Schlachtopfer zu Gottes Ehre
Inhalt
dieses Buches ist die Kommentierung eines Dokumentes, das den Attentätern
des 11/9 als „geistliche Anleitung“ gedient haben soll. Der Text bringt
eine Übersetzung der Anleitung, eine Textanalyse, einen Vergleich mit der
traditionellen „islamischen Schlachtenrede“, einen Essay über die
Sakralisierung des Terrors („Terror als Gottesdienst“) und einen Diskurs
über die Frage, ob das Attentat einen apokalyptischen Hintergrund hat. Im
Anhang befindet sich das arabische Original.
Die geistliche Anleitung, in
Amerika auch als „Doomsday Document“ bekannt, zitiert ausführlich
Passagen aus dem Koran, die sich auf das Martyrium (Shahadat) und den Heiligen Krieg (Djihad) beziehen. Den Attentätern
wird empfohlen, diese Koranstellen in der „Letzten Nacht“ immer
wieder zu lesen und sich einzuprägen. Es wird ihnen suggeriert, dass sie
unter der Obhut Gottes stehen und und nichts zu fürchten haben. „Aber
wer Furcht hat, sind die Freunde Satans, welche eigentlich Satan fürchten
und zu seinen Jüngern wurden – Gott behüte uns davor.“ (21) Als
Belohnung für ihre Tat verspricht ihnen die Anleitung den Eintritt in ein
sinnliches Paradies: „Danach wird der Tag kommen, den du mit Gottes
Erlaubnis mit den schwarzäugigen Jungfrauen im Paradies verbringen wirst. –
Und wisst, dass sich die Paradiese für euch bereits mit ihrem schönsten
Schmuck Geschmückt haben und die Paradiesjungfrauen nach euch rufen: ‚O
komm herbei, die Freund Gottes!’ Dabei tragen sie ihre schönste Kleidung.“
(22, 24)
Es folgen Verhaltensnormen,
die innerhalb des entführten Flugzeugs einzuhalten sind. „Und beim
Nahkampf muss man stark zuschlagen wie Helden, die nicht mehr in diese Welt
zurückkehren wollen, und du musst laut ausrufen Allahu Akbar [„Gott ist
groß!“], weil das Ausrufen von Allahu akbar in den Herzen der
Ungläubigen Ängste hervorruft.“ (24)
Alle Handlungen, auch die Ermordung der Piloten im Cockpit, sollen
in engster Verbundenheit mit Gott und unter ständiger Wiederholung von
Koranformeln geschehen.
Interessant ist der Text vor
allem, weil er ausführlich Exerzitien des Geistes beschreibt, mit denen
sich die Attentäter auf die Tat vorbereiten sollen. Diese bestehen aus
einer Kombination von Gebeten, Schwurformeln, Todesbekenntnissen,
Waschungen, „Reinigungen des Herzens“, Koranrezitationen,
Invokationen und Unterwerfungsformeln, die ständig und ständig zu
wiederholen sind, damit sie zu einer Art Selbstsuggestion führen. Die
Körperhaare sollen abrasiert werden und ein Parfum soll einen angenehmen
Geruch verbreiten. Auch die Rasur und das Ankleiden am Morgen vor dem
Suizid-Martyrium werden als eine rituelle Handlung angesehen.
Als Ritus gilt auch die
Ermordung der Piloten. Sie werden „Schlachtopfer zu Gottes Ehre“
genannt. „Prüfe deine Waffe vor der Reise und noch einmal unmittelbar
vor der Reise.“ – heißt es in § 13 des Dokuments. Dann folgt ein Zitat
aus einer Prophetenüberlieferung (Hadith):
„Jeder von euch muss sein Messer schärfen und seinem Schlachtopfer
Frieden bringen.“ (19)
Zwei wichtige Aspekte werden
bei der vorliegenden Interpretation des Doomsday-Dokuments
zu wenig beachtet, beziehungsweise (unserer Ansicht nach) falsch eingeschätzt:
Einmal die Beziehung der Attentäter zur islamischen Mystik und zum anderen
ihre Beziehung zur islamischen Apokalyptik.
Eine der Empfehlungen aus dem
Doomsday-Dokument lautet, sich
von der Welt zu lösen und sich auf die Transzendenz zu konzentrieren. „Vergiss
und denke nicht mehr an das Ding, das die Welt genannt wird. Denn die Zeit
des Spiels ist vorbei, und die Zeit der Begegnung mit der ewigen Wahrheit.
Wie viel in unserem Leben haben wir doch verschleudert.“ – heißt es
dort. Wie wird nun die Beziehung zur Transzendenz hergestellt. Der Text
nennt in diesem Zusammenhang den Begriff dhikr. Der dhikr ist eine sakrale Technik, die
in ununterbrochene und rhythmische Aussprache des Namens Gottes oder von
Passagen aus dem Koran besteht, um sich dadurch in einen mystischen
Zustand zu versetzen. Tilman Seidensticker geht nur kurz auf die Bedeutung
des dhikr in dem Doomsday-Dokument ein (31), kommt aber dabei kaum
auf dessen mystische Dimension zu sprechen, sondern sieht darin nicht viel
mehr als ein „beruhigendes Mittel“ (32). Albrecht Fuess vergleicht das
Dokument historisch mit der „islamischen Schlachtenrede“ (55). Die
mystische Praxis in der „Anleitung“ wird deswegen völlig unterbewertet. Sie
ist aber sehr wahrscheinlich die Bedingung dafür gewesen, dass Menschen zu
solch einer ungeheuerlichen Tat überhaupt fähig waren. Es handelt sich
nämlich bei dem dhikr um eine Methode, die den Ausübenden (in seinem
Bewusstsein) mit Gott zu einer Einheit (unio
mystica) verschmelzen lässt. Ausgehend von diesem Verständnis ist die
Tat des 11/9 von den Terroristen als ein Akt Gottes (Allahs) verstanden
worden, wobei sie nur die Rolle eines Instruments hatten. (Etwas
ausführlicher setzt sich der amerikanische Genozid-Forscher Juan Cole mit
dem mystischen Background des „Doomsday-Dokuments“ auseinander. Siehe:
“Al-Qaeda’s Doomsday Document and psychological Manipulation” ( www.juancole.com/essays/qaeda.htm.)
Muslime,
die den dhikr praktizieren
Im Islam wird der dhikr
insbesondere innerhalb der Sufi-Orden angewandt. Hier im Westen ist es
üblich, den Sufismus als eine Friedensalternative zur islamischen
Orthodoxie und zum islamistischen Fundamentalismus herauszustellen.
(Insbesondere hat die Orientalistin Annemarie Schimmel dazu beigetragen)
Das ist eindeutig falsch. Es gibt einen sehr militanten und aggressiven
Sufismus, der zum Beispiel in den letzten Balkankriegen aktiv geworden ist.
Auch Hasan al-Banna, der Gründer der radikalen ägyptischen
Muslimbruderschaft, empfiehlt seinen Anhängern den dhikr als Übung.
Der andere Aspekt, der in der
vorliegenden Anthologie unterbewertet wird, ist die islamische Apokalyptik.
Thomas Schäffler versucht dem 9/11 eine apokalyptische Dimension und den
Attentätern eine apokalyptische Motivation geradezu abzusprechen. Er wendet
sich strikt gegen den Begriff „apokalyptische Terroristen“. (87) Das ist
unserer Ansicht nach aus verschiedenen Gründen nicht richtig. Einmal von
der Definition her. Schäffler setzt Apokalyptik mit Nihilismus und
Weltvernichtung gleich. Die Apokalypse hat aber immer zwei Seiten: eine
destruktive und eine konstruktive, d. h. die totale Vernichtung der alten
verkommenen Welt und die Errichtung einer neuen paradiesischen Welt. Ein
solches Muster von Untergang und Auferstehung aber durchzieht den gesamten
islamistischen Terrorismus, angefangen von den fundamentalistischen
Schriften des Ägypter Sayyid Qutb bis hin zur Ideologie von al-Qaida. Der amerikanische
Orientalist David Cook weist ausführlich darauf hin, dass die „Energie und
die Power“, welche die Muslime in der Jahrhunderte langen Geschichte ihrer
erfolgreichen Eroberungskriege entfaltet haben, nur aus ihrem fanatischen
Glauben an das Ende der Welt zu erklären ist. Eine ähnliche Meinung
vertritt Said Amir Arjomand. Der frühe Islam – so der Historiker – sei von „einer starken apokalyptischen
Vision getragen und habe auf die Realisierung eines Messianismus gezielt.“
Selbst die gängige Djihad-Philosophie folgt dogmatisch einem
apokalyptischen Muster.
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