Kritik der Johannesoffenbarung
Das
Lamm dieser Apokalypse
ist
ein Ungeheuer
Friedrich Heer in seinem Buch – Abschied
von Himmeln und Höllen – Vom Ende des religiösen Tertiär (München 1970
S. 71 – 74) über frühchristliche apokalyptische Schriften und ihre
nachhaltige Wirkung.
Der österreichische Kulturhistoriker, Schriftsteller, Publizist und
Katholik Friedrich Heer
(1916 – 1983) setzt sich in seinen bedeutendsten Werken mit einzelnen
kirchlichen Problemfeldern auseinander: mit dem Antisemitismus in Gottes
erste Liebe (1967), mit dem Einfluss des Katholizismus auf Adolf Hitler
in Der Glaube desAlof Hitler (1968). In Kreuzzüge – gestern, heute, morgen? (1969) thematisiert er die
Kriegstheologie. Das Buch, aus dem hier ein Passus zur christlichen
Apokalyptik abdruckt ist, trägt den Titel Abschied von Höllen und
Himmeln (1970).
In der simplifizierenden und dogmatischen Einteilung der Welt in Gut
und Böse, in Licht und Dunkelkräfte, in Gott und Satan sieht Heer eine
verhängnisvolle Denkart, die das Christentum von Beginn an beherrscht hat
und die von dort aus auch in die säkulare und politische Welt eingedrungen
ist. „Der Manichäismus ist die
Krebskrankheit des Christentums bis heute. Der Manichäismus ist
weltgeschichtlich bis zur Gegenwart ein furchtbare Macht.“ (79) Heer beschreibt
diese Macht des apokalyptisch-manichäischen Weltbildes in der US-Politik
zur Zeit des Kalten Krieges, das dann später unter George W. Bush
unverhohlen und mit einer exzessiven
Vehemenz wieder ausbrechen sollte: „In seiner westlichen Form, neben seinen
christlichen Ausfaltungen, vorzüglich als eine Doktrin amerikanischer
Weltpolitik (die USA vertreten die ‚Kinder des Lichts‘ gegen die roten,
schwarzen, gelben ‚Kinder der Finsternis‘).“ Auf der Gegenseite ist der
Kommunismus von derselben Struktur des Denkens besessen: „Östlicherseits durch eine bereits im ‚kommunistischen
Manifest‘ zugrunde gelegte Glaubens-Vision und Praktik. Die Kinder des
Lichts und des Fortschritts, die Proletarier, haben unter der Führung der ‚Perfecti‘ (wie die Manichäer ihr Führungskader, ihre
Elite nennen), der Partei-Führer, die bösen Mächte in dieser Welt, die
Kapitalisten, die reaktionäre, die Konterrevolutionäre, die Links- und
Rechtsdiversanten, auszurotten. Leben ist Kampf bis zum Letzten: bis zur
Schaffung der ‚sozialistischen Gesellschaft‘ und der kommunistischen neuen
Welt.“ (79) In den frühchristlichen Apokalypsen kommt die ganze
Destruktivität dieses manichäischen Denkens zum Ausdruck. Hier der
Textauszug (S. 71 – 74):
Apokalypsen überschwemmen bereits die letzten Jahrhunderte vor Jesus
und bilden in den ersten Jahrhunderten nach seinem Tode eine für viel
Christus-Gläubige unersetzliche Tröstung. Aus den Meeren dieser Literatur
haben sich nur wenige Reste erhalten, so die Apokalypse des Johannes und
die Petrus-Apokalypse. Die Apokalypse des Johannes erteilt zunächst einmal
christlichen Gemeinden schärfste Zensuren. Christus ist eine
furchterregende Gestalt geworden (er muss ja hier die Schreckensmacht der
Cäsaren übertrumpfen!) „Fünf von den sieben Gemeinden erhalten schlechte
Zensuren. Dieser apokalyptische ‚Christus‘ benimmt sich eher wie ein
übelgelaunter, machtbewusster ‚Boss‘, der durchaus dem Schatten eines die
Liebe predigenden Bischofs gleicht.“ Der Himmel der Apokalypse ist seltsam
versteint; er nimmt den petrinischen Himmel Roms,
St. Peters im Grabkult Julius II., (Moses des Michelangelo) vorweg. Diese
‚Vereinigung in Stein‘ wurde im Grabkult Ägyptens vorgebildet.

Das apokalyptische Lamm aus der Bamberger Apokalypse (um 1000 n. Chr.)
Das Lamm dieser Apokalypse ist ein Ungeheuer. Das Rachegeschrei der
Märtyrer steigert seine Wut. Das Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird,
wird zum streitsüchtigen Widder, dessen Wust sich endlich entfalten kann.
C. G. Jung kommentiert: „Ich sehe darin weniger ein metaphysisches
Gleichnis, als zunächst den Ausbruch längst angestauter negativer Gefühle,
die man bei Vollkommen-sein-Wollenden häufig beobachtet.“ Man versteht, wie
diese Apokalypse zum Volksbuch religiös-politischer Revolutionäre, „linker“
Täufer und Prädikanten des Bauernkrieges um Thomas Münzer werden konnte. In
diesem ersten Jahrhundert vollzieht sich eine große Stauung von Hass.
Mönche in der Wüste übernehmen den Hass der Qumran-Leute
und johanneischer Apokalyptiker.
„Eine wahre
Orgie von Hass und Zorn, Rache und blinder Zerstörungswut, die sich an
phantastischen Schreckbildern nicht genug tun kann, bricht aus und
überschwemmt mit Blut und Feuer eine Welt, die man eben noch zu dem ursprünglichen
Status der Unschuld und der Liebesgemeinschaft und mit Gott zu erlösen sich
bemüht hat.“ Hier wird erstmals
vorformuliert und vorgebildet, was Jahrtausende später in politischen
Sekten und Parteien (die immer Erben von Konfessionsparteien sind) so
angesagt wird: „Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den
Schädel ein.“
Christus ist ganz zum schrecklichen Rächer geworden. Dieser Richter-Rächer bleibt eine
finstere Gestalt bis noch ins 19., ja 20. Jahrhundert hinein. Aus der Frohbotschaft
ist eine Drohbotschaft geworden. Das neue Evangelium verkündet: Fürchtet
Gott. Blutbäder werden vor-erschaut – und dann geschaffen: im 1. Kreuzzug,
in Jerusalem selbst, im 4. Kreuzzug in der zweiten heiligen Stadt, die Rom
fürchtet, in Konstantinopel: „Es floss Blut aus der Kelter (in welche die
Menschen eingestampft werden) bis an die Zügel der Pferde, sechzehnhundert
Stadien weit.“
„Ich habe viel
kompensierende Träume gläubiger Christen gesehen, die sich über ihre
wirkliche seelische Beschaffenheit täuschten und sich in einer anderen
Verfassung wähnten, als es der Wirklichkeit entsprach. Aber ich habe nichts
gesehen, das auch nur im Entferntesten mit der brutalen Gegensätzlichkeit
der johanneischen Offenbarung verglichen werden könnte. Es sei denn, dass
es sich um eine schwere Psychose handelte.“ (C. G. Jung)
Höllen in der eigenen Brust brechen in den maßlos Enttäuschten, die den
Himmel auf Erden erwarteten und forderten, auf. Das zwanzigste Kapitel der
Apokalypse ist die Magna Charta des Chiliasmus. Hier wird das
tausendjährige Reich Christi vor dem Ende der Welt verkündet. Hass gegen
Rom, gegen das Römische Reich durchflutet als dunkles Blutmeer die
Apokalypse.
Im zweiten Jahrhundert wird die Petrus-Apokalypse geschaffen, die
zeitweise die Autorität der Evangelien erlangt. Sie ist das älteste
christliche Dokument, das ausführlich Hölle und Himmel schildert. Der
Himmel ist ein weiter Raum, von Licht durchstrahlt. Die Sonne erfüllt ihn
mit ihrem Glanze. Blumen bestücken ihn. Im Ganzen wird hier ein karges,
vages, fast dürftiges Bild vom Himmel gegeben. Bewusst wird die jüdische
Konzeption – das himmlische Jerusalem, die Stadt Gottes – übersehen. Sehr
ausführlich wird aber die Hölle geschildert (das bleibt die Stärke der
christlichen Jenseitsbilder bis heute!) Die Hölle ist finster, dunkel, von
Strafengeln und Teufeln bevölkert (deutsche Schüler zwischen 13 und 18
sehen heute noch so die Hölle [1970]). Sünder werden an der Zunge
aufgehängt, andere wälzen sich in einem See aus kochendem schlamm. (Dieser
See stammt aus der orphisch-platonischen Überlieferung vom Acherusischen
See und vom Borberos.)
Weiber werden an den Haaren über dem Schlamm aufgehängt, ihre Buhlen
stecken mit dem Kopf in kochendem Schlamm, Mörder werden von wilden Tieren
gebissen, brüllen vor Schmerz, Würmer oder Schlangen bedrängen sie, und die
Seelen der Gemordeten schauen zu und sagen: „O Gott, wie gerecht ist Dein
Gericht.“
„Die Genugtuung, die jene, die gelitten haben, über die Strafe
derjenigen empfinden, die sie haben leiden machen, gehört dazu, die Hölle
zum Ort der Nemesis, d. h. der Wiedergutmachung zu gestalten. Sie erhöht
zugleich die Strafe und das Leiden der Schuldigen.“ Der biedere Schweizer
August Ruegg, dem wir diesen Kommentar verdanken,
bemerkte noch 1945 dazu: „Hierin erkennen wir den strengen sittlichen Geist
jener Gerechtigkeit, den wir bei Dante … überall am Werk sehen ….“ Weiber
sitzen bis zum Hals in einem See aus Blut und Menschenkot; ihnen gegenüber
sitzen ihre Kinder, die von ihnen beseitigt wurden und weinen. Die Kinder
werden also mitbestraft… Der Schweizer Christ Ruegg
findet in echt „christlichem“ Empfinden, „die Zutat, dass sie in alle
Ewigkeit das Bild des mit eigenen Händen umgebrachten weinenden Kindes vor
Augen haben müssen, ein glücklich erfundenes, eindrucksvolles
Strafexempel.“. (Mit diese Auffassung sind manche Gerichtsaalberichte der
‚Neuen Züricher Zeitung‘ über Prozess gegen ‚arme Sünder‘ zu vergleichen.)
„In den Begriffen ‚Foltern‘ und ‚Braten‘ sind allerdings Möglichkeiten
enthalten, die von der mittelalterlichen Henker- und Küchen-Phantasie
kräftig ausgenützt worden sind.“
Die Vision des heiligen Paulus, ein griechischer Text des 4.
Jahrhunderts, ist das wichtigste Mittelglied zwischen der Petrus-Apokalypse
und den irischen Visionen, die lange, bis zum 10. Jahrhundert, griechische
Anschauungen festhalten und den Grundstock für das europäische
Mittelalter (das in der Kirche bis
zum 20. Jahrhundert dauert) legen. Paulus erhält hier von Gott den Auftrag,
allen Völkern die Hölle zu schildern. Wenn 100 Menschen vom Anfang der Welt
wären, und jeder hätte eine erzene Zunge, nie könnten sie auch nur eine
einzige Qual der Hölle richtig schildern. Ein feuriger Drache mit hundert
Köpfen und Tausend Zähnen in jedem Kopf zermalmt hier in seinem Munde alle
ungerechten Fürsten. Gericht vor Gott: die Sündenaufzeichnungen der
Schutzangel, die hier als himmlische Geheime Staatpolizei jeden Menschen
beschatten, bilden die Grundlage für die Anklage und den Richterspruch. Die
Murrer in der Kirche, die innerkirchliche
Opposition, schweben bis zu den Lippen in einem Feuerfluss.
KZ-Wirklichkeit in dieser Kirchenhölle: eine tiefe Höllengrube ist
vollgepfropft mit übereinandergeschichteten Männern und Frauen (wie die
Juden sich über ihre bereits zuvor erschossenen Frauen, Kinder
Schicksalsgenossen legen mussten.), die alle um Erbarmen rufen. Ihr Strafe ist ewig, Paulus weint als er das sieht. Der
Engel verweist ihm seine Weisheit (‚Humanitätsduselei‘ nennen das militante
Katholiken als Befürworter der Todesstrafe im 20. Jahrhundert) und sein
unangebrachtes Mitleid mit den Todsündern. An dieser kirchlichen Hölle ist
für uns bedeutsam: die große Hasswelle richtet sich nicht mehr gegen Rom,
gegen das römische Reich und gegen die großen Schind-Herren dieser Welt,
sondern gegen oppositionelle Christenmenschen. Der Hass formt sich als
innerchristlicher Hass und als (verdeckter) Selbsthass aus.
Siehe auch:
Wasch
mich mit dem Blut meiner Feinde und ich werde der sein, der ich bin - D. H.
Lawrence zur Offenbarung des Johannes
Das wohl
schrecklichste Erbe des Neuen Testaments ist die so genannte Offenbarung
des Johannes (Herbert Schnädelbach)
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