Der Schatten des Dalai Lama

Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus

 

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INTERVIEWS (05)

BERNER ZEITUNG - Hans Peter Roth - April 1999

ORF/RUNDFUNK - "Abteilung Religion" - Ursula Baatz


BERNER ZEITUNG - Hans Peter Roth - April 1999

1. - BZ: Warum wird an vielen schulwissenschaftlichen Instituten und in vielen Presseredaktionen nicht wertfrei, nicht sogenannt objektiv geurteilt, wenn sich jemand wie (Sie) kritisch äußert zum Dalai Lama oder der tibetischen Kultur? Woran liegt es, dass der Dalai Lama nicht nur unter Tibetern selbst, sondern auch im westlichen Kulturkreis bisher irgendwie unantastbar war und kaum kritisiert wurde?

TRIMONDI:

a. - weil viele der "Fachkräfte" (Tibetologen, Religionswissenschaftler, Journalisten) schon dem buddhistischen Glauben angehören und Meditationspraktiken durchführen oder aktiv in den zahlreichen Tibet- Supportgruppen tätig sind. Sie können und wollen deswegen gar nicht mehr objektiv urteilen.

b. - weil der Dalai Lama und sein Land mittlerweile im Westen ein weit verbreitetes Sehnsuchtsbild und einen Mythos darstellen, die beide einen Tabu Charakter tragen. Der Verlust dieses Mythos macht vielen Angst.

c. - weil grundsätzlich kein Verständnis besteht für die enge Verflechtung von Politik und Religion, die den Lamaismus von der eigenen Doktrin her bestimmt.

d. - weil man einfach die Ungeheuerlichkeiten dieses Systems nicht wahrhaben will und keine Illusion verlieren möchte, vor allem weil hier im Westen die christlichen Kirchen bei vielen "Suchenden" abgelehnt werden und der tibetische Buddhismus mit dem Dalai Lama an der Spitze als ein würdiger Ersatz erscheinen.

e. - weil der internationale Lamaismus selber eine geschickte Verschleierungspolitik betreibt und sich im Westen anders präsentiert als er wirklich ist.

f. - weil der Dalai Lama in der Auseinandersetzung des Westens mit China eine wichtige politische Schachfigur ist und deswegen "Narrenfreiheit" genießt.

2. - BZ: Wird das Pendel nun in die andere Richtung schwingen?

TRIMONDI: Auf jeden Fall wird eine Identifikation mit dem "Gottkönig" aus Tibet nicht mehr so ungefragt hingenommen werden wie vor der Veröffentlichung unseres Buches. Schon jetzt kündigen die meisten unserer Gegner an, eine kritische Haltung gegenüber ihrem eigenen System sei sehr vernachlässigt worden. Wir können deswegen mit Sicherheit davon ausgehen, dass es immer häufiger Teilkritiken zu dem einen oder anderen Aspekt des Lamaismus und der tibetischen Geschichte geben wird. Ob sich eine religionsphilosophische und kulturkritische Diskussion in der Grundsätzlichkeit, wie wir sie angeschnitten haben, entwickelt, das werden die nächsten Monate zeigen. Es gibt einige Anzeichen dafür. Letztendlich hängt das davon ab, ob sich die sogenannte "liberale" Öffentlichkeit des Themas annimmt.

3. - BZ: Was macht die östlichen Religionen, darunter den Buddhismus, für den westlichen Kulturkreis so faszinierend?

TRIMONDI: Das Faszinierendste dürfte neben dem Exotismus das individuelle Erleuchtungsversprechen sein. Zwar konstatiert der Buddhismus tibetischer Prägung, dass beim Erleuchtungsweg das Ego (somit die Individualität) aufgegeben werden muss. Dennoch glaubt ein Westler grundsätzlich, dass er (als Individuum und menschliches Wesen) es ist, der Erleuchtung erlangt. Was selten wahrgenommen wird, ist die Tatsache, dass der "initiierte" Schüler durch die Ritualpraktiken zum Teilaspekt einer spirituell-politischen Kultur wird, welche die Machtinteressen einer Mönchskaste und der hinter ihnen wirkenden "Gottheiten" vertritt. Statt Erleuchtung zu erreichen, endet der Schüler als Instrument eines kodifizierten religiösen Systems. In den meisten Fällen kennt er nicht einmal dessen wirkliche Geschichte und dessen wirklichen Absichten.

4. - BZ: Kann man die Haltung, Einstellung, die Praktiken und die Rituale eines Dalai Lama bez. eines tibetischen Buddhisten als "westlicher" Mensch überhaupt verstehen, wenn man kein esoterisches Weltbild hat?

TRIMONDI: Nur sehr schwer! Man braucht zwar kein festes esoterisches Weltbild zu haben, um den Dalai Lama zu verstehen, aber man muss sich zeitweise auf die Logik und die paradigmatischen Voraussetzungen der Esoterik einlassen, um zu verstehen, was der tibetische "Gottkönig" mit seinem System beabsichtigt. Eine säkulare Einstellung, die von vornherein die Verbindung und gegenseitige Beeinflussung von Ritual und Politik, von sexualmagischen Riten und Macht, von Mikro- und Makrokosmos, welche die Existenz von übernatürlichen Wesen in Menschengestalt, die Inkarnationslehre und vieles andere als reine "Hirngespinste" ablehnt - kann das Funktionieren dieses "okkulten" Systems nicht verstehen. Er wird das alles als wirkungslos beziehungsweise im besten Fall als schönen Schein zur Erbauung der Seele abtun. Das wissen der Dalai Lama und sein Klerus sehr genau und damit rechnen sie. Der XIV Dalai Lama spricht in der Öffentlichkeit ja nur in den seltensten Fällen die Sprache der Esoterik, sondern er wendet sich gekonnt an das sogenannte "liberale" Bewusstsein und zwar als "Demokrat", als "moderner Wissenschaftler", als "Rationalist", als "Kulturträger", als "Menschenrechtler", als "Ökologe", als "Friedensnobelpreisträger" usw. Damit hat er auch die Herzen aller "Agnostiker" gewonnen und kann vorgeben, sich wesentlich von den anderen Religionen zu unterscheiden.

5. - BZ: Können dem profan-materialistisch orientierten Westen daraus Gefahren erwachsen?

TRIMONDI: Ja! Der profane Westen unterschätzt die Macht der Mythen und Religionen und weigert sich, eine breit gefächerte Diskussion darüber zu eröffnen. Er überlässt den Religionen blind ihrem Feld, unter der Voraussetzung, dass sie sich an die Gesetze des Staates halten.

Mythen haben jedoch eine große Macht! Im Falle des Nationalsozialismus wurde das ganz besonders deutlich. Es gibt zunehmend Historiker, die auch im Stalinismus und Maoismus das mythisch-religiöse Moment betonen. Spätesten nach den Ereignissen der "iranischen Revolution" hätte der Westen aufwachen müssen. Eine Auseinandersetzung mit den dogmatischen, visionären und religionsgeschichtlichen Grundlagen der Ayatholla Bewegung blieb jedoch eine Randerscheinung. (Eine Ausnahme machte hierzulande Peter Scholl Latour) Weder die "Taliban in Afghanistan", noch die "Schlächtereien in Algerien", noch die religiösen Programme der "Hamas" haben zu einer breiten Diskussion über die Mythen und Bilder geführt, nach denen sich diese Bewegungen orientieren. Der zurzeit tobende Kosovokrieg ist ohne den "Mythos vom Amselfeld" überhaupt nicht denkbar. Selbst die zahlreichen fundamentalistischen Strömungen im Westen oder die brutale Gewalt in den amerikanischen Schulen werden von Mythologemen bestimmt. Es sind (mehr denn je) mythische Bilder, die das Bewusstsein der Menschen beeinflussen. Deswegen kann der aggressive "Shambhala Mythos" des tibetischen Buddhismus ebenso gefährlich werden, wie entsprechende Vorstellungen vom islamischen Dschihad (Heiliger Krieg).

Das Aufzeigen und das Bewerten der Mythen hinter den religionspolitischen Bewegungen und Strömungen der "Postmoderne" ist aber nur die eine Seite. Hinzukommen müsste die "Arbeit am Mythos", seine Transformation beziehungsweise die Kreation neuer Mythen, die mit dem humanum (dem Humanismus, einer globalen Friedensethik, der Gleichberechtigung der Geschlechter, den Menschenrechten usw.) kompatibel sind.

6. - BZ: Streben die Tibeter nach einer geistigen Okkupation des Westens?

TRIMONDI: Nicht die Tibeter als Volk, sondern das Ritualwesen des lamaistischen Buddhismus hat die Eroberung des Planeten und die Errichtung einer weltweiten Buddhokratie zum Ziel. Die Programme hierzu sind im sogenannten Kalachakra Tantra und dem Shambhala Mythos aufgeschrieben. Viele Kritiker regen sich über diese Tatsache, die in unserem Buch ausführlich behandelt wird, sehr auf und kanzeln sie dann als eine Behauptung, die wir erfunden hätten, ab. Dabei ist die religionspolitische Rolle eines "Chakravartin", d. h. eines spirituell-weltlichen Dominus Mundi ("Weltenherrscher"), schon seit Jahrhunderten das Zentrum der meisten asiatischen Religionen und wird dort immer schon angestrebt. In der Geschichte vieler Länder dieses Kontinents war ein "Chakravartin" (Weltenherrscher) die ständig erwartete Heilsfigur. Zahlreiche "sakrale" Herrscher Indiens, Tibets, Chinas oder Südostasiens nahmen für sich in Anspruch, eine entsprechende Funktion schon innezuhaben oder anzustreben.

Mit der Person des XIV Dalai Lama wird diese globale Machtvision normalerweise nicht mehr verbunden. Dennoch praktiziert der tibetische Hierarch Rituale (das Kalachakra Tantra) und verbreitet prophetische Mythen (den Shambhala Mythos), welche die Errichtung einer weltweiten Buddhokratie zum Inhalt und als Ziel haben, auch wenn er sich nach außen hin auf Prinzipien der westlichen Demokratie und die ethischen Maximen des Mahayana Buddhismus beruft.

Dabei handelt es sich aber nicht um eine "Verschwörung", sondern um die Durchführung eines religiös-politischen Programms. Eine "Verschwörung" würde bedeuten, dass sich eine Gruppe von Menschen in einem Geheimbund zusammenschließt, um die Macht im Staate zu erobern. Davon kann im Falle des tibetischen Buddhismus nicht die Rede sein. Die weltweite Errichtung des Dharmas (der buddhistischen Lehre) ist durchaus ein offenes und nicht ein geheimes Thema unter Buddhisten des tibetischen Weges, sie ist Teil der dogmatischen Lehre und durch viele orthodoxe Aussagen gestützt. Das gleiche gilt für die Errichtung einer globalen Buddhokratie. Beispielsweise gab der berühmte Tibetologe Robert Thurman, Vater der Schauspielerin Uma Thurman, 1997 auf einer internationalen Tibetkonferenz in Bonn den alsbaldigen Untergang des dekadenten und materialistischen Westens und seinen Ersatz durch eine weltweite buddhokratische Herrschaft nach tibetischem Muster bekannt. Der Hollywoodschauspieler Richard Gere sprach (1998) von einer Kettenreaktion, die in den nächsten Jahren zu einer explosionsartigen Ausbreitung des tibetischen Buddhismus im Westen führen soll.

Aber nicht nur der Westen soll durch den Lamaismus okkupiert werden, sondern auch der Osten; der Shambhala Mythos soll auch in den asiatischen Ländern insbesondere in China seine Verbreitung finden. Deswegen schlägt der Dalai Lama in letzter Zeit den Chinesen ständig einen Vertrag vor, in dem Ökonomie und Religion in einem Austauschverhältnis stehen. Sie (die Chinesen) und ihre "erfolgreiche" Wirtschaft könnten in Zukunft für das "materielle" Wohl, er (der Dalai Lama) und seine "erfolgreiche" Religion aber für das "geistige" Wohl des chinesischen Volkes sorgen - d.h. mit anderen Worten, der tibetische "Gottkönig" intendiert eine Lamaisierung Chinas.

7. - BZ: Lassen sich die tibetischen Bewegungen im Westen mit Sekten oder religiösen Gruppen mit vereinnahmender Tendenz vergleichen?

TRIMONDI: Die Frage ist nur zu beantworten, wenn wir den Unterschied zwischen Sekte und offizieller Religion klar definieren können. Das ist jedoch nicht so einfach! "Vereinnahmende Tendenzen" gibt es hier wie dort, ebenso wie es hier und dort Versuche gibt, die menschliche Freiheit zu fördern. Wir halten jedoch den Lamaismus für ein gefährliches System der "Vereinnahmung", vor allem weil er nicht mit offenen Karten spielt, die Welt über seine wahren Absichten (die globalen Machtansprüche einer Mönchselite) im Unklaren lässt und weil er auf der großen politischen Bühne agiert.


 ORF/RUNDFUNK - "Abteilung Religion" - Ursula Baatz - April 1999

1. - ORF: In Ihrem Buch stehen weibliche und männliche Energien einander gegenüber - wie sehen Sie das Verhältnis dieser Energien und gibt es eine/n Autor/in, auf den/die sie sich dabei beziehen?

TRIMONDI: Der buddhistische Tantrismus basiert auf der Vorstellung, dass die beiden Geschlechterenergien die zwei Urkräfte darstellen, die unser Universum gestalten, etwa entsprechend der Yin Yang Philosophie in der chinesischen Ideengeschichte. Wir konnten jedoch zeigen, dass diese beiden Urkräfte vom Lamaismus zugunsten einer patriarchalisch ausgerichteten Mönchselite ausgenutzt und funktionalisiert werden. Deswegen basiert das gesamte System auf einer strukturellen Ausbeutung weiblicher Energieformen. Ein gleichwertiger Umgang mit dem männlichen und weiblichen Prinzip findet nicht statt.

Es gibt zwar Stimmen, die das fordern! Insbesondere aus dem feministischen Lager. Als Autorinnen sind hier zum Beispiel Rita. M. Gross oder Miranda Shaw zu nennen. Es besteht aber bei den Feministinnen die Tendenz sich umgekehrt die männlichen Ernergieformen anzueignen zugunsten einer matriarchalen Machtelite.

Ein Vision, die auf einer konsequent durchgeführten gleichwertigen sakralen Partnerschaft zwischen dem männlichen und weiblichen Prinzip beruht, ist uns aus der buddhistischen Diskussion nicht bekannt. Es gibt sie jedoch in nichtbuddhistischen Texten! Als ein Klassiker zu diesem Thema wäre hier das Buch von Walter Schubart - Religion und Eros - zu nennen, das schon in den 40er Jahren erschienen ist.

2. - ORF: Was ist der Unterschied zwischen Prajna und Upaya?

TRIMONDI: Prajna bedeutet "höchste Weisheit" und Upaya bedeutet "Methode". Beide gelten geradezu als die Urmutter und der Urvater aller anderen tantrischen Geschlechtergegensätze, sie stellen im Tantrismus die Geschlechterpolarität schlechthin dar. Im tantrischen Sexualakt repräsentiert der männliche Teil Upaya, d.h. die Methode, der weibliche dagegen Prajna, die "Weisheit".

Diese nahezu unbegrenzte Ausdehnung der zwei Prinzipien hat dazu geführt, dass sie selten kritisch untersucht wurden. Wieso - so haben wir uns fragen - bedarf die "Weisheit" der "Methode"? - Diese Kontrapunktik passt irgendwie nicht zusammen, denn kann es überhaupt eine unmethodische, chaotische "Weisheit" geben?

"In allen Fällen" - schreibt der David Snellgrove, ein hervorragender Kenner des Tantrismus - "muss betont werden, dass die Methode ... als Mittel zu einem Zweck dient. Keineswegs trägt sie diesen Zweck in sich selbst, wie das sicher für die Vollendete Weisheit (prajna) gesagt werden kann." Die männliche "Methode" ist also ein Instrument, um sich die weibliche "Weisheit" anzueignen. Das haben wir ausführlich in unserem Buch behandelt.

3. - ORF: Wie sehen Sie die historische Stellung des tibetischen Buddhismus?

TRIMONDI: Der tibetische Buddhismus ist ein Import des tantrischen Buddhismus aus Indien nach Tibet, der seit dem 8. Jh. schrittweise das Kulturgefüge des Himalaya eroberte und sich dort etablieren und später über ganz Innerasien ausbreiten konnte. Es wurden zwar sehr viele autochthone Kulte in das System integriert, aber dogmengeschichtlich sind die Lehrsätze des tibetischen Buddhismus alle aus Indien übernommen worden.

Es wird immer wieder betont, die tantrisch- sexualmagischen Rituale seien nur ein kleiner Teil des Gesamtsystems und stünden strikt unter den ethischen Geboten des Mahayana Buddhismus. Das stimmt - unserer Ansicht nach - nur sehr bedingt. Einmal ist der Tantrismus das zentrale Mysterium, sozusagen das Kernstück dieser Kultur. Zum anderen hat er sich mit einheimischen Ritualen stark vermischt und konnte deswegen ganz entscheidend die popular culture Tibets bestimmen.

4. - ORF: Was sehen Sie als den Kern der buddhistischen Lehre?

TRIMONDI: Kern der buddhistischen Lehre, wie sie von dem historischen Buddha Shakyamuni gelehrt wurde, ist die Überwindung von Leiden durch Erkenntnis von den Ursachen des Leidens, d. h. durch die Überwindung von Hass, Gier und Unwissenheit. Dies ist die Bedingung für die Erleuchtung. Im Mahayana Buddhismus kommt das Gebot hinzu, allen Menschen dabei zu helfen, dass sie den Erleuchtungspfad betreten können.

Das Streben nach Macht und die Ausübung von Macht, sei diese nun spiritüller oder weltlicher Natur ist im ursprünglichen Buddhismus kein Thema. Im Tantrismus aber tritt dieses Machtstreben in den Vordergrund. Der Tantrismus ist deswegen als eine Degenerationsform der ursprünglichen Lehre zu sehen, wie das zum Beispiel der Historiker des Mahayana Buddhismus Edward Conze erklärt.

5. - ORF: Worin genau besteht der nationalsozialistische Einfluss auf den Dalai Lama/ tibetischen Buddhismus?

TRIMONDI: Einen direkten Einfluss nationalsozialistischen Gedankenguts auf den Dalai Lama haben wir nicht feststellen können, und auch in unserem Buch nicht behauptet. Auffallend ist jedoch, dass das tibetische Oberhaupt enge Freundschaften zu alten SS'lern unterhält, beziehungsweise unterhalten hat: zum Beispiel zu Heinrich Harrer, Bruno Beger und Heinz Schäfer.

Was wir jedoch sehr ausführlich nachweisen konnten, ist, dass der tantrische Buddhismus und der tibetische Mythos von Shambhala einen grossen Einfluss auf faschistische und nationalsozialistische Intellektuelle ausgeübt hat und immer noch ausübt. Zum Beispiel auf Julius Evola, dem esoterischen Berater von Benito Mussolini, oder auf Migül Serrano, ehemaliger chilenischer Diplomat und Führer der chilenischen Nationalsozialismus. Serranos okkulte Ideologie, die er "esoterischen Hitlerismus" nennt, macht zahlreiche Anleihen bei der tibetischen Lehre. Er ist ein vielgelesener Autor in Kreisen der neofaschistischen Internationale und seine Bücher sind im freien Buchhandel erhältlich.

6. - ORF: Wer ist Avalokiteshvara? Wer ist Kuan Yin?

TRIMONDI: Avalokiteshvara ist der "Bodhisattva des Mitgefühls" und als solcher hier im Westen sehr bekannt. Er wird als der Bodhisattva unseres Zeitalters verehrt. Der Dalai Lama gilt als seine Inkarnation. Dabei vergisst man fast immer, dass Avalokiteshvara auch andere Aspekte hat, als die immer nur in den Vordergrund gestellten positiven. Jeder Buddha und jeder Bodhisattva weist im tantrischen System auch eine zornvolle und aggressive Seite auf. Im Fall des Avalokiteshvara haben wir dessen Beziehung zum Totengott Yama herausgearbeitet.

Kuan Yin ist die "Göttin des Erbarmens", die bis heute in China und Japan eine hohe Verehrung findet. Kuan Yin hatte ursprünglich keine eigene Existenz, sondern galt ausschliesslich als eine feminine Erscheinungsform Avalokiteshvaras. Sie konnte sich jedoch im Laufe der Geschichte verselbständigen und übernahm dabei viele Eigenschaften der vorbuddhistischen, d. h. daoistischen, Muttergottheiten des alten Chinas.

Archetypisch gesehen, stehen Avalokiteshvara und Kuan Yin in einer Geschlechterkonkurrenz. Ihre Unterschiede haben uns dazu gedient, die religionspolitischen Differenzen zwischen Tibet und China als einen Geschlechterkonflikt zu deuten.

7. - ORF: Warum ist das Kalachakra Tantra ein Versuch, die Weltherrschaft zu erringen?

TRIMONDI: Weil diese Absicht im Kalachakra Tantra explizit erwähnt ist. Im Gegensatz zu den anderen Tantra Texten hat das Kalachakra Tantra einen machtpolitischen und einen kosmologischen Teil. Der kosmologische Teil zielt auf die rituelle Konstruktion eines ADI - Buddhas, eines höchsten Buddhas, der das gesamte Universum umfasst. Dieser übt neben seinen spirituellen Aufgaben auch politisch Funktionen aus, unter anderem die Durchführung von Kriegen. Er ist ein Chakravartin, das heisst übersetzt, ein "Weltenherrscher" und als solcher auch mit weltlichen Machtattributen ausgestattet. Im Frühbuddhismus waren die Rollen eines Chakravartins, d. h. eines Weltenkönigs und eines Buddhas, d. h. eines erleuchteten Wesens, noch voneinander getrennt. Im Tantrismus aber fallen beiden zusammen und spielen im traditionellen tibetischen Denken, im Ritualwesen und in der buddhistischen Philosophie bis heute eine unveränderte Rolle.

Das Kalachakra Tantra beinhaltet auch den sogenannten Shambhala Mythos. Danach wird die Welt im Jahre 2327 von buddhistischen Heeren erobert, die anschliessend eine globale Buddhokratie errichten werden. Dieser Mythos wird während der durch den Dalai Lama durchgeführten Kalachakra Initiationen wieder belebt. Er ist für jeden Gläubigen des tibetischen Buddhismus eine visionäre Dimension, die sich eines Tages hier auf Erden realisieren wird.

8. - ORF: Was bedeutet in diesem Zusammenhang Weltenherrschaft?

TRIMONDI: Eine Weltenherrschaft würde die Errichtung einer weltweiten Buddhokratie bedeuten. Was ist darunter nach traditioneller tibetischer Sicht zu verstehen?

1. - dass der Buddhismus als einzige Staatsreligion für unseren Planeten Geltung hat und keine anderen Glaubensrichtungen neben sich duldet beziehungsweise von der Macht ausschließt.

2. - dass auf weltweiter Ebene die politische und die spirituelle Herrschaft nicht voneinander getrennt sind, also dass die Weltkirche und der Weltstaat eine Einheit bilden.

3. - dass die politische Macht vom Mönchsklerus ausgeübt wird.

4. - dass das globale Staatsoberhaupt, der Weltenherrscher, nicht ein einfacher Mensch ist, sondern ein inkarniertes Buddhawesen, das heißt eine lebende Gottheit auf Erden.

Im Grunde handelt es sich bei diesem Konzept um die Übertragung der klassischen, tibetischen Staatsform auf den gesamten Planeten. Auch in Tibet war das Staatsoberhaupt ein inkarniertes Buddhawesen, der Dalai Lama.

Eine Buddhisierung unseres Planeten wurde zum Beispiel von Robert Thurman, dem "Sprachrohr des Dalai Lamas in den USA und Vater der bekannten Schauspielerin Uma Thurman, 1997 auf einer internationalen Tibetkonferenz in Bonn prophezeit, als er den baldigen Untergang des dekadenten und materialistischen Westens und seinen Ersatz durch eine weltweite buddhokratische Herrschaft nach tibetischem Muster bekannt gab. Der Hollywoodschauspieler Richard Gere spricht von einer Kettenreaktion, die in den nächsten Jahren zu einer explosionsartigen Ausbreitung des tibetischen Buddhismus im Westen führen soll.

9. ORF: Sie führen immer wieder paranormale/magische Kräfte tibetischer Mönche an: Haben Sie selbst damit Bekanntschaft gemacht?

TRIMONDI: Ja! Wir sind davon überzeugt, dass ihre Rituale eine Wirksamkeit auf Menschen haben können, zumindest wenn diese Menschen an dieses Religionssystem und an diese lamaistischen Praktiken glauben. Dann sind sie ein Teil davon und erleben ihre innere und äussere Welt nach den Mustern und den Dogmen der tantrisch-magischen Weltanschauung. Der Glaube daran ist jedoch - unserer Ansicht nach - die Voraussetzung für die Wirksamkeit solcher "paranormaler" Kräfte. Wenn dies nicht der Fall wäre, weswegen dann das lamaistische Ritualwesen, die Faszination der Gläubigen, die fest davon überzeugt sind, dass ihre Meister Wunder vollbringen, bis hin zu dem, seine nächste Inkarnation bestimmen zu können. Viele Westler sind gerade von den geheimnisvollen Kräften, die von den Lamas ausgehen sollen, in den Bann gezogen. Die magischen Wunderkräfte tibetischer Mönche sind mittlerweile zu einem beliebtes Thema in der westlichen popular culture und der Inhalt zahlreicher Fernsehfilme geworden. 

 

 

 

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