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Kleinere Artikel - 1


Komparative Studien zum Fundamentalismus - 10. August 2006

 

Vogelstraußpolitik mitten im

Krieg der Religionen

Die Europäer wollen die religiösen Hintergründe des

Nahost-Konflikts nicht wahrnehmen noch wahrhaben

 

Kurz vor Ausbruch des Libanon-Krieges, am 22. Juni 2006, erschien in der Los Angeles Times ein Artikel mit dem Titel „Beschleunigung der Apokalypse – Christen, Muslime und Juden forcieren von hinten die Rückkehr des Messias“. Der Autor, Louis Sahagun, beginnt mit dem Satz: „Schon seit Tausenden von Jahren haben Propheten das Ende der Welt vorausgesagt. Heute, versuchen verschiedene religiöse Gruppen dieses Ende zu beschleunigen, indem sie die jüngsten Technologien benutzen. Ihr Endzeit-Spiel soll die versprochene Ankunft eines Messias beschleunigen.“ Direkt nach Beginn des Krieges hat dieser Endzeit-Wahn einen solchen Aufschwung erfahren wie nie zuvor und ist dabei, sich unheimlich rasch zu verbreiten.

 

Die ganz großen US-amerikanischen Medien öffnen zurzeit den populären Doomsday-Propheten der Christlichen Rechten (Tim LaHaye, Pat Robertson, Jerry Falwell, John Hagee, Hal Lindsey) ihre Studios und ihre Talkshows, sie veröffentlichen Interviews mit ihnen und zitieren ausgiebig Bibelverse, welche die Ereignisse und ihre zukünftigen Abläufe vorausgesagt haben sollen. Wir sprechen hier nicht von den Mega-TV- und Radio-Stationen der Christlichen Rechten (das versteht sich von selbst), sondern von Sendern wie CNN, ABC und Magazine wie Newsweek. Auf der anderen Seite steigert sich die gesamte schiitische Welt in einen apokalyptischen Rausch wie seit den Zeiten des Ayatollah Khomeini nicht mehr. Doch in Europa möchte das keiner wahrhaben.

 

Denn trotz aller gegenteiligen Anzeichen, beharrt das Gros der europäischen Medien darauf, dem Konflikt im Nahen Osten sogar jede religiöse Dimension abzusprechen, geschweige denn, die apokalyptisch-messianischen Erwartungen, die Millionen von Menschen damit verbinden,  wahrzunehmen. Das schafft ein grob verzerrtes Bild der Lage, was zu verhängnisvollen politischen  Fehlentscheidungen führen kann. Anders die Menschen vor Ort, die täglich erfahren müssen, welche destruktiven Energien religiöse Gefühle freisetzen können. Hören wir die Meinung von Omar Fahdi, ein Mitglied der Organisation Friends of Democracy mit Sitz in Bagdad, die ihre Aufgabe darin sieht, im Irak demokratische Werte zu verbreiten: „Obgleich die Religion immer eine wichtige Rolle in den früheren arabisch-israelischen Kriegen gespielt hat, tritt sie jetzt in das Zentrum. Es ist der theologische Aspekt dieses Konflikts [gemeint ist der Libanon-Krieg], der ihn so explosiv macht. Als ein Beobachter aus dem Irak, sehe ich, dass der Iran dabei ist, eine Mullah-Version von Armageddon zu lancieren, indem er den religiösen Glauben von frommen Schiiten aus der Region ausnutzt.“ Fahdi fordert mit Nachdruck, dass dieser religiöse Wahn vom Westen wahrgenommen werden muss, um darauf adäquat reagieren zu können. „Ansonsten mag Irans Armageddon-Tag zu einer self-fulfilling prophecy werden“.

 

Was tun? Für die Politik schlägt Josef Joffe in einem Zeit-Artikel („Der Wahnsinn an der Macht“) eine „entschlossene Eindämmungspolitik mit langem Atem“ vor. Eine ähnliche Strategie mag auch für die ideologische Seite des wuchernden Endzeitwahns gelten, der die Konflikte in Nahen Osten hemmungslos anheizt und immer wieder von neuem entzündet. Erste Voraussetzung hierfür ist jedoch die Kenntnis über dessen Inhalte, seine Ursachen, seine Verbreitung, seinen politischen Einfluss, seine Suggestionskraft und seine Schwächen. Doch für all diese Fragen besteht hierzulande keine allzu große Nachfrage, am wenigsten bei den Mainstream-Kirchen und den Politikern. Weshalb? Die offiziellen Glaubensinstitutionen müssten sich dann höchst kritisch mit den Passagen ihrer Heiligen Schriften auseinandersetzen, aus denen die Fundamentalisten den jeweiligen Endzeitwahn ableiten – eine besonders delikate Angelegenheit. Die säkularen Politiker jeglicher Couleur sehen dagegen in der Religion nichts anderes als ein ideologisches Mittel, das zu Machtzwecken missbraucht wird, und nehmen religiöse Bewegungen im Grunde nicht ernst.


Lamaismus und Schia-Glaube

 

Zwei Herren der Zeit

Was der XIV. Dalai Lama und der iranische Präsident

Mahmoud Ahmadinedschad gemeinsam haben.

 

Am 14. Mai 2006 legte der XIV. Dalai Lama den Grundstein für ein Gesundheitszentrum in Hüttenberg (Kärnten), welches gleichzeitig als lamaistisches Kloster und, wie es in einigen Presseberichten heißt, als „Europa-Residenz des Dalai Lama“ fungieren soll. Hauptinitiatoren dieses „Dalai-Lama-Projekts“ (so die offizielle Bezeichnung) sind der Wellness-Hotel-Magnat Robert Rogner und der Kärntner Landeshaupt Jörg Haider. Die Baukosten werden hauptsächlich aus öffentlichen Mitteln finanziert. Der Staat soll 20 Millionen Euro von den 22 Millionen Gesamtbetrag zu Verfügung stellen. Begründung: das Projekt schaffe 140 neue Arbeitsplätze und der Dalai Lama wirke als Kassenmagnet für die ganze Region. Daneben ist in dem Kärntner Ort Heft ein „Center of Higher Tibetan Studies“ geplant, das sich auch um die Akkreditierung als Privatuniversität bemühen wird.

 

Haider wertete den Besuch des tibetischen Religionsführers als „sensationellen Erfolg“. Er gab an, dass ihn eine persönliche Freundschaft mit dem Dalai Lama verbinde und erklärte, dieser sei „ein väterlicher Mensch, der unheimlich schnell und spontan auf die Menschen zugeht.“ Unheimlich sind wohl eher die engen, traditionellen Kontakte des tibetischen Kirchenfürsten zu Vertretern der rechten Szene, über die sich die breite Öffentlichkeit ausschweigt. Während der Europa-feindliche Haider als persona non grata international von den meisten Mainstream-Politikern außerhalb Österreichs gemieden wird, posiert der tibetische „Gottkönig“ lachend mit diesem Mann, dem der Rechtspopulismus seine Hoffähigkeit verdankt. Haider, der sich zudem durch arge Intoleranz gegenüber der slowenischen Minderheit im eigenen Land auszeichnet, erklärte, wie wichtig der „Dialog der Kulturen“ sei.

 

Die neue Gesundheits-Kloster-Residenz wird zudem in dem Heimatort des kürzlich verstorbenen Heinrich Harrer, ehemaliger SS-Mann und Lehrer der jungen Dalai Lama, gebaut. An vielen Stellen haben wir ausführlich darauf hingewiesen, wie eng die Beziehungen des tibetischen Religionsführers zu Protagonisten der extremen Rechten in der Vergangenheit waren und wie bedeutend lamaistische Religionsinhalte für die Ideologie-Bildung des Neo-Nazismus und Neo-Faschismus immer noch sind. (Siehe dazu unser Buch Hitler-Buddha-Krishna und Kapitel 12 Teil II aus Der Schatten des Dalai Lama (englische Fassung).

 

Der Dalai Lama, das ist viel zu wenig bekannt, zählt zu den dogmatischen Verfechtern einer radikalen Doomsday-Ideologie, die sich in allen Aspekten nach der von uns herausgearbeiteten apokalyptischen Matrix richtet. Seine buddhistische „Apokalypse“ beruft sich ebenfalls auf einen Heiligen Text: das Kalachakra-Tantra und steht, was die kriegerische Seite anbelangt, den monotheistischen Endzeitprophezeiungen in nichts nach. Es gibt jedoch einige interessante Parallelen zum Schia-Islam.

 

Beide Systeme, Lamaismus und Schiismus, haben eine ausgeprägt okkulte Dimension. Der verborgene 12. Imam, den die Schiiten als ihren Messias erwarten, trägt auch den Namen Imam-Zâman. Das bedeutet „Herr der Zeit“ (von sahib-e  zâman). Eine solche Zeitgottheit steht ebenfalls im Zentrum des vom Dalai Lama durchgeführten Kalachakra-Tantra Rituals. Kala-Chakra bedeutet das „Rad der Zeit“, die in dem Ritual gleichen Namens verehrte Gottheit wird ebenfalls als „Herr der Zeit“ bezeichnet. Beide Systeme suggerieren zudem, dass es eine von der Außenwelt nicht wahrnehmbare Sphäre gibt, von wo aus der „Herr der Zeit“ Einfluss auf die Geschichte der Menschen nimmt. Für die Schiiten ist es der 12. Imam für die tibetischen Lamas ist es der sogenannte Shambhala-König. 

 

Über diesen okkulten Aspekt des Schia-Messianismus und seine Beziehung zur aktuellen Politik schreibt Amir Taheri, ehemaliger Herausgeber von Irans größter Tageszeitung Kayhan: „Nach der Schia-Lehre ist der Imam eine messianische Figur, der, wenn auch verborgen, die eigentliche Herrschaft über die Welt ausübt. In jeder Generation wählt der Imam 36 Männer (und aus erklärlichen Gründen keine Frauen) und nennt sie die owtad oder ‚Nägel’, deren Präsenz, hineingehämmert in die Existenz der Menschheit, das Universum davon bewahrt, ‚in die falsche Richtung zu laufen’. Auch wenn diese ‚Nägel’ für einfache Leute nicht zu erkennen sind, so ist es doch zuweilen möglich, einen von ihnen zu identifizieren dank ihrer Taten. Ausgehend von dieser Lehre bestehen einige passioniertere Bewunderer Amadinedschads darauf, dass er ein ‚Nagel’ ist, eine Behauptung, die er selber nicht entkräftet hat. Zum Beispiel hat er letzten September, als er eine Rede vor der General Versammlung der Vereinten Nationen in New York hielt, behauptet, der  verborgende Imam habe den Ort in ein sanftes Licht gebadet’.“ (Siehe auch: Messias Obsession des M. Ahmadinedschad) Im April berichtet die Iranian Labor News Agenca (ILNA) Ahmadinedschad habe bei einen Treffen, um die weltpolitische Lage zu beschreiben, gesagt: „Wir sind mit einer Situation konfrontiert, die von einer unsichtbaren Macht dirigiert wird.“

 

Ganz ähnliche Vorstellungen sind mit dem im tibetischen Kalachakra-Tantra erwähnten Shambhala-Mythos verbunden. Auch in diesem Fall ist die Rede von einem verborgenen „Weltenherrscher“, der die Geschicke der Menschen eschatologisch manipuliert. Ebenso wird der XIV. Dalai Lama von seinen Anhängern und nach der Kalachakra-Lehre als Repräsentant dieser okkulten Dimension angesehen. Vom  Zeitgott Kalachakra, den er während des Rituals simuliert, heißt es, „Er ist das Rad der Zeit, ohne Gleichem und unzerstörbar.“

 

Die Ähnlichkeiten der beiden Systeme, des schiitischen und lamaistischen, sind jedoch  keineswegs zufällig. Es spricht sehr vieles dafür, dass sie oder Teile davon derselben historischen Wurzel entstammen. Tibetologen der älteren Generation wie Albert Grünwedel, Guiseppe Tucci und  Helmut Hoffmann waren der Meinung, das Kalachakra-Tantra sei aus einem alt-iranischen Kult um den Zeitgott Zurvân entstanden, der sich dann später zu einer Mischreligion aus Avesta und Lehren des Mahayana-Buddhismus (600 bis 700 Jh. n. Chr.) entwickelt habe. Auch der als offizieller Kalachakra-Intepret vom XIV. Dalai Lama designierte Tibetologe Alexander Berzin widersetzt sich dieser Meinung nicht. Dass anderseits der Zurvânismus auf die schiitische Lehre großen Einfluss gewonnen hat, ist von Iranisten wie Henri Corbin und anderen überzeugend herausgearbeitet worden. (Siehe zum Beispiel: Henri Corbin – En Islam iranien – aspects spirituels et philosophiques – Paris, 1972, 49 f. )

 

Aber, wie es ja so oft in solchen Fällen ist, geraten sich Brüder, die von den gleichen Eltern abstammen, am heftigsten in die Haare. So auch in der Endzeit, jedenfalls nach Berzin, die Buddhisten mit den Schiiten. Ausgangspunkt für seine These ist die im Kalachakra-Tantra erwähnte berüchtigte Prophezeiung, nach der der buddhistische Messias (der Shambhala-König mit dem Namen Rudra Chakrin) gegen die großen Lehrer des Monotheismus eine Letzte Schlacht schlägt. Der Passus spricht von "Adam, Henoch, Abraham, Moses, Jesus, der im weißen Gewand [Mani], Mohammed und Mathani [der Mahdi]" als seinen Gegnern. Und bezeichnet diese weiter als "die Familie der dämonischen Schlangen". (Shri Kalachakra I. 154). Für Berzin wird hier und in den folgenden Passagen ein „Armageddon“ zwischen einer guten buddhistisch-hinduistischen Erlöser-Armee der Letzten Tage und einer bösen schiitischen Sekte von islamistischen Terroristen vorausgesagt. Das Kalachakra-Tantra warne explizit vor den barbarischen Streitkräften unter der Leitung des muslimischen Endzeitmessias, dem „Mahdi“, meint Berzin. Er berichtet auch umgekehrt von schiitischen Gruppierungen, die den im Kalachakra-Tantra vorausgesagten Endzeit-Messias Rudra Chakrin als ihren Anti-Messias  herausstellen. www.berzinarchives.com/kalachakra/kc_pres_prophets_islam_abridged.html

 

Wie auch immer - am Ende der Zeiten ist der Gott des einen grundsätzlich der Teufel des anderen und umgekehrt. Das gilt auch im Falle der tibetischen Lamas und der schiitischen Ayatollahs. Gerade das iranische Beispiel zeigt, wie gut der Westen daran täte, sich das Religionssystem des Dalai Lamas besser anzusehen, damit er nicht später dieselben Probleme mit dem Lamaismus hat wie heute mit dem Schiismus. Auch der Ayatollah Khomeini wurde als Heiliger Mann verehrt und insbesondere in Frankreich, als ein Symbol der Freiheit und der Menschenrechte gegen das korrupte Schah-Regime von der Presse hochstilisiert. Alle seine fundamentalistischen Ideen, die er später bei der Errichtung der schiitischen Theokratie umsetzte, waren lange vor der „iranischen Revolution“ (1979) schon von ihm verfasst und aufgeschrieben worden. Hätte man sie gelesen und ernst genommen, dann hätte man erfahren, was einen da erwartet.

 

Eigentlich könnte man sich von buddhistischer Seite viel mehr Opposition gegen das Kalachkra-Tantra erwarten, da ja dieses lamaistische Religionssystem mit den ursprünglichen Lehren des Buddhas überhaupt nicht vereinbart werden kann. Es ist wohl die sakrosankte Figur, des höchsten Kalachakra-Meisters, des XIV. Dalai Lama, die diese Kritik nicht aufkommen lässt. Dennoch sind die Stimmen von skeptischen Buddhisten in den letzten Jahren häufiger geworden. „Je mehr ich über das Kalachakra-Tantra lerne, umso mehr lehne ich es ab. Und umso entfernter scheint es mir von den selbst grundsätzlichsten buddhistischen Lehrinhalten zu sein. Diese Art apokalyptischer Lehren scheint mir mehr bestimmten Formen eines fundamentalistischen Christentums zu entsprechen, das auf der Apokalypse beruht. Es tut mir leid, ich kann das einfach nicht ernst nehmen.“ – schreibt ein Anhänger des Buddhas mit dem Namen Dharmajim im Internet.

 

 

 

© Copyright 2003 – Victor & Victoria Trimondi

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