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18.04.2024
Ich habe doch nichts zu verbergen
Geschrieben von Michael Sälzer   
14.08.2009
Saelzer-Eine kleine persönliche Polemik-
In letzer Zeit fällt mir vermehrt in der Berichterstattung über Videoüberwachung, Netzkontrolle, Sperrlisten oder innere Sicherheit der Begriff: "Ich habe doch nichts zu verbergen" auf, der gerne in den "repräsentativen" Umfragen fällt.
Da erinnere ich mich weniger gerne an die Berichte von, im Vergleich zu mir, älteren Mitbürgern (wohlgemerkt, ich bin 54), die in Erinnerung an eine dunkle Zeit unserer Geschichte davon sprachen, sie hätten nichts bemerkt von der schleichenden Veränderung, und dieses Idiom auch verwandt.

Mir fällt meine Ohnmacht auf, die ich empfinde, wenn wieder mal über das "böse Internet" geschimpft wird.
Wer schimpft denn da eigentlich? Weiß jemand ob es die Politiker sind die schimpfen, oder ist es die Presse die da jammert? Die Presse, die sich gerne als öffentliche Meinung darstellt. Das Internet sei ein rechtsfreier Raum, ein Hort von Terroristen, Kinderschändern, Urheberrechtsverletzern etc. Es bedrohe unsere Sicherheit und den Frieden der Welt überhaupt.
Nun, was soll das? Gibt es jetzt plötzlich allerorten Frieden in der Welt? Man sollte sich doch mal die analoge Welt anschauen, zum Vergleich. Heute lese ich von der Presseabteilung der Polizeigewerkschaft einen populistischen Artikel, das Internet sei der größte Tatort der Welt. Naja, selbst bei nur einem Straffall wäre dem so, weil ich momentan keinen größeren Tatort als die Welt kenne. (Startrek Fans mögen mir verzeihen)
Verwechseln die Verlage, die sich gerne auch mal bei youtube bedienen und die Politiker mit Gesetzesvorlagen gegen die "Piraten" des Internets bombardieren, evtl. Urheberrecht mit Verwertungsrecht? Dieselben Verlage, die auch mal gerne bei Persönlichkeitsrechten fünfe gerade sein lassen, wie bei jedem auflagenträchtigen Unfall oder Amoklauf zu sehen ist, wenn man sich gerne mal bei Facebook mit Fotos bedient. Wir müssen vorsichtig sein bei der Lektüre dieser Artikel, denn das sind Betroffene, die sich vom Internet in ihrer Existenz bedroht sehen, die Armen. Auf diesen Zug einer Imagekampagne gegen das Internet springt nun die Politik auf, weil sie sich von der sogenannten öffentlichen Meinung gerufen fühlt. Und jetzt nimmt das Unheil seinen Lauf. Denn wir dürfen nicht vergessen, das ureigene Prinzip des Staates und dessen Politiker ist immer noch Machtausübung. Und diese erreicht man am besten durch Kontrolle.

Ahnungslose Politiker wollen sich in diesen Zeiten als Beschützer der "Menschen" geben und fordern, unterstützt von der Presse, Gesetze. Oder haben diese bereits beschlossen.Gesetze die einen dramatischen Abbau unserer Bürgerrechte bedeuten.
Ich behaupte, diese sogenannten Volksvertreter haben keine Ahnung wovon sie reden und handeln. Sie sind keine Vertreter der digitale Generation gewesen, und sind es heute noch nicht.

Mir wird Angst und Bange vor diesen digitalen Immigranten, deren Netzkompetenz sich im Schreiben von Sms und E-Mails erschöpft, die sich anmaßen mit nicht belegten, bodenlosen Behauptungen und Schlagworten unsere Freiheit zu beschneiden.

Es wird munter drauflosparliert, gefordert und fabuliert wie unsere Sicherheit geschützt werden muss, und mal eben dazu das Grundgesetz geändert werden muss. Vergessen wird jedoch nicht, dass das Grundgesetz auch und gerade für uns Bürger zum Schutz gegen den Staat geschaffen wurde. Vergessen wir nicht, dass Freiheit und Sicherheit zwei Begriffe sind, die sich absolut entgegengesetzt sind.

Zensur ist das hässlich Wort, das durch die Netzwelt geistert. Zurecht wie ich meine. Was erlauben sich unsere Volksvertreter, was bilden sie sich ein? Mit welchem Recht und mit welcher Kompetenz  glauben sie uns sagen zu müssen, was wir sehen und erfahren dürfen?

Ich will kein Internet, dessen Zugang von ominösen schwarzen Listen reglementiert ist, die das BKA erstellt und von niemandem überprüft werden können. Die ersten dumpfen Stimmen sind schon da, die eine Erweiterung der Listen auf sonstige "staatsgefährdende" Seiten wollen. Und Ihr könnt Gift darauf nehmen, das passiert. Wir werden hier nicht nur ein Stasi deluxe erleben, sondern ein besseres China. Da fällt mir die Gedankenpolizei ein aus 1984 von Huxley. Ein Internet, das von den Politikern, die jetzt glauben dafür zuständig sein zu müssen, reglementiert wird, wäre ein Netz, das vom Geschmack und Empfinden einer bestimmten Generation reglementiert wäre. Wenn wir das alle wollen, ok, aber ich bin mir sicher, das ist nicht der Fall.

Juli Zeh schreibt unter dem Titel: "Denn sie wissen nicht, was sie tun" auf Spiegel online, wie ich es nicht treffender ausdrücken könnte.

Wir haben eine Volkspartei, deren Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin nicht nur den Irakkrieg für eine gute Idee zur Terrorbekämpfung hielt, sondern die auch seltsame Visionen zur Zukunft unserer Gesellschaft hegt: "Wir werden nicht zulassen, dass technisch manches möglich ist, aber der Staat es nicht nutzt."

Der Staat muss alles realisieren, was die Technik erlaubt? Stellen Sie sich vor, was das wirklich bedeutet, lieber Leser, und Ihnen wird ganz schlecht werden. Andererseits wäre da die SPD, welche mit Hilfe des früheren Bundesinnenministers Schily die "Otto-Kataloge" und damit die ersten Pakete von Terrorismusbekämpfungsgesetzen verabschiedet hat. In der Großen Koalition beteiligt sich diese Partei immer wieder am Erlass von Gesetzen, die verfassungswidrig sind.

Die Grünen entdecken zwar neuerdings ihr bürgerrechtliches Herz, seit in den Feuilletons ab und zu datenschutzbewegte Beiträge erscheinen, und sprechen sich deshalb gegen die Vorratsdatenspeicherung und den "Großen Lauschangriff" aus. Zuvor saßen sie allerdings sieben Jahrelang in jener Regierung, die in Brüssel die Einführung der ePässe vorangetrieben hat, und haben sich beim Abbau von Freiheitsrechten vor allem durch Schweigen und Mitlaufen ausgezeichnet.

Auch Die Linke findet am "Großen Lauschangriff" keinen Gefallen, was ihr allerdings leichter abzunehmen wäre, wenn sie nicht zu großen Teilen aus der PDS bestünde. In ihrer früheren Form als SED hat diese Partei ganz eigene Erfahrungen mit dem Überwachen und Erniedrigen von Bürgern durch einen allgegenwärtigen Stasi-Apparat gesammelt. Das Verhältnis der Linken zu ihrer DDR-Geschichte ist, vorsichtig gesagt, ambivalent. 

So bleibt nur noch die FDP, die sich gelegentlich aus einem liberalen Reflex heraus gegen die Steueridentifikationsnummer, gegen Fluggastdatenspeicherung und biometrische Erfassung ausspricht. Dem "Großen Lauschangriff" stimmten jedoch zwei Drittel ihrer Mitglieder zu, woraufhin die damalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger ihr Amt niederlegte. Jenseits von bürgerlich-liberalen Denkern wie Burkhard Hirsch, Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vertritt die Partei heute fast ausschließlich wirtschaftsliberale Positionen. Ihr Verhältnis zur persönlichen Freiheit ist unausgegoren und opportunistisch.

Parteichef Guido Westerwelle forderte im Jahr 2001 die Einführung des biometrischen Personalausweises, welchen die innenpolitische Sprecherin der FDP, Gisela Piltz, einige Jahre später als "weiteren Schritt in die Totalüberwachung" bezeichnete. 

(paradoxerweise erschienen im selben Magazin, das gleichzeitig das "böse Web" in seiner neuesten Ausgabe verteufelt, aber dazu bei Gelegenheit mehr)


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Letzte Aktualisierung ( 15.08.2009 )
 
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