Apokalyptischer Nuklearismus
Dieser Artikel war
konzipiert als Kapitel für das Buch „Krieg
der Religionen – Politik, Glaube und Terror im Dienste der Apokalypse“
konnte aber aus Platzgründen nicht aufgenommen werden. Die verlinkten
Seiten in den Fußnoten wurden Ende 2005 überprüft.
Apokalyptischer Nuklearismus
und die Sakralisierung der Bombe
von Victor und
Victoria Trimondi
Die Konstruktion, die Zündung
und die Verbreitung von Nuklear-Waffen hatten von Beginn an einen prägenden
Einfluss auf das apokalyptische Denken. So ist der Einsatz von A-Waffen ein
Szenario, das in keiner „modernen“ Apokalyptik mehr fehlt. Seit den
Explosionen der Bomben von Los Alamos, Hiroshima und Nagasaki werden
Zerstörungs-Passagen aus den traditionellen Endzeit-Texten der Religionen
als Beschreibungen eines atomaren Holocausts gedeutet. In der Tat ist die
Apokalypse seit der „Bombe“ mehr als ein religiöses Phantasma: „Die
Existenz solcher Waffen verwischt somit die Jahrtausende alten
Unterscheidungen zwischen der Phantasie einer Weltvernichtung (ob von
paranoiden Schizophrenen, religiösen Visionären oder auch von ganz normalen
Menschen in ihren Träumen) und der Fähigkeit, diese Phantasie Wirklichkeit
werden zu lassen.“ – schreibt der amerikanische Gewaltforscher Robert
Lifton. (1) Schon in den 50er Jahren machte der Schweizer Tiefenpsychologe
C. G. Jung einen Vergleich zwischen Apokalypse und atomarem Wettrüsten:
„Die vier unheimlichen Reiter, die drohenden Posaunenstöße und die
auszuschüttenden Zornschalen warten schon oder noch: die Atombombe hängt
über uns wie ein Damoklesschwert, und dahinter lauern die unvergleichlich
furchtbaren Möglichkeiten des chemischen Luftkrieges, der selbst die Gräuel
der Apokalypse in den Schatten stellen könnte.“ (2) Heute, kurz nach dem 9/11,
sprechen auch viele säkular eingestellte Kulturologen von der Gefahr eines
„apokalyptischen Nuklearismus“. Der Begriff hat sich mittlerweile
eingebürgert.
Die unmenschlich erscheinende
Gewalt der „Bombe“, hat diese zu einem Objekt religiöser Spekulationen
gemacht. Dabei wird sie jedoch keineswegs immer als ein Instrument des
Teufels angesehen. Im Gegenteil, sie tritt unserer Kenntnis nach weit
häufiger als ein Instrument Gottes auf, der mit ihrem selbst getätigten
oder befohlenen Einsatz entweder die sündige Menschheit insgesamt strafen
will oder seine Feinde und die jeweils Ungläubigen vernichtet. Beigetragen
zu dieser „Gottgefälligkeit“ der Bombe haben wesentlich Bilder aus der Johannes-Apokalypse, in denen Feuer
vom Himmel fällt, Flüsse ausgedorrt, Quellen verseucht und Menschenleiber
verbrannt werden. Ein atomarer Holocaust könnte mit Worten nicht viel
besser beschrieben werden, wie es in der Offenbarung geschieht.
Ausgehend von dem hohen
Stellenwert, den A-Waffen in der religiösen Spekulation einnehmen, sprechen
wir von einer „Sakralisierung der Bombe“. Diese kann überkonfessionell und
konfessionell betrieben werden. Die überkonfessionelle Sakralisierung der
Bombe geht von ihrer übermenschlichen Zerstörungskraft aus. Verbunden mit
dem Donnergrollen und den Photismen (Lichterscheinungen), die eine atomare
Explosion, auslösen, wird sie mit dem schreckenerregenden und gewalttätigen
Aspekten Gottes in einen Zusammenhang gebracht, die nach den Ausführungen
des deutschen Religionsphilosophen Rudolf Otto den heiligen Kern des
Religiösen überhaupt ausmachen sollen. (3) Dagegen erklärt die
konfessionelle Sakralisierung der „Bombe“ diese zu einer verheerenden Waffe
in der Hand eines spezifischen Gottes, der sie entweder gegen die Anhänger
eines anderen Gottes oder gegen einen Dämon oder gegen die eigenen
Anhänger, wenn diese abtrünnig oder sündhaft geworden sind, schleudert. In
diesem Kontext kann man heute von einer islamischen, jüdischen,
christlichen und hinduistischen Bombe sprechen. Hinzukommt noch die
„innere“ Sakralisierung der Bombe, das heißt die mystische Verinnerlichung
atomarer Explosionsphänomene durch den indischen Kundalini-Yoga, worauf wir
auch kurz zu sprechen kommen.
Die
Sakralisierung der Bombe durch Robert Oppenheimer
Die „Sakralisierung der
Bombe“ begann mit der Stunde ihrer Taufe, denn die erste Atombombe, die am
16. Juni 1945 in der Wüste von Los Alamos explodierte, trug den Namen „Trinity“, Dreifaltigkeit. Der „Vater
der Bombe“, der Atomphysiker Robert Oppenheimer (1904 - 1967) hatte sich
von zwei Gedichten seines Lieblingspoeten John Donne (1572 - 1631) zu
dieser Bezeichnung inspirieren lassen. In einem davon wird das
apokalyptische Motiv von Tod und Auferstehung angesprochen. Dort heißt es:
„Wie West und Ost auf allen flachen
Karten – und ich bin eine – eins sind, so berührt der Tod die Auferstehung.“
(4) Donne beschreibt den Dreifaltigen Gott (Trinity) als eine Art Vergewaltiger, der sein williges „Opfer“
durch Terror zur Heiligkeit zwingt: „Bezwinge
mich und richte alle Kraft darauf, mich zu brechen, schüren, brennen und
neu zu formen“, liest Oppenheimer bei dem Renaissance Dichter, als er
darüber nachgrübelt, wie er die erste Atombombe benennen soll. (5) Donne
empfindet in seinen Gedichten geradezu eine mystische Lust am Schrecken,
den Gott verbreitet. Inständig bittet er die Dreifaltigkeit darum, seine
Furcht zu schüren: „Das sind meine
schönsten Tage, wenn ich vor Furcht erschaure!“ und in dem folgenden
Satz macht er den Schrecken geradezu masochistisch zur conditio sine qua
non seiner Liebe: „Wenn du mir
den wirklichen Schrecken wegnimmst, dann nimmst du mir die wahre Liebe weg.“
(6) Der Schrecken, mit dem der „Dreieinige Gott“ die Menschen heimsucht und
die ihn deswegen über alles lieben, war also der „Pate“, der durch John
Donne über Robert Oppenheimer der geschichtsträchtigen „Trinity“ ihren
Namen gab.
Eine weitere Inspiration, um
das Ungeheuerliche in Worten zu fassen, entlehnte Oppenheimer aus dem
indischen Kulturkreis. Zwei Tage vor der Explosion hatte er, selber des
Sanskrits mächtig, einige Zeilen aus dem Original der Bhagavadgita
übersetzt. Als er dann den ersten atomaren Pilz erblickte, kam ihm erneut
das indische Kriegsgedicht ins Gedächtnis: „Ich erinnerte mich einer Zeile
aus der Hindu Schrift, der Bhagavadgita. Vishnu [...] verwandelt
sich in eine vielarmige Gestalt und sagt: ‚Jetzt bin ich der Tod
geworden, der Zerstörer der Welt.’ Wir dachten wohl alle etwas
ähnliches.“ Bei der Explosion klammerte sich Oppenheimer an den Pfosten im
Kontrollstand und deklamierte laut: „Wenn das Licht von Tausend Sonnen –
Am Himmel plötzlich bräch’ hervor – Zu gleicher Zeit, das wäre – Gleich dem
Glanz dieses Herrlichen.“ (7)
Die Hindu-Bombe
Obgleich der Begriff von der
„islamischen Bombe“ als religiöse Metapher zuerst die Runde um die Welt
machte, fand die „Hindu-Bombe“ oder „Brahmanen-Bombe“ eine weit umfassendere
Sakralisierung und das aus drei Gründen: Einmal wegen Oppenheimers oben
genanntem Zitat aus der Bhagavadgita;
dann aus der Tatsache, dass in vielen anderen traditionellen Heiligen
Texten Indiens von Waffensystemen die Rede ist, die an A-Bomben erinnern;
und drittens weil dort ausgehend von sakralen Yoga-Techniken das Zündung
einer „inneren Atombombe“ gelehrt wird.
Häufig verweisen
Hindu-Ideologen der Religiösen
Rechten auf die Bhagavadgita-Sätze Oppenheimers, um zu „beweisen“, dass
die Atombombe ihren eigentlichen Ursprung im indischen Kulturkreis hat und
dass der traditionelle Hinduismus schon in Urzeiten mit modernster Technik
kombiniert wurde. „In Indien werden Oppenheimers Worte zunehmend durch
einem neuen Typus von Hindu-Aktivisten zitiert. Für sie zeigt sein Gebrauch
ihrer Heiligen Texte, dass die
Hindu-Ideen von der Göttlichkeit mit der modernen Zeit verknüpft sind.
Feuer und Feuerrituale sind ein wesentliches Element des Hinduismus. Sie
sagen, dass das Antlitz des Schöpfergottes Vishnu wie ein nuklearer Blitz
aufleuchtet.“ – schreibt der Journalist Robert Marquand. (8)
Im Sanskrit bedeutet Schrift
„shastra“ und Waffe „shaastra“. Es ist ein tief eingesessenes
Konzept der indischen Kultur, dass man die Schrift in der einen und die
Waffe in der anderen Hand hält. (9) Tatsächlich wimmelt es in den
traditionellen Texten Indien von Superwaffen. Im Nationalepos Mahabharata
ist von Sprengsätzen die Rede, die einen Zerstörungseffekt wie „fallende Sonnen“ haben, die „gigantische Boten des Todes“ sind und
die „alles zu Asche verbrennen“.
Der Held Arjuna muss versprechen, von einer Waffe mit dem Namen Brahmasira
keinen Gebrauch gegen Menschen zu machen, weil sie ansonsten die Erde
vernichten werde. Auch in dem Epos Ramayana kommt eine Waffe zum
Einsatz, von der es heißt, sie sei „stärker
als die Hitze von Tausend Sonnen.“ (10)
Krishna und Arjuna vor einer A-Bombe
Heute gilt es in
Hindutva-Kreisen als eine „Binsenwahrheit“, dass die A-Bombe mit der in
mehreren indischen Mythen erwähnten ultimativen Waffe, die den Namen brahmastra
trägt, identisch sei: „Wenn eine Nuklearwaffe freigesetzt wird, dann
entsteht eine Strahlung, gleich der, die beschrieben wird, als Asvatthama
[ein Held aus der Bhagavdgita]
seine brahmastra zündet. Da kam es zu einer großen Strahlung und die
Leute fühlten eine schreckliche Hitze.“ – erklärt zum Beispiel Swami
Prabhupada von der Hare Krishna Bewegung. (11)
Erinnern wir uns kurz an die
Hauptlehre der Bhagavadgita
zurück, die besagt, dass alles, die Menschen, die Welt und das Universum nur
Illusionen sind, Spiegelbilder des unendlichen Bewusstseins, ohne eigene
Existenz. Deswegen sei es die Pflicht eines jeden Kriegers in die Schlacht
ohne Zögern zu gehen, selbst wenn sich auf der Feindseite seine Verwandten
befinden. Im Kern hat ein Krieg, wie grausam und gewalttätig er auch ist,
keinerlei Bedeutung, denn es handelt sich nur um nicht mehr als eine
flüchtige Episode im kosmischen Spiel (lila)
der Götter. Eine solche Einstellung, die ja eine totale Weltvernichtung mit
einkalkuliert, macht auch vor dem nuklearen Holocaust nicht Halt. So
prophezeit Swamit Prabhupada ohne große Gefühlsregung: „Der nächste Krieg
wird ein Atomkrieg sein. Alle diese Schufte werden automatisch getötet
werden, ich werde dich töten und du wirst mich töten. Das ist alles. Die
Atombomben - sie sind dafür da, um ein Desaster hervorzurufen, das ist
alles.“ (12) An anderer Stelle bekräftigt er das noch einmal: „Ich werfe
meine Atombombe auf deinen Kopf, und du wirfst deine Atombombe auf meinen
Kopf. Du stirbst, ich sterbe – das ist alles!“ (13) Am Rande sei noch
vermerkt, dass Prabhupada auch der Meinung ist, die Deutschen hätten die
A-Bombe schon fertig gestellt, aber Adolf Hitler habe sie aus humanitären
(!) Gründen nicht zum Einsatz gebracht. (14)
Krishna (Vishnu), Shiva und
Rama sind Indiens Nukleargötter. Aber nicht nur die „Bombe“, sondern ebenso
ihr gesamtes militärisches Umfeld wurde mythologisiert: Der Name der
Mittelstreckenrakete „Agni“ leitete sich von dem indischen Feuergott
gleichen Namens ab. „Trishul“, eine andere Raketengattung, bedeutet
„Dreizack“ und verweist wiederum auf Lord Shiva und seine tödliche Waffe.
Auch die verschiedenen indischen Atom-Tests tragen religiöse Namen wie „das
Lächeln des Buddha“ (1974) und „Shakti“ (1998).
Aber es gibt eine noch
phantastischere religiöse Adaption der Bombe. Nach der Vorstellung des so
genannten Kundalini-Yoga kann eine machtvolle, kosmische Kraft durch
sakrale Techniken im „Energie-Körper“ eines Menschen entfesselt werden.
Diese trägt die Namen Kundalini
oder Shakti oder wird auch
„Schlangenkraft“ (serpent power) genannt. Sie gilt als die
universelle Urenergie, die alles schaffen und alles zerstören kann. Feuer,
Hitze und Lichtblitze bilden ihre wesentlichen Elemente.
Der Kundalini-Yoga ist eine
mystische Disziplin, die von der Interdependenz zwischen Makrokosmos und
Mikrokosmos ausgeht. Die Yogis, die diese sakrale Technik praktizieren,
glauben also, dass sie durch die Kreation mikrokosmischer Vorgänge in ihrem
subjektiven Körper entsprechende Vorgänge in der objektiven Außenwelt
hervorrufen können. Deswegen ist die in beiden Sphären wirkende Energieform
auch völlig identisch. Ob innen oder außen – es handelt sich um die alles
durchdringende „Shakti“ (Kraft, Energie). Deswegen konnten auch die
Atomversuche in Pokhran von 1998 „Shakti“ genannt werden. Wir sind diesem
mystischen Verständnis der
inner-außenweltlichen Dependenz schon im vorigen Kapitel im Zusammenhang
mit der „inneren Apokalypse“ des tibetischen Kalachakra-Tantra begegnet,
das sich ebenfalls an den Praktiken des Kundalini-Yoga orientiert.
Häufig wird von modernen
Autoren die innere Entfesselung der Kundalini mit einer Atomexplosion
verglichen, zum Beispiel von dem im Westen bekannten indischen Pandit Gopi
Krishna, der zeitweilig einen okkulten Einfluss auf den Atomphysiker Carl
Friedrich von Weizsäcker ausübte. (15) Bei der Beschreibung der eigenen
Kundalini-Erfahrung spricht Gopi Krishna ständig von gewalttätigen
Photismen, die er während seiner Übungen wahrgenommen haben will: „Immer
strahlender wurde das Leuchten, immer lauter das Tosen. Ich hatte das
Gefühl eines Erdbebens“. Die Kundalini brenne wie „ein verzehrendes Feuer,
das die Existenz bedroht“, wie das „Auftreten eines starken Blitzes“. –
„Was blieb, war ein immer wachsender Feuerstrom in allen Nerven.“ –
schreibt er und schildert noch weitere Lichterlebnisse, die mit
Augenzeugenberichten von der ersten Atomexplosion in Los Alamos so exakt
übereinstimmen, dass es wahrscheinlich dadurch beeinflusst wurden, zumal
sich der Pandit immer schon für atomwissenschaftliche Fragen interessiert
hat: Er sah „einen ungeheuren Lichtblitz, ... das war ein riesiger
Feuerball, der wuchs und wuchs, und während er wuchs, drehte er sich; er
stieg in die Luft auf, in gelben Blitzen und zum Scharlachroten hin.“ Andere
Beschreibungen waren „Flammenstrudel“ – „leuchtende Masse“ – „blendende
Helligkeit“ und das „Hallen des Donners“. (16)
Die „Bombe“ ist somit in
Indien zu einem kulturellen Phänomen geworden, das sowohl die Innenwelt wie
die Außenwelt gläubiger Hindus in höchste Erregung versetzt. A-Bomben
„explodieren“ deswegen nicht nur auf den Versuchgeländen in Pokhran,
sondern auch in den Feuerimaginationen indischer Yogis und in den
Propaganda-Schriften der Religiösen
Rechten. Für sie „sind Nuklearwaffen ein Herzstück in ihrer Vision von
Indien und sie werden als nichts Geringeres angesehen als die technische
Manifestation einer göttlichen Kraft oder spirituellen Energie, die sowohl
die politische wie die militärische Macht untermauern.“ – heißt es auf
einer Website.(17) Als die
ehemalige Regierungspartei (BJP) am 11. Mai 1998 mehrere Atomtests
durchführen ließ, wurde sie von der Mehrheit der Inder dabei unterstützt.
Balasheb K. Thackeray, Anführer der radikalen Shiv Sena Party, sagte, die Tests bewiesen, dass die Inder
keine „Eunuchen“ seien. (18) Damals wollten religiöse Fanatiker einen Power-Place auf dem Versuchsgebiet
in Pokhran errichten, den sie shakti-shal (Sitz der Macht) nannten.
Die Polizei konnte jedoch verhindern, dass atomar verseuchter Staub aus dem
Testgelände in verschiedene Tempel des Landes verteilt wurde.(19) Im Jahre 2004 verfügte Indien über
100-150 nukleare Sprengsätze darunter 20 Atombomben.
Der XIV.
Dalai Lama und die Hindu-Bombe
Die erste indische Atombombe
wurde am vermeintlichen Geburtstag des Buddhas gezündet (1974) und trug den
Namen „lächelnder Buddha“. Diese für eine Nuklearexplosion erstaunliche
Bezeichnung mag auch deswegen zustande gekommen sein, weil das Oberhaupt
des tibetischen Buddhismus, der XIV. Dalai Lama, mit dem Ereignis in einem
mittelbaren Zusammenhang stand. In einem geheimen „Deal“ zwischen dem
indischen Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru und Washington wurde nämlich
1958 vereinbart, dass Indien dem Religionsführer Asyl gewährt und dass es
als Gegenleistung die Hilfe der USA beim Aufbau eines Atomwaffenprogramms
durch die Ausbildung von 400 indischen Wissenschaftlern erhält, die dann
später die „Bombe“ gebaut hätten. (20)
Erstaunlich war auch, dass
der tibetische Friedensnobelpreisträger im Jahre 1998, als die Inder erneut
ihre Nukleartests durchführten und die gesamte Welt, einschließlich der
USA, heftig dagegen protestierte, einen Kotau vor seinem Gastland machte
und erklärte: „Ich denke, das atomare Waffen gefährlich sind. Deswegen
sollte man jegliche Anstrengung unternehmen, Nuklearwaffen zu eliminieren.
Aber die Anmaßung des Konzepts, dass es für wenige Nationen okay ist,
Atomwaffen zu besitzen und für den Rest der Welt nicht .... das ist
undemokratisch. [...] Indien sollte nicht von den entwickelten Ländern unter
Druck gesetzt werden, seine Atomwaffen aufzugeben.“ (21)
Obgleich diese Äußerung zu
einer weltweiten Irritation führte, änderte der Dalai Lama in einem
späteren Interview (2001) seine Meinung nur insoweit, als dass er sich
unentschlossen gab. Auf die Frage des französischen Journalisten François
Gautier, ob der Einsatz von Atomwaffen legitim sei, wenn dies mit einer
guten Absicht geschehe, antwortete er: „Nun, das ist eine sehr komplizierte
Sache (Pause). Die Konsequenzen eines Atomkrieges sind schrecklich, dass es
schwer fällt, die Bombe zu rechtfertigen, selbst wenn sie mit einer guten
Motivation eingesetzt wird. [...] Doch ich verstehe die Bedenken der Inder:
Da haben Sie die fünf Großen, die von Indien verlangen, dass es keine
nuklearen Waffen besitzt, und die sich selber das Recht vorbehalten, welche
zu haben. (Pause) Das ist ungerecht und gefährlich. Die Inder stehen zwei
atomaren Bedrohungen, die aus dem Westen und Osten (Pakistan und China)
kommen, gegenüber. Also ich weiß nicht, was ich da sagen soll.“ (22)
Die
Islamische Bombe
1979 machte der ehemalige
Ministerpräsident Pakistans folgende Prophezeiung: „Wir wissen, dass Israel
und Südafrika über eine volle nukleare Kapazität verfügen. Die
christlichen, jüdischen und Hindu- Zivilisationen haben eine solche
Kapazität. Die kommunistischen Mächte besitzen sie auch. Nur die islamische
Zivilisation hat sie nicht. Aber diese Situation ist dabei, sich zu
verändern.“ (23) Damit war der Begriff von der „islamischen Bombe“ kreiert.
Im selben Jahr strahlte BBC eine Fernsehdokumentation mit dem Eyecatcher
„Die islamische Bombe“ aus und ein Buch von Herbert Krosney und Steven
Weismann erschien mit demselben Titel. (24)
Heute verfügt Pakistan über
25-50 Nuklearsprengsätze. Im selben Jahr als Indien seine Tests durchführte,
am 28.05.98, detonierten zwei oder fünf A-Bomben im Südwesten des Landes.
Anschließend war die Weltpresse voll mit Berichten über eine Bedrohung
durch die „islamische Bombe“. Zwar protestierte der damalige pakistanische
Außenminister entschieden gegen diese Bezeichnung: „Nichts beleidigt mich
mehr, als die Benutzung des Begriffs ‚Islamische Bombe’. So etwas wie eine
islamische Bombe gibt es nicht.“ – erklärte Tariq Ataf. Aber in der
islamischen Öffentlichkeit waren ganz andere Stimmen zu hören. In Pakistans
Städten tanzten die Massen um Attrappen von nuklearen Trägerakten, auf
denen in großen Lettern stand „islamische Bombe“ und schrieen „Allahu Akabr!“ (Allah ist groß). Ein
Universitätsprofessor aus Islamabad fragte bigott: „Es gibt schon eine jüdische
Bombe, und eine christliche Bombe. Weshalb keine islamische Bombe?“. Und
einer seiner Studenten antwortete: „Dies ist eine islamische Bombe. Sie hat
uns Selbstvertrauen aufgebaut, und wird die Solidarität aller Muslime die
mit einem sie zurückweisenden und verachtenden Westen konfrontiert sind
stärken. Muslime vereinigt euch hinter der Atom-Bombe!“ (25)
Erst vor wenigen Monaten
wurde der Westen darauf aufmerksam, dass der pakistanische
Atomwissenschaftler Abdul Qader Khan, der seiner Heimat die „Bombe“
bescherte, an andere Länder wie den Iran und Nordkorea spaltbares Material
und technisches Know-how zur Herstellung von Atombomben verkauft und zum
Teil sogar geschenkt hatte. Der „Vater der islamischen Bombe“, wie Khan
heute in der Weltpresse genannt wird, war von dem brennenden Glauben
besessen, der Besitz von Atomwaffen verschaffe dem Islam die Rückkehr zu
seiner einstigen Größe. (26)
Pakistans militantes
Atomprogramm genießt in der gesamten islamischen Welt eine große
Popularität und wird als Vorbild hingestellt. 1999 forderte Scheich
Muhammad Sayyed al-Tantawi von der al-Azhar Universität in Kairo den
ägyptischen Besitz von atomaren Waffen, um sich gegen Israel verteidigen zu
können. Als theologische Legitimation hierzu gab er einen Satz des ersten Kalifen
Abu Bakr an, der lautete: „Wenn sie
dich mit dem Schwert bekämpfen, dann bekämpfe auch du sie mit dem Schwert;
wenn sie dich mit dem Speer bekämpfen, dann bekämpfe du sie mit dem Speer.“
Daraus zog der Scheich den folgenden Schluss: „Wenn Abu Bakr heute leben
würde, dann würde er sagen: ‚Wenn sie dich mit einer Atombombe bekämpfen,
dann musst du sie ebenfalls mit einer Atombombe bekämpfen.’“ (27) In einem
am 23.12.03 verfassten Communiqué von Gelehrtem des al-Azhar Universität
war zu lesen, dass die Beschaffung nuklearer Waffen eine religiöse
Verpflichtung sei. Das Schreiben war ein Beitrag zu der Debatte, die der
Scheich Ala A-Shanawi mit der Behauptung auslöste, Mohammed hätte sich
Nuklearwaffen besorgt, um seine Feinde zu bekämpfen. (28)
Immer
wieder tauchen Presse-Artikel auf, in denen zu lesen ist, auch Saudi
Arabien strebe nach Nuklearwaffen. Zuweilen werden solche Wünsche von
saudischer Seite damit begründet, man müsse sich nicht nur vor einem
Angriff aus Israel, sondern auch aus dem schiitischen Iran schützen. Hinter
dem Wunsch nach der „Bombe“ dürfte jedoch ebenfalls die Überlegung stehen,
einer möglichen amerikanischen Besetzung des Ölstaates vorzubeugen. Als
erwiesen gilt, dass Saudis das pakistanische Nuklear-Programm mitfinanziert
haben.
Pakistans Bombe wird auch als
„Sunni-Bombe“ bezeichnet, weil die Einwohner des Landes vorwiegend Sunniten
sind. Jetzt soll die „Sunni-Bombe“ eine Schwester, die „Schia-Bombe“,
erhalten. Unklar ist bis heute, ob schiitische Mullahs die Konstruktion
nuklearer Sprengkörper anstreben oder sich vielleicht schon (dank dem Nuklearhandel
Abdul Qader Khans) im Besitz davon befinden. 1992 hatte der damalige
iranische Vizepräsident Sayed Ayatollah Mohajerani angekündigt: „Da Israel
damit fortfährt, nukleare Waffen zu besitzen, müssen wir, die Muslime,
zusammenarbeiten, um eine Atombombe zu produzieren, unabhängig von einer
Anstrengung UNO, der Verbreitung [von A-Waffen] zuvorzukommen.“ (29)
Spekulationen darüber, ob
al-Qaida über atomare Sprengköpfe verfügt, sind seit Mitte der 90er Jahre
ein Dauerthema. Planspiele eines möglichen nuklearen Attentats werden in
allen westlichen Ländern und im Brüssler NATO-Hauptquartier durchgeführt.
Dass die islamische Terrororganisation eine solche ultimative Waffe ohne
ethische Bedenken einsetzen würde, steht außer Frage und dass sie sich
diese besorgen will, ist ebenfalls nicht zu bezweifeln. Bin Laden hat
beides klar zum Ausdruck gebracht: „Wir betrachten es nicht als ein
Verbrechen, wenn wir versuchen, uns nukleare, chemische und biologische
Waffen zu beschaffen.“ (30) Unter dem Eindruck der indischen
Atombombenversuche forderte er eine atomare Aufrüstung der Muslime. „Die
Welt wurde letzten Dienstag durch die Geräusche von drei unterirdisch
gezündeten indischen Atomexplosionen aufgeschreckt. [...] Wir rufen die
muslimische Welt und Pakistan – insbesondere seine Armee – auf, sich auf
den Djihad vorzubereiten. Dies sollte eine nukleare Streitmacht
miteinbeziehen.“ (31) 1998 publizierte der Terroristenchef eine Deklaration
mit dem Titel „Die Nuklearbombe des Islam“ (The Nuclear Bomb of Islam).
Darin war unter anderem zu lesen „Es ist die Pflicht der Muslime, soviel
Kräfte wie möglich zu sammeln, um die Feinde Gottes in Terror zu
versetzen.“ (32) Noch konkreter wurde der „al-Qaida Mann Nr. 2“, Dr. Ayman
al-Zawahri. In einem Gespräch mit dem pakistanische Journalisten Hamid Mir
antwortete er lachend, als sein Interviewer bezweifelte, dass al-Qaida über
Nuklearwaffen verfüge: „Mr. Mir, wenn sie 30 Millionen Dollar haben, dann
gehen sie auf den schwarzen Markt in Zentralasien, kontaktieren dort
irgendeinen der enttäuschten sowjetischen Wissenschaftler, dann werden
ihnen dort eine ganze Menge von smarten Briefkastenbomben (smart
briefcaste bombs) angeboten. Diese selber haben uns kontaktiert, und
wir haben unsere Leute nach Moskau, nach Taschkent und andere
zentralasiatische Staaten geschickt und wir haben einige [atomare]
‚Koffer-Bomben’ erworben.“ (33)
Fraglos ist die „islamische Bombe“ zu einem beliebten und provokanten
Symbol der Ummah, der Gemeinschaft aller Muslime, geworden: „Die Bombe
spielt eine große Rolle im Volksbewusstsein der Muslime als Symbol der
Einheit, der Entschlossenheit und des Selbstrespekts. Sie wird von vielen
als eine Garantie gegen weitere erniedrigende Niederlagen angesehen, als
sicheres Zeichen für ein Umschlagen des Schicksals, und als ein
Allheilmittel gegen die Krankheiten von der die Muslime seit dem Goldenen
Zeitalter des Islams befallen wurden. Solche Gefühle finden ihr Echo bei
Muslimen von Algerien bis Syrien und vom Irak bis Pakistan.“ – schrieb Pervez
Hoodbhoy schon 1993 im Bulletin of the Atomic Scientists. (34) Dies
trifft heute mehr denn je zuvor zu.
Die jüdische Bombe
Es gibt eine weit verbreitete
populärwissenschaftliche Spekulationsliteratur, in der die Behauptung
aufgestellt wird, der jüdische Gott Jahwe habe einige male Atombomben zum
Einsatz gebracht und dies sei in der Bibel
dokumentiert. (35) Als berühmtestes Beispiel hierfür gilt die Zerstörung
von Sodom und Gomorra. „Qualm stieg von der Erde auf wie der Qualm aus einem Schmelzofen.“
heißt es im Zusammenhang mit der Vernichtung der zwei Sündenstädte (Genesis
19: 29). Passagen über „verzehrendes Feuer“ lassen sich sind über die ganze
Bibel verstreut. In Psalm
21: 10 ist zu lesen: „Du lässt sie glühen wie in einem feurigen Ofen,
sobald du erscheinst. Der Herr verschlingt sie im Zorn, das Feuer verzehrt
sie. Du wirst ihre Brut aus der Erde vertilgen.“ Oder noch etwas
dramatischer: „Verzehrendes Feuer läuft vor ihm her und frisst seine
Gegner ringsum. Seine Blitze erhellen den Erdkreis; die Erde sieht es und bebt.
Berge schmelzen wie Wachs vor dem
Ansicht des Herrn, vor dem Antlitz des Herrschers aller Welt.“ (Psalm
97: 3-5) Bei Jesaja heißt es: „Vom Herrn der Heere wirst du mit
Donner und Getöse und mit lautem Dröhnen heimgesucht, mit Wind und
Wirbelsturm und mit Flammen verzehrenden Feuers.“ (29: 6)
Trotz solch ergiebiger
biblischer „Fundstellen“ ist das Thema „jüdische Bombe“ von israelischer
Seite tabu. Der Staat leugnet den Besitz von Atomwaffen, oder korrekter, er
weigert sich, irgendwelche Auskünfte darüber zu geben. Seit Ende der 80er
Jahre ist es jedoch ein offenes Geheimnis, dass das kleine Land über
nukleare Sprengköpfe verfügt. Damals informierte der israelische
Atomwissenschaftler Mordechai Vanunu in einem Interview der Sunday Times
die Weltöffentlichkeit darüber, Israel unterhalte einen atomaren Reaktor in
Dimona und habe mindestens 200 Nuklearbomben auf Lager.
Dennoch
halten sich nicht nur die Politiker aller Parteien, sondern auch die
religiösen Gruppen des Landes daran, nicht über die „jüdische Bombe“ zu
sprechen. In Israel prahlt nur sehr selten einer mit dem Besitz von
nuklearen Sprengsätzen und so wird die „Bombe“ auch nicht sakralisiert.
Während die Hindu-Bombe, die islamische Bombe und die christliche Bombe von
Fundamentalisten der entsprechenden Religion oft prahlerisch in den
Fordergrund gespielt werden, ist die „jüdische Bombe“ vor allem ein
Begriff, der meist nur von islamischer Seite benutzt wird, sei es um Israel
wegen seines (illegalen) Atomwaffenbesitzes anzuprangern, sei es um die
große Gefahr auszumalen, die von dem kleinen Land für die muslimische Welt
ausgeht.
Eine quasi-religiöse
Erklärung für den Einsatz der „Bombe“ von jüdischer Seite haben wir dennoch
entdecken können. 1996 brachte der Politologe und Rechtsgelehrte Louis Beres
den Begriff von Israels „Samson Option“ in die Debatte. Gemeint war
damit der Einsatz von atomaren Sprengköpfen gegen einen Angriff arabischer
Armeen, selbst wenn dabei das eigene Land in Schutt und Asche gelegt würde.
So wie Samson den Tempel der Philister zertrümmerte und dabei selber unter
den zusammenbrechenden Steinbrocken erschlagen wurde, so sollte Israel
nicht davor zurückschrecken einen Nuklearkrieg zu entfesseln anstatt sich
durch die Araber massakrieren zu lassen. „Auch wenn der Einsatz von atomaren
Waffen für Israel katastrophal wäre,“ – sagte Beres – „ist Jerusalem bereit
Samson Massada (36) vorzuziehen, das bedeutet: eher ‚mit den Philistern’ zu
sterben als alleine zu sterben [...] Israel kann seine Feinde zusammen mit
sich selbst zu Fall bringen.“ (37)
Die beiden israelischen
Journalisten Israel Shahak und Norton Mezvinsky warnen davor, dass sich die
Religiöse Rechte des Landes eines
Tages der atomaren Sprengkörper bemächtigen könne: „Der jüdische
Fundamentalismus ist nicht nur in der Lage, die konventionelle israelische
Politik zu beeinflussen, sondern kann auch substanziell die israelische
Nuklear-Politik berühren.“ (38) Sollte so etwas geschehen, dann wäre die
„Sakralisierung der Bombe“ und ihre Einbeziehung in die jüdische Apokalyptik
in den entsprechenden fundamentalistischen Kreisen sicher ein großes Thema.
Die christliche Bombe
Der Abwurf der Atombomben
über Hiroshima und Nagasaki löste in den USA, so Paul Boyer,
Geschichtsprofessor an der Universität von Wisconsin, ein allgemeines
Interesse an Bibelprophezeiungen und an der Johannesapokalypse im
besonderen aus. Man verwies damals darauf, die Bombe sei von dem Apostel
Petrus vorhergesagt worden. Am Tag des Herrn, heißt es im 2.
Petrus-Brief, „wird der Himmel prasselnd vergehen, die Elemente
werden verbrannt und aufgelöst, die Erde und alles, was auf ihr ist, werden
(nicht mehr) gefunden.“ (2. Petrus 3: 10) Aus dieser Zeit stammt
auch ein apokalyptischer Bestseller mit dem Titel „Dieses Atomzeitalter und
das Wort Gottes“ (This Atomic Age and the word of God). Eine
populäre Kurzfassung davon wurde im Readers Digest abgedruckt. Der
christlich fundamentalistische Autor Wilbur Smith nutzte damals die
Existenz der Nuklearwaffen als einen Beweis dafür, dass die wortwörtliche
Auslegung der Bibel richtig sei. „So wurde die Atombombe zu einem sehr
bedeutsamen Ereignis in der Geschichte des apokalyptischen Glaubens
Amerikas.“ – fasst der Religionssoziologe Paul Boyer seine Studie über die
„Zeichen der Endzeit“ zusammen. (39)
Im deutschsprachigen Raum
machte in den 80er Jahren ein Buch des Münchner Atomphysikers Bernhard
Philberth mit dem Titel Christliche Prophetie und Nuklearenergie
viel auf sich aufmerksam. Der renommierte Wissenschaftler versucht darin
den Nachweis zu führen, dass Gott in der Offenbarung des Johannes
einen atomaren Krieg prophezeit und sehr konkret beschrieben habe: „Die Geheime Offenbarung ist in
wesentlichen Teilen eine erklärungslose Beschreibung des Einsatzes
modernster Kampfmittel. Sie gibt in konsequenter Nacheinanderfolge die
Vorgänge und Folgen einer Nuklearkriegsführung in charakteristischen
physikalischen Besonderheiten wieder.“ (40) Ausgehend von den sechs
Posaunenstößen (Offenbarung 8 und 9) lässt Philbert den Nuklearkrieg
der Endzeit wie einen Film ablaufen. Das Monströse an seiner Schilderung
ist, dass er als Atomphysiker zur Beschreibung der in der Apokalypse geschilderten Szenarien
den Fachjargon seiner Zunft benutzt. Das brachte ihm in verschiedenen
Presseberichten Bewunderung und Applaus ein: „Das Wertvollste der Schrift
sind die sachkundigen präzisen Darstellungen kernenergetischer Phänomene
und Waffen.“ – schrieb zum Beispiel der Berliner Tagesspiegel. (41)
Für Philbert haben die
dramatischen Schilderungen in der Offenbarung, die „uhrwerkartig ineinander
greifen“, eine „qualitative und quantitative Realbedeutung“. (42) – „Die Geheime Offenbarung enthält“ – so
der Autor – „wenigstens was die die Endzeit einleitenden Aktionen
anbelangt, keinerlei Symbolik. Jeder Deutungsversuch ist daher von vornherein
verfehlt. Sie ist vielmehr eine überaus nüchterne und kurzgefasste
Erlebnisbeschreibung.“ (43)
In der Apokalypse soll
nach Philberth unter anderem beschrieben sein, wie A-Waffen in der Höhe von
ca. 400 und H-Waffen in ca. 4000 Metern zur Detonation gebracht
werden; die Folge ist, dass die
freigesetzten Licht-, Röntgen-, und Gammaquanten auf der Erde die Gesteine
verdampfen und alle Organismen vergasen. Bei Menschen und Tieren werden die
Spalt- und Ablagerungskerne (Radioisotope) durch Nahrung und Schleimhäute
in das Blut gelangen. Sie zerstören das Knochengerüst führen zur
Blutzersetzung und zu Krebswucherungen. Das ergebe sich zum Beispiel aus Offenbarung 8: 7, wo es heißt: „Der
erste Engel stieß in die Posaune. Da kam Hagel und Feuer mit Blut vermischt
und ward auf die Erde geschleudert. Der dritte Teil der Erde verbrannte,
ein Drittel der Bäume verbrannte und alles grüne Gras verbrannte.“ Und
so geht es weiter mit den folgenden Schreckensposaunen. (44) Eine
Wasserstoffbombe wird ins Meer geworden und produziert eine Art
Tsunami-Welle (Philbert nennt das „Seekriegsplanung“). Raketen werden als
Träger für A-Bomben eingesetzt. Satelliten fallen „eindrucksvoll“ als
„weißglühende Sterne vom Himmel“. Luft- und Landoperationen würden im Text
detailliert beschrieben. Die Heuschreckenschwärme aus Offenbarung 9:
7 sollen „Zerstörungsgeschwader“ sein. „Mit ihrer Flügel- und Rumpfform,
mit der Steifheit und dem metallischen Glanz ihres Chitins, mit der Art der
Körperhaltung und der Flugbewegung hat die Heuschrecke mehr Ähnlichkeit mit
dem Flugzeug als jedes andere flugfähige Tier. Er [der Seher von Patmos]
sieht die metallische Verschalung der Flugzeuge.“ (45) Den machtvollen
Schreckensengengel, der in Offenbarung 10: 1-4 vom Himmel niedersteigt,
der in eine Wolke gehüllt ist, über dessen Haupt ein Regenbogen steht und
dessen Füße Feuersäulen gleichen, deutet Philbert so: „Die Wolke
kondensierten Dampfes kennzeichnet nukleare Detonationen auf dem Meere.
Feuersäulen kennzeichnen nukleare Detonationen über dem Lande. Der
farbenstrahlende, erdteilüberspannende Stratosphärenlichtbogen über dem
Feuerball kennzeichnet die in großer Höhe detonierte ‚Regenbogenbombe’.
Alle Beobachter vergleichen nukleare Detonationen mit der Sonne, deren
ungeschützter Anblick das Augenlicht zerstört. Auf dem Meere wie auf dem
Lande steht der Qualm des nuklearen Feuers, von dessen Brüllen der Erdkreis
zittert.“ (46) Und so geht es weiter, Seite um Seite.
Man sollte sich auch hier
daran zurückerinnern, dass fast alle in der Offenbarung des Johannes beschriebenen Destruktionshandlungen von
Gott und seinen Heerscharen und nicht von dem Drachen oder Anti-Christen
(dem Tier) ausgeführt werden. Eingedenk der Philbert’schen Deutung
erscheint Gott als ultimativer A-Waffen General, der wirklich vor nichts
zurückschreckt, um seine Ziele durchzubomben. In dieser Schreckensvision
eines Katholiken sind alle betroffen. Es hat vorher nicht einmal für die
Strenggläubigen eine „geheime Entrückung“ in den Himmel gegeben, wie das
von den amerikanischen Dispensationalisten prophezeit wird.
Aber da durch die Einwirkung
der nuklearen Strahlung alles Leben auf unserem Planeten nach einem
atomaren Krieg der Verseuchung anheim fällt, gibt es ein Problem. Was
geschieht mit den „Auserwählten“, die das „Tausendjährige Reich“ bevölkern
sollen. Philberth hat sich auch darüber Gedanken gemacht: Gott wird dieses
Problem wahrscheinlich durch „seltene positive Mutationen“ lösen, die „eine
sprunghafte Fortentwicklung des derzeitigen Menschen darstellen.“ (47) Die
von christlichen Mutanten bewohnte tausendjährige Theokratie des Lammes
kann beginnen.
Auch für viele andere
christliche Apokalyptiker aller nur denkbaren Richtungen und Schulen
besteht kein Zweifel daran, dass die in der Offenbarung vorausgesagte
feurige Endschlacht in einem weltweiten „nuklearen Holocaust“ kulminiert.
„Bei einer Einsicht in die Bibelprophezeiungen gibt es keine Frage, dass
ein kataklystischer Krieg den Mittleren Osten vor der Rückkehr Jesu Christi
heimsuchen wird. In diesem nuklearen Zeitalter, macht es für uns einen
Sinn, dass die Massenvernichtung, von der wir [in der Offenbarung] lesen, das Resultat eines nuklearen Austausches
sein wird. Weil die Bibel von Massenzerstörungen durch Feuer spricht, macht
ein solches Szenario einen Sinn.“ – prophezeit Hal Lindsey. (48)
Als einen „durchschlagenden“
Beweise für den „atomaren Holocaust“ ziehen christliche Fundamentalisten
immer wieder die folgende Bibelstelle aus Sacharja heran: „Dies aber wird der Schlag sein, den der
Herr gegen alle Völker führt, die gegen Jerusalem in den Krieg gezogen
sind: Er lässt ihren Körper verfaulen, noch während sie auf den Füssen
stehen; die Augen verfaulen ihnen in den Augenhöhlen und die Zunge im Mund.“
– heißt es dort. (14:12) Nachdem sich Pastor John Hagee einen
Dokumentationsfilm über Hiroshima angeschaut hatte, „wusste“ er, was der
jüdische Prophet vor cirka 2500 Jahren darzustellen versucht hat: „Ich sah
das Fleisch buchstäblich von den Knochen der Opfer wegschmelzen, bevor die Körper den Boden
berührten. Plötzlich verstand ich, dass Sacharja die Zerstörungskraft der
Atombombe beschrieben hatte.“ (49) Im Jahre 2003 schrieb ein Lindsey
Anhänger zur gleichen Bibelpassage: „Die Effekte der Atombombe von
Hiroshima und Nagasaki waren dieselben. Ihr Fleisch löste sich sofort auf.
Diese Stelle spricht vom großen nuklearen Holocaust, der in Zukunft
stattfinden wird.“ (50) Solche morbide Phantasien brachten Lindsey und
seinen Mitstreitern den Namen „nukleare Dispensationalisten“ ein. (51)
Lindsey Schüler bewundern Jesus Christus, weil er mit
kompromissloser militärischer Entschlossenheit zur „Bombe“ greift:
„Tatsächlich können wir annehmen, dass Christus den ersten Schlag machen
wird. Er wird eine neue Waffe zum Einsatz bringen. Und diese Waffe wird
dieselben Auswirkungen wie eine Neutronen Bombe haben.“ (52)
Brennpunkt der prophezeiten
nuklearen Auseinandersetzungen wird, wir wiederholen es, der Nahe und
Mittlere Osten sein. Auch Jerusalem wird nicht verschont werden. „Die alten
Schriften sagen voraus, dass Jerusalem das Zentrum eines kataklystischen
Nuklear-Krieges sein wird, in den alle Nationen der Welt mit hineingezogen
werden.“ – heißt es auf einer Website. (53) Israel bringt in der
Endschlacht alle 200 Atombomben, die es besitzt, zum Einsatz. „Darin nicht
einbegriffen sind seine Neutronenbomben.“ – meint Hal Lindsey (54) und aus
der Bibel will er wissen, dass das Blut der Getöteten aufgrund der
hohen atomaren Strahlung nicht mehr gerinnen kann. So „wird wortwörtlich
ein See aus Blut entstehen, der fünf Fuß tief ist.“ (55) Irvin Baxter,
Pastor aus Indiana und Herausgeber des Endtime
Magazine glaubte 2003, der Irak-Krieg leite unmittelbar die Apokalypse
im Mittleren Osten ein, die dann in einem „nuklearen Holocaust“ kulminiert und
zwei Milliarden Menschen ihr Leben kosten werde. (56)
Apokalyptische
Nuklearphantasien sind in Prophezeiungen evangelikaler Christen zu einem
Gemeinplatz geworden. Ihre Zahl ist Legion: „Gericht und Erlösung werden
auf der Erde wie eine Nuklearbombe explodieren“ – schreiben die beiden
Doomsday-Autoren Keith Intrater und Dan Juster – „Nur ein Element ist
notwendig, um diese kritische Masse zum Punkt der Explosion zu bringen.
Dieses eine ist das Bekenntnis der israelischen Führung, ‚Gesegnet sei der, der da im Namen Gottes
kommen wird’. Es ist das letzte Ereignis, welches das Zeitalter des
Übergangs von der kritischen Masse in eine spirituelle Explosion bringt,
die zu dem kommenden Zeitalter führt. Es ist der Auslöser.“ (57) Die Bomben
gelten als „Feuertaufe“, ein sehr beliebter Begriff der
Dispensationalisten, der sich von einer Passage aus dem Matthäus
Evangelium ableitet: „Er wird Euch mit dem Heiligen Geist und mit
Feuer taufen.“ – heißt es dort. (3:11)
In einer seiner letzten
Kommentare erkennt Hal Lindsey in den „Atomländern“ Nordkorea, China,
Pakistan und Iran die „Nuklear-Könige des Ostens“, von denen in der Offenbarung
die Rede sei: „Der sechste Engel goss seine Schale über den großen
Strom, den Euphrat. Da trocknete sein Wasser aus, so dass den Königen des
Ostens der Weg offen stand.“ (16:12) Noch befänden sich diese „Könige
des Ostens“ in einem
„Schläferzustand“. Die nukleare Krise mit Nordkorea sei nur ein
Vorzeichen dafür, was da auf unseren Planeten in nächster Zeit noch
zukommen wird, warnt der Partner von Hal Lindsey, der Neo-Dispensationalist
Jack Kinsella von den Omega Letters. (58)
Die
asiatische Bomben
Die „chinesische Bombe“ und die „koreanische Bombe“ haben unseres Wissens
bisher keine nennenswerte „Sakralisierung“ erfahren. Das liegt wohl vor
allem daran, dass die offizielle Ideologie in diesen Ländern noch immer
atheistisch ist. Was China anbelangt, so ist jedoch die Gefahr nicht
auszuschließen, dass das Reich der Mitte in nicht allzu ferner Zukunft von
einer religiösen Welle überschwemmt wird. Darin sind sich viele Beobachter
einig. In diesem Fall wird es sicher Fundamentalisten geben, die die
„chinesische Bombe“ in ihr jeweiliges apokalyptisches Szenario einbauen.
Chinas erste Atombombe gezündet um 15:00 am 16. Oktober
1964, Codename 596
Besonders spektakulär waren
die extremen Waffenspekulationen des japanischen Sektenführers Shoko
Asahara, der 1996 Giftgasattentate in der Tokioer U-Bahn befahl. Nicht einmal die Atom- und
Wasserstoffbombe konnten die Zerstörungsphantasie dieses Gurus befriedigen:
„Neben den Waffen, die im Dritten Weltkrieg [dem Armageddon-Krieg]
verwendet werden, nehmen sich Atom- und Wasserstoffbomben wie Spielzeuge
aus.“ – erklärte er seinen Anhängern. (59) 1993 verkündete er, dass die
wichtigsten Waffen Plasma- und Laserwaffen sein werden“, gegenüber denen
„Atombomben gar nicht mehr so furchtbar sind“. (60) Nicht einmal das
reichte ihm. „Es wird nicht nur Plasma- und Laserwaffen geben“ begeisterte
er sich – „sondern möglicherweise noch bessere Waffen. Ich vermute dazu
braucht man einen extrem großen Laser. Die Waffe verwandelt den gesamten Raum
zwischen sich und dem Ziel in Plasma. Der Strahl sieht aus wie ein
reinweißes Band, ein ‚Schwert’. Es ist das Schwert, von dem das Buch der
Offenbarung spricht. Dieses Schwert wird nahezu alles Leben
vernichten.“ (61)
Die nukleare Sturzflut
Nach Ansicht des IAEA Chefs
Mohammed al-Baradei ist die Gefahr eines Atomkrieges „noch nie so groß wie
heute“. (62) Beunruhigt zeigt sich der Generaldirektor der Internationalen
Atomenergiebehörde über den illegalen Handel mit Nukleartechnik. Dabei
dürfte ein terroristischer Angriff nur der Auslöser von einer möglichen
Kettenreaktion sein. Als ebenso bedrohlich wie ein atomarer Terror-Akt von
al-Qaida schätzen al-Baradai und der UNO-Generalsekretär Kofi Annan die
Tatsache ein, dass die Atomländer, allen voran die USA, mehr oder weniger
offen ihre nuklearen Waffenprogramme trotz internationaler Sperrverträge
weiterentwickeln. Insbesondere geht es heute darum, A-Waffen mit begrenztem
Radius (mini-nukes und nuclear-bunker-busters) herzustellen,
um präzise Ziele außer Gefecht zu setzen. Annan warnte auf der Münchner
Sicherheitskonferenz 2005 vor einer massenhaften und „sturzflutartigen“
Verbreitung atomarer Waffen. „Wenn wir jetzt aber nicht neue Maßnahmen
ergreifen“ – sagte er – „werden wir uns vielleicht sehr bald einer solchen
Sturzflut gegenübersehen.“ (63)
Das nukleare Potential, das
auf unserem Planeten gelagert ist, reicht in der Tat aus, um die Welt in
die Luft zu sprengen. Insofern ist es als „apokalyptisch“ zu bezeichnen.
Aber es ist nicht Gott, sondern es sind Menschen, in deren Entscheidung es
liegt, ob ein nuklearer Holocaust entfesselt wird. Diese humane Machbarkeit
der Apokalypse gab es in früheren Zeiten nicht. Alle Heere der Welt hatten
vor dem 20. Jahrhundert nicht die Mittel, das ganze Leben im Wasser, in der
Luft und auf der Erde zu vernichten. Deswegen waren es in der Imagination
der Apokalyptiker allein Gott und seine Engel, die letztlich die
ungeheuerlichen, in der Offenbarung geschilderten Schlachten
schlugen. Dank der Nuklearwaffen und des kaum mehr begrenzten
waffentechnischen Erfindergeistes aber wird heute der Mensch zum
potentiellen Vollstrecker der Apokalypse, und zwar einer „kupierten
Apokalypse“ im Sinne des Religionssoziologen Klaus Vondung: „Wenn wir
dennoch von einer Apokalypse eines Atomkrieges sprechen, so haben wir es
mit einer ‚kupierten’ Apokalypse zu tun. Wir können nur die erste Hälfte
der herkömmlichen apokalyptischen Vision meinen; die zweite Hälfte, die
Errichtung der neuen, vollkommenen Welt, die früher dem Untergang Sinn und
Ziel verlieh, hat sich verflüchtigt.“ (64)
Ins Netz gestellt
Juni 2009
Fußnoten
(1) Robert J. Lifton – Terror
für die Unsterblichkeit – Erlösungssekten proben den Weltuntergang –
München 1999, 15
(31) Peter L. Bergen – Holy War, Inc. – Inside the Secret World
of Osama bin Laden – New York
u. a. 2001, 100
(32) Philip Webster und
Roland Watson – „Bin Laden’s Nuclear Threat“ – in: The Times -
26.10. 01
(38) Israel Shahak und
Norton Mezvinsky – Jewish
Fundamentalism in Israel – London 1999, 5,6
(40) Bernhard Philberth –
Christliche Prophetie und Nuklearenergie – Stein am Rhein 1985, 30
(42) Bernhard Philberth –
Christliche Prophetie und Nuklearenergie – Stein am Rhein 1985, 176
(43) Bernhard Philberth –
Christliche Prophetie und Nuklearenergie – Stein am Rhein 1985, 169
(44) Bernhard Philberth –
Christliche Prophetie und Nuklearenergie – Stein am Rhein 1985, 171
ff.
(45) Bernhard Philberth –
Christliche Prophetie und Nuklearenergie – Stein am Rhein 1985, 187
(49) John Hagee – Attack on America
– New York, Jerusalem, and the role of Terrorism in
the last days – Nashville 2001, 124
(50) Thekkel John Methew – „Road to Armageddon” - siehe:
www.thekkel.com/rta.html
(52) Grace Halsell – Prophecy and Politics – Militant Evangelists on
the Road to Nuclear War – Westport,
Connecticut 1986, 5
(53) Ovadyah Avrahami – “Jerusalem … Final
Countdown to Armageddon” – in: www.revelations.org.za
(54) Hal Lindsey – Planet Earth. The Final Chapter – Beverly Hills, California
1998, 247
(57) Intrater, Keith and Juster, Dan – Israel the Church and the
last Days – Shippensburg 2003, 84
(64) Klaus Vondung – Die Apokalypse in Deutschland –
München 1988, 12 (Anm. 2)
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