Krieg der Religionen

Politik, Glaube und Terror

im Zeichen der Apokalypse

 

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REZENSIONEN


Die Furche   Nr. 36/ 7. September 2006

 

Apokalypse: „Ökumene des Schreckens“

Gewaltpotenzial à la 9/11 ist in allen Weltreligionen zu finden.

Das will ein bemerkenswertes Buch nachweisen.

 

von Otto Friedrich

 

Dass die Religion in ihrer gewalttätigen Form sich mit 9/11 ins Weltbewusstsein katapultierte, bestreitet kaum jemand: Religiöser Fundamentalismus ist zu dem geopolitischen Faktor des beginnenden Millenniums geworden, und die Geopolitik war darauf nicht vorbereitet.

 

In den letzten Jahren kam eine Reihe von Analysen auf den Markt, die zum Verstehen der Vorgänge und zum religionspolitischen Diskurs beitragen. Die FURCHE hat sich mit den bekanntesten Publikationen auseinandergesetzt, etwa mit der wegweisenden Studie „Im Kampf für Gott“ der britischen Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong über den Fundamentalismus in den drei monotheistischen Weltreligionen oder Mark Juergensmeyers „Terror in Gottes Namen“, wo der amerikanische Soziologe seine jahrelangen Begegnungen mit religiösen Attentätern aller möglichen Religionen analysiert und verbreitet Bilder eines „kosmischen Krieges“ vorfindet, die den Gewalttätern vorgaukeln Teil eines „göttlichen Plans“ zu sein.

 

Beide Bücher erschienen 2004, und jetzt, zwei Jahre später, hat das Autorenpaar Victor und Victoria Trimondi im umfangreichen Band „Krieg der Religionen. Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse“ den Diskurs fortgeschrieben – 600 Seiten lang mit unzähligen Beispielen und Zitatbelegen: beklemmend, aber schrecklich logisch, auf welche Parallelen die Autoren in den Fundamentalismen und Apokalypsen der Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam stoßen (sie behaupten, ihre Erkenntnisse auch auf alle Religionen anwenden zu können, bleiben dies aber, Andeutungen ausgenommen, schuldig).

 

Die apokalyptische Matrix

Die Trimondis entwickeln als Referenz eine apokalyptische Matrix, die dem apokalyptischen Denken der Religionen innewohne. Kennzeichen dieser seien – unter anderem: die Auffassung der Weltgeschichte als Kampf zwischen Gut und Böse, Licht und Finsternis, Gott und Satan, diese Geschichte steuert auf eine Entscheidungsschlacht zu; die gegenwärtige Geschichtsperiode ist eine Herrschaft des Bösen mit Sittenverfall, sexueller Ausschweifung, Wirtschaftskrise: die Gegenwart wird radikal abgelehnt; kurz bevor ein satanischer Weltenherrscher die Macht übernimmt tritt ein „Militanter Messias“ auf, dessen Anhänger als „Gotteskrieger“ Martyrium auf sich nehmen; vernichtet werden am Ende alle, die nicht glauben, die Rechtgläubigen werden erlöst, nach dem Sieg errichtet der Messias einen weltweiten Gottesstaat.

 

Solch apokalyptische Matrix orten die Autoren in allen Religionen resp. deren heiligen Schriften. Das Christentum kennt solche Szenarien in der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament oder in den apokalyptischen Schriften des Alten Testaments – etwa in den Büchern Daniel und Ezechiel, aber auch bei Jesaja. Jüdische Apokalyptik schöpft klarerweise aus den letzteren Quellen, und dass es islamische Apokalyptik ähnlicher Provenienz gibt, beweisen zurzeit die Selbstmordattentäter(innen), die sich auf diese Texte berufen.

 

Auch: Schreckliche Bibel

Bestechend, wie die Trimondis in den drei Religionen aufzeigen, in welch Fahrwasser man gerät, nimmt man die heiligen Texte wörtlich und setzt sie in – konkretes – politisches Handeln um. Sowohl eine Geschichte der Apokalyptik als auch die brisante Gegenwart, die durch die schrecklichen Bilder und die daraus abgeleiteten ebenso schrecklichen Gedankengänge bedrohlich wird, breiten die Autoren aus. Die Anschläge von 9/11 und die dahinter liegende apokalyptische Weltsicht des sunnitischen Islam spielen da eine markante Rolle. Die Trimondis beschreiben dazu die Werdegänge des Islamismus von der Muslimbruderschaft in Ägypten und deren Protagonisten wie dem 1966 hingerichteten Sayyid Qutb bis hin zu Osama bin Laden, aber auch die schiitischen Spielarten. Solche Zusammenschau macht die grassierenden Denkmuster in den Gewaltmythen rund um den „heiligen Krieg“ Dschihad sichtbar.

 

Islamische Apokalyptik stellt im Buch den zweiten Teil dar, zu dem man erst durch eine Auseinandersetzung mit Christentum und Judentum gelangt. Das ist die eigentliche Leistung der Autoren: trotz allem Bewusstsein, das der landläufige Blick auf die religiöse Gewalt, die aus dem Islam(ismus) kommt, nur allzu berechtigt ist, zunächst das Christentum und dann das Judentum auf ähnliche Strömungen abzuklopfen und gleichermaßen beklemmend fündig zu werden. Wahrscheinlich studierten wenige in Europa die Offenbarung des Johannes oder Prophetentexte so, als ob dieses Texte eins zu eins die Wirklichkeit beschreiben. Victoria und Victor Trimondi zeigen – mit vielen, vielen Beispielen – dass solch wörtliche Bibelsicht im fundamentalistischen Protestantismus in den USA und dessen politischen Arm, der „christlichen Rechten“, gang und gäbe ist. Mittlerweile – das ist auch, aber nicht nur eine Folge des 9/11 – sind Dutzende Millionen Amerikaner überzeugt, dass etwa die ultimative Schlacht von Armageddon (Offb. 16, 16) nahe ist: In den USA haben fundamentalistische Führer wie Jerry Falwell oder der Tele-Evangelist Pat Robertson längst enormen politischen Einfluss. Die Schlacht zwischen Gut und Böse, das Auftreten des Antichrists – der etwa mit der UNO oder auch mit der EU identifiziert wird (und nicht nur mit bin Laden!) ist da selbstverständliches Repertoire. Auch auf die apokalyptischen Krimis eines Tim LaHaye weist das Buch hin und auf die Tatsache, dass diese millionenfach verbreitet sind – in den USA wie auch in deutscher Übersetzung verlegt sie der Bertelsmann-Konzern: Europa ist sich dieser apokalyptischen Religiosität nicht bewusst; die Zitate belegen, dass die Sprache gegen die westliche, säkulare Gesellschaft und die Rechtfertigung von Gewalt aus den Mündern bibel-fundamentlistischer Leitfiguren verräterisch ähnlich klingen wie jene der Islamisten, die dem „satanischen, gottlosen Westen“ den Garaus machen wollen.

 

Victor und Victoria Trimondi sind keine unbeschriebenen Blätter: Ende der 90er Jahr empörte ihre Abrechnung mit dem Dalai Lama, dem sie auch Apokalyptik und Gewaltverherrlichung vorwarfen; ihr Buch „Hitler, Buddha, Krishna“ (2002), in dem sie die Nähe von Hinduismus, Buddhismus und Nationalsozialismus zu beweisen suchten, wurde auch in der FURCHE kritisiert.

 

Religiöser Endzeit-Konsensus?

Das Buch „Krieg der Religionen“ ist aber von einen Ausführlichkeit (wenn auch etwas redundant), dass man den Autoren schwerlich den Vorwurf machen kann, sie würden nur Behauptungen aufstellen. Mag sein, dass nicht alle die christlich-fundamentalistische Bedrohung in den USA und durch die USA so dramatisch sehen, wie es die Autoren tun: Dass solche Entwicklung diesseits des Atlantiks aber kaum registriert wird, ist eine Tatsache.

 

Den Religionen sei eine gewalttätige Apokalyptik eigen, man „könnte ironisch von einer ‚Schreckens-Ökumene’ sprechen, so kongruent ist der sie miteinander verbindende Endzeit-Konsensus“, schreiben die Trimondis: Das klingt gewagt, wird aber durch die unzähligen Beispiele mit Händen greifbar. Die Vorstellung, man nehme das eschatologische Schlachtengetümmel der Offenbarung des Johannes wörtlich und richte sein politisches handeln darauf aus, lässt auch christlichen Terrorismus möglich erscheinen. Der Umgang mit ihrer Apokalyptik stellt für die Religionen die Herausforderung dar, so die Botschaft dieses außergewöhnlichen Buches: Fünf Jahre nach 9/11 ist diese religiöse Auseinandersetzung mehr als dringlich.

 

© Copyright 2003 – Victor & Victoria Trimondi