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Islamischer Fundamentalismus

 

Schlachtopfer zu Gottes Ehre

Die „geistliche Anleitung“ der

Attentäter des 11. September 2001

 

Hans G. Kippenberg, Tilman Seidensticker (Hg.) – Terror im Dienste Gottes – Die „geistliche Anleitung“ der Attentäter des 11. September 2001 – Frankfurt 2004

 

Inhalt dieses Buches ist die Kommentierung eines Dokumentes, das den Attentätern des 11/9 als „geistliche Anleitung“ gedient haben soll. Der Text bringt eine Übersetzung der Anleitung, eine Textanalyse, einen Vergleich mit der traditionellen „islamischen Schlachtenrede“, einen Essay über die Sakralisierung des Terrors („Terror als Gottesdienst“) und einen Diskurs über die Frage, ob das Attentat einen apokalyptischen Hintergrund hat. Im Anhang befindet sich das arabische Original.

 

Die geistliche Anleitung, in Amerika auch als „Doomsday Document“ bekannt, zitiert ausführlich Passagen aus dem Koran, die sich auf das Martyrium (Shahadat) und den Heiligen Krieg (Djihad) beziehen. Den Attentätern wird empfohlen, diese Koranstellen in der „Letzten Nacht“ immer wieder zu lesen und sich einzuprägen. Es wird ihnen suggeriert, dass sie unter der Obhut Gottes stehen und und nichts zu fürchten haben. „Aber wer Furcht hat, sind die Freunde Satans, welche eigentlich Satan fürchten und zu seinen Jüngern wurden – Gott behüte uns davor.“ (21) Als Belohnung für ihre Tat verspricht ihnen die Anleitung den Eintritt in ein sinnliches Paradies: „Danach wird der Tag kommen, den du mit Gottes Erlaubnis mit den schwarzäugigen Jungfrauen im Paradies verbringen wirst. – Und wisst, dass sich die Paradiese für euch bereits mit ihrem schönsten Schmuck Geschmückt haben und die Paradiesjungfrauen nach euch rufen: ‚O komm herbei, die Freund Gottes!’ Dabei tragen sie ihre schönste Kleidung.“ (22, 24)

 

Es folgen Verhaltensnormen, die innerhalb des entführten Flugzeugs einzuhalten sind. „Und beim Nahkampf muss man stark zuschlagen wie Helden, die nicht mehr in diese Welt zurückkehren wollen, und du musst laut ausrufen Allahu Akbar [„Gott ist groß!“], weil das Ausrufen von Allahu akbar in den Herzen der Ungläubigen Ängste hervorruft.“ (24)  Alle Handlungen, auch die Ermordung der Piloten im Cockpit, sollen in engster Verbundenheit mit Gott und unter ständiger Wiederholung von Koranformeln geschehen.

 

Interessant ist der Text vor allem, weil er ausführlich Exerzitien des Geistes beschreibt, mit denen sich die Attentäter auf die Tat vorbereiten sollen. Diese bestehen aus einer Kombination von Gebeten, Schwurformeln, Todesbekenntnissen, Waschungen, „Reinigungen des Herzens“, Koranrezitationen, Invokationen und Unterwerfungsformeln, die ständig und ständig zu wiederholen sind, damit sie zu einer Art Selbstsuggestion führen. Die Körperhaare sollen abrasiert werden und ein Parfum soll einen angenehmen Geruch verbreiten. Auch die Rasur und das Ankleiden am Morgen vor dem Suizid-Martyrium werden als eine rituelle Handlung angesehen.

 

Als Ritus gilt auch die Ermordung der Piloten. Sie werden „Schlachtopfer zu Gottes Ehre“ genannt. „Prüfe deine Waffe vor der Reise und noch einmal unmittelbar vor der Reise.“ – heißt es in § 13 des Dokuments. Dann folgt ein Zitat aus einer Prophetenüberlieferung (Hadith): „Jeder von euch muss sein Messer schärfen und seinem Schlachtopfer Frieden bringen.“ (19)

 

Zwei wichtige Aspekte werden bei der vorliegenden Interpretation des Doomsday-Dokuments zu wenig beachtet, beziehungsweise (unserer Ansicht nach) falsch eingeschätzt: Einmal die Beziehung der Attentäter zur islamischen Mystik und zum anderen ihre Beziehung zur islamischen Apokalyptik.

 

Eine der Empfehlungen aus dem Doomsday-Dokument lautet, sich von der Welt zu lösen und sich auf die Transzendenz zu konzentrieren. „Vergiss und denke nicht mehr an das Ding, das die Welt genannt wird. Denn die Zeit des Spiels ist vorbei, und die Zeit der Begegnung mit der ewigen Wahrheit. Wie viel in unserem Leben haben wir doch verschleudert.“ – heißt es dort. Wie wird nun die Beziehung zur Transzendenz hergestellt. Der Text nennt in diesem Zusammenhang den Begriff dhikr. Der dhikr ist eine sakrale Technik, die in ununterbrochene und rhythmische Aussprache des Namens Gottes oder von Passagen aus dem Koran besteht, um sich dadurch in einen mystischen Zustand zu versetzen. Tilman Seidensticker geht nur kurz auf die Bedeutung des dhikr in dem Doomsday-Dokument ein (31), kommt aber dabei kaum auf dessen mystische Dimension zu sprechen, sondern sieht darin nicht viel mehr als ein „beruhigendes Mittel“ (32). Albrecht Fuess vergleicht das Dokument historisch mit der „islamischen Schlachtenrede“ (55). Die mystische Praxis in der „Anleitung“ wird deswegen völlig unterbewertet. Sie ist aber sehr wahrscheinlich die Bedingung dafür gewesen, dass Menschen zu solch einer ungeheuerlichen Tat überhaupt fähig waren. Es handelt sich nämlich bei dem dhikr um eine Methode, die den Ausübenden (in seinem Bewusstsein) mit Gott zu einer Einheit (unio mystica) verschmelzen lässt. Ausgehend von diesem Verständnis ist die Tat des 11/9 von den Terroristen als ein Akt Gottes (Allahs) verstanden worden, wobei sie nur die Rolle eines Instruments hatten. (Etwas ausführlicher setzt sich der amerikanische Genozid-Forscher Juan Cole mit dem mystischen Background des „Doomsday-Dokuments“ auseinander. Siehe: “Al-Qaeda’s Doomsday Document and psychological Manipulation” ( www.juancole.com/essays/qaeda.htm.)

 

Muslime, die den dhikr praktizieren

 

Im Islam wird der dhikr insbesondere innerhalb der Sufi-Orden angewandt. Hier im Westen ist es üblich, den Sufismus als eine Friedensalternative zur islamischen Orthodoxie und zum islamistischen Fundamentalismus herauszustellen. (Insbesondere hat die Orientalistin Annemarie Schimmel dazu beigetragen) Das ist eindeutig falsch. Es gibt einen sehr militanten und aggressiven Sufismus, der zum Beispiel in den letzten Balkankriegen aktiv geworden ist. Auch Hasan al-Banna, der Gründer der radikalen ägyptischen Muslimbruderschaft, empfiehlt seinen Anhängern den dhikr als Übung.

 

Der andere Aspekt, der in der vorliegenden Anthologie unterbewertet wird, ist die islamische Apokalyptik. Thomas Schäffler versucht dem 9/11 eine apokalyptische Dimension und den Attentätern eine apokalyptische Motivation geradezu abzusprechen. Er wendet sich strikt gegen den Begriff „apokalyptische Terroristen“. (87) Das ist unserer Ansicht nach aus verschiedenen Gründen nicht richtig. Einmal von der Definition her. Schäffler setzt Apokalyptik mit Nihilismus und Weltvernichtung gleich. Die Apokalypse hat aber immer zwei Seiten: eine destruktive und eine konstruktive, d. h. die totale Vernichtung der alten verkommenen Welt und die Errichtung einer neuen paradiesischen Welt. Ein solches Muster von Untergang und Auferstehung aber durchzieht den gesamten islamistischen Terrorismus, angefangen von den fundamentalistischen Schriften des Ägypter Sayyid Qutb bis hin zur Ideologie von al-Qaida. Der amerikanische Orientalist David Cook weist ausführlich darauf hin, dass die „Energie und die Power“, welche die Muslime in der Jahrhunderte langen Geschichte ihrer erfolgreichen Eroberungskriege entfaltet haben, nur aus ihrem fanatischen Glauben an das Ende der Welt zu erklären ist. Eine ähnliche Meinung vertritt Said Amir Arjomand. Der frühe Islam – so der Historiker –  sei von „einer starken apokalyptischen Vision getragen und habe auf die Realisierung eines Messianismus gezielt.“ Selbst die gängige Djihad-Philosophie folgt dogmatisch einem apokalyptischen Muster.

 

So ist dieses Buch ein interessanter Beitrag zum Verständnis des religiösen Terrorismus, das jedoch die mystische und apokalyptische Dimension der Tat nicht genügend erkennt und herausstellt. Auf diese beiden Themen im Zusammenhang mit dem 9/11 sind wir ausführlich in unserem Buch „Krieg der Religionen – Apokalypse Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse“ eingegangen.

 

© Victor und Victoria Trimondi

 

© Victor & Victoria Trimondi