INTERVIEWS (03)
TOPIC
- Informationsdienst - Missionierung zum Buddhismus? - Mai 2000
DIE
WOCHE - Die Macht der Bilder - 19. März 1999
TOPIC
- Informationsdienst - Mai 2000
Frage 1 - Welche
Rolle spielten Sie in Bezug auf den Dalai Lama? Waren Sie eine Art
Europa-Manager?
Nein, ein Europamanager des
Dalai Lama war ich (Victor Trimondi) nie. Ich war Verleger und habe in den
80er Jahren Bücher des Dalai Lama und über den tibetischen Buddhismus
publiziert. Außerdem habe ich einige Kongresse mit dem tibetischen
Kirchenfürsten und Repräsentanten anderer Religionen veranstaltet. Damals
ging es uns vor allem um den interreligiösen Dialog und die Beziehung
zwischen Religion und Wissenschaft. Für beide Themenbereiche schien uns zu
dieser Zeit der Dalai Lama ein adäquater Ansprechpartner zu sein.
Frage 2 - Schildern
Sie bitte in kurzen Worten, welche die Auslöser bei Ihnen waren, um den
Dalai Lama und den Buddhismus kritisch zu hinterfragen?
Als wir mit der Arbeit an
unserem Buch über den tibetischen Buddhismus vor ca. 6 Jahren begannen,
waren wir noch davon überzeugt, dass die Toleranz, die humanpolitischen
Bekenntnisse, die ethischen Wertvorstellungen und die friedvollen Visionen,
die wir aus den Auftritten des Dalai Lama kennen, ernst gemeint und
richtungsweisend sein könnten. Nach einem intensiven Studium der
tibetischen Geschichte, des lamaistischen Ritualwesens, der
religions-politischen Absichten des Lamaismus und der gesellschaftspolitischen
Situation unter den Exiltibetern sind wir jedoch zu einem ganz anderen
Schluss gekommen: Wir haben einen fundamentalistischen, autokratischen,
kriegerischen, sexistischen Kulturentwurf vorgefunden, der sich nicht mit
den humanpolitischen Grundsätzen der europäischen Tradition vereinbaren
lässt.
Frage 3 - In Ihrem
Kapitel "Magie als Mittel der Politik" führen Sie auch die
Mandala - Politik an. Welche Rolle spielen dabei die im Moment so aktuellen
Mandala-Malbücher für Kinder? Halten Sie das
Ausmalen für harmlos oder für eine direkte Hinführung (Missionierung) zum
Buddhismus, oder verstehen Sie es gar schon als magischen Akt mit ernstem
Hintergrund?
Ein Mandala ist nach lamaistischer Vorstellung ein Kosmogramm, eine
bildliche, oft geometrische Darstellung des Kosmos. Es hat außer der
makrokosmischen auch eine mikrokosmische Bedeutung. Auf der mikrokosmischen
Ebene kann das makrokosmische Mandala seine Entsprechung in der Struktur
einer Landschaft, einer Stadt, eines Tempels ebenso haben wie in der Struktur
des menschlichen Körpers oder des menschlichen Bewusstseins. Alle Tempel
Indiens und Tibets sind dem Muster von Mandalas nachgebaut. Diese gelten
aber auch als ein Abbild des menschlichen Energiekörpers. Kosmos, Tempel
und Mensch entsprechen sich also strukturell nach dieser Weltsicht, allen
dreien liegt eine kodifizierte Mandalageometrie
zugrunde.
Von westlichen Interpreten wird
oft übersehen, dass ein tibetisches Mandala, kein reines Kunstwerk
darstellt, sondern ein Träger von sehr konkreten und genau festgelegten
Energieformen oder auch eine Wohnstätte (ein Palast) von bestimmten Göttern
und Dämonen ist. Die älteren Tibetologen haben denn auch
"Mandala" mit "magischem Kreis" übersetzt und damit auf
die Funktion des Kosmogramms verwiesen, die in ihm wohnenden Kräfte
(Götter) energetisch zu evozieren und zu aktivieren. Insofern entspricht
ein tibetisches Mandala den "Zauberkreisen" der Renaissance, mit
denen Götter und Dämonen beschworen wurden.
Die intensive Beschäftigung mit
einem Mandala (sei es durch Meditation, sei es durch Nachzeichnen) bedeutet
die Übernahme von denjenigen Bewusstseinsstrukturen, welche in dem
entsprechenden Mandala eingeschrieben sind, denn die in ihm verborgenen
Gottheiten können nach tibetischer Sicht das Denken, Fühlen und Handeln des
Menschen beeinflussen. Eine sehr ähnliche These wurde von der Jung'schen Tiefenpsychologie aufgestellt.
Oft sprechen moderne westliche
Pädagogen und Therapeuten davon, dass eine Mandalabetrachtung
(oder Mandalamalen) helfe, das menschliche Bewußtsein zu harmonisieren. Wer jedoch die tibetischen
Mandalas studiert (die unterschiedliche Aspekte des Kosmos oder kosmischer
Kräfte darstellen) wird erkennen, dass viele von ihnen nicht ausgeglichen
sind, sondern problematische Symbolträger sind. Andere wiederum sind mit
religionspolitischen Absichten verbunden - zum Beispiel das sogenannte
"Meru Mandala", das die buddhistische
Herrschaft über den Erdkreis durch einen Weltenherrscher (Chakravartin) zum
Inhalt hat oder das "Kalachakra - Mandala", das die buddhistische
Herrschaft über die Zeit darstellt. Folgen wir der tibetischen Sicht, so
prägen Mandalas das Bewusstsein mit kalkulierten Vorstellungen und besetzen
es mit den Energieformen bestimmter buddhistischer Gottheiten. Deswegen
können Mandalas zu Manipulations- und zu Machtzwecken benutzt werden.
Man kann sicher nicht pauschal
alle Mandalas, vor allem nicht moderne westliche Mandalas, welche seit den
80er Jahren ihre Verbreitung in Kunst und Therapie gefunden haben, als
manipulierend verurteilen. Wenn jedoch moderne Mandalas unreflektiert und
uninformiert problematische Strukturen, Inhalte und Formen von
traditionellen buddhistischen Mandalas übernehmen und diese nur in einem
neuen Stil "verpacken", so kann die Beschäftigung damit für
Menschen, die an die Wirksamkeit solcher Kosmogramme glauben oder besonders
sensibel sind, durchaus Folgen haben. Mandalas sind nach traditioneller
buddhistischer und tiefenpsychologischer Sicht Symbol- und
Archetypenträger. Sind diese harmonisch und ausgeglichen, dann sollte ihre
Auswirkung auf das menschliche Bewusstsein dem entsprechend sein. Es ist
sehr empfehlenswert, spezifisch und einzeln Inhalte und Symbolik von
Mandalas zu untersuchen, bevor man diese grundsätzlich als nur
"negativ" oder als nur "positiv" abstempelt. Was die Kindermandala Bücher anbelangt, so haben wir uns nicht
explizit damit beschäftigt und können deswegen Ihre Frage nicht
beantworten. Generell würden wir aber die oben angeführten Argumente auch
hier empfehlen.
Frage 4 - In Ihrem
Kapitel "Die Scheinwelt des Interreligiösen Dialoges und der
Ökumene" schildern Sie, wie der Buddhismus auf die Vernichtung
Andersgläubiger aus ist. Können Sie noch einmal in kurzen Worten schildern,
wie der Dalai Lama versucht, das Christentum schachmatt zu setzen und wo
die Hauptgefahrenstellen sind, bei denen das Christentum aufpassen muss?
Welche Gegenstrategie würden Sie dem Christentum empfehlen?
Wir setzen uns in unserem Buch Der
Schatten des Dalai Lama vor allem mit dem tibetischen Buddhismus
auseinander und in diesem Zusammenhang insbesondere mit einem Ritualtext,
dem sogenannten Kalachakra Tantra, in dem sich die gesamte Lehre des
Lamaismus verdichtet. Dieser Text fordert explizit die Vernichtung
Andersgläubiger und die Errichtung einer weltweiten Buddhokratie. In seinem
Zentrum befindet sich ein sexualmagisches Ritual, welches auf einer
raffinierten Ausbeutung der Frau basiert, und das wir in unserem Buch genau
beschrieben haben. Das Kalachakra Tantra prophezeit in dreihundert
Jahren einen Vernichtungskrieg zwischen buddhistischen und islamischen
Armeen, aus dem der Buddhismus als Sieger hervorgeht, um als einzige
Religion seine Herrschaft über die Welt zu errichten. Ein Mittel, um dieses
Ziel zu erreichen, besteht - nach lamaistischer
Sicht - in der rituellen Durchführung des Kalachakra Tantra. Dieses
gilt als das wichtigste Ritual des Dalai Lama, welches er 25mal (auch im
Westen mehrmals) aufgeführt hat. Im Jahre 2002 ist in Graz/ Österreich vom
Dalai Lama eine zweiwöchige Kalachakra Mega-Initiation geplant, auf
der viele Tausende von Buddhisten erwartet werden.
Im Westen tritt der Dalai Lama
als der "bessere Christ" auf, das ist seine Methode. Sie brauchen
nur das Buch "Buddhismus und Christentum" von Michael von
Brück, Dekan der evangelisch theol. Fakultät der
Universität München, zu lesen. Dort wir der Dalai Lama als der weltweit
fähigste Exponent des interreligiösen Dialoges geschildert, der Toleranz,
religiösen Humanismus, Geschlechtergleichheit, soziale Gerechtigkeit,
ökologisches Feingefühl, Bescheidenheit, ja alle nur denkbaren Tugenden in
sich vereinigt. Man gewinnt nach der Lektüre dieses Buches den Eindruck,
dass er christliche wie buddhistische Werte gleichermaßen in seiner Person
repräsentiert. Er bietet sich also an als die Integrationsfigur für beide
Religionen. Von Brück gilt seit Jahren als "Dialogpartner" des
Dalai Lama und als engagierter "Brückenbauer" zwischen Buddhismus
und Christentum nicht nur im deutschsprachigen sondern auch in der
internationalen ökumenischen Szene. Er selber ist in buddhistischen
Klöstern initiiert worden und war in den 80ern ein exponierter Sprecher der
deutschen New Age Szene. In seinem neuesten apologetischen Buch über den
Lamaismus "Politik und Religion im tibetischen Buddhismus" geht
er in seiner interreligiösen Toleranz soweit, dass er den Missbrauch von
12jährigen Mädchen durch Lamas für deren geheime sexualmagische Tantrapraktiken legitimiert, weil es sich hierbei um
ein kulturspezifisches Phänomen handele.
Als ein weiterer
"Brückenbauer" zwischen Christentum und Buddhismus gibt sich der
Wiener Publizist Günther Nenning aus. Wie sich Nenning eine solche "Brücke" vorstellt zeigen
die folgenden Zitate aus seinem jüngsten Buch Buddha, Jesus und der Rest
der Welt: "Das Lächeln des Buddha und der Jammer im Auge
Christi." (118) Im Buddhismus "geht es um die absolute Ruhe,
nicht um die christliche Nervosität, zu einem persönlichen Gott zu
gelangen." (64) "Buddha ist die Ruhe, Christen sind
Leistungsfanatiker." (46) "Wir Christen sind Idioten, und Buddha ist
ein großer Lehrer!" (10) "Die buddhistische Gelassenheit, an der
fehlt es bei den Christen." (17) Buddhisten sind "großzügiger.
Sie sind Weltbürger. Verglichen mit ihnen sind wir Christen
Kleinbürger." (129) Wer will da noch Christ bleiben, denn: "Wenn
mich Christen der Buddhismus frißt, gelange ich
näher an die Vollkommenheit." (13)
Dennoch würde der Dalai Lama
selber niemals sagen, dass er beabsichtige, das Christentum zu
unterwandern. Er spricht immer nur von den gleichen Wurzeln, einem
gemeinsamen Ethos und gemeinsamen humanpolitischen Zielsetzungen. Aber da
seine Religion und seine Person im öffentlichen Bewusstsein ohne Makel
dastehen, erscheint er christlicher zu sein als die Christen.
Anders ist es im Buddha freundlichen Umfeld. Nicht alle sind so direkt wie Nenning der ausruft: "Der Buddhismus ist die am
leichtesten globalisierbare Religion. Drum kommt sie auch gut voran.
Hollywood wird Buddhawood. Der Rest des Globus
folgt. Christentum ist zu kompliziert, zu anspruchsvoll. Meditieren gegen
Stress - das ist brauchbar, das kriegen wir hin. Schöne Worte in
orangenroten Gewändern." (19) Auf Seite 20 formuliert er das globale
Kulturprogramm für das kommende Millenium so
kristallklar, dass jeder Zweifel schwindet. "Was sich globalisiert ist
nicht Jesus, sondern Buddha. Er steigt auf zum Herrn der Globalisierung.
Der Dalai Lama ist der Bill Gates der religiösen Globalisierung." (20)
In den "akademischen"
Kreisen der westlichen Lamaismusanhänger geht man etwas indirekter vor.
Hier kann man eindeutig die religionspolitische Strategie erkennen,
Christus als eine Ausstrahlung (Emanation) des Bodhisattva des Mitgefühls (Avalokiteshvara) darzustellen. Ein Bodhisattva ist ein
übermenschliches Wesen, welches sich in verschieden Menschen inkarniert. Die bekannteste Inkarnation des Avalokiteshvara ist der Dalai Lama. Eine ganze Anzahl
von modernen buddhistischen Texten diskutieren nun (mal
religionshistorisch, mal esoterisch), ob sich Avalokiteshvara
denn nicht auch in Christus inkarniert haben
könnte. Die Absicht, die dahinter steht ist klar: das Christentum soll aus
der buddhistischen Philosophie und "Theologie" abgeleitet werden
und der Dalai Lama soll als eine Art moderner "Buddha-Christus"
erscheinen. Solche Uminterpretationen betreibt
der amerikanische Religionsforscher, Tibetologe, "Sprachrohr des Dalai
Lama" und Vater der Hollywood Schauspielerin Uma
Thurman noch radikaler, indem er große
Persönlichkeiten der abendländischen Kulturgeschichte (Newton, Kant,
Nietzsche u. a.) zu Ausstrahlungen von Bodhisattvas
erklärt und als Vorreiter für eine unaufhaltsam anrückende weltweite
Buddhokratie vorstellt.
Als Gegenstrategie empfehlen
wir eine ehrliche, umfangreiche, objektive, emotionslose und ständige
Aufklärung über den Lamaismus, der Geschichte Tibets und den Dalai Lama
sowie Informationen über die "Schattenseiten" dieser Religion.
Die Tatsachen die dann ans Licht kämen, dürften hinreichen, um nicht mehr
der Manipulation zu verfallen.
Frage 5 - 1994 hat
der Dalai Lama im Rahmen eines John-Main-Seminars
eine wichtige Rede an der Middlesex-Universität
in London gehalten. Der Vortrag soll ihm die Türen in Großbritannien
geöffnet haben. Wissen Sie vielleicht etwas über die Rolle der Middlesex-Universität bei dieser Unternehmung? Ist Middlesex interreligiös ausgerichtet, buddhistisch
unterwandert?
Wir glauben nicht, dass die Middlesex Universität ursprünglich buddhistisch
ausgerichtet war, bevor der Dalai Lama dort aufgetreten ist. Auf dem John
Main Seminar (1994) muss sich etwas abgespielt haben, was für die Auftritte
des Dalai Lama prototypisch ist, und was er con variatione
zahllose Male mit Erfolg wiederholt hat. Bei der Selbstdarstellung in einer
andersgläubigen (hier christlichen) Gemeinschaft legt er den aller größten
Wert darauf zu demonstrieren, dass er nie und nimmer die Anwesenden zum
Buddhismus bekehren möchte. Im Gegenteil er fordert alle inständigst auf,
unbedingt in ihrer Religion weiter zu praktizieren und zu bleiben. Auf der
anderen Seite vertritt er mit großer Eloquenz christliche Grundtugenden von
Friedfertigkeit und Nächstenliebe im allerbesten Sinne und behauptet sie
seien schon immer Grundwerte des Lamaismus gewesen. Auch machen
ihn sein Image als einfacher Mönch und als Politiker ohne Macht bei seinen
Zuhörern zu einer Art "Christusfigur". Christen glauben in ihm
ein Vorbild zu erkennen, welches sie bei ihren eigenen Religionsführern
nicht mehr finden. Und da der Dalai Lama keine Konversion von ihnen
verlangt, verherrlichen Sie ihn als den "wahren" Christen und
lassen sich zum Beispiel darauf ein, über buddhistische Mandalas zu
meditieren, ohne darüber genau informiert zu sein. Naiv setzen sie sich
damit einem Energiefeld aus, welches sie in den lamaistischen Kulturkreis
hineinsaugt. Das "tolerante", "interreligiöse" und
"interkulturelle" Auftreten des tibetischen "Gottkönigs"
muss man daher mit großer Vorsicht genießen, da er nicht offen über die im
Ritualwesen des Lamaismus traditionell enthaltenen buddhokratischen
Ziele und Machtansprüche spricht.
DIE WOCHE - Mark Spörrle u. Torsten Engelhardt - 19. März 1999
Die Macht der Bilder
Herbert und Mariana
Röttgen glauben an den Einfluss tibetischer Mythen auf die Realität
DIE WOCHE: Die
Methodik, mit der Sie in Ihrem Buch mit dem tibetischen Buddhismus und dem
Dalai-Lama abrechnen, erscheint uns fragwürdig. Erst schildern Sie
drastische, religiöse Bilder, Mythen und Rituale. Dann behaupten Sie, diese
Vorstellungswelten würden wortwörtlich umgesetzt; buddhistische Lamas
würden sexual-magische Rituale praktizieren, so wie sie vor Jahrhunderten
niedergeschrieben worden seien. Das ist doch, als behaupte man, das Ritual
des Abendmahls sei ein realer Akt von Kannibalismus.
HERBERT RÖTTGEN: Es
ist eine allgemein bekannte Tatsache, dass Rituale im tibetisch-tantrischen
Buddhismus stattfinden. Die gesamte Kultur basiert darauf. Ebenso macht
diese Kultur aus ihrem traditionellen Verständnis heraus keinen Unterschied
zwischen Realität und Symbol. Deswegen werden die Rituale sowohl symbolisch
als auch real verstanden und durchgeführt. Wie in allen sakralen Kulturen
sind im Tantrismus die alten Texte auch heute noch die Basis für die
Rituale.
DIE WOCHE: Sätze wie
" Wir gehen davon aus" tauchen in Ihrem Buch ständig auf: Wo sind
die Beweise?
HERBERT RÖTTGEN:
Wenn Sie damit meinen, ob religiöse Bilder, Mythen und Rituale Einfluss auf
die Wirklichkeit haben, so ist diese Vorstellung durchaus ein
Allgemeinplatz in der Religionswissenschaft und der europäischen
Philosophiegeschichte. Unter dem Eindruck der nationalsozialistischen
Vergangenheit Deutschlands erscheint es uns geradezu naiv, die Macht von
Bildern und Symbolen zu leugnen. Jede religiöse oder politische Bewegung
braucht sie, um sich im Bewusstsein der Massen zu verankern.
DIE WOCHE: Und Sie
glauben, das gilt auch noch am Anfang des 21. Jahrhunderts?
HERBERT RÖTTGEN:
Selbstverständlich. Als Gegenbewegung zur "rationalen Weltsicht"
haben wir in den letzten 20 Jahren eine explosionsartige Renaissance von
allen möglichen esoterischen und religiösen Kulten, mit denen sich Menschen
unkritisch identifizieren, erlebt. Über die Macht-Obsessionen und
Gewaltpotentiale in den religiösen Bildern, politischen Mythen und den
damit verbundenen Ritualen, machen sich die Allerwenigsten Gedanken.
Deswegen war man völlig davon überrascht, als Ayathollah
Khomeini im Iran vor 20 Jahren den Gottesstaat ausrief.
DIE WOCHE: Sie
trauen dem tibetischen Buddhismus dieselbe soziale und politische
Sprengkraft zu wie dem Islam. Sie halten sogar einen heiligen
buddhistischen Krieg für möglich. Ist das nicht masslos
übertrieben?
MARIANA RÖTTGEN:
Ein buddhistischer Krieg ist im so genannten Shambala-Mythos
des Kalachakra-Rituals als fester Bestandteil
angelegt. Dieser Mythos prognostiziert einen Endkampf zwischen
buddhistischen und islamischen Armeen im Jahre 2327 und wird ständig durch
eine rituelle Performance im Bewusstsein praktizierender Buddhisten
verankert.
DIE WOCHE: Und dafür
wollen Sie religiöse Mythen verantwortlich machen? Es ist doch vielmehr so,
dass Politiker zunehmend Religionen für ihre Machtinteressen
instrumentalisieren.
HERBERT RÖTTGEN:
Natürlich gibt es Politiker, die religiöse Bilder benutzen, um
machtpolitische Interessen durchzusetzen. Es gibt aber auch religiöse
Fanatiker, die die Politik benutzen, um ihre religiösen Bilder zu
verankern.
DIE WOCHE: Sie
trauen dem tibetischen Buddhismus also religiösen Terrorismus zu?
HERBERT RÖTTGEN:
Die Geschichte der tibetischen Kultur zeigt, dass das Land nicht nur von
meditierenden "Buddhas" beherrscht wurde, sondern ebenso von
einem aggressiven Dämonenglauben. Religiöser Terrorismus hat die Geschichte
des Lamaismus seit seiner Gründungsphase begleitet. Selbst unter den
Exiltibetern gibt es Formen von Gewalt, die an religiösen Terrorismus
grenzen.
DIE WOCHE: Und
deshalb werfen Sie dem Dalai Lama heute vor, er sei ein Scheindemokrat,
sein Exilparlament eine Farce?
HERBERT RÖTTGEN:
Dadurch, dass im Ritualwesen des Dalai-Lama eine weltweite Buddhokratie
anvisiert wird, mit einem Weltenherrscher an der Spitze, passt diese Vision
nicht zu den demokratischen Bekenntnissen des Dalai-Lama. Der Dalai-Lama
ist gleichzeitig höchster spiritueller Führer und Staatschef auf
Lebenszeit. In den bedeutendsten politischen Fragen lässt er sich nicht von
seinen Ministern beraten, sondern von einem Staatsorakel, das ein
mongolischer Kriegsgott ist.
DIE WOCHE: Das sind
doch schon wieder alte Mythen.
MARIANA RÖTTGEN:
Wenn Sie damit die Errichtung einer weltweiten Buddhokratie meinen, dann
mochten wir darauf verweisen, dass der amerikanische Tibetologe und das
Sprachrohr des Dalai-Lama, Robert Thurman, 1997
auf der Tibet-Konferenz in Bonn öffentlich bekannt gab: Der dekadente
materialistische Westen würde in allernächster Zeit zerfallen und durch ein
buddhistisches Werte- und Staatssystem ersetzt.
DIE WOCHE Das steht
in krassem Gegensatz zu dem, was der Dalai-Lama immer sagt.
HERBERT RÖTTGEN: Ja.
DIE WOCHE: Sie
konstatieren ein weltweites Revival religiöser
Sehnsüchte. Dem Buddhismus messen Sie dabei eine besondere Bedeutung zu.
MARIANA RÖTTGEN: So
wie sich der tibetische Buddhismus und der Dalai Lama im Westen
präsentieren, gelten sie für viele Menschen als ein Idealbild, welches sie
nirgends sonst mehr finden. Weil bisher keine aufgeklärte
Auseinandersetzung stattgefunden hat, sind die "Schattenseiten"
dieser Religion, ihres Führers, des 14. Dalai-Lama, der tibetischen
Geschichte in der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt und schon gar nicht
aufgearbeitet.
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