HITLER - BUDDHA - KRISHNA

Eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute

 

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Faschismus als "Religion"

Ein Blick in die Literatur

 

Versuche, den Nationalsozialismus oder den Faschismus insgesamt als eine "politische Religion" darzustellen, stoßen oft auf Widerstände unter Historikern und Kulturologen. Das mag vor allem drei Gründe haben: Erstens die Vorstellung, dass Religion etwas Edles und Ethisches sein müsse und deswegen nichts mit den Verbrechen des Dritten Reichs zu schaffen haben könne. Zweitens, dass Religion etwas Transzendentes, Übernatürliches beinhalte, während sich das NS-Regime durch eine brutale, machtpolitische Realpolitik ausgezeichnet habe. Drittens sollen die religiösen Charakterzüge des Nationalsozialismus gerade deswegen geleugnet werden, damit er nicht als "Religion" und der damit verbundenen mentalen und seelischen Bindung eine Auferstehung erlebe. Das erste Argument fällt in sich zusammen, da Religion per se keineswegs pazifistisch und "moralisch" sein muss, wie uns die Geschichte aller Religionen gezeigt hat, sondern Schrecken, Furcht, Verdammung, Willkür, Rachsucht, Ungerechtigkeit, Fluch, Vernichtung können ebenso das religiöse Szenario beherrschen wie das politische. Nach Rudolf Otto sind Schreckensereignisse geradezu Hauptmerkmale des Religiösen, da sie sich am besten eignen, ein tremendum (ein Erschauern) bei den Gläubigen hervorzurufen. Ebenso ist das zweite Argument von der notwendigen Transzendenz des Religiösen geschichtlich nicht haltbar, da die Verflechtung von Religion und Gemeinschaft, von Kirche und Staat, von Herrscher und Gott in archaischen Gesellschaften zur Norm zählte. Das Religiöse war somit immanent, die Götter verkehrten mit den Menschen, Ekklesia (Kirche) und Imperium (Staat) waren identisch. Im übrigen gab es auch unter dem Nationalsozialismus Bestrebungen ihre System in der Transzendenz zu verankern, beziehungsweise daraus abzuleiten. Das dritte Argument, um sich vor einer religiösen Renaissance des Faschismus zu schützen, ist überholt, da sich Neo-Nazismus und Neo-Faschismus mittlerweile schon als eine weltweite  polit-religiöse Strömung etabliert haben. Die "Religionsdebatte" über Faschismus und Nationalsozialismus ist also ein hochaktuelles Thema. Einige ältere und neuere Beiträge hierzu wollen wir kurz vorstellen:

 

Harald Strohm - Die Gnosis und der Nationalsozialismus - Frankfurt 1997

Strohms interessanter Text zieht einen Vergleich zwischen der gnostischen Weltsicht in ihren verschiedensten Ausprägungen  (insbesondere aber in der Form des Manichäismus)  und der NS-Ideologie. Das Buch beabsichtigt keine systematische Darstellung, sondern ist eine Art Collage, die Statements aus beiden Kulturströmungen gegeneinander stellt und dann kommentiert. Hauptmerkmal der Gnosis ist der krasse, unversöhnliche Dualismus zwischen Licht und Finsternis, Gut und Böse, Mann und Frau. Diese beiden Widerkräfte werden in der NS-Ideologie durch den lichten Arier und den dunklen Juden gespielt. "Zwei Welten stehen einander gegenüber!" - soll Hitler gesagt haben – "Der Gottesmensch und der Satansmensch! Der Jude ist der Gegenmensch, der Antimensch. Der Jude ist das Geschöpf eines anderen Gottes [....] Der Arier und der Jude: Sie sind soweit voneinander wie das Tier vom Menschen." Die höchste Sünde der Gnosis besteht in der "Vermischung" der Parfaits (der Vollkommenen) mit den Unvollkommenen. Bei den Nazis hieß dies "Rassenschande". Der reine und der sündige Mensch, der göttliche Führer in Menschengestalt und der Untermensch, die Lichtgestalt im Kampf mit dem Dämon, dieses hinreichend bekannte Szenario wiederholt sich in allen Spielarten in den Reden und Schriften Hitlers, Goebbels, Rosenbergs und Himmlers. Sie alle standen - nach eigenem Selbstverständnis - als edle Ritter an vorderster Front gegen die von Gier und Gold besessenen Mächte der Finsternis, die immer wieder den Angriff auf die leuchtend schönen Gestalten des Gralsreichs wagten.

   Der Mensch - so glaubten die Gnostiker - werde durch den Eros an die Finsternis gefesselt. Wenn die Welt zu tief gefallen ist, sich immer mehr in die Fesseln der Sinnlichkeit und des Materialismus verstrickt hat, dann muss sie aufgelöst, dann müssen alle Dinge zerstört werden. Als Richter und Erlöser tritt dann eine Lichtgestalt auf, die mit dem Schwert in der Hand das Erlösungswerk blutig vollendet. Hitler wurde als ein solcher Erlöser "erkannt" und entsprechend propagandistisch präsentiert. Das Hakenkreuz erscheint als ein Lichtsymbol, das den Menschen aus den "drang- und wahnhaften Strebungen tierischer Gebundenheit" emporzieht.

   Strohm kommt auch auf die Neu-Gnostiker zu sprechen wie Helena Blavatsky, Lanz von Liebenfels, Rudolf Steiner, Abd-Ru-Shin, Jakob Lorber, deren Denkstrukturen denen der Nazis ähneln, obgleich sie teilweise von diesen verfolgt wurden. Weltangst und Welthass stehen am Beginn der gnostischen Theologie.

   Der gnostischen Schere aus Licht und Dunkel, die den Menschen in zwei Teile schneidet, zu entkommen, ist nach Strohm schwierig, da unser abendländisches Denken auf weiten Strecken jenem verhängnisvollen Dualismus verpflichtet ist. Als Therapie empfiehlt er unter anderem die Pluralisierung von Gesellschaft und Staat. Lichtstaaten tendieren zum Totalitarismus, Staaten, die von Montesquieu das Prinzip der Gewaltenteilung übernommen haben, tendieren zur Toleranz. Das Zersplittern des Monopolgeistes, das Adam Smith für die Wirtschaft gefordert habe, führe zu einem Pluralismus in der Wirtschaft und David Hume habe einen Pluralismus des Himmels entworfen. Der englische Philosoph zerstörte die Despotie des orientalischen Himmelsvaters und besang die Wiederkehr der irdischen Götter. Humes restaurierter Polytheismus war ein Versuch, Finsternis und Licht miteinander zu verbinden.

   Als weiterer Therapeut wird Arthur Schopenhauer genannt, der eine Sprache geschaffen habe, in der sich Tagwelt und Finsternis wieder vereinigen können. Strohm versucht den Philosophen als einen weisen Narren, als einen "Harlekin" darzustellen, der ohne jegliches System philosophiert habe und sich deswegen jenseits krasser Dualismen aufhalte. Aber es gibt Systematik in der Schopenhauer’schen Philosophie. Diese besteht unter anderem in seiner vom buddhistischen Denken geprägten Erkenntnistheorie, welche die Welt als reine Vorstellung, sprich Illusion wahrnimmt. An die Stelle des gnostischen Kampfes gegen die Welt des Bösen, tritt zu einem gewissen Zeitpunkt die Verneinung der Welt als solcher. Es ist schwer verständlich, weshalb Strohm das geschichtsträchtige Trio Schopenhauer - Wagner - Hitler nicht in die Diskussion mit einbezieht.

   Ebenso wenig erscheint es uns schlüssig, dass Wittgensteins "intellektueller Solipsismus" fähig sein soll, die Gnosis des Nationalsozialismus zu therapieren. Wie Schopenhauer, so stellt auch Wittgenstein das Ich als Illusion dar. Im Tractatus steht die Aussage: Das Ich des Solipsismus schrumpft zu einem ausdehnungslosen Punkt und es bleibt nur noch die ihm koordinierte Realität. Wie aus solch einer Ich auflösenden Position heraus der Nazi-Wahn „therapiert“ werden soll, ist für uns schwer nachvollziehbar. (Siehe hierzu die folgende Besprechung von Kimberley Cornish - Der Jude aus Linz - Hitler und Wittgenstein.)

  Interessant sind die Stellen, wo Strohm die Gnosis als kosmischen Geschlechterkampf darstellt. So kommt bei ihm immer wieder zur Sprache, dass das bekämpfte "Schattenreich" mit dem unterdrückten Weiblichen in einem Zusammenhang stehe. Aber er neigt dazu, sich allzu einseitig auf die Seite der "dunklen Mutter" zu stellen. Angesichts der "Lichtorgien", die das Abendland in seinen Religionen Jahrhunderte lang gefeiert hat, verständlich, aber sicher auch keine Lösung, um mit einem erotischen Spiel zwischen Licht und Schatten zu beginnen. Am aller wenigsten erscheinen uns die "Weiberfeinde" Schopenhauer und Wittgenstein prädestiniert, ein solches Spiel zu spielen. Es bedarf hierzu gleichermaßen des Mannes wie der Frau. Auch das "Leerwerden" meistert kaum den Kampf der dualistischen Gegenkräfte, sondern tritt aus der Welt des Lebens hinaus, so wie es der Buddhismus lehrt.

   Das Ende des Buches erscheint etwas unbefriedigend. "Wenn wir diesen Hitler als Kind einer verwirrten Finsterniswelt anschauen," - schreibt Strohm – "gelingt es vielleicht, ihn, statt weiterhin zu verdrängen, zu barbarisieren und zu satanisieren, als Teil unserer eigenen, zumal religiösen Geschichte anzunehmen. Dann, denke ich, wird es möglich, Wege, neue Wege zu gehen, die verhindern, dass ein solches Kind wiederkehrt." (275) Ein solcher Satz ist ambivalent. Er soll zeigen, dass Hitler nicht nur Täter sondern auch das Opfer einer gnostischen Weltsicht war, die das europäische Denken entscheidend bestimmt hat. Weil er  ein Opfer falscher Ideen war, muss man ihm jedoch nicht gleich das Gewand des "unschuldigen Kindes" umhängen. Das würde bedeuten, allein die Philosophen und Denker, die ihn beeinflusst haben, zur Verantwortung zu ziehen und ihre Erfüllungsgehilfen, die Staats- und Feldherren,  zu entlasten. Die Lösungsvorschläge in Strohms ansonsten interessantem Buch sind insgesamt hilflos, und zeigen an, dass es ohne ethische Normen nicht möglich ist, dem Licht und Schattenkampf zu entkommen, wobei eine solche Ethik in der Lage sein muss, so weit wie möglich aus dem Schwarz-Weiß-Denken herauszutreten. Therapie statt Strafe wäre hierbei ein wichtiges Modell, welches auch von Strohm erwähnt wird.

 

Kimberley Cornish - Der Jude aus Linz - Hitler und Wittgenstein - Berlin 1998

Der australische Philosophieprofessor und Wittgenstein-Forscher Kimberley Cornish hat ein eigenartiges Buch verfasst, in dem er nachzuweisen sucht, dass die Weltsicht Adolf Hitlers und Ludwig Wittgensteins aus einer gemeinsamen Quelle fließt. Diese Quelle heißt Arthur Schopenhauer. Hinter der Willensmetaphysik des Philosophen stehe ein magisches Verständnis der Wirklichkeit. Als Beweis führt Cornish die in der Forschung wenig beachteten beiden Kapitel "Animalischer Magnetismus und Magie" in der Schrift Über den Willen in der Natur und "Versuch über das Geistersehen" in Parerga und Paralipomena an.  Aus Schopenhauers Magieverständnis soll nicht nur das okkulte Interesse Hitlers stammen, sondern darüber hinaus seine Fähigkeit, "praktische Metaphysik" zu betreiben. Das war der Ausdruck mit dem Schopenhauer die "Magie" bezeichnete. Außer dem physischen Zusammenhang (nexum physicum) der Erscheinungen dieser Welt, gebe es noch eine "unterirdische Verbindung", einen metaphysischen Zusammenhang (nexum metaphysicum) und dieser ermögliche es, von einem Punkt der Erscheinung aus, unmittelbar auf jeden anderen einzuwirken. Dies umschließe auch die Möglichkeit, "den Mikrokosmos [die eigene Person] als Makrokosmos [als Universum] geltend zu machen", so dass dadurch "eine Kommunikation gleichsam hinter den Kulissen oder wie ein heimliches Spielen unterm Tisch" entstehe. Schopenhauer glaubte jedoch, dass diese "Magie" nur dann wirksam wäre, wenn sich der "Spieler" (der Magier) mit der "Allmacht des Willens" gleichschaltet, jener metaphysischen Kraft, die für ihn das Universum bewegt. Er müsse deswegen in der Lage sein, "die Schranke der Individuation zu durchbrechen" und  Teil des "universellen Willens" zu werden. Hitler - so Cornish - habe diese Fähigkeit, sich an den "universellen Willen" anzuschließen, besessen, was seine Macht über das Bewusstsein anderer erkläre. Die Menschen sind nämlich nach der Sicht des Philosophen nichts als Spielbälle eines allumfassenden Willens. Jedoch habe Hitler diesen "Anschluss" mit seiner subjektiven Rassentheorie kombiniert und sei deswegen in einen Widerspruch geraten, weil er jetzt nicht mehr allein als Medium des universellen Willens, sondern gleichfalls aus seinem dürftigen, "individuellen Willen" heraus gehandelt habe. Man muss hier jedoch restriktiv vermerken, dass diese "Subjektivität" einer rassistischen Weltsicht auch bei Schopenhauer gefunden werden kann.

   Die Fähigkeit, sich mit dem "universellen Willen" gleichzuschalten, leitet Cornish aus der buddhistischen Anatta-Lehre ab. Diese Doktrin beinhaltet den Glauben an die Nicht-Existenz des individuellen Ichs, eine Aufhebung der Subjekt-Objekt Trennung und spricht von der "Nicht-Subjektivität" des Geistes, die Schopenhauers "universellem Willen" entsprechen soll. Der gleiche Anschluss an die überindividuelle Willensmetaphysik zeige sich in der Philosophie Wittgensteins.

   Was den philosophischen Diskurs anbelangt, so ist das Cornish-Buch äußerst originell und führt zu ganz neuen Fragestellungen. Was jedoch die biographischen Verbindungen zwischen Hitler und Wittgenstein betrifft, so fällt es schwer Cornishs Ausführungen zu folgen. Aus der Tatsache, dass beide das Gymnasium in Linz besucht haben und gemeinsam auf einem Klassenphoto erscheinen, konstruiert Cornish eine okkulte Familienverflechtung die bis hin zu Madame Blavatsky reicht. Wer Freude an grotesken Kombinationen hat, dem mag dies gefallen, dem interessanten Ansatz des Buches schadet aber diese Spintisiererei des Autors sehr.

 

Michael Ley und Julius H. Schoeps – Der Nationalsozialismus als politische Religion – Bodenheim 1997

Schon während der NS-Zeit erschienen Arbeiten und Äußerungen, die im Nationalsozialismus die religiöse Seite hervorhoben. Thomas Mann schrieb 1933 in sein Tagebuch über Hitler: "Dieser vergötzte Popanz, der Millionen eine Religion bedeutet." (z. b. Ley/Schoeps, 1997, 158) Einer der wichtigsten Beiträge ist zweifelsohne das Buch Gespräche mit Hitler von Hermann Rauschnings,  ehemaliger Staatspräsident von Danzig und zeitweise Anhänger des Diktators. Rauschning sprach von der "Katholizität des neuen Glaubens an den Gott verkörpernden Führer" – und folgerte – "so hat man die Position des Nationalsozialismus bezüglich seines Weltmachtstrebens." (Rauschning, Hermann: The Conservative Revolution – New York 1941, s. 111) Der französische Schriftsteller Raymond Aron schrieb 1944 "Ich schlage vor, jene Doktrinen, die in den Herzen unserer Zeitgenossen den Platz des abhanden gekommenen Glaubens annehmen und die das Heil der Menschheit in der Gestalt einer neu zu schaffenden, sozialen Ordnung im Diesseits und in einer fernen Zukunft sehen 'säkulare  Religion' zu nennen." (z. b. Ley, 1997, 172)

   Nach dem Kriege sprach Albert Camus in seiner Studie L’homme révolté von einer "nationalsozialistischen Mystik", die eine "Vergöttlichung des Irrationalen" betreibe. Friedrich Heer sah den Nationalsozialismus als eine Imitation der Katholischen Kirche (Der Glaube des Adolf Hitler – Anatomie einer politischen Religiosität). Albert Michael Brocke und Herbert Jochum haben in ihrer Schrift Theologie des Holocaust den Nazismus als "säkularen Messianismus" bezeichnet.

   Es ist das Verdienst der Anthologie von Ley und Schoeps, dass diese Diskussion über den Nationalsozialismus als "politische Religion" fortgesetzt wird. Wichtige Phänomene wie der  NS-Erlösungswahn, die NS-Verkündigung, der NS-Messianismus und der NS-Vernichtungswille werden durch kompetente Autoren, einige davon aus Frankreich, diskutiert. Ein immer wieder angesprochenes Thema ist das apokalyptische Element, das in einer Endschlacht zwischen den Mächten des Lichtes und den Mächten der Finsternis kulminiert. Dieses dualistisch-gnostische Denken hat in der Religionsgeschichte Europas schreckliche Spuren hinterlassen und fand im "Dritten Reich" eine makabre Renaissance. Michael Ley spricht geradezu von der "nationalsozialistischen Apokalypse als Höhepunkt einer neuzeitlichen Gnosis". Klaus Vondung hat schon seit Jahren auf die Religiosität des NS-Regimes verwiesen und dessen enge Bindung an die Apokalypse aufgezeigt. In seinem einleitendenden Aufsatz "Die Apokalypse des Nationalsozialismus", kommt er auf Literaturen zu sprechen, die Hitler wie in der Eucharistie feiern. Hitler – so Vondung - habe schon in Mein Kampf  ein apokalyptisches Szenario entworfen, das er später in der Realität umsetzte. Die Mächte des Lichts werden hier vertreten durch den rassereinen Arier, die Mächte der Finsternis durch die Juden. Bilder der Johannesapokalypse sind auch für die NS-Ideologen von großer Attraktion: "Der Jude ist wohl der Antichrist der Weltgeschichte." - hören wir von Goebbels - "Man kennt sich kaum noch aus in all dem Unrat von Lüge, Schmutz, Blut und viehischer Grausamkeit." –. (43) Am Ende dieses kosmischen Krieges, steht ein "Reinigungsritual, das in der Ausmerzung der bösen Kräfte", sprich der Juden, kulminiert.

 

Eric Voegelin – Die Politischen Religionen – München 1993 (Erstauflage 1938)

Eric Voegelin, der 1938 den Begriff der "politischen Religionen" prägte und damit die NS-Bewegung, den Faschismus wie den Kommunismus gleichermaßen ansprach, sah dort den sakralisierten, christlichen Glauben an Gott ersetzt durch den Glauben an ein "Realissimum", sei dies nun der Staat, die Volksgemeinschaft, die Rasse oder die Klasse: "...... wenn Gott hinter der Welt unsichtbar geworden ist, dann werden die Inhalte der Welt zu neuen Göttern; wenn die Symbole der überweltlichen Religiosität verbannt werden, treten neue, aus der innerweltlichen Wissenschaftssprache entwickelte Symbole an ihre Stelle" (50) Angesichts dieser überpersönlichen "Realissima" habe der Mensch als Person keine Existenzberechtigung mehr. "Der Kontakt von Mensch zu Mensch ist unterbrochen, un-menschliche Geistgebilde stehen einander gegenüber, und der Mensch ist gewandelt zu einem Maschinenmitglied, mechanisch im Getriebe mitspielend, abstrakt nach außen kämpfend und tötend. [....] Die Existenz des Menschen verliert in seinem Erlebnis an Realität, der Staat zieht sie an sich..." (14)

   Voegelin unterscheidet zwei Formen des Glaubens. "Überweltliche Religionen", welche den Seinsgrund in der Transzendenz suchen und "innerweltliche Religionen", bei denen das Sein von der Göttlichkeit durchdrungen ist. Letzteres führt zu einer Sakralisierung der Wirklichkeit und auch des Staates. In den "transzendenten" Religionen wird die Kirche (Ekklesia) zwar vom Sakralen durchströmt, ist aber selber nicht das "Allerheiligste". In den politischen, "immanenten Religionen" dagegen wird der Staat zum summum sanctum (höchsten Heiligen). Die paulinische Lehre von der Ekklesia als dem Leib Christi deute eine solche Verbindung zwischen Sakralität und Weltmacht an: "Die Herrscherfunktion bekommt dadurch ihren Status im corpus mysticum und ist artmäßig nicht mehr von den Priester- und Lehrfunktionen unterschieden. Es gibt keine Grenze zwischen dem religiösen und politischen Bereich." (33)

   Ein Kriterium der immanenten Religion ist die Hierarchie, die von einer göttlichen Spitze ausstrahlt und über die Staatsämter zu den gehorchenden Untertanen reicht.  In Thomas Hobbes Bild vom alles verschlingenden "Leviathan" findet diese Vergottung des Staates und seines sichtbaren Repräsentanten, des absoluten Herrschers, ihren Ausdruck. Weitere Charakteristika der "politischen Religionen" sind: die "Apokalypse als Offenbarung des Reiches" und die "heiligen Könige als Gottesmittler und Persönlichkeitsträger der Gemeinschaft." (64) Alle diese Merkmale charakterisieren nach Voegelin die  drei großen totalitären Massenbewegungen des 20. Jahrhunderts: den Nationalsozialismus, den Faschismus und den Kommunismus.

   Die überweltlichen Religionen entwickeln einen funktionalen Wahrheitsbegriff. Erkenntnis und Kunst sind für das NS-Regime wahr, wenn sie im Dienste des rassegebundenen Volkstums stehen. "Von da" – schreibt Alfred Rosenberg – "kommen sie her, da gehen sie wieder hin. Und ihr entscheidendes Kriterium finden sie alle daran, ob sie Gestalt und inneren Wert  dieses Rassenvolkstums steigern, es wertmäßiger ausbilden, es kräftiger gestalten oder nicht." (53) Führer, Volkswille und Gottheit verbinden sich zu einem Ganzen: "Der Führer formt die Gottesworte um zum Befehl an die engere Gefolgschaft und an das Volk." (57) Der Führer ist der absolute Herrscher, ein wandelnder Gott auf Erden. "In der innerweltlichen Symbolik sind Führer und Volk durchdrungen von derselben sakralen Substanz, die im einen wie im anderen lebt; der Gott steht nicht außerhalb, sondern lebt in den Menschen selbst." (57) Interessant ist, dass Voegelin den "Mythos" des Dritten Reichs, den Millionen als Offenbarung erlebten, als eine bewusste Konstruktion wahrnimmt, "um Massen affektuell zu binden und in politisch wirksame Zustände der Heilserwartung zu versetzen." (53)

   Die Politischen Religionen erscheinen uns als ein sehr wichtiger Beitrag, um das Phänomen des Nationalsozialismus zu deuten und geistesgeschichtlich einzuordnen. Erst wenn wir erkennen, dass die modernen totalitären Staaten des 20. Jahrhunderts (Faschismus, Nationalsozialismus, Kommunismus) religiöse Wurzeln hatten, dass ihre Aktivisten und Mitläufer von religiösen Motiven angetrieben wurden und dass religiöse Erlebnisse auf ihren Massenveranstaltungen ekstatisch erfahren wurden, ist es möglich, sich kritisch mit ihren dogmatischen, liturgischen, ekstatischen und theokratischen Aspekten auseinander zusetzen.

 

Klaus Vondung – Magie und Manipulation – Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus – Göttingen 1971

Der Voegelin Schüler Klaus Vondung hat schon 1971 eine interessante Arbeit vorgelegt, in der er den Nationalsozialismus als eine "politische Religion" untersucht, welche durch Magie und Manipulation gesteuert wurde. Unter Manipulation versteht er "die inhaltliche Transformation von Gegebenheiten der Realität im Bewusstsein zu Entitäten, die es in der äußeren Wirklichkeit gar nicht gibt, die also imaginative Konstrukte sind oder [....] Inhalte einer 'zweiten Realität'. Nun wären solche Erscheinungen nicht besonders bemerkenswert, wenn sie im Rahmen einer privaten Weltanschauung verbleiben würden; sie haben aber die Tendenz, sozial wirksam zu sein, da die entsprechenden Personen geneigt sind, ihre Umwelt gemäß dem Bild zu behandeln, dass sie in ihrem Bewusstsein von ihr entworfen haben. Signifikant wird das Problem, wenn der skizzierte Typus zur sozial dominanten Form aufsteigt und die Möglichkeit erhält, Macht auszuüben." (7) Es wird also der Versuch unternommen, fiktive und imaginative Vorstellungen (wie zum Beispiel der Jude als die absolute Inkarnation des Bösen) auf die Wirklichkeit zu übertragen. Nachdem die Imagination die Bewusstseine von vielen Menschen ergriffen hat, kann sie die Welt nach ihrem Bilde formen, im Beispielsfalle eine Welt, die in ihrer Existenz vom Juden als dem Bösen bedroht ist. Hitlers religiöse Motivation zeigt sich vor allem darin, dass er an erster Stelle einen Krieg gegen das "Weltjudentum" und nicht gegen die Westmächte oder den Bolschewismus führt. Er selber nimmt die Realität, wie sie ist, nicht mehr zur Kenntnis. Das hatte eine Verzerrung seiner Wahrnehmungsfähigkeiten zur Folge, wie dies General Guderian genau beobachtete: "Er [Hitler] hatte ein besonderes Bild von der Welt, und jede Tatsache hatte in dieses Phantasiebild zu passen. Die Welt hatte so zu sein, wie er sie sich vorstellte: aber in Wirklichkeit war es das Bild einer anderen Welt." (211) In noch viel größerem Maße als im historischen Faschismus, kommt es heute im Neo-Faschismus und Neo-Nazismus zu imaginativen Konstruktionen. Diese befinden sich jedoch noch weitgehend innerhalb des Rahmens privater Weltanschauungen, d. h. sie üben noch keine, bzw. nur eine sehr geringe soziale Macht aus.

   Da die Verwandlung der eigenen Imaginationen in Realitäten bewusst betrieben wird, erscheint sie für Vondung als eine Manipulation und da durch sie eine "Fesselung" der Menschen an die entsprechende Realitätskonstruktion entsteht, sieht er darin einen Akt der Magie. "Es spricht einiges dafür, das hier nur kurz umrissene Phänomen 'Magie' zu nennen und zwar [....] als spezifisch inhaltliche Manipulation der Realität im Bewusstsein und entsprechend instrumentelle Manipulation der äußeren Wirklichkeit einschließlich der Gesellschaftsmitglieder. Sie aktualisiert sich bei sogenannten 'primitiven' Kulturen in bestimmten Ritualen. Vergleicht man das bereits durchgearbeitete historische Material mit manchen modernen Erscheinungen, so kann man feststellen, dass es auch in 'zivilisierten' Industriegesellschaften Rituale gibt, die als magisch zu analysieren sind.” (7)

   Vondung stellt nun eine Vielzahl von quasi religiösen Ritualen dar, welche die imaginative Realität des Nationalsozialismus konstruiert haben. Es ist ein Charakteristikum jeder Religion, dass sie das Jahr in Feste und den Tag in Feierstunden aufteilt. Zu bestimmten Zeiten werden Personen und Ereignisse gefeiert, welche für die entsprechende Glaubensrichtung Symbol- und Kultcharakter haben. Das nationalsozialistische Jahr wurde eingeteilt in die folgenden Feiertage: Tag der Machtergreifung am 30. Januar; Verkündung des Parteiprogramms am 24. Februar; Heldengedenktag 16. März; Verpflichtung der Jugend am letzten März-Sonntag; Geburtstag des Führers am 20. April; Nationaler Feiertag des deutschen Volkes am 1. Mai; Deutsche Ostern und Hoher Maien; Muttertag an einem Mai-Sonntag; Sommersonnenwende am 21. Juni; Reichsparteitag in der ersten Septemberhälfte; Erntedank Anfang Oktober; Gedenktag für die Gefallenen der Bewegung am 9. November; Wintersonnenwende am 21. Dezember und Weihnachten. Hitler selber sinnierte darüber nach, ob er nicht dem NS-Regime nach dem Kriege eine neuen Kalender bescheren sollte: "Will man bei der Zeitrechnung bleiben? Oder haben wir die neue Weltordnung als das Zeichen zum Beginn einer neuen Zeitrechnungen zu nehmen? Ich sagte mir, das Jahr 1933 ist nichts anderes als die Erneuerung eines tausendjährigen Zustandes."

   Neben den Jahres- gab es die Lebensfeiern (Geburt, Hochzeit, Tod)  die Morgenfeiern (Fahnenhissen). Als "liturgische" Formen zählt Vondung auf: Bekenntnislieder, Sprechchöre, Thingspiele. Er zeigt, dass unter dem NS-Regime eine sakrale Sprache und sakrale Musik (Trommelwirbel) entwickelt wurde. Orte, die mit der Geschichte des Nationalsozialismus im Zusammenhang standen, wurden konsekriert (Feldherrnhalle in München, Hitlers Geburtshaus in Braunau). Die Architektur erhielt Sakralcharakter. So entwarf  Albert Speer auf Hitlers Wunsch für Berlin einen Kuppelbau, in den der Petersdom mehrmals hinpassen passen sollte. Auch die Aufzüge und Massenveranstaltungen der Partei trugen Ritualcharakter, Prozessionen wurden durchgeführt, "ewige Wachen" abgehalten, rituelles Schreiten inszeniert. Es entstand ein mystischer Fahnenkult. Als höchste Symbol neben dem Hakenkreuz galt die Blutfahne, die mit dem Blut der Märtyrer des 9. November 1923 benetzt war.

   Magie hebt die Trennung von Bewusstsein und Natur auf. Die Ordnung der eigenen Subjektivität wird als Objektivität ausgegeben. Das beinhaltet unter anderem die Vorstellung, dass eine Kontrolle über die Natur durch Gedankenkraft möglich ist. Sigmund Freud war der Meinung, in der Magie würden psychologische Gesetze an die Stelle der natürlichen gesetzt: "Das Prinzip, welches die Magie, die Technik der animistischen Denkweise regiert, ist das der 'Allmacht der Gedanken'." (Freud, 1956, 90) Die Realität soll sich dem Gedanken beugen, die Geschichte dem Mythos. Bilder der eigenen Phantasie werden der Wirklichkeit aufgeprägt. Die Realität wird nicht mehr so, wie sie ist, wahrgenommen, sondern im Sinne der politischen Religion manipuliert. Magie und Technik gingen unter den Nazis eine Symbiose ein. Ihre Großveranstaltungen sind auch technische Meisterwerke optischer und akustischer Effekte, hinter der magischen Faszination stehen ebenfalls Beleuchtungsspezialisten, Requisiteure und Bühnenarchitekten. Kunst, Magie und Wirklichkeit fließen ineinander: "Träumt man, oder ist es Wirklichkeit?" – fragt ein Berichterstatter angesichts einer der spektakulären Partei-Inszenierungen. (z. b. Vondung, 1971, 192) Der Mensch wird gebannt, oder wie es Giordano Bruno nennt, "gefesselt".

   Das von der NS-Ideologie entworfene Bild – meint Vondung – entspreche nicht der äußeren Wirklichkeit es habe den Charakter einer "zweiten Realität". (193)  Vondung zeigt jedoch nicht genügend auf, dass bei einer ständigen Indoktrinierung tatsächlich eine Metastase der Wirklichkeit im Sinne der sozialpolitischen "Magier" stattfindet.

 

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