Trimondi Online Magazin

 

KRITISCHES FORUM KALACHAKRA

Forum zur Hinterfragung des Kalachakra-Rituals

 

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Friedensfürst oder Fundamentalist?

Wie glaubwürdig ist der Beitrag des Dalai Lama

zum Weltfrieden und zur Weltökumene?

 

Der Irak-Krieg ist vorbei,  der XIV. Dalai Lama kommt nach Deutschland und spricht über Frieden, Toleranz und die Begegnung der Religionen. Auf dem Ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin wird er am 30. Mai 2003 zum Thema Weltethos einen Vortrag halten und in der Münchner Olympia Halle findet am 1. Juni ein öffentlicher Auftritt vor 10.000 Zuhörern statt. Titel der Veranstaltung: Ein menschlicher Beitrag zum Weltfrieden.

 

In Berlin treffen sich vor allem Menschen, die entschieden den weltweiten Aufstieg des religiösen Fundamentalismus verurteilen. Das tut Not, denn im Zusammenhang mit den kriegerischen Auseinandersetzungen im Mittleren und Nahen Osten spielen nicht allein Ölinteressen eine Rolle, sondern jenseits der machtpolitischen Erwägungen öffnet sich ein erschreckender, religiös fundamentalistischer Überbau, mit dem alle Kriegsparteien mehr oder weniger vernetzt sind: Der „wiedergeborene Christ“ George Walker Bush führt einen „Kreuzzug“ gegen die „Achse des Bösen“; 30 Millionen amerikanischer Evangelikale erwarten in der Region einen nuklearen Holocaust und fördern die Kriege im Mittleren Osten, um das „Zweite Kommen Christi“ vorzubereiten; fanatisierte  Islamisten kämpfen mit Selbstmordattentaten gegen den „Satan Amerika“ und vernichten im Djihad-Wahn Tausende von Unschuldigen; radikale israelische Settler schießen den Weg für den erwarteten Messias frei und versuchen den islamischen Felsendom auf dem Jerusalemer Tempelberg in die Luft zu jagen. Apokalyptiker aller Länder und Religionen haben sich auf den Mittleren Osten als Bühne für ihr Endzeittheater geeinigt, verlangen nach der Errichtung von Gottesstaaten und führen „Heilige Kriege“ gegen Andersgläubige. Sie berufen sich dabei – ob zu Recht oder Unrecht – auf Heilige Texte: die Bibel, den Koran, die Thora.

 

Angesichts des wachsenden monotheistischen Fundamentalismus erscheint vielen der Buddhismus, die „Trendreligion unserer Zeit“, als die wahre Alternative. Freude, Glückseligkeit, Toleranz und Frieden – dies sind die Tugenden, die der als „lebender Buddha auf Erden“ verehrte Dalai Lama weltweit propagiert, und seine Botschaft kommt gut an. Umso erstaunlicher ist es, dass sich der gefeierte „Friedensfürst“ im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg auffallend zurückgehalten hat. Ausweichend, verwaschen, spärlich und nichtssagend, generell und abstrakt wurde von ihm argumentiert. Über „inneren“ Frieden, über Frieden „an sich“ und über Frieden „im allgemeinen“ war in den wenigen Stellungnahmen die Rede. Im Gegensatz zu seinen Nobelpreis-Kollegen und Freunden Jimmy Carter, Nelson Mandela und Desmond Tutu, die im gegeben Fall konkret und direkt das Vorgehen der Bush-Administration beim Namen nannten, scharf verurteilten und (wie im Falle Tutu) öffentlich dagegen demonstrierten, verhielt sich der tibetische Religionsführer verdeckt und ambivalent.

 

Im Gegensatz auch zu Papst Johannes Paul II. Dieser sprach sich mit Engagement und unermüdlicher Durchhaltekraft gegen den Irak-Krieg aus und das völkerrechtswidrige Vorgehen der Bush-Regierung aus. Durch ununterbrochene Appelle, Audienzen, Presserklärungen, Briefe, Gesandte, setzte er alles Mögliche in Bewegung. Der gesamte Kirchenapparat wurde für den Friedenszweck mobilisiert: In Predigten, Andachten, Messen, Synodalbeschlüssen, Bischofsworten, ökumenischen Treffen machte der Vatikan mobil. Er lehnte die Absegnung eines präventiven Angriffskrieges als Mittel der Politik strikt ab. Unbeirrt, ohne Kompromiss und völlig klar wurde diese Friedensposition bis zum Ende des Irak-Krieges und darüber hinaus durchgehalten. Das brachte dem Papst auch bei jedem Nicht-Christen, der sich für den Frieden einsetzt, und bei vielen seiner zahlreichen Kritikern einen hohen Respekt ein.

 

Verglichen mit diesem päpstlichen Einsatz, dem weltweiten Engagement von Künstlern und Wissenschaftlern und den Millionen von Friedensdemonstranten  muss der Einsatz des Dalai Lama als beschämend dürftig angesehen werden. Ja es gab darüber hinaus in den letzten Jahren Äußerungen von ihm, die man von dem berühmtesten „Pazifisten“ der Welt kaum erwartet hätte: Aus dem Jahre 1998, als die Inder ihre Atombomben testeten und sich der Konflikt mit Pakistan gefährlich zuspitzte,  stammt seine Aussage, Indien könne von den entwickelten Ländern nicht gezwungen werden, seine atomaren Sprengkörper wegzugeben: „Die Vorstellung, dass wenige Länder nukleare Waffen besitzen dürfen und der Rest der Welt nicht – das ist undemokratisch.“ Am 24. Oktober 2001 legitimierte er den Afghanistan-Krieg, da es sich bei den Bombardements der U.S.A. „um einen reiferen Zugang als in vorangegangenen Kriegen“ handele. „Ich bin erstaunt und bewundere in diesem Augenblick, dass anders als im ersten und zweiten Weltkrieg, im Korea-Krieg und im Vietnam-Krieg“ die amerikanische Seite „sehr, sehr vorsichtig bei der Auswahl der Angriffsziele umgeht.“ Angesichts der völkerrechtswidrigen Streubomben, die von den Amerikanern abgeworfen wurden, und angesichts der großen Todeszahl von Frauen und Kindern sind solche militärtechnischen Reflexionen für einen „Pazifisten“ äußerst befremdlich.

 

Fünf Tage vor Bushs Kriegserklärung, am 11. März 2003, auf dem Höhepunkt der weltweiten Friedensproteste, gab der Dalai Lama neben ein paar allgemeinen Friedensfloskeln unter anderem bekannt: „Alles, was wir tun können, ist zu beten für eine schrittweise Beendigung der Kriegstradition. […] Aber ich weiß nicht, ob unsere Gebete von irgendeiner praktischen Hilfe sein werden. Aber das ist alles, was wir für den Moment tun können.“ Am 22. März ließ er durch sein  Office erklären, es handele sich, im Falle des Irak-Krieges „um eine sehr komplizierte Angelegenheit und deswegen gibt es Grenzen dafür, was Seine Heiligkeit tun kann, vor allem im Hinblick auf  seine besondere Verantwortung gegenüber dem tibetischen Volk.“ Er schätze jedoch alle diejenigen, welche sich für eine friedliche Lösung einsetzen und biete seine Gebete an.

 

Vierzig Tage lang, während die Amerikaner und Briten ohne UNO-Mandat und ohne den Beweis  über Massenvernichtungswaffen erbringen zu können, Tonnen von Bomben über Bagdad abwarfen, als hilflose Menschen zerstückelt wurden, als Kinder starben, als vor den Augen der Alliierten unschätzbare Kulturwerte vernichtet und Krankenhäuser leergeplündert wurden, als die gesamte Infrastruktur des Landes zusammenbrach verhielt sich der „Friedensfürst“ aus Tibet völlig still! Erst  am 2. Mai 2003, als der Krieg schon vorbei war, meldete er sich wieder zu Wort und gab bekannt, dass er am 7. Mai eine weltweit vernetzte Gebets Viertelstunde für den Weltfrieden und Gewaltlosigkeit abhalte. Die Zeit für unverbindliche „Friedenssprüche“ war wieder gekommen.

 

Doch – im Gegensatz zu früher – fällt die Zwiespältigkeit des XIV. Dalai Lama in Friedensfragen, wenn es darauf ankommt, immer mehr Menschen auf. Einer davon ist Elton John. Schon wenige Wochen nach dem 11. September kritisierte der englische Popmusiker den spirituellen Superstar in der Zeitschrift us Weekly wegen seiner müden „Friedenspolitik“. Elton John benutzt in seiner Polemik so krasse Sätze, dass man sie wohl besser im englischen Original wiedergibt: „But you know, in times of war and times of aggravation, where ist this peacemaking man when you need him? F...ing nowhere to be seen. And that says it all: F...ing asshole.”

(www.tibet.ca/wtnarchive/2001/10/18_6.html)

 

Was steht hinter dieser auffälligen Zurückhaltung des Dalai Lama? Geschieht sie aus Desinteresse, aus einem politischen Kalkül, um es nicht mit den Amerikanern zu verderben oder steckt noch etwas anderes dahinter?

 

Es gibt gute Gründe dafür, das Verhalten des Dalai Lama im zweiten Irak-Krieg aus sehr ähnlichen apokalyptischen Prophezeiungen heraus, die auch jüdische, christliche und islamische Fundamentalisten faszinieren, zu erklären und zu verstehen. Seit fast 50 Jahren veranstaltet das Oberhaupt des tibetischen Buddhismus eine besondere Masseninitiation, in die schon viele Hunderttausende von buddhistischer Gläubige "eingeweiht" wurden und die er als einen Beitrag zum Weltenfrieden anpreist. Diesem Ritual liegt ein Heiliger Text, das sogenannte Kalachakra-Tantra und die darin enthaltene Shambhala-Prophezeiung zugrunde. "Kalachakra" (Sanskrit) bedeutet "Rad der Zeit". Im Oktober 2002 wurde das Kalachakra-Tantra-Ritual in Graz mit 10.000 Teilnehmern, mit der Unterstützung der österreichischen Polit-Prominenz und mit öffentlichen Geldern durchgeführt. Kalachakra heißt auch der ganz und gar apologetische Dokumentarfilm zu dieser lamaistischen Einweihung, den der Regisseur Werner Herzog kürzlich auf den Markt gebracht hat.

 

Der prophetische Endzeit-Text aus dem 10. Jh. n. Chr. ist alles andere als friedfertig. „Gute“ und „Böse“, „Gläubige“ und „Ungläubige“, Buddhisten und Nicht-Buddhisten schlachten sich hier in einem endzeitlichen Vernichtungskampf ab. "Die äußerst wilden [buddhistischen] Krieger werden die barbarische Horde niederwerfen" und "eliminieren." – heißt es im Original. (Shri Kalachakra I. 163/165) Als spirituelle Hauptgegner der militanten Shambhala-Krieger gelten die wichtigsten Repräsentanten aller drei monotheistischen Religionen: “Adam, Noah, Abraham, Moses, Jesus, Mani, Mohammed und der Mahdi.“ Das Kalachakra-Tantra brandmarkt sie als "die Familie der dämonischen Schlangen". (Shri Kalachakra I. 154)

 

Seitenlang und mit Begeisterung fürs Detail  beschreibt die Prophezeiung die mörderischen Superwaffen, über welche die Shambhala Armee verfügt und die sie gegen alle "Feinde der [buddhistischen] Lehre" einsetzt. (Shri Kalachakra I. 128 – 142) Moderne lamaistische Kommentatoren dieser Rüstungsphantasien ergehen sich in spektakulären Vergleichen mit Waffengattungen wie Laserkanonen und nuklearen Sprengsätzen aus dem 21. Jahrhundert. Und wie steht es mit dem berühmten Tötungsverbot des Shakyamuni Buddha? Auch in diesem Fall gibt das Kalachakra-Tantra im „Kampf gegen das Böse“ gewisse Freizügigkeiten. Der Dalai Lama selber legitimiert es, wenn ein Kalachakra-Schüler - unter bestimmten Umständen - Menschen tötet, „die der [buddhistischen] Lehre Schaden zufügen“ oder „sich anschicken, abscheuliche und unheilvolle Handlungen zu begehen“. Ebenso legitimiert der Kalachakra-Experte, Thomas Lautwein, Vorstandmitglied des lamaistischen Chödzong Vereins in Hamburg, diese Tötungslizenz, wenn auch mit einer Einschränkung: „Die Vernichtung eines anderen Wesens sollte man als Tantriker aber nur dann in Erwägung ziehen, wenn man gleichzeitig die Fähigkeit besitzt, das Bewusstsein des Getöteten in eine bessere Wiedergeburt zu transferieren.“

 

Alle Teilnehmer an einem Kalachakra-Ritual genießen das fragwürdige Recht, als "Shambhala-Krieger" zu reinkarnieren, um in der prophezeiten Endschlacht je nach Rang als Fußvolk oder als Offizier zu kämpfen. Für die Wiedergeburten hoher Lamas sind jetzt schon die Posten im Generalstab vergeben – sagt Edwin Bernbaum, ein populärer Interpret des Tantras unter Berufung auf tibetische Stimmen. Die imposante Bildgalerie von 26 dieser „Shambhala-Generäle“ mit dem Dalai Lama an der Spitze, einer Frau und zwei Chinesen sind im Internet auf der offiziellen Homepage www.kalachakra.com abgedruckt. Nach einer Vision des Lamas Kamtrul Rinpoche ist es der wiedergeborene „Gottkönig“ selber, der als zorniger Feldherr die lamaistischen Heere in die Shambhala-Schlacht führt, um "alles Böse im Universum" zu vernichten.

 

Sehr erfolgreiche tibetische und westliche Lamas wie der (mittlerweile verstorbene) Chögyum Trungpa und der Däne Ole Nydahl orientieren sich nach Leitideen des Kalachakra-Tantra, die auf einem krassen Feindbilddenken aufbauen und einen Militär-Buddhismus fordern. In Trungpa-Zentren wird nicht nur meditiert: Statt in Klosternischen leben seine Shambhala Krieger in Militärcamps und veranstalten kleine Militärparaden, statt schlichte Mönchsroben tragen sie Uniformen. Beim morgendlichen Appell werden die tibetische und amerikanische Flagge gehisst und die Nationalhymnen beider Völker erklingen. Das mag angesichts moderner Militärmaschinerien lächerlich erscheinen, aber für die Beteiligten haben diese martialischen Inszenierungen, die auf die kommende Shambhala-Schlacht vorbereiten, einen hohen Symbolwert. Auch der wegen rassistischer Äußerungen in die Kritik geratene Ole Nydahl propagiert offen die kriegerischen Seiten des Buddhismus. „Schließlich war er [der Buddha] selbst ein Kshastri, also aus der Kriegerkaste des alten Indien.“ – betont der Däne.

 

Buddhistische Missionare des Kalachakra-Tantra vertreten zudem einen primitiven Märtyrer-Kult, der demjenigen der moslemischen Mujaheddin ähnelt: Wer während der Shambhala Schlacht erschlagen wird, erhält als Belohnung einen garantierten Eintritt ins Paradies. Überhaupt sind die Parallelen zur muslimischen Djihad-Philosophie so eklatant, dass der nordamerikanische Professor und Buddhist, Alexander Berzin, vom Dalai Lama designierter Experte des Kalachakra-Tantra, zu dem Schluss kommt: "Die Kalachakra Darstellung des Shambhala Krieges und die islamische Diskussion über den Djihad zeigen bemerkenswerte Ähnlichkeiten." Diese Affinitäten existieren jedoch nicht zwischen zwei Brüdern, sondern sie trennen zwei Todfeinde. Klar und eindeutig spricht das Kalachakra-Tantra von einem Krieg der Religionen zwischen der islamischen und buddhistischen Welt. Buddhisten kämpfen gegen Muslime, die im Text als mleccha bezeichnet werden. Das bedeutet sowohl "Barbaren", als auch "Einwohner Mekkas". Unter diesem Aspekt ist auch das folgende Statement des Dalai Lama zu werten, das dieser am 10. Okt. 2002 in einem Interview der Wiener Zeitschrift News machte: „Der Islam will als Weltreligion gelten, setzt aber genauso wie das Christentum vor ein paar Hundert Jahren vornehmlich auf Aggression. Das hat mit Religion nichts zu tun, sondern bloß mit Macht. Und das war sicher nicht im Sinne des Propheten Mohammed. Religion darf nicht von Macht geleitet werden.“ Macht auf allen Ebenen, auf der geistigen, der materiellen und der politischen, ist jedoch auch die zentrale Achse, um die sich das Kalachakra-Tantra dreht.

 

In die jüngsten Ereignisse des Mittleren Ostens wird das Kalachakra-Tantra durch den  berühmten Vers I. 154 hineingezogen. Dort ist von „Bagdad“ und „Mekka“ die Rede, wo die Feinde der Shambhala-Buddhisten ihr Imperium des Bösen in Zukunft aufbauen werden. Zwar soll der prophezeite Weltkrieg mit dem Islam erst in drei oder vierhundert Jahren stattfinden (das Christen- und das Judentum sind mittlerweile von der historischen Bühne abgetreten), aber er wirft jetzt schon seine Schatten voraus. So glaubt Ole Nydahl, spiritueller Führer der Diamantenweg-Sekte, dass „die in den ‚Rad der Zeit Tantras’ vorausgesagten Auseinandersetzungen bereits laufen, was sich nüchterne Beobachter von politisch-religiösen Strömungen weltweit inzwischen gut vorstellen können.“ Auch der Tibetologe Robert Thurman, Leiter des Tibet House in New York und enger Freund des Dalai Lama, sah – wenn auch selber ein Gegner des Irak-Krieges – in dem amerikanischen Präventivschlag einen Vorboten der endzeitliche Shambhala-Schlacht: „Viele Welttraditionen haben apokalyptische Visionen schon seit Jahrhunderten und Jahrtausenden, und es mag wohl die aktuelle Situation unseres Planeten sein, die einige wirklich visionäre Menschen voraussahen.“

 

Die unerbittliche Konfrontation mit dem Islam hat ihre geschichtlichen Wurzeln. Im 10. Jh. n. Chr., als das Kalachakra Tantra entstand, wurde die hinduistische und buddhistische Welt in Indien und Zentralasien von grausamen islamischen Armeen erobert und musste schmerzhafte Verluste und tiefe Demütigungen hinnehmen. Der Kalachakra Experte Alexander Berzin vermutet, dass das vorislamische Kabul in Afghanistan, ein bedeutendes Zentrum des Kalachakra-Kultes gewesen sei. In der viel beachteten Zerstörung der Buddha-Statuen von Banyan (Nord-Afghanistan) durch die Taliban, flackerte der alte Konflikt zwischen beiden Religionen erneut auf. Das Kalachakra-Tantra ist – historisch gesehen – eine lamaistische Revanche für eine erlittene Niederlage. „Für Buddhisten sitzt diese Erfahrung so tief wie für die Muslime das Trauma der Kreuzzüge.“ – schreibt Klemens Ludwig, Leiter der deutschen Tibetinitiative, in der FAZ.

 

So wundert es einen nicht, dass das Kalachakra-Tantra und die darin enthaltene Shambhala-Prophezeiung immer wieder die Faszination rechtsradikaler Ideologen hervorruft. Angefangen von Nazi-Wissenschaftlern aus dem „SS-Ahnenerbe“ bis hin zum religiösen Neofaschismus - es gibt viele aus diesem Milieu, die mehr oder weniger an der Philosophie des lamaistischen Textes und seiner Mythen interessiert waren und sind. Da sich das Kalachakra-Tantra gegen alle Glaubensrichtungen semitischen Ursprungs richtet, wurde und wird es von antisemitisch eingestellten Kreisen für ihre rassistische Propaganda in den Dienst gestellt. Die vergangenen freundschaftlichen Treffen des Dalai Lama mit ehemaligen SS-Männern (dem Bergsteiger Heinrich Harrer und dem wegen Beihilfe zum Mord verurteilten Rassenspezialisten des SS-Ahnenerbes, Bruno Beger), mit dem französischen Faschisten und wegen Kollaboration mit der Gestapo in absentia zum Tode verurteilten Orientalisten Jean Marquès-Rivière sowie mit dem Gründer des "esoterischen Hitlerismus", dem chilenischen Diplomaten Miguel Serrano, zeigen, dass es persönliche Kontakte zu faschistischen Ideologen gab.

 

Der Shambhala-Mythos bildete zudem die ideologische Grundlage für den Terrorismus des japanischen Endzeitgurus Shoko Asahara. Aus Lehren des Kalachakra-Tantra leitete er seine Weltuntergangsvisionen ab. Er beabsichtigte, die Zeit bis zum Ausbruch des Shambhala-Krieges zu beschleunigen und begründete damit seine Giftgasanschläge in der Tokioer U-Bahn. Asahara war der erste Sektenführer, der seine Mordtaten gegen "Unbeteiligte" außerhalb der eigenen Organisation durchführte und somit die Tore für den religiös-motivierten internationalen Terrorismus vorbereitete, der heute zum Thema Nr. 1 der Weltgemeinschaft geworden ist.  Der Dalai Lama nannte den Sektenführer, den er insgesamt  fünfmal getroffen hatte und von dem er große Spendensummen erhielt, auch noch nach dem Anschlag einen „Freund, wenn auch einen unvollkommenen.“ Asahara brachte ebenfalls die Shambhala Prophezeiungen mit den Kriegsereignissen des Mittleren Osten in einen Zusammenhang: “Kurz wir steuern auf Armageddon zu.“ – ließ er verlautbaren – „Das wird besonders klar, wenn man die Situation im Mittleren Osten analysiert. [...] Und was wird nach dem Armageddon geschehen? Nach Armageddon werden alle Lebewesen in zwei Kategorien geteilt: diejenigen die in […] den Himmel aus Licht und Tönen eingehen, und denjenigen, die in die Hölle geworfen werden. [...] Nuklear-Kriege, bakteriologische Waffen, chemische Waffen, mit welcher Art von Waffen wir auch immer angegriffen werden mögen, wir müssen und selbst verteidigen und einen Platz für unsere spirituellen Praktiken finden.“

 

Der Kalachakra-Text weist noch viele andere religionspolitische Muster auf, die von Fundamentalisten gleich welcher Couleur in Anspruch genommen werden können: eine theokratische (hier: buddhokratische) Staatsidee; die Errichtung eines (buddhistischen) Weltimperiums mit einem Priesterkönig (Chakravartin) an der Spitze; die totale persönliche Unterwerfung des Individuums unter den Willen eines Guru; die spirituelle und körperliche Ausbeutung der Frau; auf Magie basierende Bewusstseinsmanipulationen; Weltuntergangsprophezeiungen. Durch meditative und sexualmagische Geheimpraktiken wird sowohl ein kommender Weltenkrieg suggeriert, als auch der unausweichliche Weltuntergang vorbereitet. Das Kalachakra-Tantra ist deswegen in seinem Kern ein höchst destruktiver Ritus, hinter dem sich fundamentalistische Abgründe verbergen, die sich jederzeit auftun können. Schon 1986 hatte der deutsche Autor und Sinologe Tilman Spengler in der Zeitschrift Geo festgestellt: "Dabei hat der Ursprung des Kalachakra zunächst wenig mit Frieden zu tun. Kalachakra bedeutet 'Rad der Zeit', und so heißt auch ein machtvoller Gott der Buddhisten, dem es um die Überwindung negativer Kräfte und die Errichtung des mythischen Reiches Shambhala ging - wozu allerdings auch die Vertreibung der Muslims, der Erzfeinde der Buddhisten, gehörte."

 

Das Kalachakra-Tantra steht in direkter Kontroverse zu dem nach außen hin propagierten Pazifismus des Dalai Lama. Eingedenk der kriegerischen Geschichte des Lamaismus, zerfällt hier das Bild von einer tibetischen „Friedens- und Glücksreligion“. Europäische Werte wie die Unantastbarkeit der Persönlichkeit, Demokratie, Meinungsfreiheit, Menschenrechte und die Gleichberechtigung der Geschlechter sind der Kalachakra-Philosophie ganz und gar unbekannt. Hier zerfallen aber auch Prinzipien, die der historische Buddha gelehrt hat, wie Friede, Tötungsverbot und Abkehr von der weltlichen Herrschaft.  Für Shakyamuni gab es keinen "Gerechten Krieg" und schon gar keinen "Heiligen Krieg" und als er vor die Wahl gestellt wurde, ein „Chakravartin“ oder ein „Buddha“ zu werden, entschied er sich explizit für den Weg des Buddha, d. h. den Weg eines "Erleuchteten" und lehnte den Weg des Chakravartin, eines „Weltenherrschers“, strikt ab.

 

Die Fundamentalisten aller drei monotheistischen Religionen beschwören die Vernichtung Andersgläubiger und träumen von einem Gottesstaat, in dem ihr jeweiliger Gott das absolute Sagen hat. Das ist bekannt und wird heute offen und allerorts diskutiert. Dagegen hat sich der "liberale" Westen im Falle des "Buddhismus" bisher der Täuschung hingegeben, es handele sich in diesem Fall um die friedlichste aller Weltreligionen. Selbst Atheisten und Agnostiker pflegen – bar jeglicher Geschichtskenntnis – die Buddha Lehre als den "sanften Weg" gegen die "aggressiven" semitischen Glaubensrichtungen auszuspielen. So kann sich die östliche Religion im Krieg zwischen jüdischen, christlichen, und muslimischen Fundamentalisten als eine bessere Alternative anbieten. Mit Unrecht: Auch der Buddhismus hat seine Schattenseiten, auch seine kriegerischen „Heiligen Texte“ bedürfen dringendst einer friedlichen Exegese oder einer entschiedenen Distanzierung. Hinzukommt, dass im Gegensatz zu den monotheistischen Apokalypsen im Kalachakra-Tantra der Weltuntergang bewusst durch magische Riten und meditative Praktiken simuliert wird.

 

Das Kalachakra Tantra, diese summa theologia des Lamaismus, erweist sich jedoch mittlerweile als die Achillesverse des Dalai Lama. Dieses Ritual, das er mit erstaunlichem Aufwand seit 50 Jahren vor Zehntausenden von Menschen in vielen Ländern durchführt,  ist die primäre Ursache dafür, dass die internationale Kritik an ihm und seiner Religion ständig zunimmt. Bücher, Presseberichte, Internetforen und Dokumentarfilme sorgen für kontinuierliche Aufklärung. Die zum Teil mit drastischen und verleumderischen Mitteln durchgeführten Versuche, die Kritiker zum Schweigen zu bringen, sind nicht gelungen. Während seines Besuches im Jahre 2000 in München gab es erstmals Studentenproteste unter der Parole: „Den ‚Friedensfürsten’ Dalai Lama demaskieren!“ Die Münchner Presse empfing damals den „Gott-König“ mit gespaltenen Gefühlen. „Ein umstrittener Gast“ – schrieb die Süddeutsche Zeitung und die Abend Zeitung fragte: „Der Dalai Lama - willkommen in München? Auftritt am Sonntag - Kritiker formieren sich“. Zusehends werden die Medien auf  „den religiösen Wahn“ und „die Rückkehr des Mittelalters" aufmerksam, die bisher gutgläubig und naiv als „Friedensbotschaft“ auch aus dem religiösen Osten importiert wurden. Der Wiener Standard publizierte am 03. 09. 02 anlässlich der Kalachakra Einweihung in Graz einen heftig diskutierten Artikel mit dem Titel: „Ein Kriegsritus beim Dalai Lama: Das Kalachakra“. Zwei Tage später zog der Rheinische Merkur nach: „Äußerst wilde Krieger – Was sich hinter dem Kalachakra verbirgt.“ (05.09.02)  Im ORF-TV war die „Kritik am Friedensritual in Graz“ während der 10tägigen vom Dalai Lama durchgeführten Performance ein Dauerthema. Am 19. März 2003 wurde dort in der Sendung „Treffpunkt-Kultur“ der Regisseur Werner Herzog bedauert, weil er mit seinem Kalachakra-Film dem Dalai Lama auf den Leim gegangen sei.

 

Auch christliche Religionsvertreter werden mehr und mehr sensibilisiert. Der Basler Theologe und Buchautor Bruno Waldvogel-Frei warnt: „Die Unwissenheit ist alarmierend. Nicht einmal durchschnittliche praktizierende Buddhisten kennen die Hintergründe und Ziele des tantrischen Buddhismus, dessen höchstes Tantra das Kalachakra darstellt. […] Der unbestrittene Meister dieses Systems ist der Dalai Lama selbst. Ahnungslos werden von uns Westeuropäern Symbole und Riten konsumiert, deren Konsequenzen unmöglich kommentarlos hingenommen werden können.“ Selbst in den eigenen Reihen scheint – dank sich verbreitender Kritik – das tantrische Ritualwesen Unbehagen hervorzurufen: „Abschließend will ich aber nicht verhehlen, dass auch ich einige Bedenken in Betreff auf das buddhistische Tantra habe.“ – sagt Thomas Lautwein in einem Aufsatz über das Tantra – „Aus dem bisher Gesagten dürfte deutlich geworden sein, ein wie anspruchsvoller und heikler Weg der Diamantweg [die tantrische Einweihung] ist, und es dürfte klar sein, dass er nur für wenige [d. h. nicht für die Hunderttausende, die der Dalai Lama einweiht] geeignet ist. Dennoch geben tibetische Lamas überall im Westen häufig tantrische Einweihungen, bei denen man davon ausgehen kann, dass ein Gutteil der Teilnehmer an solchen Veranstaltungen komplett überfordert ist.“ Das wäre aber noch das Geringste. Gefährlicher sind die polit-religiösen Folgen, mögen diese nun von den Ritualisten beabsichtigt sein oder nicht. So schreibt Georg Schmid, Professor für Religionswissenschaften an der Universität Zürich: „Shambhala, die  im Kalachakra-Text anvisierte Buddha-Herrschaft, wurde auch in der Geschichte des tibetischen Buddhismus mehr als einmal als konkret politisch anzustrebendes Ziel verstanden. Der letzte bekannte Vertreter eines politisch und militärisch organisierten Shambhala ist Shoko Asahara, der Giftgasguru aus Japan, der dem tibetischen Buddhismus und dessen Symbolik sehr nahe stand. Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Kriegermentalität entwickelt in allen Kulturen ihre eigene Dynamik.“ 

 

Wenn der Dalai Lama auf dem ersten ökumenischen Kirchentag in Berlin und in der Olympiahalle mit seinem charakteristischen Lächeln und mit erbauenden Worten von Weltethos, Frieden, Toleranz, gewaltfreiem Miteinander der Völker und Religionen, von Glück und innerer Freude spricht, dann wollen sich seine Zuhörer nur allzu gerne verzaubern lassen. Es sei denn sie machen sich über die Hintergründe klug, wie der Journalist Uwe Mattheiss, der unter dem Eindruck der Kriegsvisionen des Kalachakra-Tantra in der Süddeutschen Zeitung schrieb: „Die Eignung des Buddhismus als Selbstbedienungsladen für einen postmodernen Hedonismus  wäre damit widerrufen. Was bleibt ist die ganz reale Koexistenz der Weltreligionen. Sie erfordert Regeln und Verfahren für den Umgang mit dem, was sie trennt.  Die Kritik an der fremden Apokalypse muss wohl mehr aufbieten als die eigene Vision vom clash of civilizations.“

Victor & Victoria Trimondi

 

 

© Victor & Victoria Trimondi