INTERVIEWS (05)
BERNER
ZEITUNG - Hans Peter Roth - April 1999
ORF/RUNDFUNK
- "Abteilung Religion" - Ursula Baatz
BERNER ZEITUNG - Hans Peter Roth - April 1999
1. - BZ: Warum wird
an vielen schulwissenschaftlichen Instituten und in vielen
Presseredaktionen nicht wertfrei, nicht sogenannt objektiv geurteilt, wenn
sich jemand wie (Sie) kritisch äußert zum Dalai Lama oder der tibetischen
Kultur? Woran liegt es, dass der Dalai Lama nicht nur unter Tibetern
selbst, sondern auch im westlichen Kulturkreis bisher irgendwie unantastbar
war und kaum kritisiert wurde?
TRIMONDI:
a. - weil viele der
"Fachkräfte" (Tibetologen, Religionswissenschaftler,
Journalisten) schon dem buddhistischen Glauben angehören und
Meditationspraktiken durchführen oder aktiv in den zahlreichen Tibet-
Supportgruppen tätig sind. Sie können und wollen deswegen gar nicht mehr
objektiv urteilen.
b. - weil der Dalai
Lama und sein Land mittlerweile im Westen ein weit verbreitetes
Sehnsuchtsbild und einen Mythos darstellen, die beide einen Tabu Charakter
tragen. Der Verlust dieses Mythos macht vielen Angst.
c. - weil
grundsätzlich kein Verständnis besteht für die enge Verflechtung von
Politik und Religion, die den Lamaismus von der eigenen Doktrin her
bestimmt.
d. - weil man
einfach die Ungeheuerlichkeiten dieses Systems nicht wahrhaben will und
keine Illusion verlieren möchte, vor allem weil hier im Westen die
christlichen Kirchen bei vielen "Suchenden" abgelehnt werden und
der tibetische Buddhismus mit dem Dalai Lama an der Spitze als ein würdiger
Ersatz erscheinen.
e. - weil der
internationale Lamaismus selber eine geschickte Verschleierungspolitik
betreibt und sich im Westen anders präsentiert als er wirklich ist.
f. - weil der Dalai
Lama in der Auseinandersetzung des Westens mit China eine wichtige
politische Schachfigur ist und deswegen "Narrenfreiheit" genießt.
2. - BZ: Wird das
Pendel nun in die andere Richtung schwingen?
TRIMONDI: Auf jeden
Fall wird eine Identifikation mit dem "Gottkönig" aus Tibet nicht
mehr so ungefragt hingenommen werden wie vor der Veröffentlichung unseres
Buches. Schon jetzt kündigen die meisten unserer Gegner an, eine kritische
Haltung gegenüber ihrem eigenen System sei sehr vernachlässigt worden. Wir
können deswegen mit Sicherheit davon ausgehen, dass es immer häufiger
Teilkritiken zu dem einen oder anderen Aspekt des Lamaismus und der
tibetischen Geschichte geben wird. Ob sich eine religionsphilosophische und
kulturkritische Diskussion in der Grundsätzlichkeit, wie wir sie
angeschnitten haben, entwickelt, das werden die nächsten Monate zeigen. Es
gibt einige Anzeichen dafür. Letztendlich hängt das davon ab, ob sich die
sogenannte "liberale" Öffentlichkeit des Themas annimmt.
3. - BZ: Was macht
die östlichen Religionen, darunter den Buddhismus, für den westlichen
Kulturkreis so faszinierend?
TRIMONDI: Das
Faszinierendste dürfte neben dem Exotismus das
individuelle Erleuchtungsversprechen sein. Zwar konstatiert der Buddhismus
tibetischer Prägung, dass beim Erleuchtungsweg das Ego (somit die
Individualität) aufgegeben werden muss. Dennoch glaubt ein Westler
grundsätzlich, dass er (als Individuum und menschliches Wesen) es
ist, der Erleuchtung erlangt. Was selten wahrgenommen wird, ist die
Tatsache, dass der "initiierte" Schüler durch die Ritualpraktiken
zum Teilaspekt einer spirituell-politischen Kultur wird, welche die
Machtinteressen einer Mönchskaste und der hinter ihnen wirkenden
"Gottheiten" vertritt. Statt Erleuchtung zu erreichen, endet der
Schüler als Instrument eines kodifizierten religiösen Systems. In den
meisten Fällen kennt er nicht einmal dessen wirkliche Geschichte und dessen
wirklichen Absichten.
4. - BZ: Kann man
die Haltung, Einstellung, die Praktiken und die Rituale eines Dalai Lama
bez. eines tibetischen Buddhisten als "westlicher" Mensch
überhaupt verstehen, wenn man kein esoterisches Weltbild hat?
TRIMONDI: Nur sehr
schwer! Man braucht zwar kein festes esoterisches Weltbild zu haben, um den
Dalai Lama zu verstehen, aber man muss sich zeitweise auf die Logik
und die paradigmatischen Voraussetzungen der Esoterik einlassen, um zu
verstehen, was der tibetische "Gottkönig" mit seinem System
beabsichtigt. Eine säkulare Einstellung, die von vornherein die Verbindung
und gegenseitige Beeinflussung von Ritual und Politik, von sexualmagischen
Riten und Macht, von Mikro- und Makrokosmos, welche die Existenz von übernatürlichen
Wesen in Menschengestalt, die Inkarnationslehre und vieles andere als reine
"Hirngespinste" ablehnt - kann das Funktionieren dieses
"okkulten" Systems nicht verstehen. Er wird das alles als
wirkungslos beziehungsweise im besten Fall als schönen Schein zur Erbauung
der Seele abtun. Das wissen der Dalai Lama und sein Klerus sehr genau und
damit rechnen sie. Der XIV Dalai Lama spricht in der Öffentlichkeit ja nur
in den seltensten Fällen die Sprache der Esoterik, sondern er wendet sich
gekonnt an das sogenannte "liberale" Bewusstsein und zwar als
"Demokrat", als "moderner Wissenschaftler", als
"Rationalist", als "Kulturträger", als
"Menschenrechtler", als "Ökologe", als "Friedensnobelpreisträger"
usw. Damit hat er auch die Herzen aller "Agnostiker" gewonnen und
kann vorgeben, sich wesentlich von den anderen Religionen zu unterscheiden.
5. - BZ: Können dem
profan-materialistisch orientierten Westen daraus Gefahren erwachsen?
TRIMONDI: Ja! Der
profane Westen unterschätzt die Macht der Mythen und Religionen und weigert
sich, eine breit gefächerte Diskussion darüber zu eröffnen. Er überlässt
den Religionen blind ihrem Feld, unter der Voraussetzung, dass sie sich an
die Gesetze des Staates halten.
Mythen haben jedoch
eine große Macht! Im Falle des Nationalsozialismus wurde das ganz besonders
deutlich. Es gibt zunehmend Historiker, die auch im Stalinismus und
Maoismus das mythisch-religiöse Moment betonen. Spätesten nach den
Ereignissen der "iranischen Revolution" hätte der Westen
aufwachen müssen. Eine Auseinandersetzung mit den dogmatischen, visionären
und religionsgeschichtlichen Grundlagen der Ayatholla
Bewegung blieb jedoch eine Randerscheinung. (Eine Ausnahme machte
hierzulande Peter Scholl Latour) Weder die "Taliban in Afghanistan", noch die
"Schlächtereien in Algerien", noch die religiösen Programme der
"Hamas" haben zu einer breiten Diskussion über die Mythen und
Bilder geführt, nach denen sich diese Bewegungen orientieren. Der zurzeit
tobende Kosovokrieg ist ohne den "Mythos vom Amselfeld" überhaupt
nicht denkbar. Selbst die zahlreichen fundamentalistischen Strömungen im
Westen oder die brutale Gewalt in den amerikanischen Schulen werden von Mythologemen bestimmt. Es sind (mehr denn je) mythische
Bilder, die das Bewusstsein der Menschen beeinflussen. Deswegen kann der
aggressive "Shambhala Mythos" des tibetischen Buddhismus ebenso
gefährlich werden, wie entsprechende Vorstellungen vom islamischen Dschihad (Heiliger Krieg).
Das Aufzeigen und
das Bewerten der Mythen hinter den religionspolitischen Bewegungen und
Strömungen der "Postmoderne" ist aber nur die eine Seite.
Hinzukommen müsste die "Arbeit am Mythos", seine Transformation
beziehungsweise die Kreation neuer Mythen, die mit dem humanum
(dem Humanismus, einer globalen Friedensethik, der Gleichberechtigung der
Geschlechter, den Menschenrechten usw.) kompatibel sind.
6. - BZ: Streben die
Tibeter nach einer geistigen Okkupation des Westens?
TRIMONDI: Nicht die
Tibeter als Volk, sondern das Ritualwesen des lamaistischen Buddhismus hat
die Eroberung des Planeten und die Errichtung einer weltweiten Buddhokratie
zum Ziel. Die Programme hierzu sind im sogenannten Kalachakra Tantra
und dem Shambhala Mythos aufgeschrieben. Viele Kritiker regen sich
über diese Tatsache, die in unserem Buch ausführlich behandelt wird, sehr
auf und kanzeln sie dann als eine Behauptung, die
wir erfunden hätten, ab. Dabei ist die religionspolitische Rolle eines
"Chakravartin", d. h. eines spirituell-weltlichen Dominus Mundi
("Weltenherrscher"), schon seit Jahrhunderten das Zentrum der meisten
asiatischen Religionen und wird dort immer schon angestrebt. In der
Geschichte vieler Länder dieses Kontinents war ein "Chakravartin"
(Weltenherrscher) die ständig erwartete Heilsfigur. Zahlreiche
"sakrale" Herrscher Indiens, Tibets, Chinas oder Südostasiens
nahmen für sich in Anspruch, eine entsprechende Funktion schon innezuhaben
oder anzustreben.
Mit der Person des
XIV Dalai Lama wird diese globale Machtvision normalerweise nicht mehr
verbunden. Dennoch praktiziert der tibetische Hierarch Rituale (das Kalachakra
Tantra) und verbreitet prophetische Mythen (den Shambhala Mythos),
welche die Errichtung einer weltweiten Buddhokratie zum Inhalt und als Ziel
haben, auch wenn er sich nach außen hin auf Prinzipien der westlichen
Demokratie und die ethischen Maximen des Mahayana Buddhismus beruft.
Dabei handelt es
sich aber nicht um eine "Verschwörung", sondern um die
Durchführung eines religiös-politischen Programms. Eine
"Verschwörung" würde bedeuten, dass sich eine Gruppe von Menschen
in einem Geheimbund zusammenschließt, um die Macht im Staate zu erobern.
Davon kann im Falle des tibetischen Buddhismus nicht die Rede sein. Die
weltweite Errichtung des Dharmas (der buddhistischen Lehre) ist durchaus
ein offenes und nicht ein geheimes Thema unter Buddhisten des
tibetischen Weges, sie ist Teil der dogmatischen Lehre und durch viele
orthodoxe Aussagen gestützt. Das gleiche gilt für die Errichtung einer
globalen Buddhokratie. Beispielsweise gab der berühmte Tibetologe Robert Thurman, Vater der Schauspielerin Uma
Thurman, 1997 auf einer internationalen
Tibetkonferenz in Bonn den alsbaldigen Untergang des dekadenten und
materialistischen Westens und seinen Ersatz durch eine weltweite
buddhokratische Herrschaft nach tibetischem Muster bekannt. Der
Hollywoodschauspieler Richard Gere sprach (1998) von einer Kettenreaktion,
die in den nächsten Jahren zu einer explosionsartigen Ausbreitung des
tibetischen Buddhismus im Westen führen soll.
Aber nicht nur der
Westen soll durch den Lamaismus okkupiert werden, sondern auch der Osten;
der Shambhala Mythos soll auch in den asiatischen Ländern
insbesondere in China seine Verbreitung finden. Deswegen schlägt der Dalai
Lama in letzter Zeit den Chinesen ständig einen Vertrag vor, in dem
Ökonomie und Religion in einem Austauschverhältnis stehen. Sie (die
Chinesen) und ihre "erfolgreiche" Wirtschaft könnten in Zukunft
für das "materielle" Wohl, er (der Dalai Lama) und seine
"erfolgreiche" Religion aber für das "geistige" Wohl
des chinesischen Volkes sorgen - d.h. mit anderen Worten, der tibetische
"Gottkönig" intendiert eine Lamaisierung
Chinas.
7. - BZ: Lassen sich
die tibetischen Bewegungen im Westen mit Sekten oder religiösen Gruppen mit
vereinnahmender Tendenz vergleichen?
TRIMONDI: Die Frage
ist nur zu beantworten, wenn wir den Unterschied zwischen Sekte und
offizieller Religion klar definieren können. Das ist jedoch nicht so
einfach! "Vereinnahmende Tendenzen" gibt es hier wie dort, ebenso
wie es hier und dort Versuche gibt, die menschliche Freiheit zu fördern.
Wir halten jedoch den Lamaismus für ein gefährliches System der
"Vereinnahmung", vor allem weil er nicht mit offenen Karten
spielt, die Welt über seine wahren Absichten (die globalen Machtansprüche
einer Mönchselite) im Unklaren lässt und weil er auf der großen politischen
Bühne agiert.
ORF/RUNDFUNK -
"Abteilung Religion" - Ursula Baatz -
April 1999
1. - ORF: In Ihrem
Buch stehen weibliche und männliche Energien einander gegenüber - wie sehen
Sie das Verhältnis dieser Energien und gibt es eine/n Autor/in, auf den/die
sie sich dabei beziehen?
TRIMONDI: Der buddhistische
Tantrismus basiert auf der Vorstellung, dass die beiden
Geschlechterenergien die zwei Urkräfte darstellen, die unser Universum
gestalten, etwa entsprechend der Yin
Yang Philosophie in der chinesischen Ideengeschichte. Wir konnten
jedoch zeigen, dass diese beiden Urkräfte vom Lamaismus zugunsten einer
patriarchalisch ausgerichteten Mönchselite ausgenutzt und funktionalisiert
werden. Deswegen basiert das gesamte System auf einer strukturellen
Ausbeutung weiblicher Energieformen. Ein gleichwertiger Umgang mit dem
männlichen und weiblichen Prinzip findet nicht statt.
Es gibt zwar Stimmen, die das
fordern! Insbesondere aus dem feministischen Lager. Als Autorinnen sind hier zum Beispiel Rita. M. Gross
oder Miranda Shaw zu nennen. Es besteht aber bei den Feministinnen die
Tendenz sich umgekehrt die männlichen Ernergieformen
anzueignen zugunsten einer matriarchalen
Machtelite.
Ein Vision, die auf einer
konsequent durchgeführten gleichwertigen sakralen Partnerschaft zwischen
dem männlichen und weiblichen Prinzip beruht, ist uns aus der
buddhistischen Diskussion nicht bekannt. Es gibt sie jedoch in
nichtbuddhistischen Texten! Als ein Klassiker zu diesem Thema wäre hier das
Buch von Walter Schubart - Religion und Eros - zu nennen, das schon
in den 40er Jahren erschienen ist.
2. - ORF: Was ist
der Unterschied zwischen Prajna und Upaya?
TRIMONDI: Prajna
bedeutet "höchste Weisheit" und Upaya
bedeutet "Methode". Beide gelten geradezu als die Urmutter und
der Urvater aller anderen tantrischen Geschlechtergegensätze, sie stellen
im Tantrismus die Geschlechterpolarität schlechthin dar. Im tantrischen
Sexualakt repräsentiert der männliche Teil Upaya,
d.h. die Methode, der weibliche dagegen Prajna,
die "Weisheit".
Diese nahezu unbegrenzte
Ausdehnung der zwei Prinzipien hat dazu geführt, dass sie selten kritisch
untersucht wurden. Wieso - so haben wir uns fragen - bedarf die
"Weisheit" der "Methode"? - Diese Kontrapunktik passt
irgendwie nicht zusammen, denn kann es überhaupt eine unmethodische,
chaotische "Weisheit" geben?
"In allen Fällen" -
schreibt der David Snellgrove, ein hervorragender
Kenner des Tantrismus - "muss betont werden, dass die Methode ... als
Mittel zu einem Zweck dient. Keineswegs trägt sie diesen Zweck in sich selbst,
wie das sicher für die Vollendete Weisheit (prajna)
gesagt werden kann." Die männliche "Methode" ist also ein
Instrument, um sich die weibliche "Weisheit" anzueignen. Das
haben wir ausführlich in unserem Buch behandelt.
3. - ORF: Wie sehen
Sie die historische Stellung des tibetischen Buddhismus?
TRIMONDI: Der tibetische
Buddhismus ist ein Import des tantrischen Buddhismus aus Indien nach Tibet,
der seit dem 8. Jh. schrittweise das Kulturgefüge des Himalaya
eroberte und sich dort etablieren und später über ganz Innerasien
ausbreiten konnte. Es wurden zwar sehr viele autochthone Kulte in das
System integriert, aber dogmengeschichtlich sind die Lehrsätze des
tibetischen Buddhismus alle aus Indien übernommen worden.
Es wird immer wieder betont,
die tantrisch- sexualmagischen Rituale seien nur
ein kleiner Teil des Gesamtsystems und stünden strikt unter den ethischen
Geboten des Mahayana Buddhismus. Das stimmt - unserer Ansicht nach - nur
sehr bedingt. Einmal ist der Tantrismus das zentrale Mysterium, sozusagen
das Kernstück dieser Kultur. Zum anderen hat er sich mit einheimischen
Ritualen stark vermischt und konnte deswegen ganz entscheidend die popular culture
Tibets bestimmen.
4. - ORF: Was sehen
Sie als den Kern der buddhistischen Lehre?
TRIMONDI: Kern der
buddhistischen Lehre, wie sie von dem historischen Buddha Shakyamuni gelehrt wurde, ist die Überwindung von
Leiden durch Erkenntnis von den Ursachen des Leidens, d. h. durch die
Überwindung von Hass, Gier und Unwissenheit. Dies ist die Bedingung für die
Erleuchtung. Im Mahayana Buddhismus kommt das Gebot hinzu, allen Menschen
dabei zu helfen, dass sie den Erleuchtungspfad betreten können.
Das Streben nach Macht und die
Ausübung von Macht, sei diese nun spiritüller
oder weltlicher Natur ist im ursprünglichen Buddhismus kein Thema. Im
Tantrismus aber tritt dieses Machtstreben in den Vordergrund. Der
Tantrismus ist deswegen als eine Degenerationsform der ursprünglichen Lehre
zu sehen, wie das zum Beispiel der Historiker des Mahayana Buddhismus
Edward Conze erklärt.
5. - ORF: Worin
genau besteht der nationalsozialistische Einfluss auf den Dalai Lama/
tibetischen Buddhismus?
TRIMONDI: Einen direkten
Einfluss nationalsozialistischen Gedankenguts auf den Dalai Lama haben wir
nicht feststellen können, und auch in unserem Buch nicht behauptet.
Auffallend ist jedoch, dass das tibetische Oberhaupt enge Freundschaften zu
alten SS'lern unterhält, beziehungsweise
unterhalten hat: zum Beispiel zu Heinrich Harrer,
Bruno Beger und Heinz Schäfer.
Was wir jedoch sehr ausführlich
nachweisen konnten, ist, dass der tantrische Buddhismus und der tibetische
Mythos von Shambhala einen grossen Einfluss auf
faschistische und nationalsozialistische Intellektuelle ausgeübt hat und immer noch ausübt. Zum Beispiel auf Julius Evola, dem esoterischen Berater von Benito Mussolini,
oder auf Migül Serrano, ehemaliger chilenischer
Diplomat und Führer der chilenischen Nationalsozialismus. Serranos okkulte
Ideologie, die er "esoterischen Hitlerismus"
nennt, macht zahlreiche Anleihen bei der tibetischen Lehre. Er ist ein
vielgelesener Autor in Kreisen der neofaschistischen Internationale und
seine Bücher sind im freien Buchhandel erhältlich.
6. - ORF: Wer ist Avalokiteshvara? Wer ist Kuan
Yin?
TRIMONDI: Avalokiteshvara
ist der "Bodhisattva des Mitgefühls" und als solcher hier im
Westen sehr bekannt. Er wird als der Bodhisattva unseres Zeitalters
verehrt. Der Dalai Lama gilt als seine Inkarnation. Dabei vergisst man fast
immer, dass Avalokiteshvara auch andere Aspekte
hat, als die immer nur in den Vordergrund gestellten positiven. Jeder
Buddha und jeder Bodhisattva weist im tantrischen System auch eine
zornvolle und aggressive Seite auf. Im Fall des Avalokiteshvara
haben wir dessen Beziehung zum Totengott Yama herausgearbeitet.
Kuan Yin ist die "Göttin des
Erbarmens", die bis heute in China und Japan eine hohe Verehrung
findet. Kuan Yin
hatte ursprünglich keine eigene Existenz, sondern galt ausschliesslich
als eine feminine Erscheinungsform Avalokiteshvaras.
Sie konnte sich jedoch im Laufe der Geschichte verselbständigen und
übernahm dabei viele Eigenschaften der vorbuddhistischen, d. h. daoistischen, Muttergottheiten des alten Chinas.
Archetypisch gesehen, stehen Avalokiteshvara und Kuan
Yin in einer Geschlechterkonkurrenz. Ihre
Unterschiede haben uns dazu gedient, die religionspolitischen Differenzen
zwischen Tibet und China als einen Geschlechterkonflikt zu deuten.
7. - ORF: Warum ist
das Kalachakra Tantra ein Versuch, die Weltherrschaft zu erringen?
TRIMONDI: Weil diese Absicht im
Kalachakra Tantra explizit erwähnt ist. Im Gegensatz zu den anderen Tantra
Texten hat das Kalachakra Tantra einen machtpolitischen und einen
kosmologischen Teil. Der kosmologische Teil zielt auf die rituelle
Konstruktion eines ADI - Buddhas, eines höchsten Buddhas, der das gesamte
Universum umfasst. Dieser übt neben seinen spirituellen Aufgaben auch
politisch Funktionen aus, unter anderem die Durchführung von Kriegen. Er
ist ein Chakravartin, das heisst
übersetzt, ein "Weltenherrscher" und als solcher auch mit
weltlichen Machtattributen ausgestattet. Im Frühbuddhismus waren die Rollen
eines Chakravartins, d. h. eines Weltenkönigs und
eines Buddhas, d. h. eines erleuchteten Wesens, noch voneinander getrennt.
Im Tantrismus aber fallen beiden zusammen und spielen im traditionellen
tibetischen Denken, im Ritualwesen und in der buddhistischen Philosophie
bis heute eine unveränderte Rolle.
Das Kalachakra Tantra
beinhaltet auch den sogenannten Shambhala Mythos. Danach wird die Welt im
Jahre 2327 von buddhistischen Heeren erobert, die anschliessend
eine globale Buddhokratie errichten werden. Dieser Mythos wird während der
durch den Dalai Lama durchgeführten Kalachakra Initiationen wieder belebt.
Er ist für jeden Gläubigen des tibetischen Buddhismus eine visionäre
Dimension, die sich eines Tages hier auf Erden realisieren wird.
8. - ORF: Was
bedeutet in diesem Zusammenhang Weltenherrschaft?
TRIMONDI: Eine Weltenherrschaft
würde die Errichtung einer weltweiten Buddhokratie bedeuten. Was ist
darunter nach traditioneller tibetischer Sicht zu verstehen?
1. - dass der Buddhismus als einzige
Staatsreligion für unseren Planeten Geltung hat und keine anderen
Glaubensrichtungen neben sich duldet beziehungsweise von der Macht
ausschließt.
2. - dass auf weltweiter Ebene die
politische und die spirituelle Herrschaft nicht voneinander getrennt sind,
also dass die Weltkirche und der Weltstaat eine Einheit bilden.
3. - dass die politische Macht vom
Mönchsklerus ausgeübt wird.
4. - dass das globale Staatsoberhaupt,
der Weltenherrscher, nicht ein einfacher Mensch ist, sondern ein inkarniertes Buddhawesen, das heißt eine lebende
Gottheit auf Erden.
Im Grunde handelt es sich bei
diesem Konzept um die Übertragung der klassischen, tibetischen Staatsform
auf den gesamten Planeten. Auch in Tibet war das Staatsoberhaupt ein inkarniertes Buddhawesen, der Dalai Lama.
Eine Buddhisierung
unseres Planeten wurde zum Beispiel von Robert Thurman,
dem "Sprachrohr des Dalai Lamas in den USA und Vater der bekannten Schauspielerin
Uma Thurman, 1997 auf
einer internationalen Tibetkonferenz in Bonn prophezeit, als er den
baldigen Untergang des dekadenten und materialistischen Westens und seinen
Ersatz durch eine weltweite buddhokratische Herrschaft nach tibetischem
Muster bekannt gab. Der Hollywoodschauspieler Richard Gere spricht von
einer Kettenreaktion, die in den nächsten Jahren zu einer explosionsartigen
Ausbreitung des tibetischen Buddhismus im Westen führen soll.
9. ORF: Sie führen
immer wieder paranormale/magische Kräfte
tibetischer Mönche an: Haben Sie selbst damit Bekanntschaft gemacht?
TRIMONDI: Ja! Wir sind davon
überzeugt, dass ihre Rituale eine Wirksamkeit auf Menschen haben können,
zumindest wenn diese Menschen an dieses Religionssystem und an diese
lamaistischen Praktiken glauben. Dann sind sie ein Teil davon und erleben
ihre innere und äussere Welt nach den Mustern und
den Dogmen der tantrisch-magischen
Weltanschauung. Der Glaube daran ist jedoch - unserer Ansicht nach - die
Voraussetzung für die Wirksamkeit solcher "paranormaler"
Kräfte. Wenn dies nicht der Fall wäre, weswegen dann das lamaistische
Ritualwesen, die Faszination der Gläubigen, die fest davon überzeugt sind,
dass ihre Meister Wunder vollbringen, bis hin zu dem, seine nächste
Inkarnation bestimmen zu können. Viele Westler sind gerade von den
geheimnisvollen Kräften, die von den Lamas ausgehen sollen, in den Bann
gezogen. Die magischen Wunderkräfte tibetischer Mönche sind mittlerweile zu
einem beliebtes Thema in der westlichen popular
culture und der Inhalt zahlreicher
Fernsehfilme geworden.
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