INTERVIEWS
(01)
INTERVIEWS (02)
Der
Standard vom 31. August. 2002 - Innerlichkeit und
versteckte Gewalt – Interview mit Richard Reichensperger
Aaargauer
Zeitung vom 25. September 2002 - Ideologen waren an
asiatischen Kulturen interessiert – Interview von Hans Peter Roth
Rheinischer
Merkur vom 07. November 2002 - Gewalt
predigen hat Konjunktur - Toleranz –
Ohne sie gibt es keinen Frieden. Aber sie scheint weltweit auf dem Rückzug.
Auszüge aus einem Tischgespräch mit Victoria und Victor Trimondi
Der Standard vom 31. August.
2002
Innerlichkeit und
versteckte Gewalt
Ein Gespräch mit den Trimondis über die Pervertierung von
Religion mit Richard Reichensperger
Standard: Die Konstruktion einer NS-Religion aus Elementen
östlicher Religionen in Himmlers „Ahnenerbe“-Institution: Wie stießen Sie
auf diese "religiöse" Richtung, wo sich die Zeitgeschichte doch
lange auf den naturwissenschaftlichen Zweig des „Ahnenerbes“ mit seinen
Menschenversuchen konzentrierte?
Trimondi:
Über die Frage, die wir uns schon in unserem letzten Buch "Der
Schatten des Dalai Lama" gestellt hatten: Weshalb war man im
"SS-Ahnenerbe" so stark an der lamaistischen Kultur interessiert
und weshalb setzte sich diese Faszination unter den Neofaschisten fort?
Standard: Und
warum Asien und nicht die Germanen?
Trimondi:
Die Germanen mit ihrer Stammesstruktur und Naturreligion konnten kaum den
ideologischen Stoff liefern, um eine
"politische Theologie" für das gigantische und zentralistische NS-Regime
zu begründen. Dagegen fanden bestimmte Nazi-Ideologen in den traditionellen
Kulturen Asiens die Verbindung von Religion und Staat, Ritual und Politik,
Führerkult und Sakralität, nach der sie suchten und die sie nach dem
gewonnenen Krieg in einem Nazi-Europa verankern wollten.
Standard: Die bei Ihnen ausgiebig zitierten
Nazi-Wissenschaftler biegen die Religionen aber
massiv zurecht: Betont werden gewaltsame Züge, ausgeblendet friedfertige.
Walther Wüst, Orientalist und Kurator des „SS-Ahnenerbes“, vergleicht die
Reden Buddhas mit „Mein Kampf“ und verkündet: "Buddha ist eine
großartige Gestalt mit unverkennbar tiefen nordischen Einschlägen".
Buddha hat doch das Kastensystem und den Staat abgelehnt.
Trimondi: Dieser Hitler-Buddha-Vergleich ist sicher überzogen, obgleich
er großen Applaus in der SS erhielt. Aber Walther Wüst, von 1941-1945
Rektor der Münchner Universität, war ein anerkannter und gefeierter
Fachwissenschaftler und es gelang ihm, unter der Protektion Heinrich
Himmlers, das Gros aller hochqualifizierten deutschen Orientalisten für
seine "große Idee" einer indo-arischen Religionskonstruktion zu
begeistern. Natürlich suchten sich die Nazi-Ideologen insbesondere die
kriegerischen und rassistischen Elemente aus den asiatischen Religionssystemen
heraus und blendeten pazifistische Aspekte, wie etwa das Mitgefühlsgebot
des Mahayana-Buddhismus, als dekadent aus.
Wer sich einen Einblick in
religiöse Schriften wie die Bhagavadgita, den Vishnu Purana,
das Kalachakra-Tantra oder das Hagakure verschafft, der wird
dort auf die Verherrlichung und die sakrale Legitimation von Krieg, Gewalt,
Opferkulte, von der karmischen Bindung an Kasten und Hierarchien, auf das zyklische Weltbild mit einem
Endzeitkrieg und die Aufgabe des Ichs, auf
Machtphantasien wie die vom sakralen Weltenherrscher und vom
Gottesstaat, auf Intoleranz, Magie, Menschenverachtung und
Lebensfeindlichkeit stoßen. Kein Wunder, dass Faschisten und
Fundamentalisten diese heiligen Kriegertexte wörtlich nehmen und sich
dadurch bestätigt sehen. Was den historischen Buddha anbelangt, so lehnte
er das Kastensystem nur innerhalb der buddhistischen Mönchsgemeinde ab. Für
den Rest der Gesellschaftsmitglieder wurde dagegen die Kastenfrage mit dem
Karmagesetz in Verbindung gebracht, d. h. nach der jeweiligen Anhäufung von
gutem oder schlechtem Karma richtete sich auch die jeweilige
gesellschaftliche
Position.
Standard: Aber vollziehen sich Kämpfe noch auf den Höhen von Weltreligionen?
Samuel Huntington mit seinem „Clash of Cultures“ vertritt das, aber seiner
Islamkritik wurde mit der Forderung nach konkreter, ganz irdischer
Sozialpolitik gekontert.
Trimondi: Sicher, wenn der Palästinakonflikt und die Armutsfrage in der
islamischen Welt gelöst wären, gäbe es eine geringere Infizierung durch die
„Djihad-Ideologie“. Aber anderseits findet man religiösen Wahn nicht nur in
extrem armen Bevölkerungsgruppen sondern auch unter
"Bessergestellten", etwa den Attentätern des 11. Septembers. Man
sollte die "Macht der Religion"
nicht unterschätzen, die auch aus Superreichen wie Osama bin Laden
fanatische Vollstrecker machen kann.
Standard: Von Wüst bis Evola
spricht man aber ganz immanent von Staat, Krieg, Kampftechnik. Eric
Voegelin sah die Umdeutung von transzendenter Religion in eine immanente
Überbewertung des Staates ja schon 1938 als Charakteristikum „politischer
Religionen“. Würden Sie dem zustimmen?
Trimondi: Eric Voegelins Trennung von transzendenter und immanenter
Religion ist ein Interpretationsmodell aus dem abendländischen Denken und der
europäischen Geschichte, das sich zum Beispiel in der Trennung zwischen
Kaiser (der weltlichen Macht) und Papst
(dem Vertreter der Transzendenz) wiederspiegelt. Für die
traditionellen asiatischen Gesellschaften ist solch eine Trennung der
"Mächte" nie charakteristisch gewesen. Die großen
"Theokratien" des Ostens zeichneten sich gerade dadurch aus, dass
in ihnen Gott, König und Priester zu einer einzigen Institution, wie beim
chinesischen Kaiser, dem japanischen Tenno oder beim tibetischen Dalai
Lama, verschmolzen. Sie waren gleichzeitig "immanent" und
"transzendent". Eine solche "östliche" Staatsstruktur
schwebte auch Walter Wüst als Modell für das Dritte Reich, für die SS als
Heiligem Orden und Adolf Hitler als "Priesterkönig" einer
arischen Kriegerreligion vor. Interessant ist hier zu bemerken, dass der
historische Buddha, als er gefragt wurde, ob er den Weg eines Erleuchteten
oder eines Chakravartins gehen wolle, er sich für den ersteren entschied
und auf die Weltenherrschaft verzichtete.
Standard: Aber der Dalai Lama
verkündet doch eine Friedensbotschaft. Was finden Sie daran gefährlich?
Trimondi: An seiner
offiziellen "Friedens- und Glücksbotschaft" finden wir überhaupt
nichts Gefährliches – im Gegenteil! Jedoch sie stehen in Diskrepanz zu den
gefährlichen, in der Öffentlichkeit kaum bekannten fundamentalistischen
Aspekten des Kalachakra-Tantra-Rituals, das von ihm im Oktober in Graz
durchgeführt wird. In diesem Tantra gibt es zahlreiche Bilder, Inhalte
und Praktiken, welche nicht nur in
der Geschichte blutige Spuren hinterlassen haben, sondern auch vom
religiösen Faschismus rezipiert wurden.
Standard: Ihre Alternative?
Trimondi: Wir halten den kritischen und selbstkritischen,
interkulturellen und interreligiösen Dialog angesichts aufkommender Religionskriege
mehr denn je für notwendig. Importierte Kultur- und Religionsinhalte müssen
offen nach ihren kriegerischen, sexistischen und intoleranten Äußerungen
hinterfragt werden, insbesondere wenn sie sich als die besseren Weltmodelle
zum "dekadenten" Westen anbieten. Da einige davon mit
religionspolitischen Visionen aus dem rechtsextremen Lager Konvergenzen
aufweisen, müssen wir uns doch Klarheit darüber verschaffen: Handelt es
sich dabei um Verzerrungen und Fehlinterpretationen von faschistischer Seite
oder sind diese Religionsinhalte von sich aus mit einer freiheitlichen und
humanistischen Gesellschaft nicht kompatibel? Wir haben es hier vielfach
mit traditionellen Kulturen zu tun, die historisch gesehen niemals von sich
aus eine eigene Magna Charta, eine "Aufklärung", eine
Menschrechtsdebatte oder Demokratiebewegung entwickelt haben.
Es ist unglaublich,
wie massenhaft und naiv heute Kultur aus dem Osten importiert wird: So erschien z. B. 2001
im Piper Verlag das
"Hagakure", ein Text des japanischen Samurai-Kultes aus dem 18.
Jh. Das Buch ist von einer menschenverachtenden Brutalität und galt als
ideologische Grundlage für den Shinto-Faschismus und für die jungen,
teilweise erst 16-jährigen Kamikaze-Flieger. Seine Publikation war deswegen
bis in die 80er hinein in Japan verboten. Unter den Nazis, die sich sehr
für die Kriegsphilosophie der Samurai interessierten, wurden Teile dieses
Textes ins Deutsche übersetzt. Nicht nur, dass der Verlag die
verhängnisvolle Geschichte des "Hagakure", das den Krieg als
Selbstzweck heiligt, kaum erwähnt,
sondern er preist es auf dem Klappentext als "einen spirituellen
Leitfaden für den beruflichen und privaten Erfolg auch in der heutigen
Welt" an.
Standard: Hat ihr Buch einen
besonderen Bezug zu Österreich?
Es waren okkulte
Zirkel und Sekten in der Habsburger Monarchie, die vor dem ersten Weltkrieg
den Nazi-Wahn ideologisch vorbereiteten und die sich ebenfalls von
indischen, speziell auch buddhistischen Ideen inspirieren ließen. Heinrich
Himmler richtete sich bei seiner Konzipierung der SS nach einer Schrift des
Österreichers Franz Haiser. Sein "Hofmagier" im SS-Ahnenerbe war
der gebürtige Wiener Karl Maria Wiligut ("Himmlers Rasputin").
Nach dem zweiten Weltkrieg konstruierte der österreichische SS-Mann Wilhelm
Landig einen phantasmatischen "SS-Mystizismus", in dem viel vom
Königreich Shambhala, von östlichen Weisheitslehren und von der magischen
Kraft tibetischer Lamas die Rede ist. Auch das folgenschwere Hauptwerk des
"esoterischen Hitlerismus", in dem der chilenische Diplomat
Miguel Serrano Adolf Hitler als die Verkörperung des indischen Gottes
"Vishnu" vorstellt (Hitler il Último Avatâra), wurde in
Österreich geschrieben. Österreich war und ist in der Tat eine
Geburtsstätte des Nazi-Okkultismus.
Standard: Wie tritt man aus
diesen Phantasmen heraus?
Trimondi: Indem man sie nicht oberflächlich als reine
"Spinnerei" abtut, sondern die importierten, aggressiven und
fundamentalistischen Kulturmuster, die im Hintergrund wirken, aufdeckt,
offen in die Kritik bringt und dadurch unschädlich macht.
Aaargauer Zeitung vom 25.
September 2002
Ideologen waren an
asiatischen Kulturen interessiert – Interview von Hans Peter Roth
Sie
sprechen in Ihrem Buch von einer „Nazi-Tibet-Connection“. Warum soll das
NS-Regime zur Zeit des Dritten Reiches so sehr am Lamaismus interessiert
gewesen sein?
Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Wissenschaftlern,
Intellektuellen und Okkultisten im SS-Ahnenerbe. Man war dort davon
überzeugt, dass sich in Tibet Überreste einer „arischen Urrasse“ entdecken
liessen und dass in den tibetischen Schriften „arisches“ Urwissen
verschlüsselt sei.
Reichte
das Germanentum, das die Nazis für ihre Ideen pervertierten, nicht aus?
Die Germanen mit ihrer Stammesstruktur und Naturreligion
konnten kaum den ideologischen Stoff liefern, um eine „politische
Theologie“ für das gigantische NS-Regime zu begründen. Dagegen gab es in
den Theokratien und Buddhokratien Asiens schon seit Jahrtausenden sakral
begründete Megastaaten, die den totalitären Visionen der Nazis viel näher
standen. Dasselbe Missverhältnis gilt für die geistigen Traditionen. Im
Gegensatz zu der indischen Klassik (den Veden, Upanishaden, der
Bhagvadgita, den Lehren des Buddha, der japanischen Samurai-Tradition)
standen auf germanischer Seite die
wenig ergiebigen „Runensprüche“ aus
der Edda.
Wurden
die ausgesandten Nazi-Ideologen fündig?
Bestimmte, einflussreiche Nazi-Ideologen waren an folgenden Themen aus den
asiatischen Kulturen interessiert: Die Sakralisierung des Krieges, die
Vergöttlichung des Führers, die Schaffung einer Kriegerkaste (Kshatriya),
das magische Weltbild, die totale Gefühlskontrolle durch meditative
Praktiken, die Inkarnations- und Karmalehre, die Idee vom Chakravartin
(Weltenherrscher) usw. Die Liste lässt sich seitenlang fortsetzen. Himmler
verglich Hitler mit dem Gott Krishna und sah in der indischen
Kshatriya-Kaste und den japanischen Samurais ein Vorbild für die SS. Der
Kurator des SS-Ahnenerbes und Indologe, Walther Wüst, sprach von Parallelen
zwischen der Vita von Buddha und Hitler und spekulierte offen über die
Gründung einer SS-Kriegerreligion.
Die
östlichen Religionsführer verschlossen sich den Anliegen der ausgesandten
Nazi-Ideologen nicht? Warum nicht?
Da die Nazis gegen Russland und England kämpften jene zwei
imperialistischen Mächte, die sich damals die Herrschaft über Asien teilten, genossen Hitler und die
Deutschen im Osten eine hohe
Reputation. Auch religiöse Führer aus Indien, Japan und China sahen in ihm
einen Heilsbringer, der sie aus den Fängen der Kolonialmächte befreien
könnte. So schrieb das Oberhaupt der Buddhisten in China, der Abt Tai-hsü
einen Brief an den „Führer des deutschen Volkes, Adolf Hitler“, der mit dem
Satz endete: „Wenn der Führer die buddhistische Religion studieren will,
die für das heutige Europa und Amerika und das germanische Volk so
bedeutungsvoll werden kann, so bitte ich mir zu schreiben, und ich will
gerne antworten, so viel ich weiß.“ Der Panchen Lama bekundete große
Bewunderung für Hitler und bot ihm
in einem Brief seine Freundschaft.
Wie
sieht es heute, in der neofaschistischen Szene, aus?
Die neofaschistische Szene beruft sich heute noch mehr auf
östliche Lehren, als dies von Seiten der Nazi-Ideologen im Dritten Reich
gemacht wurde. Nur überwiegt hier bei weitem das okkulte Element, während
bei den Nazis von einem Kulturimport gesprochen werden muss, der von
qualifizierten Orientalisten durchgeführt wurde.
Warum
erscheint Ihr Buch gerade jetzt?
Weil der internationale Rechtsextremismus und Neofaschismus
weltweit einen beängstigenden Aufstieg feiern. Weil der „Kampf der
Religionen“ zu einer gefährlichen kriegerischen Realität geworden ist und
daher die offene und kritische Auseinandersetzung mit aggressiven und
fundamentalistischen religiösen Inhalten unausweichlich geworden ist. Das
gilt auch für den unreflektierten
Kulturimport von östlichen Lehren, insbesondere wenn dieser als
Inspirationsquelle für den religiösen Faschismus dient.
Rheinischer Merkur – 07.
November 2002
Gewalt predigen hat
Konjunktur - Toleranz – Ohne sie
gibt es keinen Frieden. Aber sie scheint weltweit auf dem Rückzug. Auszüge aus
einem Tischgespräch mit Victoria und Victor Trimondi
Der
Buddhismus tibetischer Prägung, die „Trendreligion unserer Zeit“, wird in
der großen Öffentlichkeit immer noch als das toleranteste und friedlichste
aller Religionssysteme angesehen. Dieses Image verdankt er vor allem dem
XIV. Dalai Lama, der nicht ermüdet, von Menschenrechten, vom Völkerfrieden,
von Ökologie, Demokratie,
Gleichberechtigung der Geschlechter und religiöser Toleranz als Grundwerten
des Lamaismus zu sprechen. Eine
kulturkritische Überprüfung der Geschichte, der Dogmen und der Riten dieses
östlichen Glaubens macht jedoch deutlich, dass diese vom Dalai Lama
herausgestellten Werte vornehmlich ihre Ursprünge in der abendländischen
Kultur haben, und nicht in der tibetischen.
In der Theokratie (Buddhokratie)
des Alten Tibet gab es bis in das 20. Jh. hinein Sklaverei,
Leibeigenschaft, Frauenunterdrückung und ein brutales Strafrecht. Die
verschiedenen lamaistischen Schulen lieferten sich ständige blutige
Gemetzel und waren in gegenseitige Kriege verwickelt. Eine Trennung von
Staat und „Kirche“, von Politik und Religion war im „Gottesstaat“ der Dalai
Lamas ebenso unbekannt wie der Schutz der Menschenrechte. Hohe Lamas
genossen Unfehlbarkeit, wurden und werden auch heute noch – nicht nur im übertragenen
Sinne – als „wandelnde Gottheiten“ auf Erden verehrt.
Ein krasses Beispiel für
mangelnde Toleranz sind zahlreiche Textpassagen des vom Dalai Lama im
Oktober dieses Jahres als „Ritual für den Weltenfrieden“ in Graz/Österreich
durchgeführten Kalachakra-Tantra. Darin werden die Hauptvertreter der
semitisch-monotheistischen Religionen „Adam, Henoch, Abraham, Moses, Jesus,
Mani, Mohammed und der Mahdi“ als die „Familie der dämonischen
Schlangen" und als Vertreter der Finsternis bezeichnet sowie ein
eschatologischer Religionskrieg gegen den Islam prophezeit, der mit der
weltweiten Errichtung einer Buddhokratie enden soll.
Dieser im Kalachakra-Tantra
beschworene Shambhala-Krieg hat im letzten Jahrhundert mehrmals als
militär-politische Ideologie gedient: in den Mongolenkämpfen gegen
Russland, in der Chinapolitik des japanischen Shintofaschismus, in der
Russlandpolitik des XIII. Dalai Lama. Er fand Eingang in den religiösen
Faschismus und Neofaschismus und ist dort zu einem bestimmenden weltanschaulichen
Topos geworden. Am Shambhala-Mythos orientierte sich auch der japanische
Sektenguru Shoko Asahara, dessen Anschläge auf die Tokioter U-Bahn 1995 ein
aus Ideen des Kalachakra-Tantra abgeleiteter Terrorakt war.
Mit dem tibetischen Buddhismus,
der niemals die Werte der „Aufklärung“ und des „Humanismus“ gekannt hat,
wird mit blinder Verherrlichung ein Religionssystem in den Westen
importiert, welches Inhalte aufweist, die von Fundamentalisten und
Rechtsextremisten als „Orientierung“ genutzt werden können. Westliche
Toleranz sollte nicht nur für bestimmte fundamentalistische Inhalte des
Christentums und des Islams Grenzen setzen, sondern auch für Entsprechungen innerhalb des Lamaismus,
der sich nach außen hin mehr und mehr als die Friedensalternative zu den
drei monotheistischen Religionen präsentiert. Ein dauerhafter Weltenfrieden
kann im Zeitalter sich ausweitender
„Religionskriege“ nicht mehr – wie bisher –
ohne kritische Toleranz, ohne die Bereitschaft zum kritischen
interkulturellen Dialog und ohne tiefgehende Reformen in den eigenen
religiösen Systemen auskommen.
|