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Nazi-Tibet-Connection


© Victor und Victoria Trimondi

Was interessierte die Nazis an Tibet und am tibetischen Buddhismus?

Deutsche Hakenkreuze im Himalaja – Die SS-Tibetexpedition und ihre Protagonisten in 9 Kapiteln (Auszug aus dem Buch „Hitler-Buddha-Krishna – Eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute“ – Wien 2002 – Ueberreuter Verlag)


Kapitel 5

 

Die archaische Kultur des Lamaismus fasziniert die Mitglieder der SS-Tibetexpedition 

Tibet war für Heinrich Himmler vor allem ein "Wunschland", in dem er glaubte, auf die Spuren einer arischen Urreligion zu stoßen, die in den archaischen Strukturen, den atavistischen Weltsichten und der rassischen Zusammensetzung der tibetischen Gesellschaft "überlebt" hätten. Davon gingen im SS-Ahnenerbe und dessen Umfeld sowohl die Runenokkultisten als auch die Orientalisten aus. Schäfer hatte also, was immer ihn persönlich motiviert haben mag, die Aufgabe, "wissenschaftliches Material" mit nach Hause bringen, das die These von einer verschütteten arischen Weltreligion untermauern sollte.

 

Welche Rolle spielte in diesem Kontext der Lamaismus? Da man im SS-Ahnenerbe ausschließlich an "Kriegerreligionen" interessiert war, stand man dem "Priestertum" als solchem mit größter Ablehnung gegenüber. Der Begriff "Priester" galt für Heinrich Himmler geradezu als ein Schimpfwort, dagegen erweist sich die Idealisierung der Kriegerkaste als ein durchgängiges Leitmotiv bei allen NS-Ideologen, auch außerhalb der SS. Solch eine martialische Orientierung war also nur bedingt mit Gegebenheiten des lamaistischen Mönchsstaates in Einklang zu bringen, in dem "Hohepriester" und nicht "Kriegerkönige" das Sagen hatten. Während der deutschen Tibetexpedition standen sich somit – um es etwas salopp auszudrücken – ein  "Kriegerorden" und ein "Mönchsorden" gegenüber, aber immerhin eine Mönchsreligion, von der man vermutete, dass in ihr altes arisches Wissen konserviert sei. Entsprechend gestaltete sich Schäfers Verhältnis zum Lamaismus zwiespältig. Bewunderung, Vertrautheit und Neugierde wechselten ab mit Überheblichkeit und Ironie, aber die Faszinationen überwog zuletzt. In den folgenden vier Abschnitten möchten wir detaillierter aufzeigen, wie der Forscher und seine SS-Männer der Magie Tibets erlegen sind.

 

  1. Tibet - "des geheimen Wissens Hort"- Das Sven Hedin Institut und der Tibetokkultismus
  2. Die tibetischen "Herrengeschlechter" als potentielle Verbündete  des NS-Regimes
  3. Idealisierung des lamaistischen Kriegsbuddhismus durch die SS-Männer
  4. Nekrophilie in der SS und im Lamaismus – ein Kulturvergleich

 

1. – Tibet: "Des geheimen Wissens Hort" – Das Sven Hedin Institut und der Tibetokkultismus

Nach dem Kriege ist es dem Leiter des Sven Hedin Instituts für Innerasien Forschung Ernst Schäfer gelungen, sich als ideologiefreier Naturwissenschaftler darzustellen. Zustimmend schreibt der kanadische Historiker Michael H. Kater über ihn: "Schäfer [war] aufgrund seiner Erfahrungen und seiner internationalen Beziehungen viel zu sehr Kosmopolit [....], als dass er eine vorschnelle Überbewertung nationaler Parolen gutgeheißen hätte, will das 'Ahnenerbe' Himmlers wegen seines pseudowissenschaftlichen Rufes mit Skepsis betrachtet haben." (1) Der Betroffene gibt sich nach 1945 entsetzt: "Ich erkundigte mich dann," – erzählt Schäfer von der Zeit vor seinem Eintritt - "dass das Ahnenerbe in der guten Wissenschaft als eine Akademie der verkrachten Existenzen galt, in der die Pseudowissenschaften sich trafen." (2) Herman Wirth, den Gründungsvater, nennt er einen "wahnsinnigen Phantasten" und die Gesamtorganisation charakterisiert er als eine Ansammlung von schrägen Okkultisten: "Ich hörte von der Atlantistheorie, der Weltallslehre [wahrscheinlich Welteislehre]. Da spielte ein Mann eine große Rolle. Den nannten sie Weisthor. Es waren lauter okkulte Angelegenheiten." (3) Das ist – wie wir schon am Beispiel der NS-Orientalisten gezeigt haben – eine reine Schutzbehauptung, um die unerfreuliche Tatsache zu verschleiern, dass es gerade anerkannte Fachwissenschaftler verschiedener akademischer Disziplinen waren, die von dem Rektor der Münchner Universität, dem Sanskritisten Walther Wüst, als Mitglieder, Mitarbeiter und Diskussionspartner des SS-Ahnenerbes gewonnen wurden und von denen Schäfer nur einer unter vielen gewesen ist.

 

Zudem ging Schäfer mit Himmlers Vision, "eine SS-eigene Wissenschaft aufzuziehen", völlig  konform. Er verstand darunter eine Gegenbewegung zum "Fachspezialistentum", dem der Blick fürs Umfassende abhanden gekommen sei: "Nun die Zeiten [der Fachwissenschaften] sind vorüber und mit Unterstützung des Reichsführers-SS H. Himmler, dem ich meine Pläne schon vor Jahren vorgetragen habe, gelang es mir, auf dem Gebiet der Tibetforschung durch meine letzte Expedition 1938/1939 eine neue Synthese herbeizuführen, eine Synthese der Natur- und Geisteswissenschaften; die lebensgesetzliche Erfassung eines für uns außerordentlich wichtigen Lebensraumes." Dazu rechneten an erster Stelle die "Evolutionsgenetik und Mutationsforschung". (4) Zwischen der SS-Ideologie und den Naturwissenschaften sah er eine "natürliche" Verwandtschaft: "Es sind die gleichen Grundgedanken, die mich als SS-Mann und Forscher bewegen. SS-Gedanke und Forschungsgedanke sind identisch. Beide werden sie von Pionieren getragen, beide bedienen sich der Auslese, beide stützen sich in Repräsentation und Arbeit auf charakterliche und seelische Werte, die uns das germanische Erbe schenkt." (5) Eine solche Position war herrschend im Ahnenerbe. Im Kern vertrat Schäfer dieselben Vorstellungen wie sein Vorgesetzter im SS-Ahnenerbe Walther Wüst und sprach dies auch explizit aus: "Letzten Endes will ich und wollen wir doch keinen persönlichen Ruhm mit dem allen erwerben, sondern unserem Vaterland nach bestem Wissen und Gewissen dienen. Dabei versuche ich persönliche Ambitionen auszuschalten. Besonders auch schon im Hinblick darauf, dass nach den vorgestern stattgefundenen eingehenden Besprechungen mit Prof. Wüst meine Mission als Wissenschaftler in der großen Idee [!] von Prof. Wüst erfüllt werden muss." (6) Die "große Idee", der sich Prof. Wüst verpflichtet fühlte, war – wie wir gezeigt haben – nichts Geringeres als die Konstruktion einer "indo-arischen Religion" mit der SS als zentralem Kriegerorden.

 

"In den letzten Jahren wurde auf dem Gebiete der Asienforschung einem ganzen Heer von Scharlatanen Tür und Tor geöffnet." - schrieb Schäfer 1943 - "Gerade Tibet kann in dieser Hinsicht als Musterbeispiel gelten, weil der Name dieses weltabgeschiedenen Hochlandes noch immer mit dem Nimbus des Magischen und geheimnisvollen umwittert ist." (7) Dieses Zitat wird heute als Beweis für den entschiedenen Anti-Okkultismus des Forschers angeführt. "Er hatte" - schreibt der Ethnologe Reinhard Greve - "als nüchterner Naturwissenschaftler kein Interesse an okkulten Theorien über Tibet" (8) Eine solche Einschätzung ist jedoch, wie wir gleich sehen werden, falsch.

 

Schäfer zählte keineswegs zu den Menschen, die okkulte Phänomene als reine "Chimäre" abtaten und er hat Tibet auch nicht nur mit naturwissenschaftlichen Augen betrachtet: "Viel Aufregendes und Sensationelles ist über den tibetischen Okkultismus geschrieben worden, und auch ich habe recht seltsame Dinge erlebt, die ich an anderem Ort beschrieben habe. Sicher gibt es Welten, die durch die Vermittlung einzelner, tief medial veranlagter Menschen mit großer Mächtigkeit in unser Bezugssystem einbrechen, doch sollte man sich gerade in dieser Hinsicht von den wirren, stets von sehnsuchtsvollen Wünschen begleiteten Phantasien mystischer Schwärmer hüten." – erfahren wir von diesem "nüchternen Naturwissenschaftler".  (9) Auch der Rassenforscher Bruno Beger stellte nach seinen Begegnungen mit tibetischen Lamas fest: "Sie zwingen ihrer Umgebung etwas Magisches auf und verbreiten den Nymphus [sic!] des Geheimnisvollen um sich." (10)

 

Der Lamaismus und dessen okkulte Riten interessierten Schäfer sehr, auch wenn er sie mehr von außen beobachtete, so wie ein Zoologe das Verhalten einer wenig bekannten Spezies. Er war deswegen kein Okkultist à la lettre, aber hielt sich oft am Rande des Okkulten auf und begegnete diesem mit Faszination und Schauder, wie die folgende Schilderung aus seinem Reisebericht sehr deutlich zeigt: "Der Glaube der Tibeter an die Macht der Geister ist unerschütterlich. Medien, Mystagogen, Somnambule, Geisterseher und Auguren haben im Schneeland von jeher eine bedeutende Rolle gespielt. Als Mittel der Staatsführung stehen sie noch heute in hohem Ansehen. Während das Leben des Abendlandes fast völlig rationale Formen angenommen hat, steht das tibetische Volk in lebendigem Kontakt mit geheimnisvollen Naturkräften und Geistererscheinungen und gestaltet seine Geschicke aus ihnen heraus. Was uns verloren ging, was die entseelende Zivilisation bei uns zerbrach, hier also lebt es fort und bestimmt die Geschicke der Gemeinschaft in hohem Grade. Hier schießen Mächtigkeiten mit der Gewalt von Zauberkräften durch die Linsen der Seele und bilden eine Atmosphäre, die mit Mitteln des nüchternen Verstandes nicht zu durchdringen ist. [....]

 

..... die tibetischen Magier haben es verstanden, sich das schillernde Lichtdunkel der tiefenseelischen Welt zu bewahren und es sich in Versenkung, Hypnose und Besessenheit nutzbar zu machen. Unter der Ausschaltung der Sinnesempfindung glauben sie sich in der Lage, die Seeleninhalte fremder Menschen zu erforschen, mit unbewusst seelischen Vorgängen zu experimentieren, körperliche Funktionen unter die Herrschaft des Willens zu zwingen und die lebendigen Verbindungen zwischen Unter- und Oberbewusstsein nach Belieben benutzen zu können -Aufhebung der Schwerkraft, an echtes Hellsehen und was dergleichen 'okkulte' Erscheinungen mehr sind. [....]

 

Dieses Vermögen der tibetischen Orakelpriester, der Quelle allen Lebens sich zu nähern, Feinde zu vertreiben, die kosmischen Gewalten zu beeinflussen, die Seelen Dahingeschiedener anzurufen, prophetisch in die Ferne zu sehen, sprengt die Hülle unserer objektiven Welt. Die Schranken des Raumes und der Zeit entfallen, und die Geisterwelt greift handelnd ein. [ ... ] So unantastbar wie der Glaube, dass der Lauf der Planeten die Geschicke der Menschen lenke, ist die Macht der Zauberpriester, und die Klostergemeinden nutzen die Fähigkeiten ihrer Orakellamas wie kraftvolle Magneten." (11)

 

An anderer Stelle werden von Schäfer weitere übernatürliche Kräften (Siddhis) der Lamas beschrieben: "Sich beliebig in Trance versetzen zu können, Divinationswissenschaften zu üben, Fernwirkungen auszulösen, mit ihren Schülern über riesige Entfernungen Zwiesprache zu üben, geheime Botschaften auszusenden und zu empfangen, aus Handlinien und Stirnfalten Lebensschicksale zu lesen, Gedankenbilder körperlich darzustellen, die Kräfte gebannter Geister, Dämonen und der eigenen Schutzgottheiten für ihre Zwecke zu nutzen, ihre Seele zum Verlassen des Leibes zu bewegen und sie auf reisen zu schicken, sich in kommende Zeiten zu versetzen, sakrale Gegenstände mit Kraftwellen aufzuladen, Träume zu verifizieren, sich mit beliebigen Menschen, aber auch mit Tieren und Pflanzen zu identifizieren, den Blutstrom rauschen und die Säfte steigen zu hören." (12)

 

Ohne großen Kommentar kommt der "Naturwissenschaftler" Schäfer, der das SS-Ahnenerbes nach dem Krieg als eine "Akademie von Okkultisten" bezeichnet hat, zu dem Schluss: "Geisteskonzentration, Willensbeherrschung, Atemübungen, kontemplative Versenkung, kurz, die wissende Beherrschung aller körperlichen und geistigen Funktionen befähigen sie [die Lamas], die unsichtbare Welt ins Sichtbare zu projizieren und zu materialisieren." (13) In einem Satz bekennt er, dass sich die SS-Männer vom Lamaismus haben "infizieren" lassen: "Wenngleich wir nicht den Glauben dieser Menschen teilen, so werden wir doch von dem Mysterium, das diese Leute beherrscht, irgendwie infiziert und wenn wir faule Witze reißen, so versuchen wir damit nur unsere Ergriffenheit vor den Kameraden zu verbergen." (14)

 

Typisch für die Reaktion auf den "Tibet-Okkultismus" im Sven Hedin Institut ist Bruno Begers Umgang mit dem Anliegen einer Frau Wagner aus Ludwigsburg, die ihm in einem Brief versichert: "Mit jenen Meistern im fernen Osten in persönlichem Kontakt zu kommen, wird nach wie vor mein einziges Ziel und Streben bleiben, und ich verspreche mir unendlich viel davon, auch für das deutsche Volk, wenn es damit bekannt würde." Dabei berief sie sich auf ein in Kalifornien erschienenes Buch mit dem Titel: Leben und Lehre der Meister im Fernen Osten. Der Autor war ein gewisser Baird Spalding. (15) Spalding soll 1894 Gast des XIII. Dalai Lama gewesen sein und habe auch den Tau-Kreuz-Tempel besucht, der "ein riesiges in den Felsen eingehauenes Hakenkreuz darstellt." (16) Immerhin nimmt Beger die Esoterikerin so ernst, dass er ihr antwortet: "Sie haben Recht in Ihrer Überzeugung, dass wir viel mehr Sonderbares in Tibet gesehen haben, als wir im Film bringen konnten. [....] Auch Ihre Frage, ob Sie dazu in der Lage wären, in die Nähe jener Menschen zu kommen, kann ich nur beantworten, wenn ich das betreffende Buch [von Spalding] gelesen habe. Auf heilige Eremiten, die in den höchsten Höhen der Berge leben, sind wir gelegentlich gestoßen." (17) Beger  schickte den Wagner-Brief zur Kenntnisnahme an den Tibetologen Johannes Schubert, um sich dessen Rat einzuholen.

 

Eine weitere okkult veranlagte Persönlichkeit, die direkt mit dem SS-Ahnenerbe Kontakt aufnahm, war der Schriftsteller Theodor Illion. Der ehemalige Deutsche (18) veröffentlichte zwei esoterische Romane über eine Tibetreise. (19) Anfang 1941 kam es zu einem Treffen mit den beiden Mitarbeitern des Sven Hedin Instituts, Bruno Beger und Johannes Schubert. Illion stellte sich als Tibetkenner vor und erklärte, er habe in Rom mit dem berühmten Orientalisten Giuseppe Tucci Kontakte gepflegt. In der Hand trug er die von ihm selbst verfertigte tibetische Übersetzung eines Shakespeare Dramas. Er sprach fließend mehrere Sprachen - Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch und auch ein hervorragendes Tibetisch. Letzteres musste der Tibetologe Johannes Schubert mit großem Erstaunen feststellen, denn diese Qualifikation stehe doch ganz im Gegensatz zu Illions beiden okkultistischen Büchern "Geheimnisvolles Tibet" und "Darkness über Tibet", schrieb er an Beger. In diesen Romanen spreche Illion "von einer tibetischen Geheimorganisation, die in einer 'unterirdischen Stadt' zusammenkäme und den Freimaurern sehr nahe stehe." – Der Mann verwirrte Schubert so sehr, dass er in einem Brief an Beger zur äußersten Vorsicht mahnte: "Ich hatte den Eindruck, dass er [Illion] sehr genau über die deutschen Verhältnisse und damit auch über den Nationalsozialismus unterrichtet war, dass er aber selbst einen anderen Standpunkt vertreten zu müssen glaubt. [....] Er sagte mir auch, dass er eine tibetische Beschreibung für 'Politik' geschaffen habe und dass er tibetische Gedichte verfasst hätte, die sich auf Luftschutzkeller und ähnliche Dinge bezögen! Als Gesamtergebnis muss ich schreiben: Der Mann ist mir in vielen Punkten rätselhaft." (20) Beger leitete dieses  Statement weiter an die Geheime Staatspolizei und schlug eine Überwachung Illions vor.

 

Johannes Schubert hatte mit seiner Vermutung Recht, denn Illions fiktive Reiseberichte sind alles andere als nazi-freundlich. In ihnen werden Freiheit, Individualismus und Menschenwürde gegen ein System magischer Unterdrückung und abstoßender Menschverachtung herausgestellt, von dem der Romanheld behauptet, er habe so etwas in Tibet vorgefunden. Dort sei er in eine subterrane Stadt gelangt, von der aus eine Geheime Bruderschaft mit Magie auf das Weltgeschehen Einfluss gewinnen wollte. Auf  Tibetisch waren die folgenden Sätze an die Wände des lokalen Zentraltempels geschrieben: "Überlasse Deine Seele dem Meister und Er wird Dich zum Licht führen." – "Traue nicht Deinem Gehirn. Tiefes Verstehen ist mehr als Intelligenz" – "Nichts ist wirklich, nur Meine Worte sind es!" (21) Diese "wirklichen" Worte stammten von einem "Prinzen des Lichts" mit dem Namen "Mani Rimpotsche", das "erhabene Juwel". Beinahe erliegt der  Romanheld dem umwerfenden Charme und der hohen Intelligenz des Lichtprinzen. Zudem stellt ihm Mani Rimpotsche einen hohen Rang in der spirituellen Hierarchie seiner Sekte in Aussicht. Aber der Held weigert sich, die Kleider der geheimen Bruderschaft anzulegen, und bewahrt damit seine Individualität und seine Freiheit.

 

Denn mit Schrecken muss er feststellen, dass sich die Einwohner der "unterirdischen Stadt" vom Blut und Fleisch umgebrachter Opfer ernähren und sich so am Leben erhalten. Diese auf den ersten Blick hin harmonisch, glücklich, schön und weise wirkenden Menschen mit solch Namen wie "Spender der Göttlichen Weisheit", "Meister des Lichts", "Jünger des Lichts", "Retter der Seelen", "Herr des Erbarmens", "Erleuchteter Lehrer" (22),  erweisen sich bei näherer Hinsicht als die puren Menschenfresser. "Jeder wollte die menschliche Ebene überwinden und die göttliche Stufe erreichen!" - aber gerade dieses hochgesteckte Ziel machte sie zu "lebenden Leichen". Seelenlosen Marionettenpuppen gleich sind sie vom Willen des Mani Rimpotsche abhängig und der Held muss erkennen: "Der Prinz des Lichts war in Wirklichkeit der Fürst der Finsternis." (23) Der Autor nennt ihn jetzt "Prinz Leichenschneider". (24) Er kann dem Bann des "Dämonenfürsten" nur mit höchster Anstrengung, dank "göttlicher Vorsehung" und mit der Hilfe eines "guten Lamas" entkommen.

 

Bei aller literarischen Phantasie, die Illion in den beiden Büchern walten lässt, gibt es für seine Schilderungen der makabren und morbiden Seite des Lamaismus authentische Belege. Tatsächlich fordern bestimmte Texte des tibetischen Tantrismus den rituellen Verzehr von "Menschfleisch" (maha mamsa). (25) Ebenso ist das Ziel, durch sexualmagische Riten spirituelle und profane Macht zu erlangen, eine traditionelle tantrische Praxis (maithuna). Wenn die Sexualität nicht zur Fortpflanzung diene, - so Illion von den Einwohnern seiner unterirdischen Himalaja Stadt – sollen "sämtliche anderen sexuellen Energien [....] in höhere Kräfte umgewandelt werden und der Bruderschaft zur Verfügung gestellt werden." (26) Doch was den Autor am meisten abschreckte, ist die im Tantrismus geforderte Vernichtung des Ichs: "Der Gedanke, das eigene Ich-Bewusstsein total zu zerstören, um zu sein 'wie ein Gott', was einem spirituellen Selbstmord gleichkam, erschreckte mich. Zerstörung konnte niemals das oberste Ziel des Lebens sein." (27) – Solche Sätze machen es nur schwer verständlich, was der esoterisch eingefasste Individualist mit seinem Besuch im Sven Hedin Institut des SS-Ahnenerbes eigentlich beabsichtigte. Wir haben auch nicht herausfinden können, ob er die Kriegswirren und die Überwachung durch die Gestapo überlebt hat. Der Fall Illion ist ein weiteres Beispiel dafür, dass das SS-Ahnenerbe mit dem Tibet-Okkultismus eine Grenze hatte, die hin und wieder – wie im Falle Karl Maria Wiligut – geöffnet wurde, aber im Sven Hedin Institut weitgehend verschlossen blieb. Das soll jedoch nicht heißen, dass die dort arbeitenden Wissenschaftlicher nicht gerne über diese Grenzen hinaus faszinierte Blicke in das "geheimnisvolle Tibet" geworfen hätten. In der okkulten "Nazi-Tibet-Connection", die den religiösen Neofaschismus der Nachkriegszeit völlig bestimmt, sind die Schranken und Hemmschwellen zwischen Nazi-Ideologien und Tibetmystizismus völlig verschwunden.

 

Zusammenfassend lässt sich deswegen sagen, dass der "Tibet-Okkultismus" von Schäfer und Beger im Kern akzeptiert wird. Beide "Wissenschaftler" des Sven Hedin Instituts "beäugten" das Irrationale im Lamaismus, es faszinierte sie, ja sie wünschten diese magisch-mystische Welt in einem gewissen Sinne herbei. Auch wenn ihm die Spekulationen eines Karl Maria Wiligut zu weit gingen, so hat Schäfer doch – wie alle im SS-Ahnenerbe – daran geglaubt, von den tibetischen Lamas werde ein geheimnisvolles Urwissen gehortet, welches es zu entdecken gelte: "Geheimnis umwoben liegt das Herzstück Asiens," – lässt er seine Leser wissen – "von höchsten Gebirgen umgürtet und beschirmt, Abgrund des Aberglaubens, tanzender Orakelpriester und Hexenmeister, Domäne weißer Geier, des geheimen Wissens Hort [!] - Abode reinen Glaubens und unzähliger Klöster, aus denen Weihrauchdüfte strömen, Refugium der Adepten mit dem zweiten Gesicht, die nach Erklärung suchen für das Rätsel der Welt. Tibet ist voll von Geheimnissen, aber auch voll von Fragen um das Los der Menschen. Seine kahlen Berge schweigen und hüten die Geheimnisse, die sich zurückziehen wie Fangarme riesiger Polypen, sobald der Mensch sich anschickt, sie zu greifen." (28) Schon vor seiner berühmten SS-Tibetexpedition hatte der Forscher Vorträge gehalten, in denen er seinen Zuhörern das Schneeland als "arisches" Schatzhaus präsentierte: "Unter den Einflüssen aus Indien und Vorderasien sind im religiösen Leben der Tibeter arische Bestandteile zu finden." – lesen wir im Hannoverschen Tageblatt – "Als Beweis dafür zeigte Schäfer im Lichtbild einen Stein mit eingegrabenen religiösen Symbolen, darunter Runenzeichen wie Lebensbaum, Sonnenrad usw., wie wir sie in alten Häusern in Deutschland sehen." (29)

 

2. - Die tibetischen "Herrengeschlechter" als potentielle Verbündete  des NS-Regimes

Alle Richtungen des Faschismus können als der politische Versuch definiert werden, archaische und atavistische Gesellschaftsformen mit moderner Technik zu kombinieren. Deswegen spielte neben technischen Erfindungen die Erforschung von alten Kulturen, welche ihre Traditionen in die Neuzeit hinüber gerettet hatten, eine ebenfalls wichtige Rolle. In den archaischen Urkulturen glaubte man Reservoirs vor sich zu haben, in denen viel Wertvolles und Nachahmenswertes zu entdecken sei. Die Welt des Alten Tibet ist von den Ideologen im SS-Ahnenerbe als solch ein Tresor gesehen worden, als "ein Rückzugsgebiet für eine Reihe von altertümlichen, an anderen Stellen der Erde längst ausgestorbenen Lebensformen."  (30) Eine dieser "Lebensformen" war die klerikal-aristokratische Sozialstruktur des Landes. 

 

Neben den allgegenwärtigen Lama-Klöstern wurde damals das Land von circa 200 - 300 "profanen" Familien beherrscht. Die höchste Schicht unter den Aristokraten leitete ihre Abstammung von den alten tibetischen Königen ab, dann folgten die Familienmitglieder der Dalai Lamas. Diese wurden sogleich nach der Inthronisierung des neuen "Gottkönigs" geadelt. Der reichen Herrschaftselite stand der aller größte Teil der sesshaften Bevölkerung als "Leibeigene" gegenüber, die mit hohen Steuerabgaben belastet waren. Das Leben dieser Tibeter war hart und karg, ihre Ernährung schlecht. Man kannte bis hinein in das 20. Jahrhundert Formen der Sklaverei - was heute von den Exiltibetern geleugnet wird. Wie in Indien gab es eine Kaste der Unberührbaren. Dazu zählten Bettler, Prostituierte, Schmiede,  Fischer, Musiker und Schauspieler. Diesen stigmatisierten Gruppen war es in vielen Teilen des Landes nicht einmal erlaubt, Mönch zu werden.

 

Entsprechend der Theorie von Hans Friedrich K. Günther sahen Schäfer und Beger in den Mitgliedern des tibetischen Adels Angehörige höherer Rassen mit europäiden Einschlägen, welche die niederen Rassen im eigenen Land und der umliegenden Völker mit Fug und Recht beherrschten. Als ersten Eindruck lieferte der Privatsekretär des Maharaja von Sikkim den Expeditionsteilnehmern eine Vorstellung von der angeblich rassischen "Überlegenheit" der tibetischen Oberschicht: "Aber die herrschende Klasse sind wir" - so der Sikkimese zu  Schäfer -  "die Bhutia Kazis, der Stammesadel von tibetischer Herkunft. Unsere Vorfahren kamen von Tibet und haben Sikkim erobert. Wir haben den Buddhismus gebracht und haben dem Land die Kultur geschenkt. Die Frau, die unserem Maharaja vier Söhne geboren hat, ist eine reinblütige Tibeterin aus Lhasas Uradel, alle unsere nächsten Verwandten sind einflußreiche Männer in Gyangtse, Lhasa und Shigatse oder sie sind hohe Offiziere in der tibetischen Armee. Wir heiraten nur unter uns und verabscheuen die Mischung mit anderen Rassenelementen, und wenn wir in Sikkim keine geeigneten Mädchen finden, dann reisen wir nach Tibet und holen unsere Frauen aus gleichrangigen Geschlechtern von jenseits der Grenze. Wir mögen zwar an der Zahl gering sein, aber die Macht als Landesherren und der Stolz, Kulturträger zu sein, das ist unser Vorrecht." (31)

 

Dieser tibetischen "Edelrasse" stehen die Lepchas (die Ureinwohner) als gefügige Unterrasse gegenüber: "Was die Leptschas betrifft, die sind nicht zum Führen geboren. Sie sind zwar gute Untertanen, bescheiden, fleißig und anpassungsfähig, aber sie sind keine Kämpfer, sie weichen allen Gefahren aus."  (32)

 

Auch in Unterhaltungen mit tibetischen Würdenträgern sahen Schäfer und Beger ihre Rassentheorie bestätigt. So erzählte ihnen ein gewisser Dzong-Choktray, es gäbe vier Menschenarten: Die von der Götterrasse (1) abstammten – die von der Nicht-Götterrasse (2) [den Dämonen] abstammten – die von der regierenden Rasse (3) abstammten – die von den Unterrassen (4) abstammten. (33) Nach Beger stehen die Tibeter weit über den Juden, obgleich auch sie ihre Mitmenschen ums Ohr hauen: "Die Art, wie Tibeter handeln und dabei zu betrügen versuchen, ist in keiner Weise mit den uns bekannten jüdischen Händlermethoden und Betrügereien vergleichbar." Sie sei naiv und diejenigen die darauf reinfielen seinen selber Schuld. "Sie ist eben tibetisch oder allgemeiner gesagt innerasiatisch, geschieht also im Stil einer Rasse, die mit dem vorderasiatischen- orientalischen Judentum nichts gemein hat." (34)

 

Als Angehörige einer Gesellschaft, die von einem Diktator beherrscht wurde, und als Mitglieder einer Organisation, die sich an den Orden mittelalterlicher Kriegermönche orientierte, sahen die SS-Männer die lamaistische Buddhokratie eher als ein Vorbild. Die folgenden Äußerungen Heinrich Harrers, der ja selber dem Schwarzen Orden angehörte, dürften deswegen durchaus positiv gemeint sein: "Die Herrschaft der Mönche in Tibet ist einmalig und lässt sich nur mit einer strengen Diktatur vergleichen. Misstrauisch wachen sie über jeden Einfluss von außen, der ihre Macht gefährden könnte. Sie sind selbst klug genug, nicht an die Unbegrenztheit ihrer Kräfte zu glauben, würden aber jeden bestrafen, der Zweifel in dieser Richtung äußerte." (35)

 

Wohl gerade wegen dieser machiavellistischen Grundeinstellung strahlen diese tibetische Herrschertypen jene übermenschliche Aura aus, welche die Runenokkultisten des SS-Ahnenerbes bei den alten Ariern vermuteten: "Es sind Menschen, die wir achten müssen," – empfiehlt Schäfer – "die stolz und herrisch, selbstbewusst und stark in einem Zeitgeist leben, der dem unsrigen vor vielen Jahrhunderten entspricht. Steht man als hart geplagter, zielbewusster Mitteleuropäer plötzlich vor einem solchen tibetischen Potentaten, dann fühlt man sich sofort in den Bann der ganzen Atmosphäre gezogen, die solch ein starker Mann in der Ureinsamkeit seines abgeschlossenes Landes um sich zu verbreiten versteht." (36) – und an anderer Stelle heißt es: "Solche Höchsten Würdenträger aus uraltem tibetischen Adelsgeschlechtern sind zwar Könige im kleinen – aber sie haben allen Herrschern dieser Erde das eine voraus, dass sie wirkliche Könige sind; völlig unumschränkte nur von ihrer fanatischen Kirche abhängige, oft gewalttätige, meist aber gerechte und wohldisziplinierte Führermenschen, denen kein anderer etwas in ihre Staatgeschäfte reinzureden hat." Sie führen ein "männlich-stolzes Eigenleben" (37)

 

Zwischen Bewunderung und Ablehnung, zwischen Respekt und Ironie hin und her schwankend – das Verhältnis der SS-Männer zur tibetischen Priesterkaste bleibt ambivalent. In einem Manuskript, "Warum heute Tibetforschung?", weist Bruno Beger, der nach dem Kriege zu einem glühenden Bewunderer des XIV. Dalai Lama wird, auf die Gefahren hin, die vom "asiatischen Lamaismus" für die Völker Europas ausgingen. (38) Am Ende kommt er jedoch zu dem Schluss, dass die Tibeter aufgrund ihrer "Zwischenstellung zwischen der mongolischen und europäischen Rassengruppe" nach dem "Endsieg" eine bedeutende Rolle in einem panmongolischen Staatenbund unter der Aufsicht von Deutschland und Japan spielen könnten. Wir werden zeigen wie dieses ambivalente Verhalten zu den tibetischen Lamas auch den "SS-Mystizismus" und den "esoterischen Hitlerismus" der Nachkriegszeit bestimmen wird.

 

3. - Idealisierung des lamaistischen Kriegsbuddhismus durch die SS-Männer

Im Gegensatz zur landläufigen Meinung im Westen, die im Alten Tibet ein Glücksparadies sieht, war die Geschichte des Landes wie die Geschichte der meisten Völker dieser Welt von Kriegen bestimmt. Moderne exiltibetische Autoren schwärmen auch heute noch von den guten alten Zeiten, als das Schneeland unter den Yarlung-Königen (ab dem 6. Jahrhundert n. Chr.) als militärische Großmacht ganz Innerasien beherrschte: "Diese Armeen wurden wahrscheinlich besser geführt und waren disziplinierter als diejenigen des späten mittelalterlichen Europas und können in ihrer allgemeinen Struktur nur verglichen werden (mit Armeen) der modernen Ära unter Generälen wie Wellington und Rommel." - lesen wir 1990 in der Tibetan Review. (39)

 

Auch nach ihrer Buddhisierung (endgültig im 9. Jh. n. Chr.) hatten sich die Ureinwohner Tibets keineswegs in friedliche und mitfühlende Wesen verwandelt. Ganz im Gegenteil, die einzelnen unter einander zerstrittenen Sekten und die verschiedenen Fraktionen des Volkes schwächten sich so stark durch Kleinkriege, dass dadurch eine größere Staatenbildung verhindert wurde. Häufig führten Großlamas mit den ihnen untergebenen Mönchshaufen regelrechte Schlachten gegeneinander. Dabei war sich keine der Parteien zu schade, fremde Armeen nach Tibet zu holen, um mit deren Hilfe aufeinander loszuschlagen. Erst dem V. Dalai Lama (1617 – 1682) gelang es, eine das ganze Land einschließende Buddhokratie zu etablieren. Der Preis hierfür war ein äußerst grausam geführter Bürgerkrieg im 17. Jh. zwischen dem Gelug-pa- und den Kagyü-pa Orden, aus dem der Kirchenfürst als gefeierter Schlachtenheld hervorging. (40)

 

Auch der Doktrin nach ist der tibetische Buddhismus keine friedliche Religion. In seiner Ikonographie wimmelt es geradezu von aggressiven Gestalten, die über ein bis oben hin vollgestopftes Waffenarsenal aus Speeren, Spießen, Pfeilen, Schilden, Keulen, Haken, Schlingen, Messern, Dolchen und allerlei Tötungsmaschinen verfügen. Tibets buddhistische "Eroberung" wurde immer schon als die Bezwingung und Versklavung der einheimischen, archaischen Götter und Dämonen erlebt und dargestellt. Wollten diese vorbuddhistischen Wesenheiten in ihrem magischen Kampf mit den Zauberlamas am Leben bleiben, dann mussten sie sich unter Eid verpflichten, als Schutz Staffel unter lamaistischen Oberkommando zu dienen. Der von Indien importierte Buddhismus hat deswegen die kriegerische Grundeinstellung der tibetischen Stämme und deren Pantheon aus Kriegsgöttern niemals pazifiziert. Ein Beispiel hierfür ist der ursprünglich zentralasiatische Kriegsgott Begtse, der nach seiner Zwangsbekehrung für den Lamaismus ins Feld zieht. Seine Ikonographie lässt nichts an Schreckensphantasien aus: "Begtse erscheint von Flammen und Rauch umgeben mit seinem dämonischen Gefolge, den acht dithog, 'Messerhaltern', die auf dem Schlachtfeld die Leichen zerschneiden. Im Ausfallsschritt [....] tritt Begtse auf den Kadaver eines Pferdes und auf eine Leiche. Der dunkle Lotos, auf dem sie liegen, ist von einem See aus Blut bedeckt. Begtse ist von gedrungener Gestalt mit zornigem, roten Gesicht [....]. In seiner Rechten schwingt er ein kupfernes Schwert mit Skorpiongriff [....]. Mit der linken Hand führt er ein menschliches Herz zum Mund, um es mit seinen Keilerzähnen zu zerreißen." Rechts neben dem Kriegsgott ist dessen mit Schädeln geschmückter Palast zu erkennen. Das ganze wird von vier namentlich genannten Kirchenfürsten und dem Buddha Amithaba, in der oberen Bildhälfte auf Wolken schwebend, meditativ kontrolliert. (41)

 

Schäfers Reiseberichte zeigen an vielen Stellen, wie angetan er von solchen Bildern war und wie es ihn froh stimmte, dass die Lama-Priester den Krieg als solchen nicht ablehnten. Selbst wenn sie nicht persönlich zu den Waffen griffen, so glaubten sie doch, indirekt durch Magie, Beschwörung und Meditation auf das Kriegsgeschehen Einfluss nehmen zu können. In einem Ritual, über das der Tibetforscher berichtet, wird ein weiterer Kriegsgott, Kangchendzönga mit Namen, durch ein Gebet geehrt, das an die SS-Devise "Meine Ehre heißt Treue" erinnert: "Mein Kriegsgott, mein fünffältiges Sinnbild der Treue, der Ehre, der Tapferkeit, des Großmutes und des Sieges." – beten die Lamas den Kangchendzönga an. (42) Darauf folgt der von ihnen vorgetragene Gesang des Schwertes: "Du meine blutgetränkte Klinge bist das Schwert des Lebens. Tausend Dämonen haben Dich aus dem Metall des Donnerkeils [Vajra] geschlagen und tausend Götter haben Dich heilig gesprochen. [ ... ] In wundersame Gifte bist Du getaucht und an menschlichen Schädeln bist du geschliffen. [....] Wenn ich Dich schwinge, dann springen die Funken, und wenn ich Dich senke, dann tropfst Du von Blut. Das Leben der Feinde entzweist du, die Körper der Feigen verschleißt Du, und die Geister der Teufel zerreißt Du." (43) – Dass Schäfer, der für seine Verdienste an der Tibetexpedition mit dem SS-Degen ausgezeichnet wurde, bei der Beschreibung dieser Schwertszene ins Reimen gerät, unterstreicht nur seine große Begeisterung für die lamaistische Kriegsmagie. Wir erfahren auch von ihm, dass sich die Lamas bei ihren martialischen Tänzen in eine mystische Ekstase hineinsteigerten, in der sie Tibet geradezu als Zentrum unseres Planeten erlebten: "Wenn die göttlichen Heerscharen wie eine Vision aus asiatischen Heldenzeiten mit ihren ruhmbedeckten Waffen über den Festplatz rauschen, war man sich einig, dass das Schneeland das Zentrum der Welt sei, und dass die sinnbetörende Phantasie ihre Geister und Götterglaubens bis in alle Ewigkeit Bestand habe." (44)

 

Solche Ritualtänze zur Beschwörung der Kriegsgötter empfiehlt Schäfer als Erziehungsmodell für die Truppe: "Der glorreiche Kriegstanz soll der körperlichen Ertüchtigung dienen. Er soll die Lamas und die jungen Edelleute von den verderblichen Einflüssen eines faulen, sesshaften Lebens ablenken. Geschicklichkeit, Disziplin, Energie und die Kraft der Ausdauer sollen zur Schau gestellt und kultiviert werden. Vor allem soll der Kriegstanz Haltung und Moral der Truppe heben. In der geschickten Vereinigung physischer Kraftentfaltung mit religiösen Motiven und rückhaltsloser Hingebung liegt der große, staatserhaltende Wert dieser traditionellen Gottesverehrung. Daher müssen die Tänzer auch während der Zeit der Übungen ein der Religion gewidmetes zurückgezogenes Leben führen. Ausschweifungen sind verboten. Alkohol darf nicht genossen werden. Jeder einzelne Tänzer ist ein Exponent des Staates und muss sich als solcher durch tadellose Haltung auszeichnen. Er soll von dem Glauben beseelt sein, die Freude und der Stolz seines Kriegsgottes zu sein und der Vollstrecker dessen allumfassenden Willens." (45)

 

Der Krieg, das konnte die SS-Tibetexpedition 1939 als Botschaft mitbringen, war unter den Lamapriestern kein Tabu, sondern im Gegensatz ein großes Thema - historisch, rituell, psychologisch und magisch. 1942 setzte Heinrich Himmler in einem einmaligen Propagandafeldzug diese kriegerische Tradition der Lamas ein, um den Kampfstimmung der Deutschen noch weiter anzuheizen, indem er Schäfers Film Geheimnis Tibet zu einem der ganz großen Kulturereignisse dieses Jahres machte. Wir kommen darauf zurück.

 

4. -  Nekrophilie bei der SS und im Lamaismus – ein Kulturvergleich

Der Kulturphilosoph und Psychoanalytiker Erich Fromm hat in seiner ausführlichen Studie über die Anatonomie der menschlichen Destruktivität auf die aggressiven und nekrophilen Charakterzüge Heinrich Himmlers hingewiesen. Unter "Nekrophilie" versteht man im weitesten Sinne eine Freude an allem Toten, an Knochen, Schädeln, am Verwesen – eine perverse Lust, die sich bis ins Sexuelle hinein steigern kann. Oft sind Ereignisse in der Kindheit die Ursache für solche psychischen Fehlentwicklungen. Die morbiden Szenarien, die mit den Massenvernichtungslagern der Nazis verbunden werden, lassen die Frage aufkommen, ob sich dahinter nicht eine nekrophile Begierde ausfindig machen lässt. Fromm bejaht das und zeigt auf, dass sich die Nekrophilie bestimmter Nazi-Größen mit einem Hang zur Gewalttätigkeit verbunden hat. Ein Nekrophiler erlebt Gewalt als "die Macht, einen Menschen in einen Leichnam zu verwandeln." (46) Personen, welche an einer solchen Perversion leiden, zielen darauf, "alles Lebende in tote Materie zu verwandeln; sie wollen alles und jeden zerstören, oft sogar sich selbst; ihr Feind ist das Leben selbst." (47) 

 

Auch der Lamaismus kennt ähnliche aggressiv-nekrophile Züge. (48) Die breite Öffentlichkeit ist heute, dank der seit Jahren von exiltibetischer und westlicher Seite betriebenen Mystifikation Tibets, seiner Geschichte und seiner Religion mit einem völlig einseitigen und verklärten Bild des Schneelandes vertraut. Der Lamaismus gilt als friedlich, harmonisch, human und fromm – das makabre, morbide, aggressive, destruktive und gewalttätige Tibet ist dagegen weitgehend unbekannt. Dabei muss dieser gespenstische Charakter der tibetischen Kultur als tragender Teil angesehen werden und er fällt jedem, der sich etwas näher damit beschäftigt, sofort ins Auge. Thanatos und Eros, Tod und Sexualität umschlingen sich im Lamaismus. Das hat der mexikanische Schriftsteller Octavio Paz klar erkannt, als er die morbiden Welten Tibets mit der Todesfaszination in der eigenen Kultur verglich: "Die Vorliebe der Mexikaner für Skelette und Totenschädel begegnet man nirgendwo sonst auf der Welt, außer in der buddhistischen Kunst Nepals und Tibets. Es gibt jedoch einen Unterschied: unsere Skelette sind eine Verspottung des Lebens und der Lebenden; die der buddhistischen Kunst sind schreckenerregend und obszön." (49)

 

In der Tat quillt die sakrale Literatur und Malerei des Lamaismus geradezu über von abstoßenden  Szenarien der Lebensverachtung und Lebensverneinung. Die Tibetanischen Totenbücher und andere Heilige Texte (Tantras) erweisen sich bei näherer Hinsicht als "Sammelstätten" für alle möglichen Arten von Zombies, Menschenfressern, Henkern, Dämonenwächtern und Satanen. Im Guhyasamaja Tantra wird die Übereinstimmung der Buddhas mit dem Dämonischen und Bösen explizit zum Programm erhoben: "Ständig essen sie [die Buddhas] Blut und Fleischfetzen... Schädel, Knochen, Räucherwerk, Öl und Fett machen große Freude." (50) Die buddhistischen Gottheiten lassen in dieser Schrift ihren aggressiven Destruktionsphantasien freien Lauf: "Zerschneide, zerschneide, trenne, trenne, schlage, schlage, brenne, brenne." - fordern sie mit wütender Stimme die Initianten auf. (51) Jeder braucht sich nur die Nebenszenen auf  tibetischen Thangkas (Ikonen) ansehen und er wird schreckliche Darstellungen von zerstückelten, von gefolterten, verhungernden, bewusst verkrüppelten, geschundenen, geschlagenen Menschen entdecken. Man könnte glauben, dem ursprünglichen Chaos zu begegnen. (52) In ihrem Sakralwesen benutzen die Lamas Objekte und Substanzen aus dem Totenreich. Die morbiden Ritualgegenstände lassen einen jedenfalls das Grauen lernen: Präparierte Schädel, mumifizierte Hände, Rosenkränze aus Menschenknochen, Trompeten aus den Oberschenkelknochen 16jähriger Mädchen. Menschenköpfe, Blut, Fleisch, Fett, Eingeweide, die abgezogene Haut von Kindern, das Menstruationsblut einer Witwe und Steine, mit denen Menschenschädel eingeschlagen werden, können in den Ritualen zur Anwendung kommen. (53)

 

Ernst Schäfer war offensichtlich von dieser zerstörerischen, schrecklichen, morbiden und makabren Seite der tibetischen Kultur besonders angezogen: "Hier [im Tempel] gemahnen die 'Räume des Schreckens' an mittelalterliche Folterkammern, wie sie sich die beschwingteste Phantasie nicht grauenhafter ausmalen könnte." - hören wir von dem SS-Mann, der im KZ-Dachau die Humanexperimente des Dr. Rascher beobachtete - "Gierende , gähnende, vielarmige Ungeheuer, aus düsterer Dämonie der unerlösten Menschenseele entsprungen, ohne Schimmer von Gnade und Güte, thronen sie [die Dämonen] im Schattenspiel der hundert Dochte in massiver Wucht." (54) Die tibetischen Götter gieren – so Schäfer – nach realem und imaginärem Blut: "Zwecks Beschwichtigung der tantrischen Gottheiten sind anstelle milder Gaben von Blumen und Früchten auch heute noch Blutopfer gebräuchlich." (55)

 

Fasziniert ist Schäfer insbesondere von der Verehrung des aggressiven Schutzdämons Mahakala, der Sakralschmuck eine Totenkopfkrone trägt: "Du wilder, stolzer, unbesiegbarer Mahakala," - sollen die Lamas in Gegenwart der Forschers ausgerufen haben - "Berge von Leichen bilden deinen Festschmaus, Meere von Blut trinkst Du mit Wohlbehagen, Augen, Ohren und Zungen aber bilden Deine göttliche Nachspeise. Wer sein Leben lieb hat, geht Dir heute aus dem Wege, wer aber zu sterben gewillt ist, der braucht sich Dir nur zu nähern. Mahakala wird den großen Strom Deines Lebens zerschneiden und Deinen Körper im göttlichen Festschmaus vertilgen. Er ist der blitzberauschte und zerstörende Dämon der Dämonen. Heil Mahakala, dem Geiste aller Toten." (56) Diesen von Schäfer beschriebenen tibetischen Dunkeldämon stellte der Völkische Beobachter 1939 in einen langen Artikel mit dem Titel "Kiki Huhu – Heil Mahakala, dem Geist aller Toten – Die Götter tanzen im Himalaja", seinen Lesern vor: "Mahakala ist der schwarze blutgierige Gott, den die Leute von Sikkim, einem kleinen Staat im Himalaja, als den Herrn aller Wesen und Geister verehren." – heißt es dort. Wenige Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde die deutsche Bevölkerung in der Propagandazeitung der Nazis durch Schäfers Tibetfotos richtig anfeuert: "Es sind Bilder von dem Kriegstanz der Götter, eine rauschende Symphonie von Farben schwerseidener Gewänder, ein Getön von Hörnern, Pauken, Trompeten, ein Wirbel von gleitenden Leibern, ein Jubelrufen entzückter Dämonie: Kiki – huhu – kiki – huhu – Heil Mahakala, dem Geist aller Toten." (57) Dieses "Jubelrufen entzückter Dämonie" dürfte adäquat die Gefühlslagen in den SS-Totenkopfverbänden  beschreiben, ebenso wie der folgende Satz: Mahakalas "schaurig wildes Dämonengesicht mit der Totenkopfkrone jagt den Zuschauern Entsetzen ein" (58)

 

Insbesondere dürfte Mahakalas Totenkopfkrone den Tibetforscher zu Kulturvergleichen angeregt haben, denn auf  dem Haupt eines SS-Mannes saß die schwarze Tellermütze geschmückt mit dem aus Silber gefertigten Abbild eines Menschenschädels. 1941 erschien in der SS-Hauszeitschrift Das Schwarze Korps ein Gedicht mit dem Titel "Der Totenkopf", dessen erste Strophe lautete: "Das Schädelzeichen – an der Mütze – sagt Dir, – wie wenig das Leben bedeutet. – Mahnt Dich, - bereit zu sein – zu jeder Stunde." (59) Diese lebensverneinenden Zeilen könnten ebenso aus einem tibetisch-buddhistischen  Lehrgedicht stammen.

 

"Um ein nekrophiles Verhalten handelt es sich auch bei Personen, [....] die sich von Skeletten besonders angezogen fühlen." – schreibt Erich Fromm. (60) Ein zusätzliches Merkmal des nekrophilen Täters besteht darin, dass er eine Befriedigung aus der Zerstückelung von Leichen zieht. Der Rassenspezialist Bruno Beger war bei seiner ersten Visite in den düsteren "Krypten" der tibetischen Tempel noch erschreckt: "An der Decke hingen die Köpfe und Skelette von seit Jahrhunderten hingerichteten Verbrechern. Darunter befand sich ein völlig mumifizierter Verbrecher. Mönche, die uns führten, grinsten über unsere entsetzten Blicke." (61) Doch die Sitte der Tibeter, ihre Toten zu zerstückeln, scheint ihm ein gewisses "Vergnügen" bereitet zu haben, ansonsten hätte er nicht folgendes Gedicht darüber verfasst: "Ein jedes Land hat eig'ne Sitten. - In Tibet wird die Leich' zerschnitten. - Und schaurig gierig sich dran laben - gefräß'ge Geier, kluge Raben. - Unweit des Schauspiels steh'n zwei Knaben, - die scheint's daran Vergnügen haben. - Ach lass den Völkern ihre Sitten. - Der Tote hat ja ausgelitten." (62) Eingedenk der Tatsache, dass sich der Beger ständig Gedanken über die "Entfleischung" von Skeletten für seine Rassensammlungen machte, erscheint dieses - in einem anderen Zusammenhang harmlose - Gedicht sonderlich abgeschmackt.

 

Wie in anderen Kulturen auch, so soll die menschliche Knochensymbolik in Tibet auf die Vergänglichkeit alles Seienden hinweisen. Sie beinhaltet aber darüber hinaus ein Menetekel an die "Feinde der buddhistischen Lehre" und gilt als ein Triumphzeichen des Sieges über den Gegner. Eine vergleichbare Symbolbedeutung hatten der silberne SS-Totenkopfring und die in ihn eingeritzten Runen. Der Ring verkündet – so lautete die offizielle Deutung – die "sieghafte Kraft" und die "Vernichtung der Feinde", Opferbereitschaft bis zum Tod, Sieg, Glück, Wohlstand und Reichtum. Der Ring war "das Sinnbild der verschworenen Gemeinschaft der SS". (63)

 

Ein besonders schwerer Fall von Nekrophilie besteht in dem Vergnügen an Alltagsgegenständen, die aus menschlichen Substanzen (Knochen, Haut, Haaren, Blut) verfertigt wurden. Der Theologe Martin Bormann jun., Sohn von Hitlers mächtigem Sekretär gleichen Namens, berichtete von einem Besuch im Hause Himmler, wo dem damaligen Kind Folgendes begegnete: "Da war also ein Raum, ein relativ kleiner Unterdachraum, eingerichtet aus (sagen wir mal) mit Baumaterialien oder mit Möbeln, die aus menschlichen Rohstoffen hergestellt waren, ein Tischchen mit Oberschenkelknochen offenbar oder ja Oberschenkelknochen wohl als Tischbeinen, so ein dreibeiniger Tisch meine ich, war das so ein Tischchen, eine Art Sitzmöbel meine ich aus einem menschlichen Becken, auch wieder kombiniert mit solchen Knochen. Eine Lampe, ein Lampenschirm aus Menschenhaut  und ein handgeschriebenes großes Exemplar von Adolf Hitlers Mein Kampf. Und da wurde uns die Auskunft gegeben, dass seien Menschenhäute, Rückenhaut." (64)

 

Eine vergleichbare Faszination an makabren Gebrauchs- und Sakralgegenständen ist auch tief in der lamaistischen Kultur verankert. Davon fühlte sich der SS-Mann Ernst Schäfer ganz speziell angezogen, als er einem ähnlichen Knochenmöbel in Sikkim begegnet: "Mein besonderes Interesse gilt einem kleinen Tisch" – schreibt er in seinem Reisebericht  – "der von geschnitzten Menschenskeletten getragen wird. Die in einer Reihe von konzentrischen Ringen unterteilte Tischplatte stellt die im indo-europäischen Kulturkreis immer wieder auftauchende dreigeteilte Rosette dar, während im nächsten Kreis neben den acht glückhaften Zeichen das Rad als Symbol der Königswürde prangt. Es handelt sich dabei um ähnliche Embleme, wie sie in der vorgeschichtlichen Symbolik Europas als achtspeichiges Sonnenrad und als Symbol des Weltalls immer wiederkehren." (65) Eine "Königswürde", die auf den Knochen von Toten aufbaut! Am Beispiel dieses symbolträchtigen Tischchens zeigt sich, dass der SS-Mann das makabre Möbel nicht nur als perverses Spiel angesehen hat, sondern ihm - ebenso wie die Lamapriester - eine kosmisch-metaphysische Bedeutung zugestand. Dass es sich aber bei diesen acht Rädern "als Symbol der Königswürde" und als "Symbol des Weltalls" um Hakenkreuze gehandelt hat, verschweigt Schäfer aus verständlichen Gründen in seinem 1989 erschienen Reisebericht. Anders in einem Artikel des Völkischen Beobachters aus dem Jahre 1938 mit dem Titel "Im Banne des großen Buddha", der ein Foto des besagten Knochentischchens mit Schäfer und dem König von Sikkim abbildete. Unter dem Bild schrieb die Redaktion: "Der  Maharadscha mit dem Expeditionsleiter Dr. Ernst Schäfer. Der holzgeschnitzte Tisch, von drei Menschenskeletten getragen und mit vielen Hakenkreuzabzeichen als Glückszeichen verziert und die Stehlampe im Hintergrund sind Arbeiten einheimischer Künstler." (66) Durch die Existenz eines Lampenschirms auf diesem Bild hat der Vergleich mit Heinrich Himmlers Tischchen aus Oberschenkelknochen und seinem Lampenschirm aus Menschenhaut geradewegs etwas Schauriges.

 

Schäfer selber lebte seine Destruktivität, seine Passion "alles Lebende in tote Materie zu verwandeln" vor allem durch eine obsessive, geradezu pathologische Jagdleidenschaft aus. Der Zoologe ruhte nicht, bis jedes Tier, das auf seiner Abschussliste stand, unter seinem Gewehrfeuer zusammenbrach. Wenn er ohne Beute ins Lager zurückkehrte, war er gereizt und unausstehlich. "Wo immer Ernst Schäfer in Revieren erschien, dauerte es meist nur kurze Zeit, und sämtliche Mitjäger ohne Rücksicht auf das Alter mussten sich geschlagen geben." – lobte ihn die Jägerzeitschrift Wild und Hund. (67) Sogleich erkannte Hermann Göring in dem Jagdfanatiker den Gleichgesinnten. Der Tibetforscher hatte dem Reichsforst und –jägermeister einen Mastiff-Rüden als Geschenk eines tibetischen Adeligen mitgebracht und Göring lobte väterlich den jungen SS-Mann in einem Anerkennungsbrief, "da Sie ja durch Ihre Expedition und mit Ihren Kameraden wichtige Beziehungen mit dem tibetanischen Regenten und anderen Regierungsstellen eng geknüpft und hierdurch die Grundlage zum Ausbau weiterer freundschaftlicher Beziehungen geschaffen haben. [....] Wenn sie Freude daran haben, nach längerer Abwesenheit wieder einmal die Hirschbrunft in unseren Wäldern zu erleben, bin ich gerne bereit, ihnen einen Hirsch zu überlassen" (68) Schäfers an das "Unwahrscheinliche grenzende Sicherheit", mit der er die "Büchse und Flinte zu führen wusste" (Wild und Hund), hinderte ihn nicht daran, 10 Monate vor seiner berühmten SS-Tibetexpedition auf einem Jagdausflug seine eigene junge Frau zu erschießen.  (69)

 

Die immer wieder gesuchte "Wahlverwandtschaft" von SS-Männern und später von Neonazis mit der tibetischen Kultur ist nicht zuletzt aus der gemeinsamen Faszination am Schrecklichen abzuleiten: "Anderseits" – so Schäfer über die tantrische Logik der Lamas – "schreckt ihre Tollheit nicht davor zurück, selbst Morde gutzuheißen, wenn sie für das Seelenheil geschehen. Bluttaten und Grausamkeiten entspringen dem Mitleid, sagen die Adepten in äußerster Konsequenz des Alleinheitsgedankens. [ .... ] Böses ist wie Gutes, Stroh wie Seide, Kot wie Speise, Stank wie Duft, Tag wie Nacht und Leid wie Lust. So lehrt der Tantra Glaube, um die Phantasmagorie der Erscheinungswelt und den Trug des Daseins zu beweisen. Um sich zu reinigen, werden die Leidenschaften ausgebrannt, die Übel ausgekostet und die Scheußlichkeiten zur absoluten Höhe erhoben." (70) Das sind keineswegs die Projektionen eines SS-Mannes auf die tantrische Kultur Tibets, sondern entspricht einem Wesenszug des Lamaismus, den wir noch in einem gesonderten Kapitel darzustellen haben.


(1) In: Michael H. Kater - Das Ahnenerbe der SS 1935-1945 - Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches - München 1997, 79

(2) Institut für Zeitgeschichte - München: Vernehmung Ernst Schäfer A – 1948156, 31. 3. 47

(3) Ebenda

(4) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 75 – 166281

(5) In: Reinhard Greve - "Tibetforschung im SS-Ahnenerbe" in Thomas Hauschild - Lebenslust und Fremdenfurcht - Ethnologie im Dritten Reich - Frankfurt 1995, 185.

(6) Institut für Zeitgeschichte - München: Wüst - MA 305 - 59 1983

(7) Ernst Schäfer - Geheimnis Tibet - Erster Bericht der Deutschen Tibet-Expedition Ernst Schäfer 1938/39 - Schirmherr Reichsführer SS - München 1943, 15

(8) In: Reinhard Greve - "Tibetforschung im SS-Ahnenerbe" in Thomas Hauschild - Lebenslust und Fremdenfurcht - Ethnologie im Dritten Reich - Frankfurt 1995, 171

(9) Ernst Schäfer - Über den Himalaya ins Land der Götter - Tibetexpedition in den dreißiger Jahren von Indien nach Lhasa, in die "verbotene Stadt" - Durach 1989, 63

(10) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 75 – 1662006

(11) Ernst Schäfer – Das Fest der weißen Schleier – Begegnungen mit Mneschen, Mönchen und Magiern in Tibet – Durach 1988, 165 – 169

(12) Ebenda: 89

(13) Ebenda: 89

(14) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 71 – 164949 – Dieses  Zitat kann auch von Bruno Beger stammen. Es ist in den Archivunterlagen nicht mit einem Namen ausgezeichnet.

(15) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 49 – 163562

(16) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 49 – 163571

(17) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 49 – 163563

(18) Im SS-Ahnenerbe trat Illion als italienischer Staatsbürger auf.

(19) Theodor Illion - Tibet - Auf geheimnisvollen Pfaden zu geheimnisvollen Orten - Peiting 1999  und  Tibet II - Brücke zwischen Innen und Außenwelt - Peiting 2000. Beide Bände zusammen sollen 1936 unter dem Titel Rätselhaftes Tibet 1936 in Hamburg erschienen sein. Die englischen Ausgaben wurden von dem Londoner Verlag Ryder & Company unter den Titeln In Secret Tibet (1937) und Darkness over Tibet (1938) veröffentlicht.

(20) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 46 – 164601 - Der Brief an Beger ist vom 14. April 41.

(21) Theodor Illion -  Tibet - Brücke zwischen Innen und Außenwelt - Peiting 2000, 7

(22) Ebenda: 95

(23) Ebenda: 127

(24) Ebenda: 135

(25) Pundarika – Vimalaprabhā –  in: John Ronald Newman - The outer wheel of time: Vajrayana buddhist cosmology in the Kalacakra Tantra - Madison 1987, 266/ 267. Besonders plastisch hat Alexandra David-Neel das angebliche Absaugen von Lebensenergien durch nekrophile Lamapraktiken in ihrem Buch – Liebeszauber und Schwarze Magie - Basel 1992 - beschrieben.

(26) Theodor Illion -  Tibet - Brücke zwischen Innen und Außenwelt - Peiting 2000, 108

(27) Ebenda: 151

(28) Ernst Schäfer - Das Fest der weißen Schleier - Begegnungen mit Menschen, Mönchen und Magiern in Tibet - Durach 1988, 16/18

(29) Hannoversches Tageblatt vom 18. 06. 1937

(30) Ernst Schäfer - Geheimnis Tibet - Erster Bericht der Deutschen Tibet-Expedition Ernst Schäfer 1938/39 - Schirmherr Reichsführer SS - München 1943, 10

(31) Ebenda: 38

(32) Ebenda: 38.  Mit voller Hingabe stürzt sich der Industriellensohn Schäfer in die Dolce Vita der tibetischen Oberklasse und vergaß zeitweise die Askesevorschriften des Schwarzen Ordens: "In keinem anderen Land der Welt  habe ich geselligen Verkehr und offenherzige Gastfreundschaft so vorbehaltlos genießen können, wie im alten Lhasa, diesem damals den Göttern noch so lieben Kultort, wo man sich mit wahrhaft abgründigem Behagen den Genüssen des Diesseits ergab. Es ging in Lhasa nicht mehr darum, wie man mit Buddhas Hilfe über dieses Leben hinaus gelange, sondern wie man es in angenehmster Weise genieße." (Ernst Schäfer - Tibet und Zentralasien mit einer Einleitung von Dr. Ernst Schäfer - Stuttgart 1965, 21) Hier fühlt sich Schäfer jenseits von Wissenschaft und Okkultismus, "sauwohl". Aber selbst die Prasserei des Adels erhält von ihm noch ihre kultische Weihe: "Beinahe achtlos werden alle metaphysischen Spekulationen zur Seite geschoben, und eines jeden Streben richtet sich darauf, so intensiv und so glücklich zu leben, wie nur irgend möglich, bis alles, fröhlich lallend, ohne Leid und Reue von der Tafel sinkt, um in Traum und Rausch alle jene geistige Ergriffenheit zu finden, die nur der erleben vermag, der Essen und Trinken in wahrhafter Feier zum kultischen Zweck erhob." (Ernst Schäfer - Das Fest der weißen Schleier - Begegnungen mit Menschen, Mönchen und Magiern in Tibet - Durach 1988, 52) Der Gourmet Schäfer gerät ins Schwärmen: Mehrere Seiten widmet er in seinem Reisebericht der chinesischen Küche, denn die Oberschicht von Lhasa speist grundsätzlich à la chinoise und jeder, der Rang und Namen hat, hält sich seinen chinesischen Han Koch.

(33) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 57 – 151356

(34) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 75 – 166238

(35) Heinrich Harrer - Sieben Jahre in Tibet - Mein Leben am Hofe des Dalai Lama - Frankfurt 1984, 71

(36) Ernst Schäfer - Geheimnis Tibet - Erster Bericht der Deutschen Tibet-Expedition Ernst Schäfer 1938/39 - Schirmherr Reichsführer SS - München 1943, 116

(37) Bundesarchiv Berlin: R 135/ 75 – 166206

(38) In: Reinhard Greve - "Tibetforschung im SS-Ahnenerbe" in Thomas Hauschild - Lebenslust und Fremdenfurcht - Ethnologie im Dritten Reich - Frankfurt 1995, 109

(39) Tibetan Review vom 10. 1990, 15

(40) Der V. Dalai Lama verfolgte eine Art von archaischer Sippenhaft, die ja auch den Nazis bekannt war. In einem Gedicht hat er zur totalen Feindvernichtung bis hinein ins dritte Glied aufgerufen: "Macht die männlichen Linien zu Bäumen, - deren Wurzeln abgeschnitten werden. - Macht die weiblichen Linien zu Bächen, - die im Winter versiegen. -  Macht die Kinder und Enkelkinder zu Eiern, - die gegen Felsen geschleudert werden. - Macht die Diener und Gefolgsleute zu Heuhaufen, - die durch Feuer verzehrt werden. - Macht ihre Wohnsitze zu Lampen, - deren Öl verbraucht ist .- Kurz - vernichtet all ihre Spuren, - selbst ihre Namen." (Zitiert bei E. Sperling – 'Orientalism' and aspects of violence in the tibetan tradition – Manuskript 1997)

(41) Robert A. F. Thurman und Marylin M. Rhie - Weisheit und Liebe - 1000 Jahre Kunst des tibetischen Buddhismus - Bonn 1996, 461 - Bild 216 (120a) - Begtse

(42) Ernst Schäfer - Geheimnis Tibet - Erster Bericht der Deutschen Tibet-Expedition Ernst Schäfer 1938/39 - Schirmherr Reichsführer SS - München 1943, 49

(43) Ebenda: 49

(44) Ernst Schäfer - Auf einsamen Wechseln und Wegen - Jagd und Forschung in drei Erdteilen - Hamburg 1961, 38. Die Mythisierung der rituellen Kriegsschauspiele ist ein wiederholtes literarisches Mittel, das Schäfer benutzt. Zum Beispiel wenn er die Soldatenparaden der tibetischen Armee am Ende des Neujahrsfest (Mönlam) beschreibt: "Der kriegerischen Vorführung und des brodelnden Menschengetümmels ungeachtet wuchten stolze, heilige Schwarzhalskranische laut trompetend über die kämpfenden 'Gottkrieger' dahin, und hinter dem Festplatz ragen die düsteren Felswände mit den hellen Einsiedeleien, über denen sich die zackigen Grate der nördlichen Ketten im schimmernden Kleid gleißenden Neuschnees erheben." (Ernst Schäfer - Das Fest der weißen Schleier - Begegnungen mit Menschen, Mönchen und Magiern in Tibet - Durach 1988, 197)

(45) Ernst Schäfer - Geheimnis Tibet - Erster Bericht der Deutschen Tibet-Expedition Ernst Schäfer 1938/39 - Schirmherr Reichsführer SS - München 1943, 41

(46) Erich Fromm – "Anatomie der menschlichen Destruktivität" – in Erich Fromm – Gesamtausgabe Band VII – München 1989, 306

(47) Ebenda: 316

(48) Der niederländische Psychologe Fokke Sierksma hat ein ausführliches, sehr interessantes Werk über den aggressiv-morbiden Charakterzug in der lamaistischen Kultur verfasst: Tibet's Terrifying Deities - Sex and aggression in religious acculturation - The Hague 1966

(49) Octavio Octavio - Verbindungen. Trennungen – Frankfurt/M. 1984, 94

(50) Peter Gäng - Das Tantra der Verborgenen Vereinigung - Guhyasamâja-Tantra - München 1988, 259

(51) Ebenda 220

(52) Doch solche Horrorvisionen begegnen nicht nur dem Schüler des buddhistischen Weges. Sie erscheinen - nach tibetisch-buddhistischer Tradition - auch jedem normalen Menschen, manchmal schon im irdischen Leben, immer aber nach dem Tode. Jeder Verstorbene, es sei denn, er ist schon erleuchtet, muss nach seinem Ableben einen Zwischenzustand (Bardo) durchlaufen, in dem ihn Scharen von Teufeln sadistisch quälen und hinters Licht führen wollen. Wie im europäischen Mittelalter so schwelgt heute noch die tibetische Mönchsphantasie in unerträglichen Höllenbildern.

(53) Israel Epstein – Tibet Transformed – Beijing 1983, 138

(54) Ernst Schäfer - Das Fest der weißen Schleier - Begegnungen mit Menschen, Mönchen und Magiern in Tibet - Durach 1988, 84/85

(55) Ebenda: 96. Fasziniert ist Schäfer auch von den Totentänzen, die im Palast des Dalai Lama aufgeführt werden: "Im Potala zu Lhasa, dem größten Tempelpalast Asiens und gleichzeitigem Sitz der Gottkönige Tibets, der Dalai Lamas, finden zur Neujahrsfeier mystische Tanzfeste statt. Da treten groteske Skeletttänzer auf, die dem gläubigen Volk immer wieder die Vergänglichkeit des menschlichen Schicksals vor Augen führen sollen. Viele Totentänzer umkreisen in feierlichem Tanz ein auf dem Boden ausgebreitetes Symbol des menschlichen Daseins." (Bundesarchiv Berlin: R 135 / 72 – "Kampf der Dämonen")

(56) Ernst Schäfer - Geheimnis Tibet - Erster Bericht der Deutschen Tibet-Expedition Ernst Schäfer 1938/39 - Schirmherr Reichsführer SS - München 1943, 48

(57) Völkischer Beobachter vom 2. 02. 39 – Beilage Illustrierter Beobachter Folge 5, 130 f

(58) Ebenda

(59) Schwarzes Korps vom 13. 3. 1935, 12. Der Totenkopf als Kopfschmuck hat eine europäische, insbesondere preußische Tradition. Im Befreiungskrieg (1813) gegen Napoleon finden wir ihn auf den Mützen der Schill'schen- und Lützow'schen Jäger. Aber schon im 16. Jahrhundert wurden von ungarischen, polnischen und preußischen Reitertruppen Totenköpfe als Kopfschmuck getragen.

(60) Erich Fromm – "Anatomie der menschlichen Destruktivität" – in Erich Fromm – Gesamtausgabe Band VII – München 1989, 306

(61) Bruno Beger - Mit der deutschen Tibetexpedition Ernst Schäfer 1938/39 nach Lhasa - Wiesbaden 1998, 216

(62) Ebenda: 253

(63) Ackermann, Josef - Heinrich Himmler als Ideologe - Göttingen u. a. 1970, 72

(64) Film: Guido Knopp – Hitlers Helfer – Himmler der Vollstrecker – ZDF Chronik

(65) Ernst Schäfer - Über den Himalaya ins Land der Götter - Tibetexpedition in den dreißiger Jahren von Indien nach Lhasa, in die "verbotene Stadt" - Durach 1989, 24

(66) Völkischen Beobachter vom 30. August 1938 Nr. 242, 3

(67) Wild und Hund – 30. Juli 1937, 178

(68) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 27 – 150976

(69) Karl E. Meyer und Shareen Blair Brysac - Tournaments of Shadow - The great game and the race for Empire in Central Asia - Washington 1999, 519

(70) Ernst Schäfer - Das Fest der weißen Schleier - Begegnungen mit Menschen, Mönchen und Magiern in Tibet - Durach 1988, 96


Kapitel 6

Der SS-Film Geheimnis Tibet – "Die furchtbar geschundenen Herren des Leichenfeldes"

 

Index: Die Nazi-Tibet-Connection

 

© Victor & Victoria Trimondi