigen, die glauben und die gute Werke tun, werden Wir in Gärten
eingehen lassen, unter denen Bäche fließen; darin werden sie auf immer ewig
weilen. […] Und Wir werden sie
einen ausgedehnten Schatten eingehen lassen.“ – gibt es im Heiligen Buch der Muslime in
zahlreichen Variationen zu lesen. (2) In Sure 14: 23 wird zudem explizit erwähnt, dass es sich bei
diesem paradiesischen Garten um eine Stätte des Friedens handelt: „Aber diejenigen, die glauben und die
gute Werke tun, werden in Gärten geführt, unter den Bäche fließen; darin
werden sie ewig weilen, mit der Erlaubnis ihre Herrn. Ihre Begrüßung wird
sein: Frieden!“ – heißt es dort. An mehren
Stellen ist, um einen Zustand der Glückseligkeit zu beschreiben, von „Gärten der Wonne“ die Rede. (3) Aber
man findet auch realistische Schilderungen von Gärten im Koran. Hier eine Kostprobe davon: „Und Wir bringen damit Pflanzen jeglicher
Art hervor; und dann bringen wir aus ihnen Grün hervor, aus dem Wir
übereinander gereihte Körner hervorbringe – und aus den Palmen, aus ihren
Blütenscheiden entstehen herabhängende Dattelbüschel – und (auch) Gärten
mit Weinstöcken, und die Öl- und Granatapfelbäume, die einander ähnlich und
unähnlich sind. Schaut auf ihre Früchte, wenn sie Früchte tragen, und auf
deren Reifen. Darin sind Zeichen für Leute, die glauben.“ (Sure 6: 99)
Die Vorstellung von einem Paradiesgarten (Dschannah)
steht mehr als
bei den anderen Konfessionen im Zentrum der islamischen Kultur. Das Bild
vom Dschannah
wird in der muslimischen Kultur nicht selten mit dem Eros synonym gesetzt.
Doch ebenso liebevoll erzählt die Bibel von paradiesischen Gärten,
ausgehend von diesem Ur-Garten mit dem wundersamen Namen „Eden“, in dem einmal
alles begann und in dem ein Mann und eine Frau (Adam und Eva) lebten, die
der Legende nach aus der Erde des Moriah-Berges
gebildet wurden. Bei Jesaja
41: 19-20 spricht Gott: „Ich will in
der Wüste wachsen lassen Zedern, Akazien, Myrthen
und Ölbäume; ich will in der Steppe pflanzen miteinander Zypressen,
Buchsbaum und Kiefern, damit man zugleich sehe und erkenne und merke und
verstehe: des Herrn Hand hat dies getan, und der Heilige Israels hat es
geschaffen.“ Allen voran aber steht die erotische Gartenbeschreibung
aus dem Lieder der Lieder: „Ein verschlossener Garten ist meine
Schwester Braut, / ein verschlossener Garten, / ein versiegelter Quell. Ein
Lustgarten sprosst aus dir, / Granatbäume mit köstlichen Früchten, /
Hennadolden, Nardenblüten, Narde, Krokus, Gewürzrohr und Zimt, / alle
Weihrauchbäume, Myrrhe und Aloe, / allerbester Balsam: Die Quelle des
Gartens bist du, / ein Brunnen lebendigen Wassers, / Wasser vom Libanon.
Nordwind, erwache! Südwind, herbei! / Durchweht meinen Garten, / lasst strömen
die Balsamdüfte! Mein Geliebter komme in seinen Garten / und esse von den
köstlichen Früchten. / Ich komme in meinen Garten, Schwester Braut; / ich
pflücke meine Myrrhe, den Balsam; / esse meine Wabe samt dem Honig, trinke meinen Wein und die Milch. Freunde,
esst und trinkt, / berauscht euch an der Liebe!“ (Das Hohelied 4, 5) Im Mittelalter genoss der Hortus Deliciarum (Paradiesgarten) eine besondere Würdigung
durch Menschen, die sich zu einer christlich gefärbten Naturmystik
hingezogen fühlten.
Aus diesen und noch zahlreichen anderen Gründen
dürfte für alle drei monotheistischen Religionen kein allzu schwieriges
theologisches Unterfangen sein, die Legitimation eines gottgewollten
Gartens auf dem Moriah Berg aus ihren jeweiligen Heiligen Schriften abzuleiten. Eine
solche Ableitung ist sicher weit leichter und schlüssiger zu
bewerkstelligen, die eine theologische Begründung, für die Errichtung eines
gemeinsamen oder mehrerer „Gotteshäuser“ (Synagoge, Kirche, Moschee) an
diesem Ort.
4. Der Garten ist ein
transkulturelles Friedenssymbol der Weltreligionen und ein Freiheitssymbol
der Aufklärung
Das Symbol des Gartens ist universell. Es
reicht weit über die drei monotheistischen Religionen hinaus, es ist ein
interkulturelles und transkulturelles Symbol. Alle Zivilisations-Kulturen
der Welt verehren den Garten als eine Stätte des Friedens, des Glücks und
der Begegnung. Auch im Buddhismus, im Hinduismus, im Taoismus, im Zen und
in vielen anderen Glaubensrichtungen kennt man Paradiesgärten. Die
Verwandlung des Moriah Berges in einen Garten
würde deswegen auf eine große interreligiöse und internationale Zustimmung
stoßen. Der Berg mit seinem Garten könnte integrierend wirken für alle
Religionen und bliebe dennoch ganz der Tradition der abrahamitischen
Religionen verpflichtet.
Weil er die Vielheit der Pflanzen in eine bunte
Einheit bringt, ohne ihre Unterschiede und Eigenart zu zerstören, ist der
Garten ein symbolischer Ausdruck für Freiheit und Toleranz und deswegen
genießt er den hohen Respekt der antiken Philosophie. So verbrachte Epikur sein ganzes Leben in Gärten. Dort studierte er,
dort führte er seine Übungen durch, dort lehrte er seine Philosophie des Eudaimonismus, wo nach die Erlangung von Glückseligkeit
durch (gemäßigte) sinnliche Freuden das Ziel menschlichen Strebens ist.
Seine Schule trug den Namen „Der Garten“. Viele Jahrhunderte später machte
die französische Aufklärung den Garten zu einem hohen Symbol der Vernunft,
zu einem Sinnbild für die Kooperation zwischen Mensch und Natur. In diesem
Verständnis fasste François-Marie Voltaire
die Lebensphilosophie seines Romanhelden Candide, der jahrelang durch eine Welt des Krieges, des
Schreckens und der Erniedrigung wandern musste, in der berühmten Satz
zusammen: „Il faut
cultiver notre jardin!“ („Wir müssen unseren Garten
kultivieren!“).
5. Die Konstruktion eines
Gartens auf dem Tempelberg lässt sich praktisch umsetzen.
Ist einmal zu dem Konsensus zwischen den drei
monotheistischen Religionen gekommen, auf dem Moriah
Berg einen sakralen Garten zu errichten, dann dürften sich die praktischen
Fragen, was die Gestaltung und die Verwaltung anbelangt, ohne große
Schwierigkeiten lösen. Immerhin wäre dieser Fall ja mit dem endgültigen
Verzicht der Juden und Christen verbunden, auf dem Gelände ihre Tempel zu bauen,
und mit der Zustimmung der Muslime, ihre beiden Moscheen (al-Aqsa
und Felsendom) abzutragen und an einem anderen Platz in Jerusalem wieder zu
errichten. Den ersteren Fall kann man sich noch vorstellen, aber dass die
jetzigen muslimischen Eigner ihren Besitztitel abgeben und dann noch ihre
zwei Gotteshäuser abbauen, erscheint wie ein Phantasma. Doch der Tempelberg
ist nun mal ein Ort von Phantasmen, nur dass die meisten von ihnen einen
„Krieg der Religionen“ hervorrufen möchten und keinen „Frieden der Religionen“.
Vielleicht kann deswegen der Wahn, der diesen Ort befallen hat, auch nur
durch ein anderes Phantasma geheilt werden. Jedenfalls bedürfen die
miteinander verfilzten mythischen, religiösen und politischen Problemfelder
des Berges ganz außergewöhnlicher Lösungsvorschläge, damit er zur Ruhe
kommt. Vier Gründe fallen uns ein, die vielleicht friedensuchende Muslime
für ein solches Projekt erwärmen könnten:
- Die
religiösen Spannungen um den Haram
al-Sharif sind so aufgeladen, dass es früher oder später zu einer
Zerstörung der beiden Moscheen durch religiöse Zionisten oder
christliche Fundamentalisten kommt. (Diese Prognose ist übrigens in
der muslimischen Welt besonders weit verbreitet).
- Um einer
solchen Zerstörung zuvorzukommen, wäre es sinnvoller die beiden
Moscheen zu versetzen und damit als religiöses Zentrum und als
Kulturerbe zu erhalten.
- Der
himmlische Paradiesgarten hat im Koran
auf jeden Fall einen höheren Status als eine Moschee. Ein auf dem Haram al-Sharif errichteter
irdischer Garten könnte aufgrund der Heiligkeit des Ortes als eine
Emanation des himmlischen Gartens angesehen und verehrt werden.
- Die
muslimische Welt würde mit ihrer Tat als Vorreiterin für den
Weltenfrieden bei allen Ländern und Völkern die höchste Anerkennung
finden.
Jerusalem jedenfalls würde jetzt zur Stadt der
vielen Gotteshäuser, in der neben der al-Aqsa
Moschee und dem Felsendom auch der Dritte Jüdische Tempel errichtet werden
könnte.
Eine Debatte über den Tempelberg gibt die
einmalige Gelegenheit, das Trauma, welches Menschen und Religionen durch
ihre Fixierung auf die Apokalyptik seit Jahrhunderten erfahren, an einem
konzentrierten Ort zu diagnostizieren und vielleicht auch dort zu heilen.
Die große Tragik der apokalyptischen Dramaturgie liegt darin, dass ihr Ziel
die Erreichung eines glückseligen Zustandes ist und dass als Mittel hierzu
Totschlag, Mord, Selbstmord und ungeheuerliche Zerstörungen von Kulturen,
Zivilisationen und der Natur als notwendig und als gottgewollt angesehen
werden. Die Vorstellung ist wirklich grotesk, wenn am Ende jeder
„Märtyrer-Operation“ islamischer Terroristen, bei der Hunderte von Leben
umkommen können, ein prachtvoller Paradiesgarten steht, den der Attentäter
betreten darf, um die Ekstase des Eros zu erleben. Ebenso grotesk ist die Vorstellung
christlicher Fundamentalisten, dass Gott sie in ein himmlisches Paradies
entrückt (rapture)
bevor es mit großen Schlachten auf unserer Erde richtig losgeht. In beiden
Fällen liegen die Paradiesgärten in der Transzendenz oder allenfalls in
einem Zukunftsreich (Millennium), das nur nach einem Höllendurchgang
betreten werden kann.
Eines der größten Probleme, das die bestehenden
Religionen der Menschheit insgesamt bereiten, besteht sicher darin, dass
sie ihre Heilserwartungen völlig idealisiert in eine Zukunft verlagern. Es
ist diese religiöse Kultur der verabsolutierten Transzendenz, die der Erde
und dem menschlichen Leben so viel Schaden und Wunden zufügt. Glück und
Friede werden in den Himmel projiziert – Hass, Krieg, Terror und Elend auf
die Erde und am Ende, ausgehend von
vielen „Himmelsberichten“, stellt man dann mit größtem Erstaunen fest, dass
die versprochenen und imaginierten Paradiese der Weltreligionen sich nur
wenig von einem glückseligen Leben hier auf der Erde unterscheiden.
Hebt man dagegen die Trennung von Transzendenz
und Realität auf, überwindet man die Spaltung von Himmel und Erde, zu jener
Erfahrung einer leichten und undramatischen Sakralität,
zur Kultivierung einer kontrollierten Ekstase, die das Sinnliche mit dem
Geistigen verbindet. Ein adäquates und lebbares
Symbol einer solchen Durchlässigkeit bzw. Vermählung der Polaritäten kann
der Garten sein. In diesem erübrigt sich dann die Frage des Dichters, wer
zuerst da war, der himmlische oder der irdische Garten: „Sind die Gärten
dieser Welt Schatten des Paradiesgartens, Erinnerungen unserer Seele an die
Welt, in der sie vor der Geburt gewohnt hat, oder sind sie nur ein
Versprechen, mit dem uns die Erde versichert, dass das Paradies möglich
sei, um uns zu überreden, zu ihr zurückzukehren?“ (4) Die Antwort lautet:
Sie sind beides, Erinnerung und Rückkehr, Anfang und Ende - so wie es ja
eigentlich sowohl in der Bibel
als auch im Koran geschrieben
steht: am Anfang der Geschichte steht ein Garten der Glückseligen und am
Ende der Geschichte steht ein Garten der Glückseligen.
Kein Ort der Welt ist besser geeignet, die Idee
von einem irdischen Paradies durch die Errichtung eines Gartens zu
illustrieren, als der Tempelberg. Heute aber befindet sich dort, so könnte
man allegorisch sagen, der Tempel eines Wahngebildes, das den Namen apokalyptische Matrix trägt; ein
Idol, völlig konträr zu dem Bild eines liebenden, nachsichtigen,
schützenden und verzeihenden Gottes, welches von Millionen und aber
Millionen von Menschen angebet wird und von dem sie Erlösung erwarten. Die apokalyptische Matrix mit ihrem
grenzenlosen Zerstörungspotential und ihren lockenden
Paradiesversprechungen kann in der Tat als das „unheilvolle Gräuel“ angesehen werden, das nach einer schon oft
zitierten Vorhersage des Propheten Daniel
(11:31) am Ende der Zeiten auf dem Moriah Berg
als Götze verehrt wird. Das wirklich Dämonische an diesem apokalyptischen
Götzen ist, dass durch kein Mittel der Gewalt vernichtet werden kann,
sondern dass jeder, der sich aus der apokalyptischen Matrix durch Gewalt zu
befreien sucht, selber von ihr verschlungen wird.
Der Ausweg aus diesem Labyrinth, dessen Wege
nach Armageddon führen, ist jedoch so einfach und so schlüssig wie der
Faden der Ariadne: Er besteht in der schlichten Erkenntnis, dass die apokalyptische Matrix nichts anderes
ist als ein Wahngebilde, dass sie nur eine Existenz in den Köpfen von
Menschen hat und dass man die von ihr ausgegebene Logik des Wahnsinns nur
zur Seite lassen braucht, um einer Logik der Vernunft und der Liebe zu
folgen, die in der Lage wäre, heute ein Paradiese auf Erden zu schaffen.
Der Tempelberg könnte zu dem großen Symbol dieses Umschwungs vom religiösen
Todes-Wahn in eine religiös empfundene Lebens-Wirklichkeit werden. Wenn das
gelänge, dann würden die Menschen der Zukunft sagen: Im Zentrum der Welt
befindet sich ein Garten, unser Weltgarten.
Die Fußnoten sind nachlesbar in der
Printausgabe von: „Krieg der Religionen“
Weitere
Kapitel:
Der Tempelberg als messianisches
Weltenzentrum (1)
Jüdische Fundamentalisten und
der Tempelberg (2)
Christliche
Fundamentalisten und der Tempelberg (3)
Islamische Fundamentalisten
und der Tempelberg (4)
Tempelberg: Wahn und Wirklichkeit im
Krieg der Religionen (5)
Der Tempelberg als Garten (6)
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