INTERVIEWS (01)
FOCUS
- Roger Thiede - 15. März 1999 - (Interv 01)
FACTS
- Patrick Mauron und Stephanie Riedi - Februar
1999 - (Interv 01)
FOCUS
- Roger Thiede - 15. März 1999
Abschied von einem Mythos
Ehemalige
Dalai-Lama-Sympathisanten rechnen mit dem Buddhismus ab - die neue
Trendreligion sei tief in abergläubische Praktiken verwickelt.
FOCUS: Herr
Trimondi, Sie und Ihre Frau haben mit dem Buch "Der Schatten des Dalai
Lama" eine spektakuläre 800 Seiten Attacke auf den Buddhismus
gestartet. Dalai Lama Freunde warfen Ihnen prompt Unseriösität
vor: Ihre Beschreibung der angeblichen "Sexualmagie" des
Buddhismus sei schon deswegen verfehlt, weil Sie nicht über
Sanskritkenntnisse verfügen....
TRIMONDI:
Wir arbeiten nicht als
Philologen, sondern als Kulturkritiker. Ich beschäftige mich seit langem
mit asiatischen Religionen, habe früher als Verleger des Dianus-Trikont-Verlages ein Buch über den XIV Dalai
Lama sowie Titel über die buddhistische Spiritualität herausgebracht. Ich
habe diese Religionen außerdem aus nächster Nähe kennen lernen können. Wenn
Sie sich heute ein Bild machen wollen - etwa von den
im Kalachakra Tantra genannten Einweihungen -, können Sie auf Übersetzungen
und Kommentare aus westlichen Sprachen zurückgreifen. Der von uns
analysierte Spätbuddhismus ist längst schon Teil der globalen Kultur
geworden. Allein in den USA gibt es 1,5 Millionen Anhänger. Der
buddhistische Diskurs beschäftigt seit Jahren eminente viele Menschen im
Westen. Dazu wollen wir einen kritischen Beitrag leisten.
FOCUS: Manches
klingt eher denunzierend. So werden Sie nicht müde, die mönchische Vajrayana Lehre ("Diamantenpfad") als
okkulten Glauben zu präsentieren, dessen Heilige Schriften (Tantras) krass immoralistisch zu Perversionen aufrufe. Als Beleg dafür
müssen uralte - historisch entsprechend kompliziert - Texte herhalten. Im
Notfall stürzen Sie sich auch auf Bekenntnisse dubioser Außenseiter wie die
des tibetischen Sex-Autors Gedün Chöpel oder auf Schriften ehemaliger Anhänger wie die
der Britin June Campbell.
TRIMONDI:
In den höheren acht
Geheiminitiationen der Kalachakra-Einweihung (die
ersten sieben Stufen können risikolos öffentlich zelebriert werden) kommt
es zur Vereinigung mit einer realen Partnerin. Diese "Mudra" soll eine junge Frau im Alter von zehn,
zwölf, sechzehn oder zwanzig Jahren sein. Das ist das Hauptereignis im äusseren Ablauf des Rituals. So steht es jedenfalls im
Urtext des zuletzt offenbarten Zeit-Tantra aus
dem 10. Jahrhundert. Und die Autoren, die Sie Außenseiter nennen, halten
wir für wichtige Quellen, die man nicht a priori vernachlässigen sollte.
FOCUS: Wollen Sie
einen politisch korrekten beziehungsweise feministischen Buddhismus, der
alle abergläubischen Bindungen an die Usancen des alten Tibet aufgibt?
TRIMONDI:
Wir wollen nur, dass der
tibetische Buddhismus sich seiner Verantwortung stellt und seine Geschichte
entsprechend aufarbeitet - wie wir das in Europa doch auch getan haben. Das
ist dieser Glaube unserer Meinung nach seinem extrem erfolgreichen Einbruch
in die westliche Sphäre schuldig.
FOCUS: Dämonisieren
Sie den Orden nicht? Sie schreiben, dass der Lamaismus "durch
Ritualistik und Beschwörungen, durch magische Praktiken und
Konzentrationsübungen Einfluss auf den Geschichtsverlauf unseres
Planeten" nehmen will. Parallel deuten Sie den Dalai-Lama-Kult des
Abendlandes als Ergebnis okkulter Überrumpelung. Müssen wir uns vor der
tibetischen Gefahr schon gruseln?
TRIMONDI:
Bei dem geistigen und rituellen
Einfluss auf den Geschichtsverlauf handelt es sich um ein Programm, das
nicht an das Lebensalter der einzelnen Dalai Lamas gebunden ist. Der
tibetische Buddhismus glaubt wegen der Inkarnationslehre an die Identität
seiner Gottkönige. Am deutlichsten ist dieses Programm ausgedrückt im
sogenannten Shambhala Mythos des Kalachakra Tantra. Gemeint ist die
buddhokratische Eroberung des Planeten durch den Chakravartin, sprich den
prophezeiten Weltenherrscher eines verborgenen mythischen Reiches. Erst
nach einer gewaltigen Schlacht, in der die Feinde des Buddhismus vernichtet
werden, besteigt dieser im Jahre 2327 den Weltenthron. Diese
Endzeiterwartung wird durch Rituale ständig magisch vorangetrieben - denken
Sie an die Sandmandalas, die allerorten
inszeniert werden.
Offiziell dienen sie dem
Weltfrieden. Inoffiziell handelt es sich dabei um Signaturen einer
kommenden weltweiten Buddhokratie. In der christlichen Eschatologie
erscheint der Messias unberechenbar wie der Dieb in der Nacht. Im
buddhistischen Kalachakra Tantra dagegen wird der Chakravartin bewusst
durch Meditation und Ritual als ein Energiekörper produziert. Die Vision
von der Shambhalisierung der Welt hat übrigens
den okkulten Rechtsextremismus stark beeinflusst.
FOCUS: Was hat das
alles persönlich mit dem Dalai Lama zu tun?
TRIMONDI:
Unserer Ansicht nach ist der
Dalai Lama in seiner Funktion als höchster Kalachakra Meister
mitverantwortlich für dieses buddhokratische und kriegerische Ritual.
Deswegen haben wir auch Probleme mit ihm als Friedensfürsten - übrigens
ebenso wie mit dem alten Tibet als vorgegebenem Ökoparadies. Lhasa, wo angeblich die Yaks
und Schneeleoparden den Leuten aus der Hand fraßen, war nach allem, was wir
wissen, eine extrem schmutzige Stadt, in der es so stank, dass man nur mit
einem Tuch vor dem Mund durch die Viertel gehen konnte. Dass der jetzige
Dalai Lama seinen Arm entblößt hält, damit sich Mücken von seinem Blut
ernähren können, ist eine weiteres Klischee. Mit
unseren Recherchen wollen wir solche Bilder korrigieren.
FOCUS: Aus welchem
Grund?
TRIMONDI:
Jede Religion hat ihre
Fundamentalismen. Hier basieren sie auf der Idee des "Zeitrades"
(Kalachakra Tantra), dessen magische Praktiken den Westen nach eigenen
buddhistischen Prophezeiungen erobern sollen. An diesem teil des Buddhismus
hat es nie offene Kritik gegeben. Sie ist aber notwendig, damit sich
Verbrechen wie die der Endzeitsekte AUM des Dalai - Lama - Vertrauten Shoko Asahara, der sich auf
den Shambhala Mythos und das Kalachakra berufen hat, nicht mehr wiederholen.
Dieser Mythos lässt sich jederzeit politisch missbrauchen. Wir fordern
deshalb, dass der tantrische Buddhismus alles aus seinem Konzept streicht,
was endzeitliche Fanatiker an ein blutiges Weltfinale glauben lässt - und
zu entsprechenden Taten anhält. Es nützt nichts, dass sich der Dalai Lama
nach außen als klassischer Mahayana Buddhist präsentiert. Er spricht
einfach zuwenig von den Tantras, zu wenig von den
"Dämonen" seiner Religion - auch nie von den Schreckenskammern
der tibetischen Geschichte. Dabei ist ihm das ominöse Kalachakra Tantra
Ritual, auf dem alles basiert, so wichtig dass er es mindestens 25mal
selbst öffentlich aufgeführt hat.
FOCUS: Spielt er
Ihrer Meinung nach eine Doppelrolle?
TRIMONDI:
Nach außen redet er dauernd vom
Mitgefühlsgebot und über die "Lehre von der Leere", wonach nichts
eine inhärente Existenz habe. Beides ist für den Westen sehr attraktiv. Vor
allem das Mitgefühlsgebot lässt sich perfekt mit einem engagierten Demokratismus verbinden. Diesen Strang des Buddhismus
akzeptieren auch wir. Darum fühlten wir uns vom Dalai Lama ursprünglich
angezogen. In den Tantras aber herrscht eine Welt,
die mit den Werten eines universellen Humanismus nicht übereinstimmt.
_____________________
Leserbriefe zu
diesem Interview:
Friedrich Altreuther, Trochtelfingen:
Wer behauptet, der Buddhismus
habe eine aggressive Welteroberung zum Ziel, hat entweder keine Ahnung oder
sehr tief in der religiösen Rumpelkammer gegraben, um entsprechende Funde
zu globaler Bedrohung aufzublasen. Geschäftstüchtig projiziert Victor
Trimondi die Zukunftsängste seiner Leser auf dieses Thema, um mit seinem
Esoterik-Krimi die schnelle Mark zu machen.
______________________
Klaus Scheffler, Kircheim:
Der Buddhismus ist so wenig
frei von Aberglauben und Gewalt wie alle anderen Religionen. So hielten
sich buddhistische Klöster eigene Armeen und führten gegeneinander Krieg.
FACTS - Patrick
Mauron und Stephanie Riedi - Februar 1999
1. - FACTS: Offenbar
pflegten Sie früher Beziehungen zum Dalai Lama. Welche? Und wie kam es zum
Bruch?
TRIMONDI:
Ich (Victor Trimondi/ Herbert
Röttgen) habe in den 80er Jahren in meinem Verlag (Dianus - Trikont -
Verlag) einige Bücher über den tibetischen Buddhismus und einen Text vom
Dalai Lama veröffentlicht. Wichtiger waren sicher die Kongresse, Symposien
und Veranstaltungen, die ich mit ihm organisierte: 1982 einen Grossauftritt
auf der Frankfurter Buchmesse: "Das Gleichgewicht der Erde"; 1984
ein Kongress über "Neues Bewusstsein" mit Francisco Varela, David Bohm, Fritjof
Capra und anderen: "Andere Wirklichkeiten"; 1986 einen Kongress
mit Carl Friedrich von Weizsäcker, Marie Luise v. Franz, Joseph Needham und Raimondo Panikkar
über das Thema "Raum und Zeit".
Meine Frau und ich hatten, als
wir vor fünf Jahren mit den Recherchen zu unserem Buch begannen, ein
durchaus positives Verhältnis zum tibetischen Buddhismus. Wie sehr viele
Menschen glaubten wir, dass der Dalai Lama einen Grossteil der sozialen
Werte, die für uns wichtig waren, mit Mut und Überzeugung zum Ausdruck
bringt: Friedfertigkeit, Mitgefühl mit allen Wesen, Überwindung der
Klassenschranken, die Überbetonung auf materieller Bedürfnisse,
ökologisches Bewusstsein, Überwindung des Feindbilddenkens,
Gemeinschaftssinn, soziales Engagement, interreligiöser Dialog, Begegnung
der Kulturen und vieles mehr vermeinten wir im tibetischen Buddhismus zu
finden. Wir zählten also zu den zahlreichen westlichen Bewunderern, die in
dieser östlichen Religion ihre Ideale und humanen Werte wiederentdeckten
und diese hier mit einer spirituellen Dimension verbinden konnten.
Insbesondere aber waren wir vom Tantrismus, dem eigentlichen Kern der tibetischen Buddhismus, angezogen. Hier schien es
endlich eine Religion zu geben, welche es mit der Gleichberechtigung der
Geschlechter ernst nahm und den Eros nicht aus dem sakralen Raum verbannte,
sondern ihn in sein Zentrum stellte.
Uns gefiel auch ganz besonders
die religiöse Toleranz Seiner Heiligkeit. Niemals fordert der XIV Dalai
Lama Menschen dazu auf, ihre angestammte Religion zu verlassen und sich dem
Buddhismus anzuschließen. Im Gegenteil - er warnt eindringlich vor einem
Religionswechsel und betont immer wieder, es sei geradezu die Pflicht eines
jeden, denjenigen Glauben, zu dem er überwechseln wolle, auf Herz und
Nieren zu prüfen, ihm mit aller Skepsis und mit einem völlig kritischen
Geist gegenüberzutreten und dann erst seine Entscheidung zu fällen.
Das genau haben wir gemacht! In
der Absicht, im tibetischen Buddhismus eine spirituelle Lehre zu entdecken,
die Antwort weiß auf die Lösung unserer Weltprobleme, haben wir die
Grundlagen des Buddhismus, die Sutren und das Abhidharma, die tantrischen Texte, die Geschichte des
Tantrismus und die Biographien der frühen Tantriker aber vor allem die
Historie Tibets und der Dalai Lamas studiert.
Das Ergebnis war erschütternd
und führte zu einer völligen Revision unserer bisherigen Sicht. Statt einer
friedvollen und toleranten haben wir eine kriegerische und aggressive
Kultur vorgefunden; statt Frauenfreundlichkeit haben wir ein Systems kennen
gelernt, dass die Unterdrückung und Ausbeutung der Frau auf die Spitze
treibt. Unterdrückung Andersdenkender, Despotismus, Intoleranz, grenzenlose
Machtobsessionen, Dämonisierung und Angst als politische Mittel, Verachtung
des Körpers und der Materie - all das, was wir gerade nicht vermutet
hatten, mussten wir in den Texten Ritualen und der Geschichte des
tantrischen Buddhismus entdecken. Wir haben es akribisch und
wahrheitsgetreu in unserem Buch aufgeschrieben.
Mit dem Dalai Lama haben wir
keinen realen Bruch vollzogen. Er ist eine menschlich sehr angenehme
Persönlichkeit und wir stehen ihm trotz unseres kritischen Buches ohne Hass
und ohne Aggressivität gegenüber. Das religiöse System aber, das hinter ihm
wirkt, erscheint uns mittlerweile äußerst fraglich und wir lehnen es entschieden
ab. Er ist aber in diesem System von der Kindheit an gefangen und spielt
darin sowohl die Rolle eines Täters als auch die eines Opfers.
2. - FACTS: Worauf
basiert ihre Kritik? Haben Sie zum Beispiel Dokumente, die belegen, dass
der Dalai Lama zur Zeit der Giftgasanschläge Kontakte mit Shoko Asahara pflegte.
TRIMONDI:
Wenn Sie die Frage so
verstehen, was unsere wichtigsten Kritikpunkte am tibetischen Buddhismus
sind, so haben wir diese in neun Thesen zusammengefasst, die wir in unserem
Buch überprüfen. Wir zeigen zum Beispiel, dass der tibetische Buddhismus
eine fundamentalistischer Religionsentwurf ist, dass er eine zutiefst
frauenverachtende Einstellung hat, dass er ein absolutistisches System mit
dem Dalai Lama an der Spitze auf Weltebene errichten möchte, dass er Kirche
und Staat nicht trennt, dass seine Philosophie und seine Rituale Einfluss
auf den Faschismus haben, dass er eine aggressive und kriegerische
Ideologie beinhaltet.
Wenn Sie mit Ihrer Frage das
Faktenmaterial ansprechen, auf denen unsere Kritik basiert, dann müssen wir
auf die Dokumente verweisen, die wir in jahrelanger Arbeit recherchiert,
zusammengestellt und geordnet haben. Die Falschinformationen über das
tibetische Ritualwesen und die tibetische Geschichte sind wesentlich ein
Produkt der letzten dreißig Jahre und setzen mit den Arbeiten jener
westlichen Tibetologen ein, die selber zu Buddhisten geworden sind. Davor
gibt es jedoch eine neutrale und nichtkonfessionelle, nach Kriterien der
westlichen Wissenschaft arbeitende Tibetologie - zum Beispiel David Snellgrove, Hugh Richardson,
Rolf A. Stein, Guiseppe Tucci
oder Helmut Hoffmann - sie und viele andere haben uns das Quellenmaterial
geliefert. Was die jüngste Geschichte anbelangt so sind aufgrund der
zahlreichen Streitigkeiten und Widersprüche innerhalb der exiltibetischen Community viele diskriminierende Vorkommnisse ans
Tageslicht gekommen, die vorher vertuscht werden konnten. Eine für
jedermann zugängliche Quelle hierfür bildet zum Beispiel das Internet.
Weiterhin hat sich eine jüngere Generation von kritischen Tibetologen, wenn
auch fast ausschließlich in den angelsächsischen Ländern, zu Wort gemeldet:
Zum Beispiel Peter Bishop - Bernard Faure - Melvin C. Goldstein - A. Tom Grunfeld - Toni Huber - Robert A. Paul - Eliot Sperling
und andere. Sie alle machen Schluss mit dem einseitigen paradiesischen,
sowohl von westlicher wie von tibetischer Seite aufgebauten "Mythos
Tibet".
Die Treffen Shoko
Asaharas mit dem Dalai Lama sind alle
dokumentiert. Kurz vor dem Anschlag schrieb der Giftgasguru dem tibetischen
Oberhaupt noch einen Brief, in dem er behauptete, sein Sohn sei eine
Inkarnation des verstorbenen Panchen Lama. Der Dalai Lama bezeichnete den
Guru, nachdem dieser schon verhaftet war, in einem offiziellen Interview
immer noch als "einen Freund, wenn auch nicht unbedingt einen
vollkommenen." (Stern)
Dass der Dalai Lama als Person
direkt (etwa durch einen Befehl) etwas mit den Tokioer Ereignissen zu tun
gehabt habe, das ist aus dem uns vorliegenden
Material nicht nachzuweisen und auch kaum anzunehmen. Wir haben dagegen
eine detaillierte Analyse von Asaharas Weltbild
geliefert und aufgezeigt, dass dieses ganz wesentlich mit den tantrischen
Geheimlehren des Dalai Lama übereinstimmt. Die Sektenreligion des Asahara stammt in ihrem Kern aus dem tibetischen
Buddhismus, sowohl seine Visionen, wie seine sexualmagischen Praktiken als
auch seine theologischen, besser buddhologischen
Beweggründe.
3. - FACTS: Was
bedeutet Ihre Buchveröffentlichung für die Tibeter und jene Westler, die
den tibetischen Buddhismus praktizieren?
TRIMONDI:
Diese Frage wäre besser an die
Betroffenen zu stellen, als an uns. Wir können hierüber nur Vermutungen
äußern. Für beide (die Tibeter und die westlichen Buddhisten) bedeutet
unser Buch sicher die Aufforderung, sich radikal und kompromisslos über die
eigene Religion und Kultur des Lamaismus aufzuklären, eine ehrliche
Aufarbeitung der tibetischen Geschichte zu betreiben und wirklich zu
überprüfen, dass all das, was der Dalai Lama fordert und weswegen er so
geschätzt wird (Frieden, Gleichberechtigung der Geschlechter, Feindesliebe,
Toleranz, Ökumene usw.), wirklich ernst gemeint ist und mit dem Inhalt, den
Mysterien und Praktiken des Lamaismus und der alten, bis heute immer noch
unveränderten Tantratexte und Riten
übereinstimmt.
Für die Exiltibeter könnte
unser Buch bedeuten, endlich mit der immer wieder angekündigten Reform
ihres politischen Systems in eine Demokratie ernst zu machen: D. h.
zeitlich begrenzte Wahl des Regierungschefs durch das Parlament, Trennung
von Staat und Kirche, Entfernung des Dalai Lama aus seinen
Regierungsfunktionen, solange er noch ein kirchliches Amt ausübt; schaffen
eines funktionierenden Mehrparteienwesens statt Ausübung der politischen
Macht durch quasi ständestaatliche Interessengruppen; Abschaffung des
Staatsorakels und seine Ersetzung durch politische Meinungsbildung;
Anerkennung religiöser Minderheiten wie der Shugden
Sekte, bewusste Förderung einer öffentlichen Diskussion über die eigene
Geschichte und das Ritualwesen; Reform der Tantras im Hinblick der völligen
Gleichberechtigung der Frau sowohl im Ritus als auch im Sangha
(der buddhistischen Gemeinschaft), als auch in der (exil)tibetischen
Gesellschaft. Absage an den Anspruch des Kalachakra Tantras, die gesamte
Welt zu buddhisieren.
Für westliche Buddhisten könnte
unser Buch bedeuten, mit aller Skepsis ihr gesamtes Religionswissen zu
untersuchen. Es nicht nur isoliert zu betrachten, sondern es in Beziehung
zu setzen mit den historischen und realpolitischen Ereignissen. Eine
Friedensreligion, in der sich die höchsten Repräsentanten die Köpfe blutig
schlagen und vor Mord nicht zurückschrecken, muss genauestens hinterfragt
werden. Westliche Buddhisten sollten auch nicht davor zurückschrecken, sich
Gedanken über die tibetischen Gottheiten zu machen, die in ihrer
Aggressivität und Intoleranz diese Kultur ganz wesentlich prägen.
4. - FACTS: Warum
erscheint Ihr Buch zum jetzigen Zeitpunkt? Haben Sie Kontakte mit Colin
Goldner und Jutta Ditfurth, den Autoren des in Kürze erscheinenden Buches
"Dalai Lama - eine Biographie"? (Gewisse Parallelen sind
auffällig: Absprachen oder Zufall?) Oder ist es einfach an der Zeit für
Klarstellungen und Kritik am Mythos Tibet sowie dem tibetischen Buddhismus,
inklusive der Rolle des Dalai Lama?
TRIMONDI:
Der Mythos Tibet und die
Mythologisierung des Dalai Lama als "Gottkönig" hat Anfang dieses
Jahres mit Scorceses Film "Kundun" einen Höhepunkt erreicht. Eine
grundsätzliche Kulturkritik dieser Religion war längst überfällig, aber
bisher nur begrenzt möglich, denn wesentliche Texte zum tibetischen
Ritualwesen (dem sogenannten Tantrismus) insbesondere über die
sexualmagischen Praktiken sind erst in den letzten Jahren übersetzt und
veröffentlicht worden. Entscheidend aber waren die aktuellen sozialen
Widersprüche innerhalb der exiltibetischen Community,
die völlig ignorierte Vorkommnisse ans Tageslicht gebracht haben, zum
Beispiel die sogenannte Shugden Affäre, in deren
Zusammenhang drei Mönche ermordet wurden, oder die Beziehung des Dalai Lama
zu dem japanischen Giftgasguru Shoko Asahara, oder die aggressiven Auseinandersetzungen um
die Karmapa Nachfolge.
Diese Ereignisse haben erst das
aufregende aktuelle Beweismaterial geliefert, mit dem wir unsere kulturkritischen
Thesen untermauern konnten.
Wir haben keinen persönlichen
Kontakt zu Jutta Ditfurth und Colin Goldner. Reiner Zufall oder Anklopfen
des Zeitgeistes - je nachdem wie Sie wollen. Wir meinen es ist der
Zeitgeist, denn die kritischen Auseinandersetzungen und Stimmen sind schon
längst laut geworden. Auf die kritische Tibetologie sind wir schon
eingegangen. Noch nicht erwähnt haben wir die feministischen Positionen,
die schon seit Jahren veröffentlicht werden. Immer mehr Frauen melden sich
zu Wort, tibetische Minderheiten rebellieren, viele Westler verlassen den Sangha (die buddhistische Gemeinschaft) aufgrund von
tiefer Enttäuschung oder spalten sich in kleinen Gruppen ab.
5. - FACTS: Sie
beteuern, kein Buch gegen den Dalai Lama geschrieben zu haben, nicht mit
ihm gebrochen zu haben, nennen ihr Buch aber den "Schatten des Dalai
Lama" und ihn einen genialen Manipulator (betr. Buddhokratie), der die
Weltherrschaft anstrebe. Bleiben sie dabei, Ihr Buch eine
kulturphilosophische Studie zu nennen. Herr Brauen geht soweit, sie gar
eine Anklageschrift zu nennen.
TRIMONDI:
Wir setzen uns in unserem Buch
nicht mit dem Dalai Lama als Mensch auseinander und haben deswegen auch
nicht persönlich mit ihm gebrochen. Der Dalai Lama ist jedoch nicht nur ein
"einfacher" Mensch, sondern ein sakraler Herrscher, der über die
weltliche und spirituelle Macht in einer Person verfügt. Er regiert als der
höchste Ritualmeister seines Staates und durch sein Ritualwesen wird die Weltenherrchaft des Buddhismus angestrebt, wie wir es
durch viele Zitate nachgewiesen haben. Zum Beispiel gab der berühmte
Tibetologe Robert Thurman, Vater der bekannten
Schauspielerin Uma Thurman,
1997 auf einer internationalen Tibetkonferenz in Bonn den baldigen
Untergang des dekadenten und materialistischen Westens und seinen Ersatz
durch eine weltweite buddhokratische Herrschaft nach tibetischem Muster
bekannt. Der bekannte Hollywood Schauspieler Richard Gere spricht von einer
Kettenreaktion, die in den nächsten Jahren zu einer explosionsartigen
Ausbreitung des tibetischen Buddhismus im Westen führen soll.
Was wir analysieren, ist die
bewusst geheimgehaltene Seite des Lamaismus und die verdrängte Geschichte
Tibets, also die "Schattenseite" dieser Kultur. Erst aufgrund der
Paradoxien, die zwischen den öffentlichen Aussagen des Dalai Lama und
seinen religiösen Motivationen und Praktiken bestehen, sind wir zu dem
Schluss gekommen, dass es sich bei ihm um einen "genialen
Manipulator" handelt, denn er tritt ausschließlich mit Maximen des
Mahayana Buddhismus auf (z. B. dem Mitgefühl mit allen lebenden Wesen) und
verschweigt die problematische Welt der Tantras mit ihren destruktiven
Riten.
Selbstverständlich behandeln
wir unser Thema kulturphilosophisch und kulturanalytisch. Jeder, der unser
Buch liest, wird sehr bald feststellen, dass wir die problematischen
Aktivitäten des Dalai Lama oder anderer Lamas, deren Publikation uns von
einigen Buddhisten als "Sensationsmache" vorgeworfen wird,
ausschließlich aus dem religionsgeschichtlichen und rituellen Hintergrund
des tibetischen Buddhismus ableiten. Es sind die Archetypen, die
tibetischen Götter und Dämonen, die wir untersuchen, weil wir in ihnen die
mythischen Felder erkennen, welche die tibetische Kultur wesentlich
bestimmen. In diesem Sinne ist unser Buch eine tiefenpsychologische
Kulturstudie
Wir haben uns im Text bemüht,
nicht den Charakter einer Anklageschrift aufkommen zu lassen. Es sind
wahrscheinlich die bisher verheimlichten und teilweise erschreckenden
Fakten, die den Leser dazu bringen könnten, unser Buch als
"Anklage" zu sehen. Das ist ein ganz natürliches Empfinden, um so mehr, da es sich beim tibetischen Buddhismus um
ein bisher ausschließlich positiv aufgebautes Mythologem
handelt. Eine Anklageschrift zu verfassen entsprach aber weder unserer
Intention noch entspricht dies der Form oder dem Inhalt des Buches.
6. - FACTS: Herr
Brauen kritisiert, dass Sie über 1000 Jahre alte Texte wortwörtlich
übersetzen, was aber nicht mehr zeitgemäß sei und zu deren Deutung
normalerweise ohnehin ein Lehrmeister beigezogen werden müsse. Was meinen
Sie dazu?
TRIMONDI:
Wir selber haben keine Texte
und Kommentare zu den Tantras übersetzt, sondern
auf die Übersetzungen von hervorragenden Tibetologen in europäische
Sprachen zurückgegriffen. Diese Texte sind zwar 1000 Jahre alt, bilden aber
im aktuellen Ritualwesen immer noch die tradierte Grundlage und wurden als
kodifizierte Schriften niemals einer Revision unterzogen. Ausführlich sind
wir auf die Hermeneutik der Tantras in unserem
Buch eingegangen und stellen dort auch die verschiedenen Lehrmeinungen vor.
(Zum Beispiel die Frage ob es sich bei den sexualmagischen Praktiken um
reale oder nur symbolische Handlungen handelt). Die Interpretation der Tantras wird seit Jahrhunderten von großen
tibetischen Lehrmeistern, heute auch vom XIV Dalai Lama, betrieben und auch
publiziert. Viele dieser Werke sind mittlerweile in europäische Sprachen
übersetzt. Das sind die traditionellen "Lehrmeister", die wir in
unserem Buch als "Zeugen" zitieren. Sie sind auch nach tibetischer
Sicht die spirituellen und wissenschaftlichen Autoritäten, nach denen sich
lebende Lamas in ihren Ritualen zu richten haben.
|