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Bei dem folgenden Artikel handelt es sich um einen Vortrag gehalten auf dem 19. Canetti-Syposium in Wien 2006. Er erschien in der Anthologie „Islam – Dialog und Konroverse“ (Hrsg. John D. Pattillo-Hess und Mario R. Smole) Wien 2007 (Löcker Verlag – www.gmmf.org/Buch_19.htm). Die in den Fußnoten genannten Internet-Verweise wurden das letzte Mal 2006 überprüft.

 

 Islamistische Weltrevolution und

apokalyptischer Terrorismus

 

von Victor und Victoria Trimondi

 

Seit Jahren ist die apokalyptische Obsession der Islamisten bekannt, dennoch wird in der Öffentlichkeit kaum darüber diskutiert: Osama bin Laden, Ayman al-Zawahiri, Abu Musab al-Zarqawi, Muqtada al Sadr, Mahmoud Ahmadinedschad, Hassan Nasrallah und viele andere prominente Mitspieler des internationalen Islamismus sind Endzeit-Fanatiker, die sich als Erfüllungsgehilfen bei der Errichtung eines weltweiten Kalifats oder sogar des Jüngsten Gerichts verstehen. „Gott sandte mich mit einem Schwert, um die Stunde des Jüngsten Gerichts vorzubereiten, dann wenn Gott allein verehrt wird ohne einen anderen neben ihm.“ (1) Dieser Spruch des Propheten Mohammeds wird von Osama bin Laden und anderen Terroristen in ihren „Kriegserklärungen“ immer wieder bemüht. Aber auch die große Masse der Muslime ist für Endzeit-Ideologien empfänglich. „Eine Milliarde Muslime werden letztendlich in ein Millennium Szenario hineingezogen, in dem sie die Welt erobern. […] Je gewaltsamer und aktiver das apokalyptische Szenario ist, je destruktiver können seine Konsequenzen sein, gleichgültig wie unrealistisch die Ziele sind. Der Westen kann es sich nicht leisten, diese Phantasien einfach nicht zu beachten, weil er sie für nicht realistisch hält.“ – erklärt der amerikanische Historiker Richard Landes über den Doomsday-Glauben in der islamischen Welt. (2)

 

Die messianisch-apokalyptischen Offenbarungen erzählen von den letzten Ereignissen in der Menschheitsgeschichte. Nahezu jede Weltreligion weist derartige Prophezeiungen auf. Im Gegensatz zur christlichen Apokalyptik, die sich auf einen geschlossenen Text, die Johannesoffenbarung, beruft, sind die islamischen Endzeit-Vorstellungen eine Rekonstruktion aus verschiedenen Koran- aber insbesondere Hadith-Passagen. Das hat in den Details zu unterschiedlichen Darstellungen des eschatologischen Geschehens geführt, dennoch lässt sich das folgende Grundmuster herausarbeiten:

 

  1. Die menschliche Geschichte ist der irdische Ausdruck eines kosmischen Krieges zwischen Gut und Böse. In diesem universellen Kampf stehen sich die „Partei Gottes“ und die „Partei Satans“ als unversöhnliche Mächte gegenüber. Die Menschen sind gezwungen, sich für Gott oder gegen Gott zu entscheiden.

 

  1. Die gegenwärtige Epoche der Menschheitsgeschichte ist gekennzeichnet durch die zunehmende Herrschaft des Bösen. Es ist eine Zeit der Niedertracht, des Niedergangs und der Unwissenheit.

 

  1. Ein Dämon, der Dajjal, ergreift die Gewaltherrschaft über die säkulare Welt der Ungläubigen. Er ist in vielen Aspekten mit dem Anti-Christen der christlichen Apokalyptik vergleichbar. Auch abtrünnige Muslime schließen sich ihm an. Am Ende seiner Karriere versucht der Dajjal, wenn auch vergeblich, nach dem Throne Allahs zu greifen.

 

  1. Der Herausforderer des Dajjal, der Messias des Islams, erscheint als der Feldherr einer kosmischen Armee aus Menschen und Engeln. Er wird der Mahdi genannt. Mit übernatürlichen Kräften ausgestattet kämpft er gegen das Reich des Bösen und der Unwissenheit. Doch letztlich ist er dem Dajjal nicht gewachsen. Da steigt aus dem Himmel der Prophet Isa ibn Maryam, der muslimische Jesus, und kommt dem Mahdi zur Hilfe. Ihm erst gelingt es, den Dajjal zu vernichten.

 

  1. Die Kriege zwischen dem Mahdi und Isa auf der einen Seite und dem Dajjal auf der anderen werden mit extremer Härte, mit Zorn und mit gnadenloser Grausamkeit ausgefochten.

 

  1. Vernichtet werden am Ende alle, die nicht Allah als den einzigen wahren Gott und Mohammed als seinen Propheten anerkennen wollen. Gnade finden dagegen alle rechtgläubigen Muslime und Konvertiten.

 

  1. Nach seinem triumphalen Sieg errichten der Mahdi bzw. Isa einen weltweiten, autoritativen „Gottesstaat“ (das Kalifat) mit dem Islam als einziger Weltreligion.

 

  1. Das islamische Paradies auf Erden ist nur von kurzer Dauer, dann findet das Jüngste Gericht (Qiyamah) statt, in dem die Guten von den Bösen getrennt werden. Die menschliche Geschichte hört auf, die Erde wird vernichtet, das Universum wird zweigeteilt in Paradies und Hölle.

 

Grosso modo gelten diese acht Punkte auch für die Schiiten, obgleich bei ihnen die Figur des Mahdi und des muslimischen Christus in der mystischen Gestalt des 12. Imams, des schiitischen Messias, zusammenfließen.

 

In welcher Beziehung zur Apokalyptik steht die

von den Islamisten angestrebte Welteroberung?

Ein heute häufig beschworenes eschatologisches Ziel der Islamisten ist die Errichtung eines Weltkalifats des Friedens und der Glückseligkeit. Diese Vision erinnert sehr an die Millennium Prophezeiung der Johannesoffenbarung. Sie ist jedoch gar nicht so leicht mit den Endzeit-Texten des Korans in Einklang zu bringen. Dort endet die Menschheitsgeschichte kurz vor dem Jüngsten Gericht, das die Gläubigen mit dem himmlischen Paradies belohnt und die Ungläubigen verdammt. Ein irdisches Paradies oder gar ein globales Endzeit-Kalifat ist im Koran nicht erwähnt. Es gibt aber einige Hadiths, die von etwas Ähnlichem sprechen. Zum Beispiel soll die Menschheit nach dem Endsieg Isas eine kurze Periode des Friedens durchleben: „Isa wird die Unterdrückten von der Steuer befreien. Es wird so großer Wohlstand herrschen, dass keine Kamele als Reittiere benutzt werden, und den Menschen wird es an nichts fehlen. Feindschaft, Hass und Bosheit werden unbekannt sein.“ (3) Diese Kargheit von Millenniums-Bilden hat dazu geführt, dass von muslimischen Rechtsgelehrten häufig Anleihen aus der christlichen Apokalyptik gemacht werden, um diese für den Islam aufzubereiten.

 

Im Gegensatz hierzu lässt sich die Vorstellung einer islamischen Welteroberung sehr wohl aus dem Koran ableiten, wenn man, wie die Fundamentalisten, die einschlägigen Passagen wörtlich interpretiert. Das ergibt sich zum Beispiel aus der 8. Sure: „Kämpf gegen sie, bis es keine Verführung mehr gibt und die Religion gänzlich nur noch Allah gehört.“ (Sure 8: 39) Diese Aufforderung ist an erster Stelle nicht machtpolitisch zu verstehen, sondern als ein moralischer Imperativ, denn die gegenwärtige Welt liegt in den Händen Satans. So heißt es in der 4. Sure: „Diejenigen, die glauben, kämpfen auf dem Weg Gottes. Und diejenigen, die ungläubig sind, kämpfen auf dem Weg der Götzen. So kämpft gegen die Freunde des Satans.“ (4. Sure, 76)

 

Alle Islamisten, ob schiitische oder sunnitische, haben den Konsensus, dass das Reich Satans die säkulare Kultur des Westens ist. Seine koloniale Vergangenheit, seine wirtschaftliche und politische Macht, seine Kriegsmaschinerie, seine Massenkultur - all das ist für sie ein Werk des Teufels. Der Katalog, den Osama bin Laden anführt, um die westliche Dekadenz aufzuzeigen, ähnelt erstaunlich demjenigen, den christliche Fundamentalisten ebenfalls gegen das säkulare Amerika auflisten: Amoralität, Lügen, Prasserei, Unzucht, Homosexualität, Prostitution, Sexindustrie, Drogen, Spielleidenschaft, Geldgier und die Trennung von Politik und Religion werden von ihm genannt und er kommt zu dem Schluss: „Es ist traurig, euch sagen zu müssen, dass ihr die schlimmste Gesellschaft in der Geschichte des Menschengeschlechts seid.“ (4) Schon der Ägypter Sayyid Qutb, der in den 60er Jahren hingerichtete Chefideologe des Islamismus, hatte die US-Gesellschaft in all ihren Aspekten verteufelt. Später nannte Ayatollah Khomeini die USA den „Großen Satan“ und heute sieht bin Laden die Amerikaner und Juden als dessen Erfüllungsgehilfen.  „Wir fordern […] die Kämpfer auf, einen Krieg gegen die amerikanischen Soldaten des Satans und ihre Alliierten des Teufels zu entfesseln.“ (5) Je mehr sich jedoch der Westen aus seinem christlich-jüdischen Erbe definiert, umso mehr wird die religiöse Seite der westlichen Kultur für die Islamisten zum satanischen Feindbild. Sie führen ihren Religionskrieg jetzt gegen „Polytheisten“ und gegen „Kreuzzügler“.

 

Dass die islamische Welteroberung nur gewaltsam geschehen kann, darin sind sich sunnitische und schiitische Fundamentalisten einig. „Der Djihad ist das Mittel für die Durchführung dieser Weltrevolution.“ - lesen wir bei Sayyid Qutb (6) und Ayatollah Khomeini leitet die Welteroberung sogar umgekehrt aus dem Konzept des Djihad ab: „Diejenigen, die den Djihad studieren, werden verstehen, weshalb der Islam die gesamte Welt erobern will. Alle durch den Islam eroberte Länder oder Länder, die von ihm in Zukunft erobert werden, tragen das Zeichen immerwährender Rettung.“ (7) Osama bin Laden erklärte in einem Statement aus dem Jahre 2004: „Die Tradition des Propheten besagt: Eine Gruppe aus meiner Gemeinschaft wird den Kampf fortführen, um bis zum Jüngsten Tag die Gerechtigkeit durchzusetzen. So, macht es sicher, dass ihr zu dieser Gruppe zählt.“ (8)

 

Der „Heilige Krieg“ ist das adäquate Mittel zur Durchsetzung der islamischen Eschatologie, denn der Mahdi wird als militanter Messias erscheinen. Er agiert zwar nicht so blutrünstig wie der in der Johannesoffenbarung vorhergesagte Christus, aber er kennt ebenfalls kein Pardon mit den Ungläubigen. Von dem schiitischen 12. Imam-Mahdi heißt es in einem Hadith: „Ich bin der Prophet, und Ali ist mein Erbe, und von uns wird abstammen der Mahdi, das Siegel der Imame, und er wird alle Religionen erobern und Rache nehmen an den Übeltätern. Er wird die Festungen einnehmen und sie zerstören, alle Stämme der Götzendiener vernichten, und er wird Vergeltung üben für den Tod jedes Märtyrer Gottes.“ (9)

 

Da nur der Islam „immerwährende Rettung“ garantiert, sind nach Sicht der Fundamentalisten alle Ungläubigen Hindernisse auf dem Heilsweg und stehen deswegen vor der Alternative entweder zu konvertieren oder ausgerottet zu werden. Von einem Dhimmi-Status der Christen und Juden als Steuerzahler, so wie sie Jahrhunderte lang in den muslimischen Ländern gelebt haben, ist am Ende der Zeiten keine Rede mehr. So kommt auch Khomeini zu dem Schluss: „Der Koran lehrt uns, nur diejenigen als Brüder zu behandeln, die Moslems sind und an Allah glauben. Er lehrt uns andere anders zu behandeln; er lehrt uns sie zu schlagen, ins Gefängnis zu werfen und zu töten.“ (10) Khomeinis jetziger Nachfolger, der Oberste Religiöse Führer des Irans Ayatollah Khamenei predigt etwas Ähnliches. Wir haben „die Pflicht, so lange zu kämpfen, bis die ganze Menschheit entweder konvertiert oder sich der islamischen Herrschaft beugt.“ (11)

 

In den mittlerweile klassischen Schriften der modernen islamistischen Theoretiker ist häufig anstatt von Welteroberung von einer „universellen Revolution“ die Rede. Ziel dieser Revolution ist nach Sayyid Qutb die absolute Herrschaft Allahs in allen Breichen des Lebens.  „Gottes Souveränität zu erklären bedeutet: die umfassende Revolution gegen die menschliche Herrschaft in allen ihren Wahrnehmungen, Formen, Systemen und Umständen und den totalen Widerstand gegen jede Erscheinungsform der menschlichen Herrschaft.“ (12) Ebenso fordert der Gründer der pakistanischen Muslimbruderschaft, Maulana Maududi, „eine Revolution durchzuführen, um eine neue Ordnung zu schaffen […], die mit den Gesetzen des Islams konform geht. […] Obgleich es die Pflicht der ‚Partei der Muslime’ ist, diese Revolution zuerst dem eigenen Land zu bringen, ist ihr ultimatives Ziel die Weltrevolution.“ (13) Nachweislich bedienten sich diese beiden prominenten Ideologen des modernen Islamismus, Qutb und Maududi, bei linken Revolutionstheorien.

 

Das gilt auch für Ayatollah Khomeini, der sogar den von den sunnitischen Islamisten benutzten Gegensatz zwischen „Haus des Islams“, sprich Herrschaftsgebiet der Muslime, und „Haus des Krieges“, sprich Herrschaftsgebiet der Ungläubigen, durch die marxistische Formel von Ausgebeuteten und Ausbeutern, Unterdrückten und Unterdrückern ersetzt. Entsprechend fordert die von ihm mitkonzipierte iranische Verfassung in Artikel 154 „die gerechten Kriege der Erniedrigten gegen die Mächtigen in jedem Winkel der Erde“ zu unterstützen. Heute ist dieser linksrevolutionäre Jargon weiterhin ein wichtiges Element in der politischen Agitation der Schia-Fundamentalisten. Er soll signalisieren, dass der revolutionäre Islamismus das ethische Erbe eines internationalen Kommunismus fortentwickelt hat. Das ist nicht nur ein propagandistischer Trick, um den kapitalistischen Westen mit dem kommunistischen Gespenst zu erschrecken, sondern kann zu realen Bündnissen führen, wie jüngst die Kooperation des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad mit dem venezuelanischen Linkspopulisten Hugo Chavez, der sich wiederum im Gegenzug von dessen religiösen Jargon inspirieren ließ und George W. Bush auf der diesjährigen UNO-Vollversammlung als „Teufel“ beschimpfte.

 

Haben die „Märtyrer-Operationen“

einen eschatologischen Background?

Die häufigste Form des „Heiligen Krieges“, der heute von den revolutionären Islamisten geführt wird, sind die so genannten Selbstmord-Attentate oder „Märtyrer-Operationen“. Reguläre Armeen aus Djihad-Kämpfern hätten gegenüber den westlichen Militärmaschinerien keinerlei Chance. Obgleich in den letzten Jahren die meisten Suizid-Attentate von Sunniten durchgeführt wurden, werden wir uns in dieser Frage aus Zeitgründen auf den Schia-Fundamentalismus beschränken und das aus drei Gründen:

 

  1. weil radikale Schiiten die Ideologie der religiösen (nicht nationalistischen) Märtyrer-Operationen in ihrer jetzigen Form als erste entwickelt haben.

 

  1. weil die sunnitischen Extremisten sich hiervon inspirieren ließen

 

  1. weil im Falle eines Iran-Krieges mit einer schiitischen Welle von Märtyrer-Operationen ungeahnten Ausmaßes zu rechnen ist.

 

In der modernen Schia-Ideologie werden heute zwei Aspekte des Martyriums besonders hervorgehoben. Einmal das Shahadat als mystisches Urereignis, das aus sich heraus, die islamische Revolution vorantreiben soll, zum andern das Martyrium als ein Ausdruck des Djihad, um mittels Selbstmordaktionen militärische und terroristische Ziele zu erreichen. Keiner hat die Mystik des Shahadats mit der Vision einer islamischen Eschatologie so eng verknüpft wie der charismatische iranische Philosoph Ali Shariati, der 1977 von der SAVAK, dem Geheimdienst des Schahs, ermordet wurde. Shariati war davon überzeugt, dass der revolutionäre Weg des Islams in eine klassenlose Gesellschaft endet. In dieser Frage hatte er die Priesterklasse der Ayatollahs als entschiedene Gegner, aber seinen Ausführungen zum Shahadat sind sie gefolgt.

 

Für Shariati ist das Martyrium die ständige und höchste Opfergabe im Kampf für eine von Unterdrückung und Unwissenheit befreiten Gesellschaft. Jeder hat die Möglichkeit diesen blutigen Weg zu gehen, auch die Schwachen, die nicht die Kraft besitzen, den Djihad zu führen.  „Das Martyrium ist eine Einladung an alle Lebensalter und alle Generationen, die besagt: Wenn du nicht töten kannst, dann stirb!“ (14) Das Shahadat führt unweigerlich zum Erfolg, weil es aus sich selbst heraus eine transformatorische Kraft gebiert.  „Das Martyrium ist kein Mittel, um ein Ziel zu erreichen, es ist das Ziel selbst. Es ist reine Ursprünglichkeit. Es ist die Vollendung. Es ist eine Erhöhung. Es ist der direkte Weg zur höchsten Spitze der Menschheit und es ist eine Kultur.“ (15) Khomeini drückte das ebenso pathetisch aus.  „Der Baum des Islam kann nur wachsen, wenn er ständig mit dem Blut der Märtyrer getränkt wird.“ (16)

 

Auf jeden Fall kommt der Einsatz des Shahadats als politische und militärische Waffe unmittelbar auf Khomeinis Konto. Zum ersten mal wurde die Welt mit dem ganzen Ausmaß seines Märtyrerwahns konfrontiert, als er kurz nach seiner Machtübernahme klarstellte: „Lasst mich hier erklären, dass wir uns weder vor militärischen Interventionen noch vor einer ökonomischen Isolation fürchten, denn wir sind Schiiten, und als Schiiten heißen wir jede Gelegenheit willkommen, um unser Blut zu verschütten. Unsere Nation blickt nach vorne auf der Suche nach einer Gelegenheit zur Selbstaufopferung und zum Martyrium. [...] Ja wir haben eine Bevölkerung von 35 Millionen, die sich alle nach dem Martyrium sehnen. [...] Wir sind Männer des Krieges, auch wenn wir ohne eine entsprechende Kriegsausrüstung in den Krieg ziehen.“ (17) Khomeini schickte wenige Jahre später Zehntausende von Kindern und Jugendlichen mit karmesinroten Stirnbändern, dem Kennzeichen der Märtyrer, in den Krieg mit dem Irak, wo sie reihenweise getötet wurden. Die Ayatollahs sagten ihnen, sie seien Schützlinge des Verborgenen Imam und würden als „Blutzeugen“ ins Paradies eintreten.

 

Khomeinis Shahadat-Philosophie hatte noch weitere verhängnisvolle Folgen, denn es war ein schiitischer Shahid, der die Initialzündung für die Explosion islamischer Selbstmordattentate auslöste. Als Beginn der modernen religiösen Suizid-Kultur wird von Historikern der 11. November 1982 genannt, an dem der siebzehnjährige Ahmad Qassir aus dem Umfeld der schiitischen Hisbollah, einen weißen Mercedes mit Sprengstoff in ein israelisches Militärlager steuerte und dort 141 Soldaten und Zivilisten in die Luft jagte. Dieses spektakuläre Ereignis war das Startzeichen des sich immer weiter ausbreitenden islamischen Märtyrer-Wahns, der von den Schiiten im Libanon seinen Ausgang nahm, von den palästinensischen Sunniten aufgegriffen, von ägyptischen Muslimbrüdern fortentwickelt und dann von al-Qaida globalisiert wurde. Vorher galt der Selbstmord nach sunnitisch-koranischer Tradition als verboten.

 

Ohne es zu wollen, haben die Israelis zu dieser Entwicklung beigetragen. Sie deportierten in den 80er Jahren palästinensische Aufständische und al-Fatah Kämpfer, die alle Sunniten waren, in den Süden des Libanon, wo diese Kontakte mit der Hisbollah aufnahmen. Aus dieser Begegnung entstand nicht nur eine explosive Waffenbrüderschaft, sondern auch ein folgenreicher Ideologietransfer. Denn als die militanten Palästinenser aus dem Libanon in die Westbank und den Gazastreifen zurückkehrten, brachten sie das neue „Paradigma des Todes“, die Djihad-Kultur der Märtyrer-Operationen, mit.  „Wir haben den Schia-Geist aus der Flasche entlassen.“ – sagte damals der israelische Premier Itzhak Rabin. (18)

 

Außer einem atomaren Terrorakt fürchten heute Sicherheitsexperten nichts mehr als eine globale Welle schiitischer Selbstmordattentate nach einem militärischen Konflikt mit dem Iran. Diese könnte weit blutrünstiger ausfallen als die bisher bekannten Operationen sunnitischer Islamisten wie al-Qaida, zumal im Iran ein Riesenheer von potentiellen Selbstmordattentätern für den Fall der Fälle ausgebildet worden sein soll. Schon 2005 hatte Mohammadresa Jafari, Chef einer militärischen Einheit mit dem Namen „Kommando der freiwilligen Märtyrer“, gedroht, 50.000 Kämpfer stünden bereit, um sich nicht nur im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch in den USA und anderen NATO-Staaten in die Luft zu sprengen.  Märtyreraktionen stellen den Gipfel in der Größe eines Volkes dar und sind die höchste Form seines Kampfes.“ - „Der Feind hat Angst, dass die Kultur des Martyriums zu einer Weltkultur aller Freiheitsliebenden wird.“ (19) Ähnliche Drohungen sind seither mehrfach von Sprechern des Mullah-Regimes wiederholt worden.

 

In diesem Sinne ist wohl auch ein Statement Ahmadinedschads, der einer Vereinigung mit dem Namen „Die sich für die Revolution Aufopfernden“ angehört, zu verstehen, in dem er eine Beziehung zwischen „Märtyrer-Operationen“ und islamistischer Weltrevolution herstellt: „Eine neue islamische Revolution ist geboren dank des Blutes der Märtyrer [...] und wenn Gott es will, wird sie alle Ungerechtigkeiten in der Welt ausrotten. Die Ära der Unterdrückung, der Hegemonie, der Tyrannei und der Ungerechtigkeit kommen zu einem Ende und eine Welle islamischer Revolutionen wird bald über die ganze Welt hinwegfegen. In einer Nacht legen die Märtyrer eine Wegstrecke zurück, die im Normalfall 100 Jahre dauern würde.“ (20)

 

Dass iranische Militärs einem potentiellen, globalen Märtyrer-Krieg gegen den Westen eine eschatologische Bedeutung zumessen, wird auch aus einem Artikel ersichtlich, der Anfang 2006 in der arabischen Tageszeitung Asharq al-Awsat erschien und den folgenden Titel trug: „Irans Geheimplan, im Falle, dass er von den USA angegriffen wird, trägt den Codenamen Qiyamah.“ Unter der Schirmherrschaft iranischer Geheimdienste, heißt es dort, hätten sich verschiedene schiitische Djihad-Organisationen koordiniert, um im Falle einer US-Attacke „Märtyrer-Operationen“ in der ganzen Welt durchzuführen. (21) Von besonderem Interesse ist hier der gewählte Codename „Qiyamah“. „Qiyamah“ heißt die 75. Sure und bedeutet das Jüngste Gericht.

 

Welche Bedeutung hat eine „muslimische

Bombe“ in den Endzeit-Szenarien?

Die Begriffe „apokalyptischer Terrorismus“, „apokalyptische Gewalt“ und „apokalyptischer Krieg“ sind mittlerweile als Termini anerkannt, um bestimmte Gewalttaten religiöser Fundamentalisten zu bezeichnen. Der renommierte amerikanische Psychologe und Gewaltforscher Robert Lifton gibt hierzu eine treffende Definition: „Apokalyptische Gewalt bezeichnet die Bereitschaft, enorme Zerstörungen im Dienste einer spirituellen Säuberung anzurichten. Eine Welt soll aufhören zu existieren, um Platz zu machen für eine bessere. Ich habe herausgefunden: Man kann nur dann große Mengen von Menschen umbringen, wenn man es im Namen absoluter Rechtschaffenheit tut. Apokalyptische Gewalt ist so gefährlich, weil sich derjenige, der sie anwendet, auf heiliger Mission wähnt.“ (22) Im Zusammenhang mit dem drohenden terroristischen Einsatz von Atomwaffen spricht Lifton von einem apokalyptischen „Nuklearismus“. (23) In der Tat spielt in den Doomsday-Phantasien aller radikal-religiösen Gruppen ob Christen, Juden, Hindus, Buddhisten oder Muslime die A-Bombe eine Königsrolle. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Gott in ihren jeweiligen Endzeit-Prophezeiungen mit Erdbeben, Feuerregen, Meteoren, heißen Winden und Rauchwolken seine Gegner vernichtet. All das sind Katastrophenbilder, die an Atomexplosionen erinnern.

 

Dass al-Qaida oder andere islamische Terror-Organisation, eine ultimative Waffe wie die A-Bombe im Namen absoluter Rechtschaffenheit gegen den satanisierten Westen einsetzen würden, steht außer Frage und dass sie sich diese besorgen wollen, ist ebenfalls nicht zu bezweifeln. Bin Laden hat beides klar zum Ausdruck gebracht.  „Wir betrachten es nicht als ein Verbrechen, wenn wir versuchen, uns nukleare, chemische und biologische Waffen zu beschaffen.“ (24) Unter dem Eindruck der indischen Atombombenversuche von 1998 forderte er die atomare Aufrüstung aller Muslime: „Wir rufen die muslimische Welt und Pakistan – insbesondere seine Armee – auf, sich auf den Djihad vorzubereiten. Dies sollte eine nukleare Streitmacht mit einbeziehen.“ (25) Im selben Jahr publizierte er eine Deklaration mit dem Titel „Die Nuklearbombe des Islam“. Darin war unter anderem zu lesen „Es ist die Pflicht der Muslime, soviel Kräfte wie möglich zu sammeln, um die Feinde Gottes in Terror zu versetzen.“ (26) Noch konkreter wurde der „al-Qaida Mann Nr. 2“, der ägyptische Arzt und Chefstratege Ayman al-Zawahiri. In einem Gespräch mit dem pakistanischen Journalisten Hamid Mir antwortete er lachend, als sein Interviewer bezweifelte, dass al-Qaida über Nuklearwaffen verfüge:  „Mr. Mir, wenn sie 30 Millionen Dollar haben, dann gehen sie auf den schwarzen Markt in Zentralasien, kontaktieren dort irgendeinen der enttäuschten sowjetischen Wissenschaftler, dann werden ihnen dort eine ganze Menge von smarten Aktentaschen-Bomben angeboten. Diese [Wissenschaftler] selber haben uns kontaktiert, und wir haben unsere Leute nach Moskau, nach Taschkent und andere zentralasiatische Staaten geschickt und dort einige ‚Koffer-Bomben’ erworben.“ (27)

 

Selbst im akademischen Milieu der renommierten al-Azhar Universität in Kairo ist die „islamische Bombe“ ein Thema. 1999 forderte Scheich Sayyid al-Tantawi den ägyptischen Besitz von Nuklear-Waffen, um sich gegen Israel verteidigen zu können. Als theologische Legitimation hierzu gab er einen Satz des ersten Kalifen Abu Bakr an, der lautet: „Wenn sie dich mit dem Schwert bekämpfen, dann bekämpfe auch du sie mit dem Schwert; wenn sie dich mit dem Speer bekämpfen, dann bekämpfe du sie mit dem Speer.“ Daraus zog der Scheich den folgenden Schluss: „Wenn Abu Bakr heute leben würde, dann würde er sagen: ‚Wenn sie dich mit einer Atombombe bekämpfen, dann musst du sie ebenfalls mit einer Atombombe bekämpfen.’“ (28) In einem am 23.12.03 verfassten Communiqué von Gelehrtem des al-Azhar Universität war zu lesen, dass die Beschaffung nuklearer Waffen eine religiöse Verpflichtung sei. Das Schreiben war ein Beitrag zu der Debatte, die der Scheich Ala A-Shanawi mit der Behauptung auslöste, Mohammed hätte sich Nuklearwaffen besorgt, um seine Feinde zu bekämpfen. (29) 2006 erklärte Gamal Mubarak, der Sohn des ägyptischen Präsidenten und dessen vermutlicher Erbe, Ägypten sollte sein eigenes Nuklearprogramm verfolgen. (30) Auch in Saudi-Arabien gibt es Stimmen, die Interesse an einer eigenen „Bombe“ anmelden. 2003 veröffentlichte der Dissidenten-Scheich Nasir bin Hamad al-Fahd eine Schrift mit dem Titel „Rechtsgutachten über den Gebrauch von Massenzerstörungswaffen gegen die Ungläubigen.“, worin er deren Einsatz als Mittel rechtfertigt, wenn die Ungläubigen nur dadurch zurückgeschlagen werden könnten. Zivile Opfer müssten dabei in Kauf genommen werden. Al-Fahd entwickelt in seinem Pamphlet die folgende Logik: Nach muslimischen Statistiken seien 10 Millionen Muslime durch Amerikaner getötet worden. Das rechtfertige  es, die gleiche Zahl an US-Bürgern durch Massenvernichtungswaffen zu töten. (31) 

 

Alle Experten sind sich einig, dass auch die iranischen Ayatollahs trotz gegenteiliger Versicherungen sehr gerne über Atomwaffen verfügen würden. Strittig ist nur, ob oder wann ihre Techniker sie herstellen können oder ob sie die Bombe nicht schon besitzen. Diese wäre nicht nur eine Sicherheitsgarantie für ein Land, das im Osten und im Westen durch die amerikanische Armee eingekesselt ist, sondern würde auch den Stolz der Schia-Fundamentalisten eminent hochtreiben. Der Erdölstaat Iran könnte zu einer Großmacht mit einem eminenten Einfluss auf die gesamte politische Lage im Mittleren Osten werden.

 

Einige Hinweise auf die nuklearen Ambitionen des Irans ergeben sich aus der Vergangenheit. Zwar hatte Khomeini erklärt, Atombomben seien unislamisch (32), doch schon im Jahre 1992 forderte Ayatollah Mohajerani, der damalige Vizepräsident des Irans: „Da Israel damit fortfährt, nukleare Waffen zu besitzen, müssen wir, die Muslime, zusammenarbeiten, um eine Atombombe zu produzieren, unabhängig von einer Anstrengung der UNO, der Verbreitung [von A-Waffen] zuvorzukommen.“ (33) Immer wieder bis hin in die jüngste Zeit wurden ähnliche Anspielungen von offizieller Seite gemacht.  „Die Anwendung einer einzigen Atombombe würde Israel völlig zerstören, während sie der islamischen Welt nur begrenzten Schaden zufügen würde.“ – erklärte der ehemalige Präsident Rasfandschani im Jahre 2001 (34) und in einem in der konservativen, iranischen Tageszeitung Kayhan veröffentlichten Artikel war am 13. Juli 2006 zu lesen: „Israels militärische Vorteile in der Region sind dabei zusammenzubrechen, und ein nuklearer Iran ist dabei das nukleare Prestige von Israel auszuradieren.“ (35) Auch Ahmadinedschad benutzt einen Jargon, der unangenehm an die Beschreibung von atomaren Explosionen erinnert: „Der Vulkan der Wut der Menschen in der Region steht kurz vor dem Ausbruch. Der korrupte Staat, der Jerusalem besetzt hält, ist der Endpunkt der liberalen Zivilisation. Wenn dieser Vulkan explodiert und der Ozean der Wut zu rasen beginnt, dann werden die Schockwellen nicht nur auf die Region begrenzt sein.“ (36)

 

Die messianische Gesellschaft im Iran

Der Beisitz einer Atomwaffe hätte für die Mullahs auch eine zentrale eschatologische Bedeutung, denn kein Land der Welt wird zurzeit so gründlich von einem apokalyptischen Endzeit-Wahn heimgesucht wie der Iran. Kurz nach seinem Amtsantritt im Sommer 2005 hat sich der neue  Präsident Mahmoud Ahmadinedschad als Erfüllungsgehilfe des 12. Imams, des von den Schiiten erwarteten militanten Messias, präsentiert. So als könne er dessen Epiphanie beschleunigen, repetiert er ständig bei seinen offiziellen Ansprachen Gebetsformel, mit der er das Erscheinen des 12. Imams beschwört. Öffentlich erklärte er: „Die Hauptmission unserer Revolution besteht darin, den Weg für das Erscheinen des 12. Imams, des Mahdi, zu pflastern. Wir sollten unsere Wirtschaft, unsere Kultur und unsere Politik nach der Politik von der Rückkehr des Imam Mahdi ausrichten.“ (37) Noch Bürgermeister von Teheran ließ Ahmadinedschad einen ganzen Boulevard mit der Begründung renovieren, der Imam-Mahdi werde dereinst darüber in die Hauptstadt einmarschieren. Gleich zweimal (2005 und 2006) benutzte er die UNO-Vollversammlung als missionarische Plattform, um den Völkern der Welt die Ankunft seines Messias kund zutun. Die erste UNO-Predigt war religionspolitisch eine Sensation, denn Ahmadinedschad proklamierte kurz und bündig das Ende des agnostischen, säkularen Zeitalters und stellte das Primat der Aufklärung in Frage. Ahmadinedschad beendete seine Rede mit dem Satz:  „Oh allmächtiger Gott, ich bete zu dir, das Hervortreten deines letzten Triumphes zu beschleunigen, [durch das Hervortreten] des Vorhergesagten, des perfekten und reinen menschlichen Wesens, das diese Welt mit Gerechtigkeit und Frieden erfüllen wird.“ (38) Jeder, der den religiösen Background dieser Sätze kennt, weiß, dass mit dem „perfekten Wesen“ der 12. Imam gemeint ist. Von New Yorck in den Iran zurückgekehrt erklärte der Präsident, während seiner Ansprache habe sich ein mystisch-grünes Licht auf ihn hinabgesenkt.

 

Sogar vor dem Mann, der in der iranischen Presse als „der Satan“ bezeichnet wird, macht der missionarische Eifer Ahmadinedschad nicht halt. In George W. Bush glaubt er (wohl nicht ganz zu Unrecht) ebenfalls einen Kämpfer gegen das Zeitalter des Säkularismus und Liberalismus vor sich zu haben. So schickte er seinem amerikanischen „Kollegen“ einen ausführlichen Brief, in dem auf die gemeinsamen Werte des Islams und des Christentums hingewiesen wird. Durch eine Verwischung des Unterschiedes zwischen dem islamischen Christus (den er mit dem 12. Imam gleichsetzt) und des christlichen Christus kommt er zu dem Schluss, dass sowohl die amerikanischen Christen als auch die Schiiten denselben Welterlöser und Weltimperator erwarten. (39)

 

Der iranische Präsident spricht, so der Spiegel nach einem langen Interview mit ihm, wie im Rausch, wie ein Beseelter, wie ein Prophet.  „Wünscht Ahmadinedschad, der Apokalyptiker, der auf den Mahdi wartet, das Armageddon herbei? […] Das Land ist jetzt schon ein Alptraum, eine Kombination aus Hasspredigten und dem Streben nach der Bombe, deren Besitz dieser Staat, allen Dementis zum trotz, wohl anpeilt.“ (40) Die Reformpolitiker des Irans, die unter dem früheren Präsidenten Mohammad Khatami für einen „Dialog der Kulturen“ eingetreten sind, gelten als out und die so genannten „Prinzipientreuen“, die Khomeinis Vision einer islamischen Weltrevolution folgen, sind wieder in. So erklärte Hassan Abbasi, einer der prominenten Theoretiker des Landes, dass die Idee von einer „messianischen Gesellschaft“ seit dem Beginn der iranischen Revolution noch nie so aktuell und attraktiv gewesen sei wie heute. Er ist davon überzeugt, dass die „Prinzipientreuen“ schon voll die Macht in ihren Händen halten.  „Sie sind überall – in der Regierung, im islamisches Parlament, in den Ratsversammlungen, im Wächterrat und in der Justiz. […] Daher bin ich voller Hoffnung, dass mit Hilfe der neuen Regierung die Gesellschaft sich in Richtung einer messianischen Gesellschaft entwickeln kann.“ (41)

 

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Präsident Mahmoud Ahmadinedschad kündigt in der heiligen Stadt Mashhad in

einer besonderen Zeremonie die erfolgreiche Urananreicherung an (2006)

 

Man kann jedenfalls sagen, dass die iranische Gesellschaft in unseren Tagen von oben bis unten von einer messianischen Imam-Mahdi-Obsession heimgesucht wird.  „Heute ist die Zeit gekommen, die günstigen Bedingungen für eine [zukünftige] Regierung des Imam-Mahdis zu schaffen, möge Allah bald sein nobles Erscheinen bewirken.“ - erklärte vor einem Jahr die höchste spirituelle und politische Autorität des Landes, Ali Khamenei. (42) In dem so genannten Bright Future Institut aus der Stadt Ghom, dem Think Tank für die Endzeit-Ideologie Ahmadinedschads, wird der Versuch unternommen die Mahdi-Ideologie als Paradigma zu verankern, um daraus alle anderen Wissenschaftsdisziplinen abzuleiten. Diese Totalisierung des Geistes trägt den offiziellen Namen Mahdismus.  „Der Mahdismus ist der letzte Ausweg des gegenwärtigen Menschen aus der Welt des Bösen und der Korruption. Die Doktrin des Mahdiismus ist der letzte Ausweg in der Endzeit und der einzig mögliche Standpunkt angesichts des Weltendes.“ – heißt es in einer Grundsatzerklärung des Instituts, das im September einen Kongress mit 4000 Teilnehmern organisierte. Key Speaker waren mehre prominente Ayatollahs und der Präsident höchst persönlich. (43)

 

Ebenso schwelgt das iranische Militär in endzeitlichen Bilderwelten: Die neuesten auf Paraden gezeigten Trägerraketen, tauglich für atomare Sprengköpfe, tragen den Namen Zilzal. Al-Zilzal heißt die 99. Sure des Korans und bedeutet das Erdbeben, welches dem Jüngsten Gericht (Qiyamah) vorausgeht. Wie die iranische Bevölkerung von Morgens bis Abends mit Doomsday-Parolen indoktriniert wird, lesen wir in einer Reportage des Spiegels: „Schon um Viertel nach acht, gleich nach den Frühmachrichten, geht es um die Apokalypse, um das Ende der Welt. […] ‚Das Ende der Zeiten ist nah’, sagt [ein Sprecher des populären Radiosender Dschawan]. 50 Zeichen, so stehe es geschrieben, würden auf das bevorstehende Weltende hindeuten, 33 habe er bereits erkannt. Die Männer werden sich kleiden wie Frauen, heiße es in den Büchern. ‚Und? Versinkt diese Stadt nicht in Sittenlosigkeit?’ Der Fluss durch die Heilige Stadt werde austrocknen. ‚Ist nicht der Fluss durch Ghom inzwischen völlig versiegt?’ Genau dazu passe es, dass nun plötzlich alle über die Atombombe redeten – auch ein Zeichen für ‚aschar-esamam’, das Ende der Zeiten und die Wiederkehr des Mahdi, des zwölften, des verborgenen Imam.“ (44)

 

Aber nicht nur die Fundamentalisten im Iran, sondern auch die Hisbollah im Libanon und die Mahdi-Armee im Irak sehen sich als Vortrupp des schiitischen Messias. Von dem Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah sagte das politische Oberhaupt der libanesischen Drusen, Walid Jumblatt: „Wie Ahmadinedschad wartet er auf den 12. Imam, den Mahdi. Dieser Aspekt der schiitisch-religiösen Massenmobilisierung kann einen das Fürchten lernen.“ (45) Im Irak hat der der 33jährige radikale Ayatollah Muqtada al-Sadr seit Beginn der amerikanischen Besatzung eine eigene Miliz aufgebaut, die mittlerweile gut ausgerüstete „Mahdi Armee“. Diese orientiert sich, wie schon der Name suggeriert, ebenfalls an einem endzeitlichen Programm. Am 19. Februar erklärte der Ayatollah in einem Interview, seine Gotteskrieger seien „die Basis des Imam Mahdi und eine solche Basis des Prophezeiten könne nicht aufgelöst werden.“ (46) Al-Sadrs Vater und Onkel, die von Saddam Hussein ermordet wurden,  hatten mehrere Schriften verfasst, die den schiitischen Messias zum Thema haben, darunter eine Enzyklopädie des Imam Mahdi.  Der junge Chef der Mahdi-Armee gilt als Schützling der iranischen Hardliner.

 

Ausgehend von den schiitischen Minderheiten in Afghanistan, über die islamische Republik Iran, über den Irak über ein verbündetes Syrien bis hin zu den Mittelmeerstränden des Libanon hat sich in kürzester Zeit eine aggressive messianisch-apokalyptische Bewegung der Schia entwickelt, die über eine geschlossene Ideologie, über gut funktionierende Staatsapparate, hervorragend ausgerüstete Untergrundarmeen, über ungeheuren Reichtum und vielleicht sogar bald über eine Atombombe verfügt.

 

Es sind vor allem die verschiedenen ABC-Waffendrohungen, die es erlauben, von der Auslösung einer möglichen „Apokalypse“ zu sprechen. Der unter sunnitischen Terroristen weit verbreitete Satz, „Amerika wird bald sein Hiroshima erleben, es ist nur noch eine Frage der Zeit“, darf nicht nur als eine makabre Phrase abgetan werden. Er wird von kompetenten Kennern der Szene ernst genommen. Ihre extreme Shahadat-Ideologie, nach der das  Blut der Märtyrer die islamische Weltrevolution vorantreiben soll, gibt auch den Schia-Fundamentalisten die Möglichkeit gegenüber der Bevölkerung sowohl einen von den USA erlittenen als auch einen selber gegen Israel oder ein westliches Land durchgeführten Atomschlag theologisch zu legitimieren. Würde so etwas Schreckliches, gleich von wem ausgelöst, passieren, dann hätte das neben den grauenhaften personellen, materiellen und wirtschaftlichen Schäden einen ungemein gefährlichen ideologischen Rückkoppelungseffekt: Apokalyptiker aller Länder und aller Religionen sähen sich dadurch bestätigt und anstatt dem Endzeit-Wahn abzusagen, würde dieser um ein Vielfaches potenziert, denn nichts nährt den Doomsday-Glauben mehr als reale von Menschen verursachte Katastrophen.

 

Es kann heute kein Zweifel mehr daran bestehen, dass eschatologische aus den Heiligen Schriften abgeleitete Dogmen, Prophezeiungen und Spekulationen einen konstitutiven Stellenwert für den revolutionären Islamismus haben. Das gilt sowohl für das Ziel (die Errichtung eines globalen Kalifats), als auch für die Mittel (die Entfesslung einer Weltrevolution durch den Djihad und durch Märtyrer-Operationen), als auch die politische Organisationsform (die Unterwerfung unter eine charismatisch messianische Führergestalt), als auch für die Interpretation der gegenwärtigen Weltenlage, die als Epoche der Ignoranz, der Dekadenz, des Chaos und Todes angesehen wird. Man sollte die Gefahr, die davon ausgeht, aber auch als eine Chance für den Westen diskutieren, seine Werte des Humanismus auch wirklich in die Tat umzusetzen. Aber es sind nicht nur die erbarmungslosen Gesetze des Turbo-Kapitalismus und die brutale, westliche Kriegsführung, welche ein humanistisches Weltbild ständig verletzten, sondern im Herzen der westlichen Welt, den Vereinigten Staaten von Amerika, hat sich eine machtvolle religiöse Bewegung, die Christliche Rechte, entwickelt, die sich ebenso wie der revolutionäre Islamismus an einer Ideologie der Weltvernichtung orientiert, wenn auch in diesem Fall unter dem Zeichen des Kreuzes.


Endnoten:

(1) Bin Laden’s Sermon for the Feast of the Sacrifice – in: http://memri.org/bin/opener.cgi?Page=archives&ID=SP47603

(2) Richard Landes – “Jihad, Apocalypse, and Anti-Semitism” – 01.09.04 – in: www.jcpa.org/phas/phas-24.htm

(3) Thomas Patrick Hughes – Lexikon des Islam – Wiesbaden 1995, 365

(4) Full text: bin Laden’s Letter to America – 24.10.02 - http://observer.guardian.co.uk/worldview/story/0,11581,845725,00.html

(5) Peter L. Bergen – Holy War, Inc. – Inside the Secret World of Osama bin LadenNew York u. a. 2001, 96

(6) Sayyid Qutb – Milestone – Chapter 4 – Jihaad in the Cause of God – in: www.youngmuslims.ca/online_library/books/milestones/hold/chapter_4.asp

(7) Ayatollah Ruhollah Khomeini – Islam is not a Religion of Pacifists – (1924) – in: www.scepticism.info/quotes/archives/islamic_extremism_index.shtml

(8) Dan Darling – “Special Analysis: The 12/04 bin Laden Tapes” – in: www.windsofchange.net/archives/006101.php

(9) Zitiert bei: Thomas Patrick Hughes – Lexikon des Islam – Wiesbaden 1995, 455, 456

(10) Bruno Schirra – Iran – Sprengstoff für Europa – Berlin 2006, p. 146

(11) Ibid p. 154

(12) Karen Armstrong – Im Kampf für Gott – Fundamentalismus in Christentum, Judentum und Islam – München 2004, 346

(13) Maulana Maududi –  Haqiqat-i-Jihad – Lahore 1964, 64 . Übersetzt in: “The Maududian Law of Apostasy” – in: www.alislam.org/library/books/mna/chapter_5.html

(14) Ali Shariati – “Martyrdom – Arise and Bear Witness” – in: http://al-islam.org/arisewitness/3.htm

(15) Ibid

(16) Times Online – Kevin Toolis - A million martyrs await the call

(17) Richard T. Antoun – Understanding Fundamentalism – Christian, Islamic, and Jewish MovementsWalnut Creek u. a. 2001, 42

(18) Patrick J. Buchanan – “Why are we still here?” – in: www.wnd.com/news/article.asp?ARTICLE_ID=33326 - 30.06.03

(19) Iranischer Offizier: "Wir haben Selbstmordkommandos in den USA und anderen NATO-Staaten" – in: www.hagalil.com/archiv/2005/08/selbstmordkommandos.htm

(20) Iran Focus - Iran's Ahmadinejad hopes to spread 'new Islamic revolution' – in: http://www.iranfocus.com/modules/news/article.php?storyid=2684

(21) Wikipedia – Al-Qiyamah - http://en.wikipedia.org/wiki/Al_Qiyamah

(22) Der Spiegel - 23/2003 - „Ich fürchte um Amerikas Seele“

(23) Information Clearing House – Superpower Sydrome: America’s Apocalyptic Confrontation with the World – in: www.informationclearinghouse.info/article5531.htm

(24) Peter L. Bergen – Holy War, Inc. – Inside the Secret World of Osama bin LadenNew York u. a. 2001, 231

(25) Ibid: 100

(26) Philip Webster und Roland Watson – „Bin Laden’s Nuclear Threat“ – in: The Times - 26.10. 01

(27) William Payne – “The Persian Influence and Timetable – Iran’s military preparations since the end of the Iran/Iraq war” – in: www.defencetalk.com vom 24.01.05

(28) “Highest ranking official clerc in Egypt call for Nuclear Weapons” – in: www.jewishpost.com/jp0608/jpn0608e.htm

(29) Sunni Muslims: Having modern nukes ‘a religious obligation’ – 23.01.03 – in: http://muhammadanism.org/News/News2003.htm

(30) The International Herald Tribune - Noah Feldman – Nuclear Holocaust: A risk too big even for martyrs? – in: www.iht.com/bin/print.php?id=3310676

(31) Ibid

(32) Gero von Randow und Ulrich Landurner – Die iranische Bombe – Hintergründe einer globalen Gefahr – Hamburg 2006, 85

(33) Pervez Hoodbhoy – “Myth-building: The ‘Islamic’ Bomb” – in: Bulletin of the Atomic Scientists – 1993 vol. 49, no. 05, 42 - 49

(34) George Perkovich - Dealing With Irans Nuclear Challenge - Carnegie Paper, April 28, 2003

www.ceip.org/files/projects/npp/pdf/Iran/iraniannuclearchallenge.pdf , p. 6

(35) Washington Institute for Near East Policy – Robert Satloff – The Rogues Strike Back - www.washingtoninstitute.org/templateC06.php?CID=946 

(36) Bruno Schirra – „Teherans heimliche Kämpfer“ – in: Die Welt – 22.07.06

(37) Frontpage Magazine - 17.08.06 - Patrick Poole – Ahmadinejad’s Apocalyptic Faith – www.frontpage.com/Articles/Printable.asp?ID=23916

(38) Ebenda

(39) Originaltext des  Briefes an George W. Bush: http://online.wsj.com/public/resources/documents/wsj-IranianPres_letter.pdf

(40) Der Spiegel Nr. 22 – 2006

(41) Eine zweite Stunde Null im Iran – Hoffen auf eine messianische Gesellschaft – Interview mit Hassan Abbasi – in: www.prayradio.fm/5045739662125e506/53882196c1105830d.php

(42) Recent Statements by Khamenei on Iranian TV – in: www.timesonline.co.uk/article/0,,2092-2281184_1,00.html

(43) Mahdaviat International Conference -  The Doctrine of Mahdism -  www.mahdaviat-conference.com/en/wp-print.php?p=35

(44) Der Spiegel Nr. 22 – 2006

(45) Michael Young - Montain Man: The Leader of Lebanon’s Druze talks about the Syrian threat – in: http://cedarsrevolution.blogspot.com vom 28.08.06

(46) Juan Cole - Muqtada al-Sadr on Aljazeera – in:   www.juancole.com/2006/02/muqtada-al-sadr-on-aljazeera-ready-to.html 

© Victor & Victoria Trimondi