DIE FAMILIE DER DÄMONISCHEN SCHLANGEN
Acht Fragen an den XIV. Dalai
Lama zum Kalachakra-Tantra
Seit mehr
als 25 Jahren führt der XIV. Dalai Lama die höchste tantrische Einweihung des tibetischen Buddhismus,
vor vielen Tausenden von Teilnehmern auf der ganzen Welt durch. Es ist ein
Heiliger Text („Tantra“), das sogenannte Kalachakra-Tantra und der darin enthaltene Shambhala-Mythos,
die der Performance zugrunde liegen.
„Kalachakra“
(Sanskrit) bedeutet „Rad der Zeit“. Das Kalachakra-Tantra wurde in
der letzten Zeit häufig kritisch hinterfragt. In einer Dialoggesellschaft
liegt es nahe, dass sich der XIV. Dalai Lama diesen kritischen Fragen
persönlich stellt und sie beantwortet, sei es, um Verzerrungen oder
Fehlinterpretationen zu berichtigen, sei es, um sich offen zu den
problematischen Inhalten des
Kalachakra-Tantras zu bekennen oder sich von diesen öffentlich zu
distanzieren. Deshalb haben wir acht Fragen an den tibetischen
Friedensnobelpreisträger kurz zusammengefasst und anschließend erläutert:
- Dalai Lama, weshalb
prophezeit und verherrlicht das von Ihnen als „Ritual für den
Weltenfrieden“ angekündigte Kalachakra-Tantra und der darin enthaltene
Shambhala-Mythos einen „Heiligen Krieg“ (Shambhala-Krieg) von
Buddhisten gegen Nicht-Buddhisten?
- Dalai Lama, weshalb
werden in dem von Ihnen als „Beitrag zur Weltökumene und zum
Weltethos“ angekündigten Kalachakra-Tantra die drei
monotheistisch-semitischen Religionen, insbesondere aber der Islam,
als „Feinde der Lehre“ angegriffen und ein Religionskrieg gegen den
Islam beschworen?
- Dalai Lama, weshalb wird
im Kalachakra Tantra entgegen Ihren ständigen Bekenntnissen zur
Demokratie die Institution eines Chakravartin (eines
„Weltenherrschers“) beschworen, der einen globalen buddhistischen
„Gottesstaat“, eine „Buddhokratie“, errichten soll?
- Dalai Lama, weshalb
fordern entgegen Ihren weltweit geschätzten sozialethischen
Beteuerungen die buddhistischen Tantra-Texte, insbesondere auch das
Kalachakra-Tantra, von den Initianten die Durchführung „unmoralischer“
und „verbrecherischer“ Handlungen wie: töten, lügen, stehlen und die
Ehe brechen?
- Dalai Lama, weshalb
werden entgegen Ihrer ständigen Beteuerungen, der tibetische
Buddhismus sei zölibatär und frauenfreundlich, in den höheren Riten
des Kalachakra-Tantra Frauen sexualmagisch und sexistisch benutzt, um
spirituelle, weltliche und patriarchale Macht zu erlangen?
- Dalai Lama, weshalb
verbieten Sie, obgleich Sie immer wieder die Bedeutung der
„Dialoggesellschaft“ betonen, dass über die Geheimriten des
Kalachakra-Tantra öffentlich diskutiert wird und drohen bei
Zuwiderhandlung mit „Höllenstrafen“?
- Dalai Lama, weshalb haben
Sie mit Leuten aus dem Milieu
des religiösen Faschismus und Sektenterrorismus wie Bruno Beger, Jean
Marquès-Rivière, Miguel Serrano und Shoko Asahara, die sich aus
Inhalten des Shambhala-Mythos für ihre Visionen und Handlungen
inspirieren ließen, so enge Kontakte gepflegt?
- Dalai Lama, weshalb gibt
es von Ihnen keine präzise Exegese der problematischen Stellen des
Kalachakra-Tantra-Textes, die sich unmissverständlich von den
kriegerischen, intoleranten, sexistischen und buddhokratischen
Aussagen des Tantras distanziert, beziehungsweise diese Stellen aus
dem Originaltext streicht?
1. Dalai Lama, weshalb prophezeit und verherrlicht das von
Ihnen als „Ritual für den Weltenfrieden“ angekündigte Kalachakra-Tantra und
der darin enthaltene Shambhala-Mythos einen „Heiligen Krieg“
(Shambhala-Krieg) von Buddhisten (buddhistischen „Gotteskriegern“) gegen
Nicht-Buddhisten?
Dalai Lama,
Sie werden weltweit als der größte "Friedensbotschafter" verehrt,
der sich in vielen öffentlichen Erklärungen gegen jegliche Anwendung von
Gewalt ausgesprochen hat und das Kalachakra-Tantra wird von Ihnen als ein "Beitrag zum
Weltenfrieden" präsentiert. Aber das Kalachakra-Tantra ist alles
andere als pazifistisch, sondern es prophezeit und fördert ideologisch
einen blutigen Religionskrieg zwischen Buddhisten und Nicht-Buddhisten um
die Weltherrschaft (Shambhala-Mythos). Der Originaltext bezeichnet
die buddhistische Kriegsführung als "gnadenlos" und "grausam". Dort heißt es: "Die äußerst wilden Krieger werden die
barbarische Horde niederwerfen" und "eliminieren." (Shri Kalachakra I. 163/165) In
mehreren Strophen beschreibt der Text die mörderischen Superwaffen, welche
die buddhistische Armee gegen die "Feinde der Lehre" einsetzt. (Shri
Kalachakra I. 128 – 142) Der historische Buddha hat den Krieg in
jeglicher Form abgelehnt. Es gab für ihn keinen "Gerechten Krieg"
und schon gar keinen "Heiligen Krieg". Aber gerade weil der
Buddhismus als eine strikte Absage an jegliche Gewalt empfunden wird,
findet er im Westen eine so große Anerkennung. Wie vertragen sich die inhumanen und kriegerischen Textstellen des Kalachakra-Tantra
mit der Friedensvision des Urbuddhismus und Ihren eigenen
Friedensbeteuerungen? Wieso werden im Lamaismus zahlreiche Kriegsgötter und
Kriegshelden (Begtse, Mahakala, Gesar von Ling u. a.) verehrt? Bei sehr erfolgreichen tibetischen und
westlichen Vertretern des Lamaismus wie Lama Chögyam Trungpa und Lama Ole
Nydahl finden sich Leitideen für buddhistische „Gotteskrieger“
(„Shambhala-Krieger“), die auf einem krassen Feindbilddenken aufbauen und
einen Militär-Buddhismus predigen. Was tun Sie, Dalai Lama, gegen eine
solche Entwicklung in den eigenen
Reihen? Wieso kann der von Ihnen designierte Kalachakra-Interpret Alexander
Berzin offen die Prinzipien des islamischen Djihads mit denjenigen des
Shambhala-Krieges vergleichen?
2. Dalai Lama, weshalb werden in dem von Ihnen als „Beitrag zur
Weltökumene und zum Weltethos“ angekündigten Kalachakra-Tantra die drei
monotheistisch-semitischen Religionen, insbesondere aber der Islam, als
„Feinde der Lehre“ angegriffen und ein Religionskrieg gegen den Islam
beschworen?
Dalai Lama,
Toleranz gegenüber anderen Religionen ist
eine Ihrer Grundforderungen, die Sie zur berühmtesten Symbolfigur
des interreligiösen Dialoges gemacht hat. Jedoch widerspricht das von Ihnen
öffentlich als "Beitrag zur Ökumene" vorgestellte
Kalachakra-Tantra-Ritual in zahlreichen Textpassagen krass dem
Toleranzgedanken. Darin werden die Hauptvertreter der
semitisch-monotheistischen Religionen „Adam,
Henoch, Abraham, Moses, Jesus, Mani, Mohammed und der Mahdi“ als die „Familie der dämonischen
Schlangen" bezeichnet, die mit "Tamas", das heißt mit Eigenschaften der Finsternis,
der Täuschung und der Unwissenheit ausgestattet sind. (Shri Kalachakra I. 154) Ein eschatologischer Religionskrieg
gegen das "barbarische
Dharma", insbesondere gegen den Islam, soll nach der
Shambhala-Prophezeiung einer weltweiten Errichtung des "buddhistischen Dharmas" (des Buddhismus) vorausgehen. Der Original-Text spricht davon, dass das "machtvolle, gnadenlose Idol der Barbaren, die
dämonische Inkarnation"
- d. h. der Islam – in „Mekka“
lebt. (Shri Kalachakra I. 154) Finden Sie nicht,
dass in einer Zeit, in der religiöse Kriege und der Kampf gegen den Islam
geradezu die Weltpolitik bestimmen, der im Kalachakra-Tantra anvisierte
Krieg gegen den Islam den Kampf der Kulturen anheizt? In der Zeitschrift News vom 10. Okt. 2002 sagen Sie: „Der
Islam will als Weltreligion gelten, setzt aber genauso wie das Christentum
vor ein paar Hundert Jahren vornehmlich auf Aggression. Das hat mit
Religion nichts zu tun, sondern bloß mit Macht. Und das war sicher nicht im
Sinne des Propheten Mohammed. Religion darf nicht von Macht geleitet
werden.“? Stellen Sie sich nicht
mit einer solchen Aussage in die Tradition des im Kalachakra-Tantra
prophezeiten Shambhala-Krieges?
Weshalb verschweigen sie das aggressive Potential, die buddhokratischen
Machtvisionen und die Intoleranz in Ihrer eigenen lamaistischen Religion?
Dies war sicher nicht im Sinne ihres Religionsgründers Buddha Shakyamuni.
Religion darf nicht von Macht geleitet werden. Weshalb befehlen Sie, als Friedensfürst, einer vorbuddhistische
Dämonin, Palden Lhamo mit Namen, die ihrem eigenen Sohn die Haut abgezogen
hat und diesen als Sattel für ihr Maultier benutzt, weil er sich weigerte,
den buddhistischen Glauben anzunehmen? Glauben Sie, dass solche
Schreckensbilder den Toleranzgedanken und die eigene Toleranz fördern
können? Wieso wird Ihnen von einer traditionellen Glaubensrichtung des
tibetischen Buddhismus wie den Dorje-Shugden-Schule, der Sie früher selber
angehörten, höchste Intoleranz und die Verfolgung religiöser Minderheiten
vorgeworfen?
3. Dalai Lama, weshalb wird im Kalachakra Tantra entgegen Ihren
ständigen Bekenntnissen zur Demokratie die Institution eines Chakravartin
(eines „Weltenherrschers“) beschworen, der einen globalen buddhistischen
„Gottesstaat“ (eine „Buddhokratie“) errichten soll?
Das Kalachakra-Tantra beinhaltet die buddhokratische
Staatslehre vom Chakravartin, einem „Weltenherrscher“. „Am Ende der
Zeiten wird der Chakravartin aus der Götterstadt oberhalb des Berges
Kailash erscheinen. Er wird mit seiner eigenen Armee, die aus vier
Dimensionen besteht, in einer Schlacht die Barbaren in allen Teilen des
Erdkreises niederwerfen.“ – heißt es im Originaltext
des Kalachakra-Tantra. (Shri
Kalachakra I. 161) Ein
„Chakravartin“ gilt nach indischer Tradition als absolutistischer
„Priesterkönig“, als ein „Theokrat“, der die religiöse, politische,
juridische und militärische Macht in Personalunion vereinigt. „Bürgerliche
Gewaltenteilung“ und Demokratie sind in dieser aus dem 10. Jahrhundert
stammenden „politischen Theologie“ und damit auch der Kalachakra-Vision
etwas völlig Unbekanntes. Buddha Shakyamuni dagegen lehnte die
„Weltherrschaft“ ab. Als er vor die Wahl gestellt wurde, ein „Chakravartin“
oder ein Buddha zu werden, entschied er sich explizit für den Weg des
Buddha, d. h. den Weg eines "Erleuchteten" und lehnte den Weg des
Chakravartin, des „Weltenherrschers“ strikt ab. Wieso führen Sie seit über dreißig Jahren weltweit, obgleich Sie sich
nach außen hin zur Demokratie bekennen, das Kalachakra-Ritual durch, in dem
eine globale Buddhokratie mit einem absolutistischen Regenten an der Spitze
das angestrebte Gesellschaftsmodell für unseren Planeten darstellt? Weshalb
unterstützen Sie mit einem Vorwort den buddhokratischen Weltentwurf des
amerikanischen Tibetologen Robert A. Thurman in seinem Buch „Revolution von
Innen“? Weshalb benutzen Sie als Grundlage für Ihre politischen
Entscheidungen ein menschliches Staatsorakel (Nechung), das von einem
mongolischen Kriegsgott (! Pehar) besessen ist und nicht die für jede Demokratie
üblichen politischen Willenbildungsprozesse?
4. Dalai Lama, weshalb fordern entgegen Ihren weltweit
geschätzten sozialethischen Beteuerungen die buddhistischen Tantra-Texte,
insbesondere auch das Kalachakra-Tantra, von den Initianten die Durchführung
„unmoralischer“ und „verbrecherischer“ Handlungen wie: töten, lügen,
stehlen und die Ehe brechen?
In den
geheimen acht höchsten Einweihungen des Kalachakra-Tantra soll der
Initiant durch extreme mentale und physische „Übungen“ in einen Zustand
„jenseits von Gut und Böse“ versetzt werden. Der Original-Text verlangt von
ihm deswegen folgende „Untaten“ und „Verbrechen“: töten, lügen, stehlen,
die Ehe brechen, Alkohol trinken. Selbst Sie legitimieren es, wenn ein
Kalachakra-Adept - unter bestimmten Umständen - Menschen tötet, „die der
[buddhistischen] Lehre Schaden zufügen“ oder „sich anschicken, abscheuliche und unheilvolle Handlungen zu
begehen“. (Dalai Lama – dt. Kalachakra-Tantra – Berlin
2002, S. 365) Auch wenn Sie verlangen, dass die in vielen tantrischen
Texten geforderten Tötungsakte – unter bestimmten Umständen – aus
"Mitgefühl" geschehen sollten, widersprechen Sie damit dem im
ursprünglichen Buddhismus fest verankerten strikten Tötungsverbot. In der
tibetischen Geschichte haben die „Tötungen aus Mitgefühl“ als Legitimation
zur Liquidierung politischer Gegner eine große Bedeutung gehabt und blutige
Spuren hinterlassen. Ethisch
verwerflich empfindet man auch im Westen den rituellen Verzehr von Menschenfleisch,
wie er wörtlich im Kalachakra-Tantra vorgeschrieben ist.
5. Dalai Lama, weshalb werden entgegen Ihrer ständigen
Beteuerungen, der tibetische Buddhismus sei zölibatär und frauenfreundlich,
in den höheren Riten des Kalachakra-Tantra Frauen sexualmagisch und
sexistisch benutzt, um spirituelle, weltliche und patriarchale Macht zu
erlangen?
In den
höchsten geheimen Einweihungen des Kalachakra-Tantra werden
sexualmagische Riten durchgeführt, deren Ziel es ist,
"Sexualität" in weltliche und spirituelle Macht zu
transformieren. Nach den Originaltexten stellen die dabei benutzten Frauen
bestimmte Energieformen dar, wobei das Alter eine wichtige Rolle spielt.
Man beginnt mit 11-jährigen Mädchen. In der 8. bis 11. Einweihungsstufe des
Kalachakra-Tantra wird nur mit "einer" Frau sexualmagisch
experimentiert, in der 12. bis 15. Einweihungsstufe, dem sogenannten Ganachakra,
nehmen neben dem Meister und dem Initianten insgesamt 10 Frauen an dem
Ritual teil. Es ist die Pflicht des
Schülers, seinem Lama die Frauen als "Geschenk"
anzubieten. Frauen gelten im Kalachakra-Tantra
als bloße "Energiespender" für den männlichen Praktikanten und
spielen nach Beendigung des Rituals keine Rolle mehr. Wie vertragen sich
solche Riten mit dem Menschenrecht, das die Gleichberechtigung beider
Geschlechter garantiert und zu dem Sie sich mehrmals öffentlich bekannt
haben? Die Geheimhaltung der Sexualmagie in den höheren Einweihungen des
Kalachakra-Tantra hat zu wilden Spekulationen und Vermutungen geführt.
Weshalb geben Sie hierüber die Diskussion nicht frei, sondern behaupten in
der Öffentlichkeit, dass der tibetische Buddhismus eine zölibatäre Religion
sei, die den Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau für Mönche
grundsätzlich ablehne?
6. Dalai Lama, weshalb verbieten Sie, obgleich Sie immer wieder
die Vorteile der „Dialoggesellschaft“ betonen, dass über die Geheimriten
des Kalachakra-Tantra öffentlich diskutiert wird und drohen bei
Zuwiderhandlung mit „Höllenstrafen“?
Dalai Lama, Sie selber schreiben, dass es den Eingeweihten in die
höheren Stufen des Kalachakra-Tantra bei Höllenstrafen verboten ist, über
die geheimen Inhalte des Rituals öffentlich zu sprechen. In diesem
Zusammenhang drohen Sie in einem Kommentar des Kalachakra-Tantra einem
Schüler: „Was ich dir auftrage, das musst du tun. Du sollst mich nicht
gering schätzen, und falls Du es tust, wird die Zeit des Todes kommen, ohne
dass die Angst von Dir weicht, und du wirst in eine Hölle stürzen.“ (Dalai Lama – dt. Kalachakra-Tantra – Berlin 2002, S. 251)
Der historische Buddha hat dagegen gefordert, nichts zu glauben, sondern
alles durch eigene Erfahrung und nach den Gesetzen der Vernunft zu
überprüfen. (Anguttara Nikaya I,
174). Das ist eine Aussage, die Sie selber auch immer wieder machen.
Weshalb verbieten Sie dann eine öffentlich geführte Debatte über die geheimen
Tantras und die Geheimriten des Kalachakra-Tantra? Weshalb öffnen Sie nicht
die Geheimriten und machen Sie publik und fördern damit ein System des
Okkultismus?
7. Dalai Lama, weshalb haben Sie mit Leuten aus dem Milieu des religiösen Faschismus
und Sektenterrorismus wie Bruno Beger, Jean Marquès-Rivière, Miguel
Serrano, Shoko Asahara, die sich aus Inhalten des Shambhala-Mythos für ihre
Visionen und Handlungen inspirieren ließen, so enge Kontakte gepflegt?
Sie haben mehrmals betont, dass sich die Grundsätze des
Mahayana-Buddhismus besonders mit westlichen Demokratievorstellungen und
dem Gebot der Menschenrechte decken würden. Dies gilt jedoch nicht – bei
einer wörtlichen Interpretation – für zahlreiche Inhalte des tantrischen
Buddhismus, der das Zentrum der tibetischen Religion darstellt. So ist es eine Tatsache, dass der im Kalachakra-Tantra
integrierte Shambhala Mythos (Shambhala-Krieg) zu aggressiven
Verhaltensweisen, megalomanischen Visionen und Verschwörungstheorien sowohl
in der Geschichte asiatischer Völker als auch im religiösen Faschismus und
Neofaschismus geführt hat. Schon im SS-Ahnenerbe, Heinrich Himmlers
Ideologieschmiede, bestand ein Interesse an den Inhalten des Kalachakra-Tantra und der
einflussreiche faschistische Kulturphilosoph
Julius Evola sah im Mythenreich Shambhala das esoterische Zentrum
einer sakralen Kriegerkaste. Diese Vision ist bis heute fest in der
religiösen Ideenwelt des internationalen Rechtsextremismus verankert.
Allein das macht es schon notwendig, sich klar und eindeutig von dem
kriegerischen Shambhala-Mythos zu distanzieren und diesen als Textstelle zu
verbieten. Im Gegensatz dazu haben Sie zu Leuten aus den faschistischen
Milieus, wie dem ehemaligen SS-Mann Bruno Beger (wegen Beihilfe zum Mord in
86 Fällen verurteilt), den SS-Kollaborateur, bedeutenden Orientalisten und
Tantra-Experten Jean Marquès-Rivière (in
absentia wegen der Auslieferung von Juden und Freimaurern an die
Gestapo in Frankreich zum Tode verurteilt),
den Gründer des „esoterischen Hitlerismus“ und ehemaligen
chilenischen Botschafter Miguel Serrano (Cheftheoretiker des SS-Mystizismus) und den japanischen
Terroristen und Hitlerverehrer Shoko Asahara freundschaftliche Kontakte
gepflegt. Da sich das Kalachakra-Tantra gegen alle Religionen, die
einen semitischen Ursprung haben, richtet, kann es sehr leicht von rechtsradikalen, antisemitisch
eingestellten Kreisen für ihre rassistische Propaganda in Dienst genommen
werden und wurde schon in diesem Sinne benutzt.
8. Dalai Lama, weshalb gibt es von Ihnen keine präzise Exegese
der problematischen Stellen des
Kalachakra-Tantra-Textes, die sich unmissverständlich von den
kriegerischen, intoleranten, sexistischen und buddhokratischen Aussagen des
Tantras distanziert, beziehungsweise diese Stellen offiziell aus dem
Originaltext streicht, bzw. ihre Verbreitung verbietet?
Bisher liegt von Ihrer Seite keine klare
Exegese des Kalachakra-Tantras vor, die sich von dem Gewaltpotential des
Textes distanziert. Auf die Frage, inwieweit eine Exegese alter Texte
überhaupt möglich ist, geben Sie widersprüchliche Antworten. Auf der einen
Seite sagen Sie: „Selbst die Worte des Buddha müssen einer kritischen
Prüfung unterzogen werden. So sind einige seiner Aussagen nicht wörtlich zu
verstehen und müssen anders interpretiert werden. Wir haben die Freiheit,
bestimmte Aussagen nicht einfach zu akzeptieren, sondern wir müssen sie
unter entsprechenden Bedingungen neu interpretieren.“ (Dalai Lama – „Augen
der Weisheit“ – Freiburg 2002, 178) Dem widerspricht auf der anderen Seite
konträr Ihre folgende Aussage: „Die Tantras und die Sutras sind die letzte
Autorität, nicht wir. Wenn sich darin eine schriftliche Referenz befindet,
besteht keine Notwendigkeit für uns, diese Dinge aufzukündigen und
anzunehmen, der Buddha hätte in seinem Bewusstsein eine Analogie mit der
westlichen Religion oder Wissenschaft gehabt.“ (in: The Berzin Archives –
Kalachakra Teachings HHDL 2. htm) Wieso ist eine vollständige,
korrekte und kommentierte Übersetzung des Kalachakra-Tantra bisher in einer
westlichen Sprache nicht zugänglich gemacht worden, obgleich Sie schon
Zehntausende von Westlern in dieses Ritual eingeweiht haben?
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