Faschismus als "Religion" 
    Ein Blick in die Literatur
      
    Versuche, den
    Nationalsozialismus oder den Faschismus insgesamt als eine "politische
    Religion" darzustellen, stoßen oft auf Widerstände unter Historikern
    und Kulturologen. Das mag vor allem drei Gründe haben: Erstens die Vorstellung,
    dass Religion etwas Edles und Ethisches sein müsse und deswegen nichts mit
    den Verbrechen des Dritten Reichs zu schaffen haben könne. Zweitens, dass
    Religion etwas Transzendentes, Übernatürliches beinhalte, während sich das
    NS-Regime durch eine brutale, machtpolitische Realpolitik ausgezeichnet
    habe. Drittens sollen die religiösen Charakterzüge des Nationalsozialismus
    gerade deswegen geleugnet werden, damit er nicht als "Religion"
    und der damit verbundenen mentalen und seelischen Bindung eine Auferstehung
    erlebe. Das erste Argument fällt in sich zusammen, da Religion per se keineswegs pazifistisch und
    "moralisch" sein muss, wie uns die Geschichte aller Religionen
    gezeigt hat, sondern Schrecken, Furcht, Verdammung, Willkür, Rachsucht,
    Ungerechtigkeit, Fluch, Vernichtung können ebenso das religiöse Szenario
    beherrschen wie das politische. Nach Rudolf Otto sind Schreckensereignisse
    geradezu Hauptmerkmale des Religiösen, da sie sich am besten eignen, ein tremendum (ein Erschauern) bei den
    Gläubigen hervorzurufen. Ebenso ist das zweite Argument von der notwendigen
    Transzendenz des Religiösen geschichtlich nicht haltbar, da die
    Verflechtung von Religion und Gemeinschaft, von Kirche und Staat, von
    Herrscher und Gott in archaischen Gesellschaften zur Norm zählte. Das
    Religiöse war somit immanent, die Götter verkehrten mit den Menschen, Ekklesia (Kirche) und Imperium (Staat) waren identisch. Im
    übrigen gab es auch unter dem Nationalsozialismus Bestrebungen ihre System
    in der Transzendenz zu verankern, beziehungsweise daraus abzuleiten. Das
    dritte Argument, um sich vor einer religiösen Renaissance des Faschismus zu
    schützen, ist überholt, da sich Neo-Nazismus und Neo-Faschismus
    mittlerweile schon als eine weltweite 
    polit-religiöse Strömung etabliert haben. Die "Religionsdebatte"
    über Faschismus und Nationalsozialismus ist also ein hochaktuelles Thema.
    Einige ältere und neuere Beiträge hierzu wollen wir kurz vorstellen: 
      
    Harald Strohm - Die Gnosis und der Nationalsozialismus - Frankfurt 1997 
    Strohms
    interessanter Text zieht einen Vergleich zwischen der gnostischen Weltsicht
    in ihren verschiedensten Ausprägungen 
    (insbesondere aber in der Form des Manichäismus)  und der NS-Ideologie. Das Buch
    beabsichtigt keine systematische Darstellung, sondern ist eine Art Collage,
    die Statements aus beiden Kulturströmungen gegeneinander stellt und dann
    kommentiert. Hauptmerkmal der Gnosis ist der krasse, unversöhnliche
    Dualismus zwischen Licht und Finsternis, Gut und Böse, Mann und Frau. Diese
    beiden Widerkräfte werden in der NS-Ideologie durch den lichten Arier und
    den dunklen Juden gespielt. "Zwei Welten stehen einander
    gegenüber!" - soll Hitler gesagt haben – "Der Gottesmensch und
    der Satansmensch! Der Jude ist der Gegenmensch, der Antimensch. Der Jude
    ist das Geschöpf eines anderen Gottes [....] Der Arier und der Jude: Sie
    sind soweit voneinander wie das Tier vom Menschen." Die höchste Sünde
    der Gnosis besteht in der "Vermischung" der Parfaits (der Vollkommenen) mit den Unvollkommenen. Bei den
    Nazis hieß dies "Rassenschande". Der reine und der sündige
    Mensch, der göttliche Führer in Menschengestalt und der Untermensch, die
    Lichtgestalt im Kampf mit dem Dämon, dieses hinreichend bekannte Szenario
    wiederholt sich in allen Spielarten in den Reden und Schriften Hitlers,
    Goebbels, Rosenbergs und Himmlers. Sie alle standen - nach eigenem
    Selbstverständnis - als edle Ritter an vorderster Front gegen die von Gier
    und Gold besessenen Mächte der Finsternis, die immer wieder den Angriff auf
    die leuchtend schönen Gestalten des Gralsreichs wagten.  
       Der Mensch - so glaubten die Gnostiker -
    werde durch den Eros an die Finsternis gefesselt. Wenn die Welt zu tief
    gefallen ist, sich immer mehr in die Fesseln der Sinnlichkeit und des Materialismus
    verstrickt hat, dann muss sie aufgelöst, dann müssen alle Dinge zerstört
    werden. Als Richter und Erlöser tritt dann eine Lichtgestalt auf, die mit
    dem Schwert in der Hand das Erlösungswerk blutig vollendet. Hitler wurde
    als ein solcher Erlöser "erkannt" und entsprechend
    propagandistisch präsentiert. Das Hakenkreuz erscheint als ein Lichtsymbol,
    das den Menschen aus den "drang- und wahnhaften Strebungen tierischer
    Gebundenheit" emporzieht.  
       Strohm kommt auch auf die Neu-Gnostiker
    zu sprechen wie Helena Blavatsky, Lanz von Liebenfels, Rudolf Steiner,
    Abd-Ru-Shin, Jakob Lorber, deren Denkstrukturen denen der Nazis ähneln,
    obgleich sie teilweise von diesen verfolgt wurden. Weltangst und Welthass
    stehen am Beginn der gnostischen Theologie.  
       Der gnostischen Schere aus Licht und
    Dunkel, die den Menschen in zwei Teile schneidet, zu entkommen, ist nach
    Strohm schwierig, da unser abendländisches Denken auf weiten Strecken jenem
    verhängnisvollen Dualismus verpflichtet ist. Als Therapie empfiehlt er unter
    anderem die Pluralisierung von Gesellschaft und Staat. Lichtstaaten
    tendieren zum Totalitarismus, Staaten, die von Montesquieu das Prinzip der
    Gewaltenteilung übernommen haben, tendieren zur Toleranz. Das Zersplittern
    des Monopolgeistes, das Adam Smith für die Wirtschaft gefordert habe, führe
    zu einem Pluralismus in der Wirtschaft und David Hume habe einen
    Pluralismus des Himmels entworfen. Der englische Philosoph zerstörte die
    Despotie des orientalischen Himmelsvaters und besang die Wiederkehr der irdischen
    Götter. Humes restaurierter Polytheismus war ein Versuch, Finsternis und
    Licht miteinander zu verbinden.  
       Als weiterer Therapeut wird Arthur
    Schopenhauer genannt, der eine Sprache geschaffen habe, in der sich Tagwelt
    und Finsternis wieder vereinigen können. Strohm versucht den Philosophen
    als einen weisen Narren, als einen "Harlekin" darzustellen, der
    ohne jegliches System philosophiert habe und sich deswegen jenseits krasser
    Dualismen aufhalte. Aber es gibt Systematik in der Schopenhauer’schen Philosophie.
    Diese besteht unter anderem in seiner vom buddhistischen Denken geprägten
    Erkenntnistheorie, welche die Welt als reine Vorstellung, sprich Illusion
    wahrnimmt. An die Stelle des gnostischen Kampfes gegen die Welt des Bösen,
    tritt zu einem gewissen Zeitpunkt die Verneinung der Welt als solcher. Es
    ist schwer verständlich, weshalb Strohm das geschichtsträchtige Trio Schopenhauer - Wagner - Hitler nicht
    in die Diskussion mit einbezieht.  
       Ebenso wenig erscheint es uns schlüssig,
    dass Wittgensteins "intellektueller Solipsismus" fähig sein soll,
    die Gnosis des Nationalsozialismus zu therapieren. Wie Schopenhauer, so
    stellt auch Wittgenstein das Ich als Illusion dar. Im Tractatus steht die Aussage:
    Das Ich des Solipsismus schrumpft zu einem ausdehnungslosen Punkt und
    es bleibt nur noch die ihm koordinierte Realität. Wie aus solch einer Ich
    auflösenden Position heraus der Nazi-Wahn „therapiert“ werden soll, ist für
    uns schwer nachvollziehbar. (Siehe hierzu die folgende Besprechung von Kimberley Cornish - Der Jude aus Linz - Hitler und
    Wittgenstein.) 
      Interessant sind die Stellen, wo Strohm
    die Gnosis als kosmischen Geschlechterkampf darstellt. So kommt bei ihm
    immer wieder zur Sprache, dass das bekämpfte "Schattenreich" mit
    dem unterdrückten Weiblichen in einem Zusammenhang stehe. Aber er neigt
    dazu, sich allzu einseitig auf die Seite der "dunklen Mutter" zu
    stellen. Angesichts der "Lichtorgien", die das Abendland in
    seinen Religionen Jahrhunderte lang gefeiert hat, verständlich, aber sicher
    auch keine Lösung, um mit einem erotischen Spiel zwischen Licht und
    Schatten zu beginnen. Am aller wenigsten erscheinen uns die
    "Weiberfeinde" Schopenhauer und Wittgenstein prädestiniert, ein
    solches Spiel zu spielen. Es bedarf hierzu gleichermaßen des Mannes wie der
    Frau. Auch das "Leerwerden" meistert kaum den Kampf der
    dualistischen Gegenkräfte, sondern tritt aus der Welt des Lebens hinaus, so
    wie es der Buddhismus lehrt.  
       Das Ende des Buches erscheint etwas
    unbefriedigend. "Wenn wir diesen Hitler als Kind einer verwirrten
    Finsterniswelt anschauen," - schreibt Strohm – "gelingt es
    vielleicht, ihn, statt weiterhin zu verdrängen, zu barbarisieren und zu
    satanisieren, als Teil unserer eigenen, zumal religiösen Geschichte
    anzunehmen. Dann, denke ich, wird es möglich, Wege, neue Wege zu gehen, die
    verhindern, dass ein solches Kind wiederkehrt." (275) Ein solcher Satz
    ist ambivalent. Er soll zeigen, dass Hitler nicht nur Täter sondern auch
    das Opfer einer gnostischen Weltsicht war, die das europäische Denken
    entscheidend bestimmt hat. Weil er 
    ein Opfer falscher Ideen war, muss man ihm jedoch nicht gleich das
    Gewand des "unschuldigen Kindes" umhängen. Das würde bedeuten,
    allein die Philosophen und Denker, die ihn beeinflusst haben, zur
    Verantwortung zu ziehen und ihre Erfüllungsgehilfen, die Staats- und
    Feldherren,  zu entlasten. Die
    Lösungsvorschläge in Strohms ansonsten interessantem Buch sind insgesamt
    hilflos, und zeigen an, dass es ohne ethische Normen nicht möglich ist, dem
    Licht und Schattenkampf zu entkommen, wobei eine solche Ethik in der Lage
    sein muss, so weit wie möglich aus dem Schwarz-Weiß-Denken herauszutreten.
    Therapie statt Strafe wäre hierbei ein wichtiges Modell, welches auch von
    Strohm erwähnt wird.  
      
    Kimberley Cornish - Der Jude aus Linz - Hitler und
    Wittgenstein - Berlin 1998 
    
    
    
      
    Michael Ley und Julius H. Schoeps – Der Nationalsozialismus als politische
    Religion – Bodenheim 1997 
    Schon während der NS-Zeit
    erschienen Arbeiten und Äußerungen, die im Nationalsozialismus die
    religiöse Seite hervorhoben. Thomas Mann schrieb 1933 in sein Tagebuch über
    Hitler: "Dieser vergötzte Popanz, der Millionen eine Religion
    bedeutet." (z. b. Ley/Schoeps, 1997, 158) Einer der wichtigsten
    Beiträge ist zweifelsohne das Buch Gespräche
    mit Hitler von Hermann Rauschnings, 
    ehemaliger Staatspräsident von Danzig und zeitweise Anhänger des
    Diktators. Rauschning sprach von der "Katholizität des neuen Glaubens
    an den Gott verkörpernden Führer" – und folgerte – "so hat man
    die Position des Nationalsozialismus bezüglich seines
    Weltmachtstrebens." (Rauschning, Hermann: The Conservative Revolution
    – New York 1941, s. 111) Der französische Schriftsteller Raymond Aron
    schrieb 1944 "Ich schlage vor, jene Doktrinen, die in den Herzen
    unserer Zeitgenossen den Platz des abhanden gekommenen Glaubens annehmen
    und die das Heil der Menschheit in der Gestalt einer neu zu schaffenden,
    sozialen Ordnung im Diesseits und in einer fernen Zukunft sehen
    'säkulare  Religion' zu nennen."
    (z. b. Ley, 1997, 172)  
       Nach dem Kriege sprach Albert Camus in
    seiner Studie L’homme révolté von
    einer "nationalsozialistischen Mystik", die eine
    "Vergöttlichung des Irrationalen" betreibe. Friedrich Heer sah
    den Nationalsozialismus als eine Imitation der Katholischen Kirche (Der Glaube des Adolf Hitler – Anatomie
    einer politischen Religiosität). Albert Michael Brocke und Herbert
    Jochum haben in ihrer Schrift Theologie
    des Holocaust den Nazismus als "säkularen Messianismus"
    bezeichnet. 
       Es ist das Verdienst der Anthologie von
    Ley und Schoeps, dass diese Diskussion über den Nationalsozialismus als
    "politische Religion" fortgesetzt wird. Wichtige Phänomene wie
    der  NS-Erlösungswahn, die NS-Verkündigung,
    der NS-Messianismus und der NS-Vernichtungswille werden durch kompetente
    Autoren, einige davon aus Frankreich, diskutiert. Ein immer wieder
    angesprochenes Thema ist das apokalyptische Element, das in einer
    Endschlacht zwischen den Mächten des Lichtes und den Mächten der Finsternis
    kulminiert. Dieses dualistisch-gnostische Denken hat in der
    Religionsgeschichte Europas schreckliche Spuren hinterlassen und fand im
    "Dritten Reich" eine makabre Renaissance. Michael Ley spricht
    geradezu von der "nationalsozialistischen Apokalypse als Höhepunkt
    einer neuzeitlichen Gnosis". Klaus Vondung hat schon seit Jahren auf
    die Religiosität des NS-Regimes verwiesen und dessen enge Bindung an die
    Apokalypse aufgezeigt. In seinem einleitendenden Aufsatz "Die
    Apokalypse des Nationalsozialismus", kommt er auf Literaturen zu
    sprechen, die Hitler wie in der Eucharistie feiern. Hitler – so Vondung -
    habe schon in Mein Kampf  ein apokalyptisches Szenario entworfen,
    das er später in der Realität umsetzte. Die Mächte des Lichts werden hier
    vertreten durch den rassereinen Arier, die Mächte der Finsternis durch die
    Juden. Bilder der Johannesapokalypse sind auch für die NS-Ideologen von
    großer Attraktion: "Der Jude ist wohl der Antichrist der
    Weltgeschichte." - hören wir von Goebbels - "Man kennt sich kaum
    noch aus in all dem Unrat von Lüge, Schmutz, Blut und viehischer
    Grausamkeit." –. (43) Am Ende dieses kosmischen Krieges, steht ein
    "Reinigungsritual, das in der Ausmerzung der bösen Kräfte",
    sprich der Juden, kulminiert. 
      
    Eric
    Voegelin – Die Politischen Religionen
    – München 1993 (Erstauflage 1938) 
    Eric
    Voegelin, der 1938 den Begriff der "politischen Religionen"
    prägte und damit die NS-Bewegung, den Faschismus wie den Kommunismus
    gleichermaßen ansprach, sah dort den sakralisierten, christlichen Glauben
    an Gott ersetzt durch den Glauben an ein "Realissimum", sei dies
    nun der Staat, die Volksgemeinschaft, die Rasse oder die Klasse:
    "...... wenn Gott hinter der Welt unsichtbar geworden ist, dann werden
    die Inhalte der Welt zu neuen Göttern; wenn die Symbole der überweltlichen
    Religiosität verbannt werden, treten neue, aus der innerweltlichen
    Wissenschaftssprache entwickelte Symbole an ihre Stelle" (50)
    Angesichts dieser überpersönlichen "Realissima" habe der Mensch
    als Person keine Existenzberechtigung mehr. "Der Kontakt von Mensch zu
    Mensch ist unterbrochen, un-menschliche Geistgebilde stehen einander
    gegenüber, und der Mensch ist gewandelt zu einem Maschinenmitglied,
    mechanisch im Getriebe mitspielend, abstrakt nach außen kämpfend und tötend.
    [....] Die Existenz des Menschen verliert in seinem Erlebnis an Realität,
    der Staat zieht sie an sich..." (14)  
       Voegelin unterscheidet zwei Formen des
    Glaubens. "Überweltliche Religionen", welche den Seinsgrund in
    der Transzendenz suchen und "innerweltliche Religionen", bei
    denen das Sein von der Göttlichkeit durchdrungen ist. Letzteres führt zu
    einer Sakralisierung der Wirklichkeit und auch des Staates. In den
    "transzendenten" Religionen wird die Kirche (Ekklesia) zwar vom
    Sakralen durchströmt, ist aber selber nicht das "Allerheiligste".
    In den politischen, "immanenten Religionen" dagegen wird der
    Staat zum summum sanctum
    (höchsten Heiligen). Die paulinische Lehre von der Ekklesia als dem Leib Christi deute eine solche Verbindung
    zwischen Sakralität und Weltmacht an: "Die Herrscherfunktion bekommt
    dadurch ihren Status im corpus
    mysticum und ist artmäßig nicht mehr von den Priester- und
    Lehrfunktionen unterschieden. Es gibt keine Grenze zwischen dem religiösen
    und politischen Bereich." (33)  
       Ein Kriterium der immanenten Religion
    ist die Hierarchie, die von einer göttlichen Spitze ausstrahlt und über die
    Staatsämter zu den gehorchenden Untertanen reicht.  In Thomas Hobbes Bild vom alles
    verschlingenden "Leviathan" findet diese Vergottung des Staates
    und seines sichtbaren Repräsentanten, des absoluten Herrschers, ihren
    Ausdruck. Weitere Charakteristika der "politischen Religionen"
    sind: die "Apokalypse als Offenbarung des Reiches" und die
    "heiligen Könige als Gottesmittler und Persönlichkeitsträger der
    Gemeinschaft." (64) Alle diese Merkmale charakterisieren nach Voegelin
    die  drei großen totalitären
    Massenbewegungen des 20. Jahrhunderts: den Nationalsozialismus, den
    Faschismus und den Kommunismus. 
       Die überweltlichen Religionen entwickeln
    einen funktionalen Wahrheitsbegriff. Erkenntnis und Kunst sind für das
    NS-Regime wahr, wenn sie im Dienste des rassegebundenen Volkstums stehen.
    "Von da" – schreibt Alfred Rosenberg – "kommen sie her, da
    gehen sie wieder hin. Und ihr entscheidendes Kriterium finden sie alle
    daran, ob sie Gestalt und inneren Wert 
    dieses Rassenvolkstums steigern, es wertmäßiger ausbilden, es
    kräftiger gestalten oder nicht." (53) Führer, Volkswille und Gottheit
    verbinden sich zu einem Ganzen: "Der Führer formt die Gottesworte um
    zum Befehl an die engere Gefolgschaft und an das Volk." (57) Der
    Führer ist der absolute Herrscher, ein wandelnder Gott auf Erden. "In
    der innerweltlichen Symbolik sind Führer und Volk durchdrungen von
    derselben sakralen Substanz, die im einen wie im anderen lebt; der Gott
    steht nicht außerhalb, sondern lebt in den Menschen selbst." (57)
    Interessant ist, dass Voegelin den "Mythos" des Dritten Reichs,
    den Millionen als Offenbarung erlebten, als eine bewusste Konstruktion
    wahrnimmt, "um Massen affektuell zu binden und in politisch wirksame
    Zustände der Heilserwartung zu versetzen." (53)  
       Die Politischen
    Religionen erscheinen uns als ein sehr wichtiger Beitrag, um das
    Phänomen des Nationalsozialismus zu deuten und geistesgeschichtlich
    einzuordnen. Erst wenn wir erkennen, dass die modernen totalitären Staaten
    des 20. Jahrhunderts (Faschismus, Nationalsozialismus, Kommunismus)
    religiöse Wurzeln hatten, dass ihre Aktivisten und Mitläufer von religiösen
    Motiven angetrieben wurden und dass religiöse Erlebnisse auf ihren
    Massenveranstaltungen ekstatisch erfahren wurden, ist es möglich, sich
    kritisch mit ihren dogmatischen, liturgischen, ekstatischen und
    theokratischen Aspekten auseinander zusetzen.  
      
    Klaus Vondung – Magie und Manipulation – Ideologischer Kult und politische Religion
    des Nationalsozialismus – Göttingen 1971 
    Der Voegelin Schüler Klaus
    Vondung hat schon 1971 eine interessante Arbeit vorgelegt, in der er den
    Nationalsozialismus als eine "politische Religion" untersucht,
    welche durch Magie und Manipulation gesteuert wurde. Unter Manipulation
    versteht er "die inhaltliche Transformation von Gegebenheiten der
    Realität im Bewusstsein zu Entitäten, die es in der äußeren Wirklichkeit
    gar nicht gibt, die also imaginative Konstrukte sind oder [....] Inhalte
    einer 'zweiten Realität'. Nun wären solche Erscheinungen nicht besonders
    bemerkenswert, wenn sie im Rahmen einer privaten Weltanschauung verbleiben
    würden; sie haben aber die Tendenz, sozial wirksam zu sein, da die
    entsprechenden Personen geneigt sind, ihre Umwelt gemäß dem Bild zu
    behandeln, dass sie in ihrem Bewusstsein von ihr entworfen haben.
    Signifikant wird das Problem, wenn der skizzierte Typus zur sozial
    dominanten Form aufsteigt und die Möglichkeit erhält, Macht auszuüben."
    (7) Es wird also der Versuch unternommen, fiktive und imaginative
    Vorstellungen (wie zum Beispiel der Jude als die absolute Inkarnation des
    Bösen) auf die Wirklichkeit zu übertragen. Nachdem die Imagination die
    Bewusstseine von vielen Menschen ergriffen hat, kann sie die Welt nach
    ihrem Bilde formen, im Beispielsfalle eine Welt, die in ihrer Existenz vom
    Juden als dem Bösen bedroht ist. Hitlers religiöse Motivation zeigt sich
    vor allem darin, dass er an erster Stelle einen Krieg gegen das
    "Weltjudentum" und nicht gegen die Westmächte oder den
    Bolschewismus führt. Er selber nimmt die Realität, wie sie ist, nicht mehr
    zur Kenntnis. Das hatte eine Verzerrung seiner Wahrnehmungsfähigkeiten zur
    Folge, wie dies General Guderian genau beobachtete: "Er [Hitler] hatte
    ein besonderes Bild von der Welt, und jede Tatsache hatte in dieses
    Phantasiebild zu passen. Die Welt hatte so zu sein, wie er sie sich
    vorstellte: aber in Wirklichkeit war es das Bild einer anderen Welt."
    (211) In noch viel größerem Maße als im historischen Faschismus, kommt es
    heute im Neo-Faschismus und Neo-Nazismus zu imaginativen Konstruktionen.
    Diese befinden sich jedoch noch weitgehend innerhalb des Rahmens privater
    Weltanschauungen, d. h. sie üben noch keine, bzw. nur eine sehr geringe
    soziale Macht aus.  
       Da die Verwandlung der eigenen
    Imaginationen in Realitäten bewusst betrieben wird, erscheint sie für
    Vondung als eine Manipulation und da durch sie eine "Fesselung"
    der Menschen an die entsprechende Realitätskonstruktion entsteht, sieht er
    darin einen Akt der Magie. "Es spricht einiges dafür, das hier nur
    kurz umrissene Phänomen 'Magie' zu nennen und zwar [....] als spezifisch
    inhaltliche Manipulation der Realität im Bewusstsein und entsprechend
    instrumentelle Manipulation der äußeren Wirklichkeit einschließlich der
    Gesellschaftsmitglieder. Sie aktualisiert sich bei sogenannten 'primitiven'
    Kulturen in bestimmten Ritualen. Vergleicht man das bereits
    durchgearbeitete historische Material mit manchen modernen Erscheinungen,
    so kann man feststellen, dass es auch in 'zivilisierten'
    Industriegesellschaften Rituale gibt, die als magisch zu analysieren sind.”
    (7)  
       Vondung stellt nun eine Vielzahl von
    quasi religiösen Ritualen dar, welche die imaginative Realität des
    Nationalsozialismus konstruiert haben. Es ist ein Charakteristikum jeder
    Religion, dass sie das Jahr in Feste und den Tag in Feierstunden aufteilt.
    Zu bestimmten Zeiten werden Personen und Ereignisse gefeiert, welche für
    die entsprechende Glaubensrichtung Symbol- und Kultcharakter haben. Das nationalsozialistische
    Jahr wurde eingeteilt in die folgenden Feiertage: Tag der Machtergreifung
    am 30. Januar; Verkündung des Parteiprogramms am 24. Februar;
    Heldengedenktag 16. März; Verpflichtung der Jugend am letzten März-Sonntag;
    Geburtstag des Führers am 20. April; Nationaler Feiertag des deutschen
    Volkes am 1. Mai; Deutsche Ostern und Hoher Maien; Muttertag an einem
    Mai-Sonntag; Sommersonnenwende am 21. Juni; Reichsparteitag in der ersten
    Septemberhälfte; Erntedank Anfang Oktober; Gedenktag für die Gefallenen der
    Bewegung am 9. November; Wintersonnenwende am 21. Dezember und Weihnachten.
    Hitler selber sinnierte darüber nach, ob er nicht dem NS-Regime nach dem
    Kriege eine neuen Kalender bescheren sollte: "Will man bei der
    Zeitrechnung bleiben? Oder haben wir die neue Weltordnung als das Zeichen
    zum Beginn einer neuen Zeitrechnungen zu nehmen? Ich sagte mir, das Jahr
    1933 ist nichts anderes als die Erneuerung eines tausendjährigen
    Zustandes."  
       Neben den Jahres- gab es die
    Lebensfeiern (Geburt, Hochzeit, Tod) 
    die Morgenfeiern (Fahnenhissen). Als "liturgische" Formen
    zählt Vondung auf: Bekenntnislieder, Sprechchöre, Thingspiele. Er zeigt,
    dass unter dem NS-Regime eine sakrale Sprache und sakrale Musik (Trommelwirbel)
    entwickelt wurde. Orte, die mit der Geschichte des Nationalsozialismus im
    Zusammenhang standen, wurden konsekriert (Feldherrnhalle in München,
    Hitlers Geburtshaus in Braunau). Die Architektur erhielt Sakralcharakter.
    So entwarf  Albert Speer auf Hitlers
    Wunsch für Berlin einen Kuppelbau, in den der Petersdom mehrmals hinpassen
    passen sollte. Auch die Aufzüge und Massenveranstaltungen der Partei trugen
    Ritualcharakter, Prozessionen wurden durchgeführt, "ewige Wachen"
    abgehalten, rituelles Schreiten inszeniert. Es entstand ein mystischer
    Fahnenkult. Als höchste Symbol neben dem Hakenkreuz galt die Blutfahne, die
    mit dem Blut der Märtyrer des 9. November 1923 benetzt war.  
       Magie hebt die Trennung von Bewusstsein
    und Natur auf. Die Ordnung der eigenen Subjektivität wird als Objektivität
    ausgegeben. Das beinhaltet unter anderem die Vorstellung, dass eine
    Kontrolle über die Natur durch Gedankenkraft möglich ist. Sigmund Freud war
    der Meinung, in der Magie würden psychologische Gesetze an die Stelle der
    natürlichen gesetzt: "Das Prinzip, welches die Magie, die Technik der
    animistischen Denkweise regiert, ist das der 'Allmacht der Gedanken'."
    (Freud, 1956, 90) Die Realität soll sich dem Gedanken beugen, die
    Geschichte dem Mythos. Bilder der eigenen Phantasie werden der Wirklichkeit
    aufgeprägt. Die Realität wird nicht mehr so, wie sie ist, wahrgenommen,
    sondern im Sinne der politischen Religion manipuliert. Magie und Technik
    gingen unter den Nazis eine Symbiose ein. Ihre Großveranstaltungen sind
    auch technische Meisterwerke optischer und akustischer Effekte, hinter der
    magischen Faszination stehen ebenfalls Beleuchtungsspezialisten,
    Requisiteure und Bühnenarchitekten. Kunst, Magie und Wirklichkeit fließen
    ineinander: "Träumt man, oder ist es Wirklichkeit?" – fragt ein
    Berichterstatter angesichts einer der spektakulären Partei-Inszenierungen.
    (z. b. Vondung, 1971, 192) Der Mensch wird gebannt, oder wie es Giordano
    Bruno nennt, "gefesselt".  
       Das von der NS-Ideologie entworfene Bild
    – meint Vondung – entspreche nicht der äußeren Wirklichkeit es habe den Charakter
    einer "zweiten Realität". (193) 
    Vondung zeigt jedoch nicht genügend auf, dass bei einer ständigen
    Indoktrinierung tatsächlich eine Metastase der Wirklichkeit im Sinne der
    sozialpolitischen "Magier" stattfindet. 
      
    © Victor & Victoria
    Trimondi 
    
      
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