Die Entstehung des ersten Bürgernetzes in Schwindegg
erzählt von Bertram Gebauer
Mit dem Hintergrund jahrelanger Netzwerk-Erfahrung, unter anderem im Bereich der Vernetzung von kleinen und mittelständischen Unternehmen, und den noch nicht verarbeiteten Eindrücken einer Reise in die USA begann ich im Mai 1995, an einer Lösung zur Erschließung des ländlichen Raums mit Internet-Einwahlknoten zu arbeiten. Ein Name für diese Projekt war rasch gefunden - Bürgernetz. Nachdem mir aus anderen Projekten bekannt war, wie wichtig der Schutz von Namen ist, beantragte ich am 17.05.1995 die Eintragung des Worts "Bürgernetz" als Marke.
Die ersten Leistungen für dieses "Bürgernetz" wurden von meiner Frau erbracht: Sie war es, die bei den ortsansässigen Firmen und Vereinen vorstellig wurde und sie auf das Thema Datennetze ansprach. Am Rande eines Fests im örtlichen Kindergarten wurde dann auch noch der Bürgermeister der Gemeinde Schwindegg mit einbezogen, der spontan die ideelle Unterstützung der Gemeinde zusagte.
Bei allen diesen Gesprächen kristallisierte sich allmählich eine Kernfrage heraus, die mir damals als die konsequente Fortsetzung einer Frage erschien, die mich seit meinem USA-Aufenthalt nicht mehr loslies: Was macht denn eigentlich der Bürger am Netz (die Leute, mit denen wir damals sprachen, formulierten das z.T. ziemlich drastisch: Geh ma doch mit Deim Schmarrn, des bringt doch gor nix....).
Inzwischen hatten sich auf die Veröffentlichung des Konzepts "Bayern Online" der Bayerischen Staatsregierung hin etliche Personen in der Bayerischen Staatskanzlei gemeldet, die Einwahlknoten in das im Rahmen dieses Konzepts zu schaffende "Bayernnetz" und damit in das Internet schaffen wollten. Sehr schnell wurde klar, daß dafür durch den Staat keine finanzielle Unterstützung gewährt würde, was den Kreis der Interessenten dramatisch schrumpfen lies. Ein paar Unentwegte gaben jedoch zu erkennen, daß sie es auch so versuchen würden, wenn sie nur den nichtkommerziellen Datenverkehr des "Bayernnetzes" nutzen dürften. Die so entstehenden Aktivitäten wurden koordiniert durch ein Erlanger Hochschulinstitut, FIM-Psychologie, dem die Aufnahme von öffentlichen Einwahlknoten in das Konzept "Bayern Online" zu verdanken war. Der Leiter dieses Institus, Herr Dr. Walter F. Kugemann, bat mich Ende Mai 1995, die Koordinierung der Aktivitäten in Südbayern zu übernehmen.
Auf diesem Wege traf ich mit den Herren Karl-Max Wagner und Marc Meis zusammen, die in Zusammenarbeit mit einer Mailbox einen Internet-Einwahlknoten in Germering bei München schaffen wollten. Beide kannten sich hervorragend mit Linux aus. Ihnen übergab ich im Juni 1995 einen Rechner mit der Bitte, doch Linux und die für einen WWW-Server benötigten Programme darauf zu installieren. Ende Juni 1995 stand dann der erste lokale Server in Schwindegg, in den man sich auch schon über ein Modem einwählen konnte.
Der nächste Schritt, der in Schwindegg gegangen wurde, war die Gründung eines Vereins, der den Knoten betreiben sollte. Die Gründung dieses Vereins erfolgte am 11.06.1995. Die Satzung war in allen wesentlichen Teilen übernommen vom "Förderverein Free-Net Erlangen-Nürnberg", der im Frühjahr 1995 gegründet und nach unserem damaligen Kenntnisstand als gemeinnützig anerkannt worden war. Die Präambel dieser Satzung enthielt daher noch viele Teile der "Free-Net-Philosophie".
In den Wochen des Juni und Juli 1995 entwarf ich ein "Konzept des Bürgernetzes", das die Aufgaben, die Organisationsstruktur und die Kosten eines "Bürgernetzes" in groben Zügen darlegte. Dieses Konzept trug ich Mitte August bei FIM-Psychologie vor, wo es rundweg abgelehnt wurde. Dieser Termin hatte schlimme Folgen für das "Bürgernetz Schwindegg" und möglicherweise für die Bürgernetze allgemein: Meine Frau war daraufhin so frustriert, daß sie beschloß, sich nicht mehr weiter zu engagieren - ein herber Rückschlag, wie man sich vorstellen kann.
Hinzu kam, daß sich auch das Finanzamt Mühldorf zu Wort meldete und uns wissen lies, daß es nicht bereit sei, die Steuerbegünstigung unseres "Fördervereins Bürgernetz Schwindegg" anzuerkennen. In der Annahme, daß es sich dabei nur um einen Irrtum handeln könne, wandte ich mich an die Bezirksfinanzdirektion München und später an das Bayerische Staatsministerium der Finanzen - zunächst ohne Erfolg.
Mittlerweile hatte ich mich auch in der Bayerischen Staatskanzlei vorgestellt. Zusammen mit Marc Meis hatte ich dem für "Bayern Online" zuständigen Referenten, Herrn Hans-Joachim Heusler, einen Prototypen des geplanten "Bürgernetzes Schwindegg" vorgestellt. Zur Demonstration wurden zwei vernetze Laptops unter Linux verwendet, die wir quer über Herrn Heuslers Schreibtisch aufbauten. Die Resonanz war unerwartet gut, was uns in unseren Planungen natürlich wesentlich bestärkte.
An Herrn Heusler also wandte ich mich, als es mir nicht gelingen wollte, die Steuerbegünstigung meines Versins anerkannt zu bekommen. Auf seine Anregung hin fand dann am 20.09.1995 in der Bayerischen Staatskanzlei ein Strategiegespräch statt, das die Weichen für die Organisation der Bürgernetze nachhaltig stellen sollte. Hier wurde mit einem Vertreter des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vereinbart, daß die Aufgaben der Bürgernetze künftig nach steuerbegünstigt und nicht steuerbegünstigt getrennt werden sollten und der steuerbegünstigte Bereich von einem "Förderverein des Bürgernetzes" übernommen werden soll. Alle anderen Aufgaben sollten einem Träger zufallen, dessen Rechtsform nicht näher bestimmt wurde. Das Finanzministerium sagte zu, eine Mustersatzung für den steuerbegünstigten Färderverein zu erstellen.
Am Abend des gleichen Tages fand im Pfarrheim Schwindegg eine erste öffentliche Informationsveranstaltung statt, zu der auch viele auswärtige Gäste angereist waren. Ich erinnere mich noch, daß in der ersten Reihe die späteren Gründer des Bürgernetzes Ingolstadt, Marino Schwedhelm und Willi Schröttle, saßen. Ferner war Ralph Pollinger anwesend, der kurz danach das "Bürgernetz Moosburg" als zweites Bürgernetz aus der Taufe hob. Als Techniker assistierten mir an diesem Tag Karl-Max Wagner und Marc Meis, die zwei Monate später das "Bürgernetz Germering" gründeten.
In Schwindegg warteten die Mitglieder des Bürgernetzes, deren Zahl inzwischen angewachsen war, auf die Übersendung der Mustersatzung. Am 10.10.1995 war es dann endlich soweit, morgens um 9 Uhr traf die Satzung mit Fax ein. Die Gründungswilligen wurden rasch informiert, und so entstand am gleichen Tag um 20 Uhr der erste Bürgernetzverein: Der "Förderverein Bürgernetz Schwindegg e.V."