Denaturierung des wahren Heilsweges,
den der authentische Buddha predigte
Peter
Scholl Latour über den Dalai Lama, das westliche Tibetbild, den tibetischen
Buddhismus und die lamaistische Apokalypse
In seinem Buch „Die Angst des
weißen Mannes – Ein Abgesang“ (2009)
setzt sich Peter Scholl Latour auch mit der Geschichte Tibets, der Rolle
des Dalai Lama und den Olympiaprotesten auseinander. Er reflektiert die
Faszination des Westens am tibetischen Buddhismus und an seinem höchsten
Repräsentanten und erwähnt in diesem Zusammenhang sogar zwei Grundpfeiler
der lamaistischen Eschatologie, den so genannten Shambhala-Mythos und das
Kalachakra-Tantra. Das Tibet-Kapitel ist das Resultat einer Reise nach
Lhasa im Jahre 2007, die der Journalist im Alter von 83 durchführte.
Nach Scholl Latour war die
Störung der olympischen Spiele durch die Tibeter eine abgekarrte Sache
gewesen, um China zu demütigen: „Das internationale Kesseltreiben gegen
einen harmonischen Ablauf der Pekinger Olympischen Spiele war planmäßig
vorbereitet worden. Es gipfelte in der hässlichen Gewaltszene, als in Paris
ein paar ‚Menschenrechtler‘ einer körperlich behinderten Athletin die
Olympische Flamme brutal entreißen wollten.“ (302) Die Gewalt sei eindeutig
„von rotgewandeten Lamas und ihren Gefolgsleuten ausgegangen, die angeblich
im Namen ihrer buddhistischen Lehre sich solcher Übergriffe hätten enthalten
müssen. Jedenfalls war die Brandschatzung chinesischer Geschäfte und
Niederlassungen, die entfesselte Volkswut, die sich plötzlich nicht nur
gegen die fremden Besatzer, sondern auch gegen die muslimische Minderheit
der Hui entlud, das Produkt einer präzisen Planung. Um das festzustellen,
bedarf es keiner finsteren Verschwörungstheorien.“ (303) Die „westlichen
Medien“ hätten „die Zwischenfalle nach Kräften aufgebauscht“. So sei die
die Niederknüppelung tibetischer Demonstranten vor der chinesischen Botschaft
in der nepalesischen Hauptstadt Katmandu im Fernsehen so dargestellt
worden, „als seien es chinesische und nicht nepalesische Polizisten, die
erbarmungslos die Schlagstöcke führten.“ ( 303)
Es sei den „Drahtziehern der
Anti-China-Kampagne“ jedenfalls gelungen, „den sportlichen Wettbewerb, von
dem sich die Milliardenbevölkerung des Reiches der Mitte weltweite
Gemeinsamkeit und eine durchaus berechtigte Anerkennung ihrer Leistungen
versprach, in einen Schauplatz von Zank, Eifersucht und Missgunst zu verwandeln.
Wer meint, mit diesen Manipulationen, die sich sogar in der verzerrten
Berichterstattung der Olympischen Spiele von Peking widerspiegelten, den
hehren Zielen von Freiheit und Menschenrechten gedient zu haben, sollte
sich bewusst sein, dass - von einigen Außenseitern abgesehen - beim größten
Volk der Erde der Eindruck entstand, in eine Diskriminierung und
Missachtung zurückgestoßen zu werden. “ (304-305)
In einem geschichtlichen
Rückblick erwähnt Scholl Latour sehr wohl die „brutalen Unterdrückungsmethoden“
der chinesischen Volksbefreiungsarmee gegen die Tibeter, aber sie habe auch
„der schauerlichen Rückständigkeit ein Ende gesetzt und die Voraussetzungen
für technischen Fortschritt und die Anhebung des bislang erbärmlichen
Daseins gefördert.“ (305)
In einem kurzen
geschichtlichen Abriss über verschiedene Staaten des Theravada- oder
Hinayana-Buddhismus zeigt er, dass ebenfalls in diesen Staaten
(Kambodscha, Burma, Sri Lanka,
Thailand) keineswegs das Gesetz der Gewaltlosigkeit geherrscht habe und
herrsche. Selbst der Sagen umwobene buddhistische König Ashoka sei alles
andere „als ein Held der Sanftmut und der Duldsamkeit“ gewesen.
Über die indische „Residenz“ des XIV. Dalai Lama
schreibt der Autor: „Wer den Buddhismus als Märchen unserer Tage, als verwirklichten
Traum von Shangri-La erleben will, der begebe sich nicht nach Dharamsala,
dem Amtssitz des Dalai Lama auf indischem Boden, wo sich im Umkreis eines
recht harmlosen Gott-Königs alle nur denkbaren Geheimdienste tummeln.“
(310)
Der Gründergestalt des tibetischen Buddhismus,
Guru Rinpoche oder Padmasambhava, der durch seinen bizarren Lebensstil
auffällt, wird durch eine der vielen Anekdoten vorgestellt, die von diesem
Großzauberer (Maha Siddha) überliefert sind: „Dieser heilige Lama, auch als
Lotus-geborener Padmasambhava verehrt, hat sich durch erotische
Extravaganzen und grobe Scherze hervorgetan. So soll er bei einer einzigen
Mahlzeit eine ganze Kuh und eine Ziege mit Haut und Haaren verspeist haben.
Es folgte ein gewaltiger Rülpser, und Guru Rinpoche erbrach ein kurioses
Tier, das nur in dieser Himalayazone anzutreffen ist und als eine Art
Wunderwesen gilt. Ich habe die ‚Rinder-Gemse‘ mit den Ausmaßen eines Kalbes
und zotteligem grauem Fell als besonders hässliche Tiergattung empfunden.“
(312)
Scholl Latour hatte den Eindruck, dass es im
Königreich Bhutan die Buddha-Lehre eine weit friedlichere Variante
darstellt als die im alten Tibet. Das gilt auch für die dortige Rezeption
des Guru-Rinpoche: „Auf keinen Fall darf der Fremde jedoch dem Irrtum
verfallen, die Glückseligkeit des Drachenreichs von Bhutan, die sanfte
Lebensfreude seiner Menschen ließen sich mit den Zuständen vergleichen, die
vor dem Einmarsch der chinesischen Volksbefreiungsarmee im Gottesstaat der
rotgewandeten Lamas von Tibet vorherrschten. Selbst Guru Rinpoche, der sich
in Bhutan als eine Art heiterer, glückspendender Kobold präsentiert,
gewinnt am Nordrand des Himalaya ein furchterregendes Antlitz und
unterwirft die auf ihn eingeschworene Gefolgschaft des Dalai Lama seinen zornigen
Launen, seiner unberechenbaren Willkür.“ (313
Das Kapitel „Die Botschaft des Goldaffen“
beginnt mit einem Zitat von Victor und Victoria Trimondi: „ ‚Es ist
unglaublich, fast unheimlich, mit welcher Ignoranz die treuherzigen
Deutschen den Dalai Lama, diesen gelb-roten ‚Gott zum Anfassen‘, der erst
im zwanzigsten Jahrhundert dem finstersten Mittelalter entsprungen ist und
der sich mit erstaunlichem Geschick westliche Begriffe von Liberalismus,
Humanismus und Psychologie angeeignet hat, als ‚Jesus der Neuzeit‘
anbeten.‘“ (314) Scholl Latour kommentiert: „Das Zitat habe ich den
Tibet-Experten Victor und Victoria Trimondi entliehen. Aus persönlichem
Antrieb hätte ich nicht gewagt, ein so vernichtendes Urteil zu fallen. Ich
will nicht behaupten, dass die anbetende Hinwendung so vieler unserer
Landsleute zu einem exotischen Heilskünder aus dem Himalaya einem
dauerhaften Rückfall in schamanistisch anmutende Pseudospiritualität
entspricht.“ (314)
Aber das Phänomen Dalai Lama
und sein Besuch in Deutschland im Jahre 2007 erscheint ihm dennoch höchst
irrational: „Die deutsche Regierungschefin, die dem demokratischen
Präsidentschaftskandidaten Barack Obama einen Auftritt vor dem
Brandenburger Tor verweigert hatte, empfand keinerlei Bedenken, dem Dalai
Lama diese Tribüne zu verschaffen. Hunderttausende deutsche Bewunderer
dieses ‚Ozeans der Weisheit‘ verfielen in mystische Verzückung. Der
Heilsbringer aus Tibet, der sich zu neuen Reisen in die Bundesrepublik
rüstet, ist - wie Der Spiegel bestätigt - in Deutschland populärer
als der deutsche Papst.“ (304)
Das Interesse des „weißen Mannes“ am tibetischen
Buddhismus leitet der Autor aus dessen Überdruss an der eigenen
(westlichen) Kultur und einer allgemeinen Orientierungslosigkeit ab: „Die
im Westen um sich greifende Schwärmerei für den Buddhismus - inkarniert in
der Person des Dalai Lama - offenbart eine bestürzende metaphysische
Ratlosigkeit.“ (305) Und an anderer Stelle heißt es „Was die einfältige Bewunderung einer obskuren
tantrischen Form des Buddhismus jedoch zum Ausdruck bringt, ist die
intellektuelle und psychische Verwirrung des ‚weißen Mannes‘. Nach seiner
Abkehr von der eigenen theologischen
Überlieferung ist es geradezu Mode geworden, den Trugbildern und Phantasmen
anderer Kulturen nachzulaufen. Dabei geht aus seriösen Studien des
Lamaismus hervor, dass Leibeigenschaft, Sklaverei, Erbfolge durchaus
übliche Praktiken der damaligen feudalistischen Gesellschaft waren. Dazu
gehörten auch eine strenge klerikale Hierarchie, düsterer Dämonenglaube,
Geheimriten und ‚sexual-magische Praktiken‘. Die seltenen Filmdokumente in
Schwarzweiß, die uns aus der Epoche vormaoistischer tibetischer
Unabhängigkeit erhalten sind, veranschaulichen eine Serie von kultischen
Ritualen, deren grauenhafter Spuk und die an Epilepsie grenzenden
Trancezustände tiefstes Befremden auslösen sollten.“ (314)
Die irrationale Verehrung für
den tibetischen Gottkönig hält er für ein Desaster. Der Westen habe sich
einem „weisen Clown“ verschrieben. „Schonungsloser und scharfzüngiger kann
die Entwurzelung des ‚weißen Mannes‘ am Ende seines Parcours durch
Christentum, Aufklärung, mörderisches Neu-Heidentum, Verwerfung von
Vernunft und Maß nicht angedeutet werden. Der ‚Herr des weißen Lotus‘ - in
seine rote Mönchskutte gehüllt - sollte dem Abendland eher als ein Künder
seines Niedergangs denn als Prophet einer weltabgewandten Erlösung
erscheinen.“ (306-307)
Scholl Latour weist auch darauf hin, dass der tibetische Buddhismus
nur wenig mit der ursprünglichen Lehre des Shakyamuni Buddha gemein hat. Er
nennt ihn eine „Denaturierung des wahren Heilsweges, den der authentische
Buddha predigte und der die Ausübung weltlicher Macht weit von sich weist.“
(314) An sich sei der Buddhismus „eine in mancher Hinsicht
bewundernswerte Offenbarung, die aber gerade in ihrer tantrischen
tibetischen Auslegung durch düstere Relikte von Schamanentum verdüstert
wird. Allzu viele Amerikaner und Europäer haben mit ausufernder Phantasie
das tibetische Hochland in eine Art Shangri-La verwandelt.“ (305)
Im Restaurant „House of Shambhala“ hatte Scholl
Latour zum Abschluss seiner Reise aus Tibet noch ein Gespräch mit einem
gebildeten, jungen Tibeter namens Lhundup, der gutes Englisch sprach und
zwei Jahre in Kalifornien verbracht hatte. Lhundop habe eine durchaus
kritische Einstellung zu verschiedenen Problemfeldern in seiner Heimat
gezeigt. Aber er mokierte sich auch „ohne Umschweife über die Fabelbilder,
die von so manchen Abenteurern, Hobbyforschern, Spionen und Wirrköpfen aus
dem Westen entworfen würden, bis hin zu jenen Exzentrikern, die auf dem
Dach der Welt eine von der Sintflut verschonte Menschengattung und im
Umkreis der Klöster die Spuren einer arischen Urrasse entdeckt zu haben
glaubten. ‚Eines sollten Sie bedenken‘, fuhr er mit ernstem Unterton fort,
‚wenn wir Chinesen nicht unsere alten, organischen Bindungen an Tibet
wiederaufgenommen hätten, würden die Inder sich längst mit
US-amerikanischer Hilfe in Lhasa etabliert haben.‘ “ (317)
Der „hochgebildete Mann“ habe ihm auch die
Erklärung des Wortes „Shambhala“ gegeben: „Der Weg nach Shambhala führe
laut tantrisch-buddhistischer Lehre den Erleuchteten zu jenem Ort der
Erlösung, des Eingehens in einen immateriellen Zustand des Glücks, der nur
durch Verzicht auf alle trivialen Bedürfnisse und Verlockungen des Lebens
erlangt werden könne.“ (317) Aber dann verweist Lhundop auf den
apokalyptisch-endzeitlichen Charakter des Shambhala-Mythos: „Es mag Sie
interessieren, dass laut dem Kalachakra-Tantra aus dem zehnten Jahrhundert,
dem auch der vierzehnte Dalai Lama anhängt, dieser Zustand der Perfektion,
die Verwandlung Shambhalas aus einer mystischen Vision in eine erhabene
Wirklichkeit, erst nach einer grauenhaften Phase kosmischen Zusammenpralls
und menschlicher Verderbtheit erreicht werden kann.‘“ (317)
Lhundop sprach dann auch die Ähnlichkeit
islamischer, lamaistischer und fundamentalistisch-christlicher
Endzeit-Visionen an: „Offenbar war Lhundup über meine enge Beschäftigung
mit dem revolutionären Islam unterrichtet, denn er verwies auf eine
seltsame Verwandtschaft der großen Weltreligionen. Immer wieder trete die
gemeinsame Vision nach einer Zwischenphase blutiger Wirren auf. Das
Auftauchen falscher Propheten oder die höllische Erscheinung des
Antichristen werde in der Schlacht von Armageddon gipfeln, jener
grauenhaften Prüfung und quälenden Vorstufe der Läuterung, bevor der Himmel
sich öffnet für die Parusie des Messias, Mehdi oder des Buddha Shakyamuni.
Es bestehe doch eine eigenartige Parallelität zwischen den endzeitlichen
Hinweisen der jüdischen Kabbala, der chiliastischen Erlösungserwartung der
protestantischen Evangelikalen in USA, zwischen der schiitischen Mystik der
‚Hodschatiyeh‘, der auch der jetzige iranische Präsident Ahmadinejad
nahestehe und die alles Heil von der Wiederkehr des Verborgenen Zwölften
Imam erwartet, zu gewissen geradezu apokalyptisch anmutenden
Schreckensvisionen des tibetischen Tantrismus. In diesem Punkt habe sich
die theologische Interpretation der Mönchsgemeinschaften von Lhasa und
Shigatse weit von dem erhabenen Prinzip der ‚Ahimsa‘, des Gewaltverzichts,
entfernt, das der authentischen Lehre Gautamas im Westen so viele Junge
zutreibe.“ (317-318).
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