Der Schatten des Dalai Lama

Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus

 

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INTERVIEWS (01)

FOCUS - Roger Thiede - 15. März 1999 - (Interv 01)

FACTS - Patrick Mauron und Stephanie Riedi - Februar 1999 - (Interv 01)


FOCUS - Roger Thiede - 15. März 1999

Abschied von einem Mythos

Ehemalige Dalai-Lama-Sympathisanten rechnen mit dem Buddhismus ab - die neue Trendreligion sei tief in abergläubische Praktiken verwickelt.

FOCUS: Herr Trimondi, Sie und Ihre Frau haben mit dem Buch "Der Schatten des Dalai Lama" eine spektakuläre 800 Seiten Attacke auf den Buddhismus gestartet. Dalai Lama Freunde warfen Ihnen prompt Unseriösität vor: Ihre Beschreibung der angeblichen "Sexualmagie" des Buddhismus sei schon deswegen verfehlt, weil Sie nicht über Sanskritkenntnisse verfügen....

TRIMONDI:

Wir arbeiten nicht als Philologen, sondern als Kulturkritiker. Ich beschäftige mich seit langem mit asiatischen Religionen, habe früher als Verleger des Dianus-Trikont-Verlages ein Buch über den XIV Dalai Lama sowie Titel über die buddhistische Spiritualität herausgebracht. Ich habe diese Religionen außerdem aus nächster Nähe kennen lernen können. Wenn Sie sich heute ein Bild machen wollen - etwa von den im Kalachakra Tantra genannten Einweihungen -, können Sie auf Übersetzungen und Kommentare aus westlichen Sprachen zurückgreifen. Der von uns analysierte Spätbuddhismus ist längst schon Teil der globalen Kultur geworden. Allein in den USA gibt es 1,5 Millionen Anhänger. Der buddhistische Diskurs beschäftigt seit Jahren eminente viele Menschen im Westen. Dazu wollen wir einen kritischen Beitrag leisten.

FOCUS: Manches klingt eher denunzierend. So werden Sie nicht müde, die mönchische Vajrayana Lehre ("Diamantenpfad") als okkulten Glauben zu präsentieren, dessen Heilige Schriften (Tantras) krass immoralistisch zu Perversionen aufrufe. Als Beleg dafür müssen uralte - historisch entsprechend kompliziert - Texte herhalten. Im Notfall stürzen Sie sich auch auf Bekenntnisse dubioser Außenseiter wie die des tibetischen Sex-Autors Gedün Chöpel oder auf Schriften ehemaliger Anhänger wie die der Britin June Campbell.

TRIMONDI:

In den höheren acht Geheiminitiationen der Kalachakra-Einweihung (die ersten sieben Stufen können risikolos öffentlich zelebriert werden) kommt es zur Vereinigung mit einer realen Partnerin. Diese "Mudra" soll eine junge Frau im Alter von zehn, zwölf, sechzehn oder zwanzig Jahren sein. Das ist das Hauptereignis im äusseren Ablauf des Rituals. So steht es jedenfalls im Urtext des zuletzt offenbarten Zeit-Tantra aus dem 10. Jahrhundert. Und die Autoren, die Sie Außenseiter nennen, halten wir für wichtige Quellen, die man nicht a priori vernachlässigen sollte.

FOCUS: Wollen Sie einen politisch korrekten beziehungsweise feministischen Buddhismus, der alle abergläubischen Bindungen an die Usancen des alten Tibet aufgibt?

TRIMONDI:

Wir wollen nur, dass der tibetische Buddhismus sich seiner Verantwortung stellt und seine Geschichte entsprechend aufarbeitet - wie wir das in Europa doch auch getan haben. Das ist dieser Glaube unserer Meinung nach seinem extrem erfolgreichen Einbruch in die westliche Sphäre schuldig.

FOCUS: Dämonisieren Sie den Orden nicht? Sie schreiben, dass der Lamaismus "durch Ritualistik und Beschwörungen, durch magische Praktiken und Konzentrationsübungen Einfluss auf den Geschichtsverlauf unseres Planeten" nehmen will. Parallel deuten Sie den Dalai-Lama-Kult des Abendlandes als Ergebnis okkulter Überrumpelung. Müssen wir uns vor der tibetischen Gefahr schon gruseln?

TRIMONDI:

Bei dem geistigen und rituellen Einfluss auf den Geschichtsverlauf handelt es sich um ein Programm, das nicht an das Lebensalter der einzelnen Dalai Lamas gebunden ist. Der tibetische Buddhismus glaubt wegen der Inkarnationslehre an die Identität seiner Gottkönige. Am deutlichsten ist dieses Programm ausgedrückt im sogenannten Shambhala Mythos des Kalachakra Tantra. Gemeint ist die buddhokratische Eroberung des Planeten durch den Chakravartin, sprich den prophezeiten Weltenherrscher eines verborgenen mythischen Reiches. Erst nach einer gewaltigen Schlacht, in der die Feinde des Buddhismus vernichtet werden, besteigt dieser im Jahre 2327 den Weltenthron. Diese Endzeiterwartung wird durch Rituale ständig magisch vorangetrieben - denken Sie an die Sandmandalas, die allerorten inszeniert werden.

Offiziell dienen sie dem Weltfrieden. Inoffiziell handelt es sich dabei um Signaturen einer kommenden weltweiten Buddhokratie. In der christlichen Eschatologie erscheint der Messias unberechenbar wie der Dieb in der Nacht. Im buddhistischen Kalachakra Tantra dagegen wird der Chakravartin bewusst durch Meditation und Ritual als ein Energiekörper produziert. Die Vision von der Shambhalisierung der Welt hat übrigens den okkulten Rechtsextremismus stark beeinflusst.

FOCUS: Was hat das alles persönlich mit dem Dalai Lama zu tun?

TRIMONDI:

Unserer Ansicht nach ist der Dalai Lama in seiner Funktion als höchster Kalachakra Meister mitverantwortlich für dieses buddhokratische und kriegerische Ritual. Deswegen haben wir auch Probleme mit ihm als Friedensfürsten - übrigens ebenso wie mit dem alten Tibet als vorgegebenem Ökoparadies. Lhasa, wo angeblich die Yaks und Schneeleoparden den Leuten aus der Hand fraßen, war nach allem, was wir wissen, eine extrem schmutzige Stadt, in der es so stank, dass man nur mit einem Tuch vor dem Mund durch die Viertel gehen konnte. Dass der jetzige Dalai Lama seinen Arm entblößt hält, damit sich Mücken von seinem Blut ernähren können, ist eine weiteres Klischee. Mit unseren Recherchen wollen wir solche Bilder korrigieren.

FOCUS: Aus welchem Grund?

TRIMONDI:

Jede Religion hat ihre Fundamentalismen. Hier basieren sie auf der Idee des "Zeitrades" (Kalachakra Tantra), dessen magische Praktiken den Westen nach eigenen buddhistischen Prophezeiungen erobern sollen. An diesem teil des Buddhismus hat es nie offene Kritik gegeben. Sie ist aber notwendig, damit sich Verbrechen wie die der Endzeitsekte AUM des Dalai - Lama - Vertrauten Shoko Asahara, der sich auf den Shambhala Mythos und das Kalachakra berufen hat, nicht mehr wiederholen. Dieser Mythos lässt sich jederzeit politisch missbrauchen. Wir fordern deshalb, dass der tantrische Buddhismus alles aus seinem Konzept streicht, was endzeitliche Fanatiker an ein blutiges Weltfinale glauben lässt - und zu entsprechenden Taten anhält. Es nützt nichts, dass sich der Dalai Lama nach außen als klassischer Mahayana Buddhist präsentiert. Er spricht einfach zuwenig von den Tantras, zu wenig von den "Dämonen" seiner Religion - auch nie von den Schreckenskammern der tibetischen Geschichte. Dabei ist ihm das ominöse Kalachakra Tantra Ritual, auf dem alles basiert, so wichtig dass er es mindestens 25mal selbst öffentlich aufgeführt hat.

FOCUS: Spielt er Ihrer Meinung nach eine Doppelrolle?

TRIMONDI:

Nach außen redet er dauernd vom Mitgefühlsgebot und über die "Lehre von der Leere", wonach nichts eine inhärente Existenz habe. Beides ist für den Westen sehr attraktiv. Vor allem das Mitgefühlsgebot lässt sich perfekt mit einem engagierten Demokratismus verbinden. Diesen Strang des Buddhismus akzeptieren auch wir. Darum fühlten wir uns vom Dalai Lama ursprünglich angezogen. In den Tantras aber herrscht eine Welt, die mit den Werten eines universellen Humanismus nicht übereinstimmt.

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Leserbriefe zu diesem Interview:

Friedrich Altreuther, Trochtelfingen:

Wer behauptet, der Buddhismus habe eine aggressive Welteroberung zum Ziel, hat entweder keine Ahnung oder sehr tief in der religiösen Rumpelkammer gegraben, um entsprechende Funde zu globaler Bedrohung aufzublasen. Geschäftstüchtig projiziert Victor Trimondi die Zukunftsängste seiner Leser auf dieses Thema, um mit seinem Esoterik-Krimi die schnelle Mark zu machen.

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Klaus Scheffler, Kircheim:

Der Buddhismus ist so wenig frei von Aberglauben und Gewalt wie alle anderen Religionen. So hielten sich buddhistische Klöster eigene Armeen und führten gegeneinander Krieg.


FACTS - Patrick Mauron und Stephanie Riedi - Februar 1999

1. - FACTS: Offenbar pflegten Sie früher Beziehungen zum Dalai Lama. Welche? Und wie kam es zum Bruch?

TRIMONDI:

Ich (Victor Trimondi/ Herbert Röttgen) habe in den 80er Jahren in meinem Verlag (Dianus - Trikont - Verlag) einige Bücher über den tibetischen Buddhismus und einen Text vom Dalai Lama veröffentlicht. Wichtiger waren sicher die Kongresse, Symposien und Veranstaltungen, die ich mit ihm organisierte: 1982 einen Grossauftritt auf der Frankfurter Buchmesse: "Das Gleichgewicht der Erde"; 1984 ein Kongress über "Neues Bewusstsein" mit Francisco Varela, David Bohm, Fritjof Capra und anderen: "Andere Wirklichkeiten"; 1986 einen Kongress mit Carl Friedrich von Weizsäcker, Marie Luise v. Franz, Joseph Needham und Raimondo Panikkar über das Thema "Raum und Zeit".

Meine Frau und ich hatten, als wir vor fünf Jahren mit den Recherchen zu unserem Buch begannen, ein durchaus positives Verhältnis zum tibetischen Buddhismus. Wie sehr viele Menschen glaubten wir, dass der Dalai Lama einen Grossteil der sozialen Werte, die für uns wichtig waren, mit Mut und Überzeugung zum Ausdruck bringt: Friedfertigkeit, Mitgefühl mit allen Wesen, Überwindung der Klassenschranken, die Überbetonung auf materieller Bedürfnisse, ökologisches Bewusstsein, Überwindung des Feindbilddenkens, Gemeinschaftssinn, soziales Engagement, interreligiöser Dialog, Begegnung der Kulturen und vieles mehr vermeinten wir im tibetischen Buddhismus zu finden. Wir zählten also zu den zahlreichen westlichen Bewunderern, die in dieser östlichen Religion ihre Ideale und humanen Werte wiederentdeckten und diese hier mit einer spirituellen Dimension verbinden konnten. Insbesondere aber waren wir vom Tantrismus, dem eigentlichen Kern der tibetischen Buddhismus, angezogen. Hier schien es endlich eine Religion zu geben, welche es mit der Gleichberechtigung der Geschlechter ernst nahm und den Eros nicht aus dem sakralen Raum verbannte, sondern ihn in sein Zentrum stellte.

Uns gefiel auch ganz besonders die religiöse Toleranz Seiner Heiligkeit. Niemals fordert der XIV Dalai Lama Menschen dazu auf, ihre angestammte Religion zu verlassen und sich dem Buddhismus anzuschließen. Im Gegenteil - er warnt eindringlich vor einem Religionswechsel und betont immer wieder, es sei geradezu die Pflicht eines jeden, denjenigen Glauben, zu dem er überwechseln wolle, auf Herz und Nieren zu prüfen, ihm mit aller Skepsis und mit einem völlig kritischen Geist gegenüberzutreten und dann erst seine Entscheidung zu fällen.

Das genau haben wir gemacht! In der Absicht, im tibetischen Buddhismus eine spirituelle Lehre zu entdecken, die Antwort weiß auf die Lösung unserer Weltprobleme, haben wir die Grundlagen des Buddhismus, die Sutren und das Abhidharma, die tantrischen Texte, die Geschichte des Tantrismus und die Biographien der frühen Tantriker aber vor allem die Historie Tibets und der Dalai Lamas studiert.

Das Ergebnis war erschütternd und führte zu einer völligen Revision unserer bisherigen Sicht. Statt einer friedvollen und toleranten haben wir eine kriegerische und aggressive Kultur vorgefunden; statt Frauenfreundlichkeit haben wir ein Systems kennen gelernt, dass die Unterdrückung und Ausbeutung der Frau auf die Spitze treibt. Unterdrückung Andersdenkender, Despotismus, Intoleranz, grenzenlose Machtobsessionen, Dämonisierung und Angst als politische Mittel, Verachtung des Körpers und der Materie - all das, was wir gerade nicht vermutet hatten, mussten wir in den Texten Ritualen und der Geschichte des tantrischen Buddhismus entdecken. Wir haben es akribisch und wahrheitsgetreu in unserem Buch aufgeschrieben.

Mit dem Dalai Lama haben wir keinen realen Bruch vollzogen. Er ist eine menschlich sehr angenehme Persönlichkeit und wir stehen ihm trotz unseres kritischen Buches ohne Hass und ohne Aggressivität gegenüber. Das religiöse System aber, das hinter ihm wirkt, erscheint uns mittlerweile äußerst fraglich und wir lehnen es entschieden ab. Er ist aber in diesem System von der Kindheit an gefangen und spielt darin sowohl die Rolle eines Täters als auch die eines Opfers.

2. - FACTS: Worauf basiert ihre Kritik? Haben Sie zum Beispiel Dokumente, die belegen, dass der Dalai Lama zur Zeit der Giftgasanschläge Kontakte mit Shoko Asahara pflegte.

TRIMONDI:

Wenn Sie die Frage so verstehen, was unsere wichtigsten Kritikpunkte am tibetischen Buddhismus sind, so haben wir diese in neun Thesen zusammengefasst, die wir in unserem Buch überprüfen. Wir zeigen zum Beispiel, dass der tibetische Buddhismus eine fundamentalistischer Religionsentwurf ist, dass er eine zutiefst frauenverachtende Einstellung hat, dass er ein absolutistisches System mit dem Dalai Lama an der Spitze auf Weltebene errichten möchte, dass er Kirche und Staat nicht trennt, dass seine Philosophie und seine Rituale Einfluss auf den Faschismus haben, dass er eine aggressive und kriegerische Ideologie beinhaltet.

Wenn Sie mit Ihrer Frage das Faktenmaterial ansprechen, auf denen unsere Kritik basiert, dann müssen wir auf die Dokumente verweisen, die wir in jahrelanger Arbeit recherchiert, zusammengestellt und geordnet haben. Die Falschinformationen über das tibetische Ritualwesen und die tibetische Geschichte sind wesentlich ein Produkt der letzten dreißig Jahre und setzen mit den Arbeiten jener westlichen Tibetologen ein, die selber zu Buddhisten geworden sind. Davor gibt es jedoch eine neutrale und nichtkonfessionelle, nach Kriterien der westlichen Wissenschaft arbeitende Tibetologie - zum Beispiel David Snellgrove, Hugh Richardson, Rolf A. Stein, Guiseppe Tucci oder Helmut Hoffmann - sie und viele andere haben uns das Quellenmaterial geliefert. Was die jüngste Geschichte anbelangt so sind aufgrund der zahlreichen Streitigkeiten und Widersprüche innerhalb der exiltibetischen Community viele diskriminierende Vorkommnisse ans Tageslicht gekommen, die vorher vertuscht werden konnten. Eine für jedermann zugängliche Quelle hierfür bildet zum Beispiel das Internet. Weiterhin hat sich eine jüngere Generation von kritischen Tibetologen, wenn auch fast ausschließlich in den angelsächsischen Ländern, zu Wort gemeldet: Zum Beispiel Peter Bishop - Bernard Faure - Melvin C. Goldstein - A. Tom Grunfeld - Toni Huber - Robert A. Paul - Eliot Sperling und andere. Sie alle machen Schluss mit dem einseitigen paradiesischen, sowohl von westlicher wie von tibetischer Seite aufgebauten "Mythos Tibet".

Die Treffen Shoko Asaharas mit dem Dalai Lama sind alle dokumentiert. Kurz vor dem Anschlag schrieb der Giftgasguru dem tibetischen Oberhaupt noch einen Brief, in dem er behauptete, sein Sohn sei eine Inkarnation des verstorbenen Panchen Lama. Der Dalai Lama bezeichnete den Guru, nachdem dieser schon verhaftet war, in einem offiziellen Interview immer noch als "einen Freund, wenn auch nicht unbedingt einen vollkommenen." (Stern)

Dass der Dalai Lama als Person direkt (etwa durch einen Befehl) etwas mit den Tokioer Ereignissen zu tun gehabt habe, das ist aus dem uns vorliegenden Material nicht nachzuweisen und auch kaum anzunehmen. Wir haben dagegen eine detaillierte Analyse von Asaharas Weltbild geliefert und aufgezeigt, dass dieses ganz wesentlich mit den tantrischen Geheimlehren des Dalai Lama übereinstimmt. Die Sektenreligion des Asahara stammt in ihrem Kern aus dem tibetischen Buddhismus, sowohl seine Visionen, wie seine sexualmagischen Praktiken als auch seine theologischen, besser buddhologischen Beweggründe.

3. - FACTS: Was bedeutet Ihre Buchveröffentlichung für die Tibeter und jene Westler, die den tibetischen Buddhismus praktizieren?

TRIMONDI:

Diese Frage wäre besser an die Betroffenen zu stellen, als an uns. Wir können hierüber nur Vermutungen äußern. Für beide (die Tibeter und die westlichen Buddhisten) bedeutet unser Buch sicher die Aufforderung, sich radikal und kompromisslos über die eigene Religion und Kultur des Lamaismus aufzuklären, eine ehrliche Aufarbeitung der tibetischen Geschichte zu betreiben und wirklich zu überprüfen, dass all das, was der Dalai Lama fordert und weswegen er so geschätzt wird (Frieden, Gleichberechtigung der Geschlechter, Feindesliebe, Toleranz, Ökumene usw.), wirklich ernst gemeint ist und mit dem Inhalt, den Mysterien und Praktiken des Lamaismus und der alten, bis heute immer noch unveränderten Tantratexte und Riten übereinstimmt.

Für die Exiltibeter könnte unser Buch bedeuten, endlich mit der immer wieder angekündigten Reform ihres politischen Systems in eine Demokratie ernst zu machen: D. h. zeitlich begrenzte Wahl des Regierungschefs durch das Parlament, Trennung von Staat und Kirche, Entfernung des Dalai Lama aus seinen Regierungsfunktionen, solange er noch ein kirchliches Amt ausübt; schaffen eines funktionierenden Mehrparteienwesens statt Ausübung der politischen Macht durch quasi ständestaatliche Interessengruppen; Abschaffung des Staatsorakels und seine Ersetzung durch politische Meinungsbildung; Anerkennung religiöser Minderheiten wie der Shugden Sekte, bewusste Förderung einer öffentlichen Diskussion über die eigene Geschichte und das Ritualwesen; Reform der Tantras im Hinblick der völligen Gleichberechtigung der Frau sowohl im Ritus als auch im Sangha (der buddhistischen Gemeinschaft), als auch in der (exil)tibetischen Gesellschaft. Absage an den Anspruch des Kalachakra Tantras, die gesamte Welt zu buddhisieren.

Für westliche Buddhisten könnte unser Buch bedeuten, mit aller Skepsis ihr gesamtes Religionswissen zu untersuchen. Es nicht nur isoliert zu betrachten, sondern es in Beziehung zu setzen mit den historischen und realpolitischen Ereignissen. Eine Friedensreligion, in der sich die höchsten Repräsentanten die Köpfe blutig schlagen und vor Mord nicht zurückschrecken, muss genauestens hinterfragt werden. Westliche Buddhisten sollten auch nicht davor zurückschrecken, sich Gedanken über die tibetischen Gottheiten zu machen, die in ihrer Aggressivität und Intoleranz diese Kultur ganz wesentlich prägen.

4. - FACTS: Warum erscheint Ihr Buch zum jetzigen Zeitpunkt? Haben Sie Kontakte mit Colin Goldner und Jutta Ditfurth, den Autoren des in Kürze erscheinenden Buches "Dalai Lama - eine Biographie"? (Gewisse Parallelen sind auffällig: Absprachen oder Zufall?) Oder ist es einfach an der Zeit für Klarstellungen und Kritik am Mythos Tibet sowie dem tibetischen Buddhismus, inklusive der Rolle des Dalai Lama?

TRIMONDI:

Der Mythos Tibet und die Mythologisierung des Dalai Lama als "Gottkönig" hat Anfang dieses Jahres mit Scorceses Film "Kundun" einen Höhepunkt erreicht. Eine grundsätzliche Kulturkritik dieser Religion war längst überfällig, aber bisher nur begrenzt möglich, denn wesentliche Texte zum tibetischen Ritualwesen (dem sogenannten Tantrismus) insbesondere über die sexualmagischen Praktiken sind erst in den letzten Jahren übersetzt und veröffentlicht worden. Entscheidend aber waren die aktuellen sozialen Widersprüche innerhalb der exiltibetischen Community, die völlig ignorierte Vorkommnisse ans Tageslicht gebracht haben, zum Beispiel die sogenannte Shugden Affäre, in deren Zusammenhang drei Mönche ermordet wurden, oder die Beziehung des Dalai Lama zu dem japanischen Giftgasguru Shoko Asahara, oder die aggressiven Auseinandersetzungen um die Karmapa Nachfolge.

Diese Ereignisse haben erst das aufregende aktuelle Beweismaterial geliefert, mit dem wir unsere kulturkritischen Thesen untermauern konnten.

Wir haben keinen persönlichen Kontakt zu Jutta Ditfurth und Colin Goldner. Reiner Zufall oder Anklopfen des Zeitgeistes - je nachdem wie Sie wollen. Wir meinen es ist der Zeitgeist, denn die kritischen Auseinandersetzungen und Stimmen sind schon längst laut geworden. Auf die kritische Tibetologie sind wir schon eingegangen. Noch nicht erwähnt haben wir die feministischen Positionen, die schon seit Jahren veröffentlicht werden. Immer mehr Frauen melden sich zu Wort, tibetische Minderheiten rebellieren, viele Westler verlassen den Sangha (die buddhistische Gemeinschaft) aufgrund von tiefer Enttäuschung oder spalten sich in kleinen Gruppen ab.

5. - FACTS: Sie beteuern, kein Buch gegen den Dalai Lama geschrieben zu haben, nicht mit ihm gebrochen zu haben, nennen ihr Buch aber den "Schatten des Dalai Lama" und ihn einen genialen Manipulator (betr. Buddhokratie), der die Weltherrschaft anstrebe. Bleiben sie dabei, Ihr Buch eine kulturphilosophische Studie zu nennen. Herr Brauen geht soweit, sie gar eine Anklageschrift zu nennen.

TRIMONDI:

Wir setzen uns in unserem Buch nicht mit dem Dalai Lama als Mensch auseinander und haben deswegen auch nicht persönlich mit ihm gebrochen. Der Dalai Lama ist jedoch nicht nur ein "einfacher" Mensch, sondern ein sakraler Herrscher, der über die weltliche und spirituelle Macht in einer Person verfügt. Er regiert als der höchste Ritualmeister seines Staates und durch sein Ritualwesen wird die Weltenherrchaft des Buddhismus angestrebt, wie wir es durch viele Zitate nachgewiesen haben. Zum Beispiel gab der berühmte Tibetologe Robert Thurman, Vater der bekannten Schauspielerin Uma Thurman, 1997 auf einer internationalen Tibetkonferenz in Bonn den baldigen Untergang des dekadenten und materialistischen Westens und seinen Ersatz durch eine weltweite buddhokratische Herrschaft nach tibetischem Muster bekannt. Der bekannte Hollywood Schauspieler Richard Gere spricht von einer Kettenreaktion, die in den nächsten Jahren zu einer explosionsartigen Ausbreitung des tibetischen Buddhismus im Westen führen soll.

Was wir analysieren, ist die bewusst geheimgehaltene Seite des Lamaismus und die verdrängte Geschichte Tibets, also die "Schattenseite" dieser Kultur. Erst aufgrund der Paradoxien, die zwischen den öffentlichen Aussagen des Dalai Lama und seinen religiösen Motivationen und Praktiken bestehen, sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei ihm um einen "genialen Manipulator" handelt, denn er tritt ausschließlich mit Maximen des Mahayana Buddhismus auf (z. B. dem Mitgefühl mit allen lebenden Wesen) und verschweigt die problematische Welt der Tantras mit ihren destruktiven Riten.

Selbstverständlich behandeln wir unser Thema kulturphilosophisch und kulturanalytisch. Jeder, der unser Buch liest, wird sehr bald feststellen, dass wir die problematischen Aktivitäten des Dalai Lama oder anderer Lamas, deren Publikation uns von einigen Buddhisten als "Sensationsmache" vorgeworfen wird, ausschließlich aus dem religionsgeschichtlichen und rituellen Hintergrund des tibetischen Buddhismus ableiten. Es sind die Archetypen, die tibetischen Götter und Dämonen, die wir untersuchen, weil wir in ihnen die mythischen Felder erkennen, welche die tibetische Kultur wesentlich bestimmen. In diesem Sinne ist unser Buch eine tiefenpsychologische Kulturstudie

Wir haben uns im Text bemüht, nicht den Charakter einer Anklageschrift aufkommen zu lassen. Es sind wahrscheinlich die bisher verheimlichten und teilweise erschreckenden Fakten, die den Leser dazu bringen könnten, unser Buch als "Anklage" zu sehen. Das ist ein ganz natürliches Empfinden, um so mehr, da es sich beim tibetischen Buddhismus um ein bisher ausschließlich positiv aufgebautes Mythologem handelt. Eine Anklageschrift zu verfassen entsprach aber weder unserer Intention noch entspricht dies der Form oder dem Inhalt des Buches.

6. - FACTS: Herr Brauen kritisiert, dass Sie über 1000 Jahre alte Texte wortwörtlich übersetzen, was aber nicht mehr zeitgemäß sei und zu deren Deutung normalerweise ohnehin ein Lehrmeister beigezogen werden müsse. Was meinen Sie dazu?

TRIMONDI:

Wir selber haben keine Texte und Kommentare zu den Tantras übersetzt, sondern auf die Übersetzungen von hervorragenden Tibetologen in europäische Sprachen zurückgegriffen. Diese Texte sind zwar 1000 Jahre alt, bilden aber im aktuellen Ritualwesen immer noch die tradierte Grundlage und wurden als kodifizierte Schriften niemals einer Revision unterzogen. Ausführlich sind wir auf die Hermeneutik der Tantras in unserem Buch eingegangen und stellen dort auch die verschiedenen Lehrmeinungen vor. (Zum Beispiel die Frage ob es sich bei den sexualmagischen Praktiken um reale oder nur symbolische Handlungen handelt). Die Interpretation der Tantras wird seit Jahrhunderten von großen tibetischen Lehrmeistern, heute auch vom XIV Dalai Lama, betrieben und auch publiziert. Viele dieser Werke sind mittlerweile in europäische Sprachen übersetzt. Das sind die traditionellen "Lehrmeister", die wir in unserem Buch als "Zeugen" zitieren. Sie sind auch nach tibetischer Sicht die spirituellen und wissenschaftlichen Autoritäten, nach denen sich lebende Lamas in ihren Ritualen zu richten haben.

 

 

 

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