BUDDHISMUSDEBATTE
Zahlreiche Artikel zum Lamaismus finden Sie auch unter den
Segmenten Hitler-Buddha-Krishna und Kritisches Forum Kalachakra.
Siehe ebenfalls: Presseberichte und Interviews.
Buddhokratie und
Weltenherrschaft I
1. - Strebt der Dalai
Lama nach Weltenherrschaft?
2. - Die Ashoka Connection
3. - Politische
Theologie des tibetischen Buddhismus - Bernhard Reck
4. - Buddhokratie
und Weltenherrschaft II
Strebt
der Dalai Lama nach Weltenherrschaft?
Den heftigsten Widerspruch gegen unser Buch hat
nicht etwa unsere konkrete Darstellung der lamaistischen Sexualmagie
ausgelöst, sondern unsere These, dass das tantrisch-tibetische System die
Weltherrschaft, eine globale Buddhokratie,
anstrebe. Die große Empörung, die sich gegen diese These richtet, ist aus
dreifachem Grunde verwunderlich:
1. Das Streben nach
einer religions-politischen Weltenherrschaft ist nicht nur ein
Charakteristikum des tantrischen Buddhismus, sondern wir finden ähnliche
Visionen in den meisten Religionssystemen, sei es in verdeckter Form oder
höchst aktuell und offen wie in machtvollen Strömungen des Islam.
2. Die Idee von der
Weltenherrschaft und von der Errichtung einer globalen Buddhokratie
ist traditioneller Bestandteil der tibetisch- buddhistischen Doktrin und
wird immer schon mit der religions-politischen Rolle eines Dalai Lama
verbunden. Zum Beispiel erhält dieser bei seiner Inthronisierung die
Symbole eines Chakravartin, eines
Weltenherrschers, der spirituelle und weltliche Macht in sich vereinigt.
Die buddhokratische Vision wirkt als die
treibende Kraft hinter dem höchsten tibetischen Staatsritual, dem Kalachakra Tantra. Dabei handelt es sich
um eine komplizierte ritualmagische Performance mit 15 Einweihungsstufen,
durch welche zentral die Stellung eines Chakravartin
erlangt werden soll. "Kalachakra"
bedeutet übersetzt das "Rad der Zeit". Wer die Zeit beherrscht,
der regiert über den Lauf der Geschichte und der Sterne - das genau ist die
tiefere Absicht dieses Rituals.
3. In das
tantrische System eingeweihte westliche Anhänger des Dalai Lama, wie zum
Beispiel der amerikanische Tibetologe Robert A. Thurman, sprechen offen von einer globalen Buddhokratie als Alternative zur westlichen Dekadenz.
In seinem Buch "Inner Revolution - Life, Liberty, and the Pursuit of real Happiness", das
dieses Jahr in Deutsch erscheinen soll und das mit einem Vorwort des Dalai
Lama eingeleitet wird, ist der buddhokratische
Anspruch überall herauszulesen.
Was ist unter einer globalen "Buddhokratie" nach lamaistischer Sicht zu
verstehen?
1. dass der
Buddhismus als einzige Staatsreligion für unseren Planeten Geltung hat und
keine anderen Glaubensrichtungen neben sich duldet oder sie nicht an der
Macht beteiligt.
2. dass auf
weltweiter Ebene die politische und die spirituelle Herrschaft nicht
voneinander getrennt sind, also dass die Weltkirche und der Weltstaat eine
Einheit bilden.
3. dass die
politische Macht von einem Mönchsklerus ausgeübt wird
4. dass das globale
Staatsoberhaupt, der Weltenherrscher, nicht ein einfacher Mensch ist,
sondern ein inkarniertes Buddhawesen, das heißt
eine lebende Gottheit auf Erden.
Im Grunde handelt es sich bei diesem Konzept um die
Übertragung der traditionellen tibetischen Staatsform auf den gesamten
Planeten. Auch in Tibet war das Staatsoberhaupt ein inkarniertes Buddhawesen, der Dalai Lama, daran hat sich auch bei
den Exiltibetern nichts verändert. Auch in Tibet lag das politische Mandat
in den Händen des lamaistischen Klerus und war der Buddhismus die
Staatsreligion.
Der Dalai Lama gilt als der höchste Kalachakra Meister und praktiziert als solcher ein
Ritual, welches die Buddhisierung unseres
Planeten zum Ziel hat. Er hat den öffentlichen Teil des Kalachakra
Rituals seit 1954 insgesamt 25 mal, davon mehrmals
im Westen und mittlerweile vor Hunderttausenden von Menschen, durchgeführt.
Über den Zeitraum, wann die buddhistische
Umgestaltung der Weltkultur vollendet sei, herrschen unterschiedliche
Meinungen. Nach Aussagen des Kalachakra Tantra
findet dieses Ereignis erst nach einem gewaltigen Militärsieg des
buddhistischen Shambhala Heeres über die
"Feinde der Lehre" im Jahre 2326 statt. Der Hollywoodschauspieler
Richard Gere, einer der eifrigsten Sympathisanten des Dalai Lama, sprach
dagegen (1998) von einer Kettenreaktion, die in den nächsten Jahren zu
einer explosionsartigen Ausbreitung des tibetischen Buddhismus im Westen
führen soll.
Plant der tibetische Buddhismus eine
Weltverschwörung?
Eine "Verschwörung" bedeutet, dass sich
eine Gruppe von Menschen in einem Geheimbund zusammenschließt, um die Macht
im Staate zu erobern. Davon kann im Falle des tibetischen Buddhismus
überhaupt nicht die Rede sein. Die weltweite Errichtung des Dharmas (der buddhistischen Lehre) ist nämlich durchaus
ein offenes und nicht ein geheimes Thema unter Buddhisten des
tibetischen Weges, sie ist Teil der dogmatischen Lehre und durch viele
Prophezeiungen gestützt. Das Gleiche gilt für die Errichtung einer globalen
Buddhokratie.
Wir haben deswegen auch niemals eine klassische
"Verschwörungstheorie", wie man uns manchmal unterstellt,
vertreten. Das Wort "Verschwörung" erscheint in diesem Sinne kein
einziges Mal in unserem Buch. Wir weisen jedoch sehr präzise nach, dass der
Lamaismus in seinem Ritualwesen, seinen Visionen, seinen Symbolen und
seiner Geschichte auf eine Buddhisierung der Welt
hinzielt. Wir analysieren seine "politische Theologie", in deren
Zentrum ein messianischer "Chakravartin"
(Weltenherrscher) und eine zu errichtende "Buddhokratie"
stehen. Solch ein sakral-politischer Entwurf, mit einem
"übermenschlichen" Wesen an der Spitze, ist für den asiatischen
Kulturraum überhaupt nichts Besonderes. In der Geschichte vieler Länder
dieses Kontinents war ein "Chakravartin"
(Weltenherrscher) eine ständig erwartete Heilsfigur. Zahlreiche
"sakrale" Herrscher Indiens, Tibets, Chinas oder Südostasiens
nahmen für sich in Anspruch, eine entsprechende Rolle schon innezuhaben
oder anzustreben.
Nur mit der Person des XIV Dalai Lama wird dieser
globale Machtanspruch nicht mehr verbunden. Dennoch praktiziert der
tibetische Hierarch ständig Rituale (das Kalachakra Tantra) und verbreitet
prophetische Mythen (den Shambhala
Mythos), welche die Errichtung einer Buddhokratie
zum Inhalt und als Ziel haben, auch wenn er sich nach aussen
hin ständig auf Prinzipien der westlichen Demokratie beruft.
Die "politische Theologie" des
tibetischen Buddhismus und damit auch sein machtpolitischer Anspruch auf
die Weltherrschaft, wie wir sie ausführlich geschildert haben, ist in dem unten abgedruckten Exzerpt unseres Buches
sehr einfühlsam dargestellt.
DIE
ASHOKA CONNECTION
Die Rolle eines buddhistischen Chakravartin ("Weltenherrschers") wird
exemplarisch seit Jahrhunderten an der Person und der Politik des indischen
Kaisers Ashoka dargestellt. Auch heute ist dieser
Bezug zu dem Imperator aus dem dritten Jahrhundert v. Chr. wieder
hochaktuell geworden, wie es eine religionspolitische Schrift des
amerikanischen Tibetologen und Dalai Lama
Vertrauten Robert A. Thurman zeigt. Ashoka ist - nach Thurman -
das Vorbild für eine "kingly revolution" (königliche Revolution), die unsere
Welt radikal verändern soll. Was ist von dieser These zu halten?
Der historische Buddha hatte - so erzählt die
Legende - die Rolle eines Weltenherrschers bewusst abgelehnt. Für ihn stand
die politische Machtausübung eines Chakravartin
noch im krassen Gegensatz zu der sakralen Rolle eines Buddhas, eines
Erleuchtungswesens. Das änderte sich spätestens im 3. Jh. V. Chr. mit der
Herrschaft des Kaisers Ashoka. Auf S. 425 unseres
Buches schreiben wir zu diesem Komplex:
Die Grundeinstellung des historischen
Buddhas war anarchistisch. Er verließ nicht nur seine Familie, sondern der
Königssohn legte auch alle staatlichen Ämter nieder. Bei der Gründung der
buddhistischen Gemeinschaft (Sangha) ging er
davon aus, dass es sich hierbei um eine rein spirituelle Vereinigung
handele, die ethisch den weltliche Institutionen bei weitem überlegen sei.
Der Sangha bildet das Grundmuster einer idealen
Gesellschaft, während der profane Staat durch seine weltlichen Geschäfte
ständig karmisch beschmutzt wird. Deswegen war die Beziehung zwischen
beiden Institutionen (Sangha und Staat) immer
gespannt und zeigte viele der Dissonanzen, die schon früher in der
vedischen Zeit zwischen Kshatriyas (Krieger,
Könige) und Brahmanen (Priester) bestanden hatten.
Die antistaatliche Einstellung der
Buddhisten änderte sich jedoch im 3.Jh. v. Chr. mit der Machtergreifung des
Kaisers Ashoka (Reg. 272 - 236 v. Chr.) Ashoka, ein Herrscher aus der Maurya
Dynastie, hatte nach einem sehr grausamen Feldzügen fast den gesamten
indischen Subkontinent erobert. Er war zum Buddhismus konvertiert und legte
großen Wert darauf, dass die Religion Shakyamunis
im ganzen Lande verbreitet wurde. Im Sinne der Lehre - so berichten es
spätere Legenden - verbot er das Tieropfer und propagierte den
Vegetarismus.
Seine staatspolitische Position ist
unter den Historikern nicht ganz klar, denn es gibt mehrere sich
widersprechende Dokumente darüber. Nach einer Meinung unterwarf er sich und
den ganzen Staat dem Sangha (Gemeinschaft der
Mönche) und ließ sich bei seinen Entscheidungen von dieser leiten. Nach
einem anderem Dokument trat er selber an die
Spitze der Gemeinschaft und wurde zum Sangharaja
(zum König und obersten Kommandanten der Mönchsgemeinde). Am
wahrscheinlichsten ist die dritte Ansicht, dass er zwar zum buddhistischen
Glauben konvertierte, aber seine politische Autonomie beibehielt und der
Mönchsgemeinde aus der kaiserlichen Stellung heraus seinen Willen aufzwang.
Dafür spricht, dass er es war, der ein Konzil einberief und dort seine
"buddhologischen" Vorstellungen
durchsetzte.
Man hat bis heute in Ashoka
die Idee vom gerechten "Friedenskönig" gefeiert und dabei
gänzlich übersehen, dass durch seine Person den Sangha
mit dem staatlichen Gewaltproblem konfrontiert wurde. Die buddhistische
Mönchsgemeinde war ja ursprünglich völlig gewaltfrei. Nach ihrer Verbindung
mit dem Staat musste das Prinzip der Gewaltfreiheit notwendigerweise mit
den machtpolitischen Erfordernissen in Konflikt geraten. Zum Beispiel soll
der historische Buddha eine solche Abneigung gegen die Todesstrafe gefühlt
haben, dass er sich als Substitut anbot, um das Leben eines Verbrechers zu
retten. Ashoka aber, der ein Edikt gegen das
Schlachten von Tieren erließ, verzichtete auf die staatlich verordnete
Hinrichtung von Verbrechern nicht.
Ob schon zu Lebzeiten oder erst dank
späterer Deutungen - der Kaiser wurde (auf jeden Fall ex post) zum Chakravartin (Weltenherrscher) erklärt, der das
"goldene Rad" des Dharma (der Lehre) in
seinen Händen hielt. Er war der erste historische Bodhisattva
König, das heißt, ein in der Gestalt eines weltlichen Herrschers
inkarnierter Bodhisattva. Weltliche und
spirituelle Macht fielen bei ihm in einer Person zusammen.
Interessanterweise errichtete er seine spirituelle Weltentherrschaft
durch eine Art "kosmisches Opfer". Die Legende erzählt nämlich,
der Kaiser sei im Besitz der ursprünglichen Buddhareliquie
gelangt, habe diese in 84 000 Stücke zerkleinern lassen und über das
gesamte Universum verstreut. Dort wo ein Partikel dieser Reliquie hinfiel,
breitete sich sein Herrschaftsgebiet aus, das heißt überall, da 84 000 im
damaligen Indien die Symbolzahl für das kosmische Ganze darstellte. Diese
fromme Geschichte von seiner Universalherrschaft machte ihn von dem
buddhistischen Sangha völlig unabhängig.
Kaiser Ashoka und seine
Regierungsform gelten heute erneut als Modell für die Errichtung einer
weltweiten Buddhokratie. Robert A. Thurman hat ihm in seinem religions-politischen
Pamphlet The inner Revolution ein ganzes
Kapitel gewidmet, indem er die sozialpolitischen Entscheidungen des
indischen Imperators als exemplarisch herausarbeitet. Das Kapitel trägt den
Titel "Eine königliche Revolution" (a kingly
revolution) und es ist durchaus als ein
politisches Programm für die Zukunft gekennzeichnet.
Ashoka ist für Thurman der politische "Wahrheitsträger" par
excellence. Der indische Imperator wird als "Friedensfürst"
geschildert, der - vorher ein grausamer Schlachtenheld - nach einer tiefen
inneren Wandlung jeglichen Krieg verabscheute, der Hass und Kampflust in
Mitgefühl und Gewaltlosigkeit verwandelt habe, der eine "spirituelle
Revolution" zum Wohle aller leidenden Wesen durchgeführt habe. Thurman benennt diese auch mit dem Schlagwort "Buddha's coole Revolution" im Gegensatz zu den
"heißen Revolutionen", die der moderne Westen durchleben musste. Ashokas Anstrengungen proklamierten "einen
sozialen Stil der Toleranz und eine Bewunderung der Gewaltlosigkeit. Sie
machten die Community zu einer sicheren Einrichtung, die unwidersprochen
war in ihrer allgegenwärtigen Präsenz als eine Schule der Höflichkeit, der
Konzentration und der Freisetzung von kritischer Vernunft; ein Asyl des
Nonkonformismus; eine egalitäre demokratische Gemeinschaft, wo
Entscheidungen durch einstimmige Wahl getroffen wurden." (S. 116/117)
Es ist kaum zu übersehen, dass Thurman von Ashoka spricht und den Dalai Lama meint. Er unterstellt
mit gewagter Freizügigkeit dem indischen Imperator die 5 politischen
Grundprinzipien, die er auch der von ihm proklamierten modernen
"inneren Revolution" voranstellt: Transzendentaler
Individualismus (1), gewaltloser Pazifismus (2), Erziehungsevolution (3),
öko-sozialer Altruismus (4) und universeller Demokratismus (5). Gegen
solche an einem westlichen Wertesystem orientierte Programmpunkte wäre auch
gar nichts einzuwenden, wenn sie wirklich so gemeint wären. Wir sind auf
ihren religiösen Propagandacharakter in unserem Buch ausführlich
eingegangen (S. 727). Hier wollen wir nur aufzeigen, was andere
Orientalisten von dem Chakravartin Ashoka und seiner "Friedenspolitik" zu
berichten haben. Wir drucken eine Passus aus dem Buch von Brian Victoria - Zen,
Nationalismus und Krieg - eine unheimliche Allianz - Das Buch wurde von
uns besprochen unter Buddhismus (Lamaismus) und
Faschismus.
"König Ashoka
- der "ideale" buddhistische Herrscher?" - Brian Victoria:
Konträr zu dieser idealisierenden Beschreibung Ashokas hat A.L. Basham eine
völlig andere Seite dieses buddhistischen Herrschers herausgearbeitet.
Beispielsweise gilt es als erwiesen, dass Ashoka
auch nach seiner Konversion zum Buddhismus weiter eine Armee unterhalten
und gegen Stämme, die sein Reich angriffen, Gewalt angewendet hat Und in
einer buddhistischen Beschreibung seines Lebens, einem Sanskrit-Werk mit
Namen Ashokavandana, heißt es dass er
einmal 18.000 Nicht-Buddhisten, vermutlich Jainas, hinrichten ließ, weil
einer unter ihnen den Buddhismus beleidigt habe - wenn auch nur in relativ
geringfügiger Weise. In einem anderen Fall soll er einen Jaina und dessen
gesamte Familie in sein Haus getrieben und dasselbe dann anzünden und
völlig abbrennen lassen haben. Auch die Todesstrafe für Kriminelle behielt
er bei, und zu diesen zählte er offenbar auch seine eigene Frau Tisyaraksita, die er hinrichten ließ. Angesichts dieser
und ähnlicher Handlungen könnte man Ashoka auch
als einen archetypischen "Verteidiger des wahren Glaubens"
bezeichnen, der Gewalt unter gewissen Umständen als durchaus gerechtfertigt
ansah.
Signifikant ist auch, dass Ashokas
Reue über die Tötung von 100.000 Einwohnern von Kalinga
ihn keineswegs dazu veranlasste, jenes eroberte Land oder irgendein anderes,
das er zuvor erobert hatte, wieder in die Freiheit zu entlassen. Vielmehr
sah er wie selbstverständlich weiterhin alle seine Eroberungen als feste
Bestandteile seines Reiches an, denn "er gab keineswegs seine
imperialen Ambitionen auf." Und da in vielen seiner Erlasse nur von
der Unterstützung des "Dharma" (ein pan-indischer politisch-religiöser Begriff)und nicht
des Buddha-Dharma die Rede ist, könnte man
vermuten, dass er dem "Dharma" weniger
aus Ergebenheit dem Buddhismus und seinen Idealen gegenüber folgte, als
vielmehr, weil er es als eine universelle Ideologie verstand die er
brauchte, um seine Macht zu zentralisieren, die verschiedenen Völker seines
Reiches zu vereinen und in seinem Reich "Gesetz und Ordnung"
aufrechtzuerhalten.
Selbst wenn man sich dieser Argumentation nicht
anschließen will, ist zumindest kaum bestreitbar, dass Ashoka,
indem er den Buddhismus förderte und indem er Buddha Shakyamuni
auf dem gesamten indischen Subkontinent bekannt machte, auch seine eigene
Herrschaft festigte. Ganz offensichtlich war eine Allianz zwischen Politik
und Religion entstanden. Diese Feststellung ist insofern wichtig, als Ashoka wohl der erste war, der den Buddhismus und das (Buddha-)
Dharma für politische Zwecke benutzte, aber
sicherlich nicht der letzte, wie wir sehen werden, wenn wir uns die
Entwicklung des Buddhismus in China und Japan genauer anschauen.
Auf die weitere Entwicklung der Sangha
selbst zurückkommend, möchte ich auf den bekannten indischen politischen
Philosophen Vishwanath Prasad Varma
verweisen, der schreibt, dass die Sangha aufgrund
der königlichen Protektion Ashokas "durch
Verbindungen zum Königshaus und zur Aristokratie korrumpiert wurde."
In einem ähnlichen Sinne vertritt T.W. Rhys Davids, ein Pionier unter den Buddhismusforschern, die enge Verbindung der
buddhistischen Sangha zu Ashoka
sei "der erste Schritt auf dem Weg des Buddhismus in seinen
Niedergang, der erste Schritt auf dem Weg zu seiner Vertreibung aus
Indien" gewesen.
So extrem diese Äußerungen einigen Lesern
erscheinen mögen, ist wohl unbestreitbar, dass Ashoka
beträchtliche Macht über die Sangha hatte,
Beispielsweise berichtet eine andere buddhistische Quelle - das Mahavamsa, eine Pâli-Chronik
über die Geschichte Ceylons - Ashoka sei,
unterstützt durch den großen Ältesten Moggaliputta
Tissa, für die Ausstoßung von nicht weniger als
60 000 Mitgliedern der Sangha verantwortlich,
denen "falsche Sichtweisen" unterstellt wurden. Und Ashoka soll sogar über die Macht und Autorität verfügt
haben, Sangha-Mitgliedern vorzuschreiben, welche
Passagen aus den Sutras sie studieren sollten.
Wer diesen Anweisungen nicht nachkam, konnte von den von Ashoka eingesetzten Aufsehern aus der Sangha ausgestoßen werden. Von einem bestimmten
Zeitpunkt ab mussten diejenigen, die in die Priesterschaft eintreten
wollten, sogar Ashokas Erlaubnis einholen.
Während Ashokas Herrschaft - oder sogar schon
davor - entstand also eine enge Verquickung zwischen dem Raja-Dharma (dem "Gesetz des Herrschers") und
dem Buddha-Dharma, wobei ersteres möglicherweise
letzteres völlig unterjochte. Auch dies war ein Vorbote dessen, was in der
weiteren Geschichte des Buddhismus geschehen ist. Sowohl nach Bashams als auch nach Rhys Davids' Ansicht erlangte das
Konzept des sogenannten "universellen Monarchen" oder Chakravartin - des "Rad-Herrschers" -
im Buddhismus erst nach der Regierungszeit des indischen Königs
Chandragupta Bedeutung; und dieser bestieg gegen Ende des 4. Jahrhunderts
v. u. Z. den Thron und war König Ashokas Vater.
Die bereits in Kapitel 7 vorgestellte Idee des
"Universellen Monarchen", der einerseits das Buddha-Dharma beschützte und andererseits dessen Schutz genoß, sollte aber nicht als eine Lehre von
Buddha Shakyamuni selbst angesehen werden.
Vielmehr handelt es sich dabei um eine spätere Hinzufügung aus nicht-buddhistischen
Quellen, "eine Inspiration für ehrgeizige Monarchen,... (unter denen)
einige von sich behaupteten, selbst Universelle Monarchen zu sein."
Wichtig ist auch, dass Ashoka als einem
Universellen Monarchen und Dharma-Beschützer der
persönliche Titel Dharma-Raja (Dharma-König) verliehen wurde, den er mit Buddha Shakyamuni selbst teilte. Und dieses "Teilen von
Titeln" spielte auch in China eine wichtige Rolle.
"Politische
Theologie des tibetischen Buddhismus"
von Bernhard Reck
[Das folgende Exzerpt unseres Buches
zeigt in knapper Form, worauf es uns ankommt und was wir unter der
"politischen Theologie" des lamaistischen Systems verstehen. Wir
haben uns deswegen erlaubt, es in seiner Gänze abzudrucken. Der Verfasser,
der ein Resümee seiner Zusammenfassung unter Amazon.de veröffentlicht hat,
ist Bernhard Reck. Geb. 1958, verheiratet, zwei Töchter. Studium der
Betriebswissenschaft an der FH Kempten, sozialwissenschaftliches Studium in
München und Passau, Diplomarbeit über Carl Schmitt; zur
Zeit Promotion in Theorie der Politik in Passau. Seit 1982 Leiter
einer sozialpsychiatrischen Einrichtung im Allgäu. Sie können mit ihm
Kontakt aufnehmen unter info@hausamblener.com oder bernhard@reck.net
(privat)]:
Exzerpt: Trimondi, Victor und
Victoria (Herbert und Mariana Röttgen). Der
Schatten des Dalai Lama. Sexualität, Magie und Politik im tibetischen
Buddhismus. Düsseldorf 1999 (zitierte Seitenzahlen in Klammern)
Wie ein Hammer zerschlägt das über 800
Seiten starke Werk das im Westen bekannte und gepflegte Konstrukt eines
verkitschten Bildes des tibetischen Buddhismus und des lebenden XIV Dalai
Lamas. Die Autoren beabsichtigen eine Dekonstruktion (29) des westlichen Buddhismusbildes mit einer Konzentration auf den
Tantrismus, jener historisch jüngsten Schule, mit seiner umfassenden Lehre
des ganzen Systems und der im Westen am weitesten verbreiteten Form des
Buddhismus. Das Buch gliedert sich in zwei große Teile, der erste mit dem
Titel "Ritual als Politik" beinhaltet eine Darstellung und Kritik
der religiösen Grundlagen des tibetischen Buddhismus. Der zweite Teil,
"Politik als Ritual", widmet sich der Machtpolitik des Dalai
Lamas und deren historischen Voraussetzungen. Die Grundthese des Werkes
lautet: "Das Mysterium des tantrischen Buddhismus besteht in der
Aufopferung des weiblichen Prinzips und in der Manipulation des Eros zur
Erlangung universeller Macht." (30)
Zur Begründung ihrer These weisen die
Autoren auf die schon in der Geburtsgeschichte des historischen Buddhas
erkennbare negative Einstellung des frühen Buddhismus zur Sexualität und
zur Frau, die nicht einfach nur sozial bedingt zu erklären sei, sondern als
ein dogmatischer, prinzipieller Lehrinhalt dieser Religion betrachtet
werden müsse. Erleuchtung und intime Begegnung mit einer Frau seien für
Buddha nicht vereinbar gewesen. (36) Die Argumentationskette beginnt mit
dem ersten Satz der "Vier edlen Wahrheiten", der besagt, dass
alles Leben per se Leiden sei, daraus ergebe sich, dass jegliche Geburt der
Beginn neuen Elends, Krankheiten und Tod sei, umgekehrt aber nur eine
Beendigung der Wiedergeburten zur Befreiung aus dem Kreislauf führe. Die
Frau als der Ort der Empfängnis und des Gebäraktes sei als das Tor zur
Inkarnation zu betrachten und sei damit "der größte Widersacher in der
spirituellen Entwicklung des Mannes und der Menschheit". (316) Nach
Ansicht der beiden Autoren sei daher die Ausschaltung, die Aufopferung und
die Vernichtung des "weiblichen Prinzips", neben der Absage an
das Leben, die Natur (31), als ein zentrales Anliegen des Buddhismus zu
betrachten, gleichgültig welche der drei Stadien des Buddhismus praktiziert
würden, die auch heute noch als autonome Religionssysteme nebeneinander
existierten. (44)
So werde 1. im Hinayana-Buddhismus, dem
"Kleinen Fahrzeug", das "Opfer des Weiblichen" mit
Hilfe der analytischen Meditation durchgeführt. Hier begann man mit einem
"perfekten" und schönen Frauenkörper, "transformierte diesen
Schritt um Schritt in einen alten, kranken und sterbenden Leib, um am Ende
einen verfaulenden und stinkenden Leichnam zu imaginieren". Die Frau
wurde so in das absolut ANDERE transformiert und schließlich meditativ
zerstückelt und ermordet. (38) Der Mönch zieht sich im Hinayana bewusst aus
der realen Welt zurück, die Frau steht seiner inneren spirituellen
Vervollkommnung im Weg. Bei seiner inneren Entwicklung suchte er keinen
Kontakt zu einem wie auch immer geartetem Publikum. So galt auch die Ehe
als ständige Bedrohung des zwingenden Zölibates. (37)
2. Im Mahayana, dem "Grossen Fahrzeug", trete an die Stelle der Flucht
vor der Frau das Mitgefühl für sie. Sie solle von "ihrem leiblichen
Körper erlöst werden", der Mahayana-Mönch helfe ihr dabei, die
"notwendige Transformation" zu erreichen, um bei ihrer nächsten
Wiedergeburt als Mann zu inkarnieren. Das Geschlecht sei im Mahayana zu
einer karmischen Kategorie geworden; die Verkörperung als Frau wird mit
niedrigem Karma gleichgesetzt. Die Wiedergeburt einer Frau als Mann besage,
dass sie erfolgreich schlechtes Karma abgearbeitet hätte. (41) Das
Weibliche gelte also weiterhin als das Niedrige und Verachtenswerte. In den
philosophischen Grundrichtungen des Mahayana (Madhyamika
und Yogachara) werden das Leben, die Natur, der
Körper und die Seele der "Leere" (Shunyata)
oder dem absoluten Geist (Citta) geopfert. Um
Frauen "zu helfen" gebe es im Mahayana noch eine bemerkenswerte
Besonderheit, wie die Autoren ausführlich darstellen: den "Beischlaf
aus Mitgefühl". Sexualverkehr zwischen zölibatären Mönchen und Frauen
oder Mädchen sei dann erlaubt, wenn er "aus Mitgefühl mit der zu
begattenden Frauen vollzogen wurde". Auch in westlichen Zentren des
modernen Buddhismus, so erklären die Autoren weiter, sei es nicht unüblich,
"dass Meister mit ihren Schülerinnen schlafen, um ihnen sprirituell zu helfen". (43)
Schliesslich
werde 3. im Tantrismus oder Vajrayana das
Mitgefühl für die Frau ersetzt mit der absoluten Beherrschung des
Weiblichen durch den Tantra-Meister (Yogi). (31) Alle Tantras seien von der
Struktur her ähnlich, sie alle hätten die Umwandlung von Eros in
spirituelle und weltliche Macht zum Inhalt. Die Essenz der Tantra-Lehre
verdichte sich im sog. Kalachakra-Tantra oder
"Zeittantra", dessen Analyse im Zentrum dieser Arbeit stehe.
Daher befasst sich der Inhalt des Buches zu einem grossen
Teil mit sexualmagischen Praktiken und Riten, die den überraschten Leser in
der Detailgenauigkeit und aufgrund der Unappetitlichkeit abstossen bzw. auf weite Strecken hin langweilen mögen.
Das Zeittantra sei jedoch mehr als Sexualmagie sondern das Instrument einer
komplizierten Metapolitik, "die anstatt durch realpolitische Mittel
durch Symbole und Riten versucht, auf das Weltgeschehen Einfluss zu
gewinnen". Alle Erscheinungen der Welt stünden in einem magischen
Zusammenhang, und "geheimnisvolle Fäden" verknüpften jedes Wort,
jede Handlung, jeden Gedanken mit dem
Weltengrunde. Eine solche Allgegenwart des Magischen habe für unser
westliches Bewusstsein etwas Phantastisches. (75) Noch erstaunlicher als
die magisch-tantrische Welt des alten Tibets sei die Tatsache, dass es den
"Phantasmagorien des Tantrismus in unserer Gegenwart gelingt, in das kulturelle
Bewusstsein der westlichen hochindustrialisierten Zivilisation
einzudringen". (78)
Das Zeittantra sei dabei diejenige
"Geheimlehre", die an erster Stelle das Ritualwesen des lebenden
XIV Dalai Lama bestimme und aus deren Kenntnis allein die spirituelle
Weltpolitik des "Gottkönigs" verstanden werden könne. (45) Die
Macht der Tantra-Meister habe ihre Ursache nicht in einer Doktrin des Vajrayana, sondern in den beiden philosophischen
Hauptrichtungen des Mahayana-Buddhismus. Eine davon, die Madhyamika-Schule spreche vom Prinzip der
"Leerheit", das allem Sein zugrunde liege. Dies gelte auch in
seiner Realität für die Götter, die reine Illusion seien.
Paradoxerweise habe diese buddhistische Erkenntnistheorie dazu geführt,
dass eine unübersehbare Götterschar entstanden sei, viele aus fremden
Religionen. Da sie aber in letzter Instanz Illusion seien, brauche man sie
nicht zu fürchten oder als Konkurrenz ansehen: "Da man sie negieren
konnte, durfte man sie integrieren". (65)
Um Frauen noch in diesem Leben
Erleuchtung zu er möglichen, greife der Tantriker zu Methoden, die die
klassischen buddhistischen Werte in ihr pures Gegenteil verkehrten. (44)
Dieser "erlöst" die Frau mittels sexualmagischer Riten zu einer
"Göttin", um sie anschließend als ein reales oder symbolischen
Opfer darzubringen. Nutznießer sei dabei nicht irgendein Gott, sondern der
Yogi selbst, da er "die gesamte Lebensenergie des Opfers in sich
absorbiert" ("Gynergie"). (32) Bei
dem "tantrischen Frauenopfer" werde das Weibliche zumindest als
Symbol vernichtet, gleichzeitig werde sie geopfert, um sich deren "Gynergie" einzuverleiben. Alles, was sich einer
Loslösung von dieser Welt, die durch Leiden und Tod geprägt sei,
widersetze, und alle Verschleierungen, seien das "schändliche Werk des
Weibes". Erst seine "Liquidation als eine autonome Entität macht
diese ... Scheinwelt zunichte". Die Transzendierung des Weiblichen
führe, so die tantrische Umkehrlogik, zur Erleuchtung und zur Befreiung aus
der "Hölle der Wiedergeburten". (111)
Der Sieg über "das weibliche
Desaster" habe bei den Tantrikern zu der Gewissheit geführt, dass auch
in allen sonstigen negativen Handlungen, Substanzen und Personen der Keim
für einen radikalen Umschlag ins Positive verborgen sei. Die Autoren fassen
zusammen, "das Unreine, das Böse und das Verbrechen sind deswegen der
Urstoff, aus dem der Vajra-Meister das Reine, das
Gute und Heilige herauszudestillieren" suche. (111) Die buddhistischen
Mönche, die im Normalfall einem strikten, puritanischen Regelwerk unterworfen
seien, kultivierten ohne Grenzen solche Tabuverletzungen, wenn sie sich
entschlossen hätten, den "diamantenen Pfad" zu betreten. Dazu
seien sie dann nicht nur legitimiert, sondern geradezu verpflichtet, weil
"nach der tantrischen Doktrin das Böse nur durch das Böse, die Gier
nur durch die Gier und Gift nur durch Gift geheilt" werden könnten.
(112)
Nach dem Prinzip der Leerheit (s.o.) (Shunyata-Prinzip) gebe es weder Sünde noch Tugend, es
bildet somit die metaphysische Legitimation für alle nur denkbaren
Verbrechen, die ja ohne eigene Existenz seien! (112) Aus der Leere folge
als weiteres Argument die "Gleichheit alles Seienden". So
existiere weder Reinheit noch Unreinheit usw. Die dritte Legitimation für
die Übertretungen des Vajrayana bestehe im "Bodhisattva-Gelübde" des Mahayana-Buddhismus. Es
fordere, jedem Lebewesen so lange beizustehen und zu helfen, bis es
"Befreiung" erlange. Im Laufe der tibetischen Geschichte habe
dieses Gelübde zahlreiche politische und familiäre Morde legitimiert, da
man "die ermordeten Menschen von der Welt des Scheins befreit habe und
dass diese einem deswegen zum Dank verpflichtet wären." (113) Die
vierte Begründung, die auch in anderen magischen Kulten weit verbreitet
gewesen sei, kennen wir nach Angabe der Autoren aus der Homöopathie. Sie
lautet: "similia similibus
curantur". Wie bei diesem Heilverfahren, wo
mit kleinsten Mengen gearbeitet werde, könnten große Sünden durch
mindergroße "gesühnt" werden. (113) Ein fünftes Argument versuche
uns schließlich davon zu überzeugen, "dass Erleuchtung per se aus der
radikalen Umkehrung ihres Gegenteils" entstehe und es überhaupt keine
andere Möglichkeit gebe. Die tantrische Umkehrlogik sei hier zu einem Dogma
geworden, "das andere Erleuchtungspfade nicht mehr zuließe".
(113)
Die Autoren erklären, dass in einigen
Texten, "geradezu eine Proportionalität zwischen der Größe des
Verbrechens und der Schnelligkeit, mit der die spirituelle Befreiung
eintritt" existierten. (114) Um all die anstößigen Dinge, welche die
geforderten Tabuverletzungen mit sich bringen, (sie stehen im radikalsten
Gegensatz zu den gesellschaftlichen Normen und zu den ursprünglichen
Grundregeln des Buddhismus), vor der Öffentlichkeit zu verbergen, bedienten
sich manche Tantratexte einer sog. "Zwielichtsprache". Sie habe die Aufgabe,
Anspielungen auf tabuisierte und unrechtmäßige Handlungen durch poetische
Worte zu verschleiern. (114)
Trotzdem stelle sich bei vielen,
eindeutig formulierten Texten die Frage, ob in den tantrischen Skripten
beispielsweise die rituelle Ermordung eines Menschen real oder
"nur" symbolisch vorgesehen sei. Bei moderneren Autoren,
insbesondere wenn sie selber dem Buddhismus angehörten, sei es üblich, die
"Verbrechen des Vajrayana als allegorische
Metaphern herunterzuspielen". (126) So bedeute "Menschenfleisch"
das eigene unvollkommene Selbst zu verstehen, und "töten"
bedeute, "dem dualistischen Denken das Leben nehmen, um die
ursprüngliche Einheit mit dem Universum herzustellen ...".
Diese entschärfte Sichtweise werde heute von tibetischen Lamas, die
weltweit im Westen lehrten, dankbar übernommen, befreie sie doch die Gurus
von leidigen Auseinandersetzungen.
Es gebe jedoch ernst zu nehmende
Hinweise, dass bis hinein in das 20. Jahrhundert Tibeter aus Ritualgründen
ihr Leben lassen mussten. (126) Für die wirkliche Inszenierung einer Tötung
während eines tantrischen Rituals spreche die höchste Aufforderung, welche
der Yogi an sich stellen müsse, damit er das real begangene Verbrechen als
eine "Illusion" entlarven könne. Außerdem führe die Vorstellung,
dass "alles nur Schein sei" und damit keine Existenz habe, zu
einer Gleichgültigkeit gegenüber der Frage, ob ein Mord real oder
"nur" allegorisch sei. (127) In der Welt des Vajrayana
ist alles ebenso real wie symbolisch. "Wirklichkeit und Symbol
verschmelzen, und indem sie verschmelzen, lösen sie sich auf". (128)
Trotzdem, so die beiden Autoren, bliebe
auch mit solchen Euphemismen ein unangenehmer Geschmack zurück, da die
Aussagen der Tantras so unmissverständlich und
klar seien. (126) So weisen die Autoren mit Recht auf den Zynismus und die
Konsequenzen solcher oder ähnlicher Aussagen hin wie "Die Zerstörung
im mikrokosmischen ist nur von einer Seite her eine Zerstörung. Ihm steht
ein Werden im Geistigen gegenüber." Wer so etwas behauptet, dem seien
die mikro-makrokosmische Konsequenzen nicht klar.
Denn "alles was innen ist, so lehrt uns der Tantrismus, ist auch
außen". Das bedeute ohne Abstriche, dass der Yogi durch die rituelle
Zerstörung des Innen auch das Außen zerstöre. Oder
um das obige Zitat zu kolportieren, das "Werden im Geistigen"
werde an eine Vernichtung des Materiellen gekoppelt. (234, FN 23) Die
Exzesse des Tantrismus würden schließlich auch dadurch legitimiert, dass
der Yogi in der Lage sei, durch seine spirituellen Techniken das Böse in
das Gute zu verwandeln. Dieser maßlose Versuch führe letztlich dazu, dass
keine andere Strömung innerhalb der Weltreligionen dem Dämonischen einen so
hohen Rang zugestehe wie der Vajrayana-Buddhismus.
(128)
Grosse
Bedeutung wird in diesem Werk der Magie innerhalb des Buddhismus
zugewiesen. Seit dem 4. Jh. v. Chr. sei die Alchemie in Indien eine
weitverbreitete esoterische Wissenschaft. Sie werde noch heute insbesondere
im Ayurveda als ganzheitliche Heilkunde gelehrt und angewandt. Darüber
hinaus sah man in der Alchemie immer schon ein höchst effektives Mittel, um
Erleuchtung zu erlangen. (149) Im Westen sei die enge Beziehung von
abendländischer Alchemie und Tantrismus u.a. von Mircea Eliade thematisiert
worden. Er erkannte eine "merkwürdige Übereinstimmung zwischen dem
Tantrismus und der großen westlichen mysteriosophischen
Strömung ..., in der zu Beginn der christlichen Zeit Gnosis, Hermetik,
griechisch-ägyptische Alchemie und die Tradition der Mysterien
zusammengeflossen sind." (150) Dem "wahren Adepten", ob Tantriker
oder europäischer Alchemist, ging es nicht um das reale gelbe Metall,
sondern um das sog. "geistige Gold". Darunter habe man den
"Stein der Weisen" oder das "hermetische Elixier"
verstanden, das den Experimentator in einen "Übermenschen"
verwandeln sollte. Alchemie und Tantrismus hätten deswegen die gleichen
spirituellen Ziele. (151) Der Alchemist opfere zuerst die weibliche
"Urmutter", die "Mutter Natur", (Prima Materia), wie der Tantriker die reale Frau, die Karma Mudra, opfert. Aus der Vernichtung der Karma Mudra gewinne der Vajra-Meister
dann die "geistige Frau", wie der Alchemist aus der Vernichtung
der Prima Materia die "Sophia" gewinnen
wollte. Anschließend internalisiere der Tantriker die "geistige
Frau" als "Innere Frau", wie der westliche Adept die
"weiße Jungfrau" in "Form des glückspendenden weiblichen Mondtaus in sich aufnimmt." (155) Ziel jedes über
die Goldmacherei hinausgehenden alchemistischen
Experimentes sei somit die Vereinigung der Geschlechter in der Person des
Adepten, in der Vorstellung, er könne die unbegrenzte Macht als
"Mann-Frau" entfalten. (156)
Das Kalachakra-Tantra
habe die "alchemistische" Herstellung eines kosmischen Androgyn
zum Ziel, der die totale Herrschaft über die Zeit, über unseren Planeten
und über das Universum ausüben solle. Dieser androgyne Universalherrscher
sei der "ADI BUDDHA". (318) Die Aneignung des ANDEREN (der
Göttin) durch das EINE (den "ADI BUDDHA") sei der philosophische
Kerngedanke des buddhistischen Tantrismus. (797)
Im Gegensatz dazu biete der
amerikanische Philosoph Herbert Marcuse einen gänzlich anderen Entwurf, den
die Autoren Trimondi dem Tantrismus gegenüber
stellen. Zu den fundamentalen Freuden der menschlichen Existenz gehöre nach
Marcuse "die Teilung der Geschlechter, ..., zwischen Du und Ich, ja
sogar zwischen Mein und Dein, und sie sind höchst erfreuliche und
befriedigende Teilungen, oder können es sein; ihre Abschaffung wäre nicht
nur ein Wahn, sondern ein Alptraum - der Gipfel der Unterdrückung".
(800) Dieser Alptraum, so die Autoren Trimondi,
würden durch die alchemistischen Praktiken des Tantrismus wahr, da alle
Unterschiede und zuletzt die Geschlechterpolarität im androgynen Prinzip
des "ADI BUDDHA" aufgelöst würden. (800, FN 129)
Die Gleichsetzung der Natur mit dem
weiblichen Prinzip sei ein archetypisches Bild, das wir in vielen Kulturen
finden würden, weisen die Autoren Trimondi hin.
In der Alchemie und im Tantrismus hätten wir zwei Systeme, die die
Aufopferung des weiblichen Prinzips zugunsten eines männlichen
Experimentators forderten. Viele moderne Analysen, insbesondere solche der
Feministinnen, würden darauf deuten, dass Naturzerstörung und
Naturbeherrschung gleichzusetzen seien mit dem Primat des männlichen
Prinzips über das weibliche. Doch dieser kritische Blick auf die "Unterdrückungs-
und Ausbeutungsgeschichte des wissenschaftlichen Zeitalters" habe den
Blick auf die Naturfeindlichkeit atavistischer Religionen weitgehend
getrübt, insbesondere wenn diese wie der tibetische Buddhismus aus dem
Osten kämen. Aber der buddhistische Tantrismus sei naturfeindlich und
deswegen ökologiefeindlich aus Prinzip, weil er die natürliche, sinnliche
und weibliche Sphäre vernichte, um sie für die männliche nutzbar zu machen.
(736)
Noch absurder sei es, die tibetische
Mönchsgesellschaft als "eine Kultur des Vegetarismus" zu
beschreiben. Die Fleischproduktion und der Fleischkonsum zählten seit
jeher, nicht zuletzt wegen der Witterungsbedingungen, zu den bedeutendsten
Wirtschaftszweigen des Landes. Es stimme zwar, dass ein gläubiger Tibeter
kein Tier eigenhändig töten dürfe, es zu essen sei ihm aber nicht verboten.
So würden Schlachtungen von Andersgläubigen, vor allem Moslems,
durchgeführt. (737)
Gründlich gehen die Autoren auf die
verschiedenen Einweihungen des Zeittantras ein. Als Einweihung sei die
"Übertragung spiritueller Energien und Einsichten von einem Priester
auf eine Person" zu verstehen. Die Einweihung setze eine hierarchische
Beziehung voraus. (161) Alle "Hohen Eingeweihten" seien durch
einen tiefen Graben von der Masse der einfachen Gläubigen getrennt. Die
durch einen "mystischen Linienbaum" ausgedrückte Hierarchie des
Lamaismus könne als eine "bürokratisch, reglementierte
Mönchsorganisation" bezeichnet werden. Insgesamt zähle das Kalachakra-Tantra 15 Einweihungsstufen, die ersten 7
gelten als untere Weihen und werden öffentlich für die "breiten
Massen" gegeben. Die anderen 8 hingegen seien nur für eine winzige
Minderheit von Auserwählten gedacht. (165) Die Einweihungsstufen und die
ihnen zugeordneten Personen stünden demnach untereinander in einer
hierarchischen Ordnung, die Unteren hätten den Oberen immer zu gehorchen,
die Tieferen seien nichts anderes als der verlängerte Arm der Höheren.
(170)
Obgleich es auf dem tantrischen
Erleuchtungspfad explizit um eine Auflösung des Ego gehe, sei eine
Erleuchtung auch für moderne Westler attraktiv, da zuerst einmal das Ich
des Schülers als Adressat angesprochen werde. Wenn er auch bereit sei, sein
"kleines Ich" zu opfern, so mache er sich doch von dem
"großen Ich" (dem Höheren Selbst oder dem Buddha-Bewusstsein),
das ihm durch die tantrische Philosophie und Praktiken des Vajrayana als spirituelle Zielvorgabe angeboten werde,
keineswegs dieselben Vorstellungen wie die Lamas. Die Westler glaubten, das
Erleuchtungsbewusstsein habe immer noch irgendetwas mit einem selbst zu
tun. Ein Lehrer des tantrischen Buddhismus wisse dagegen, dass die
Individualität des Schülers völlig ausgelöscht und durch ein strikt
kodifiziertes, kulturell verankertes Götterheer ersetzt werde. (777) Der
tibetische Buddhismus beabsichtige in seinem Kern nicht die Erleuchtung von
Individuen, sondern die Fortexistenz einer Kultur von Übermenschen (Yogis,
Götter) in der Gestalt von "besseren" Menschen (Schülern). (778)
Zu Beginn des Initiationsweges lege der
Neophyt ein Gelübde ab, mit dem er sich verpflichte, ohne Unterlass nach Buddhaschaft zu streben und seinem Meister absolute
Folge zu leisten. Die 7 ersten Weihen bilden nur das Vorspiel der Kalachakra-Einweihung. Vorherrschend in allen 7
Einweihungsszenen sei die ununterbrochene Festigung der Meisterstellung,
dargestellt im "Verschlingungsakt und der Neugeburt des Initianten,
das heißt in seiner Vernichtung als Mensch und seiner Neuschaffung als
Gott". Über die "Höchsten Einweihungen" des Zeittantras sei
in der Öffentlichkeit so gut wie nichts bekannt, umso mehr sei man über die
sieben unteren Initiationen informiert. (344)
Von der achten Stufe aus, sei der
Schüler zu einem Teil des initiierenden Gurus geworden, der Guru aber
keineswegs zu einem Teil des Schülers! (170) Bei den "höheren
Initiationen" komme es zur geschlechtlichen Vereinigung mit einer
"realen Partnerin", was zuvor nur "rein imaginativer
Natur" gewesen sei. (169) Daher sei die "Anwesenheit einer jungen
Frau von zehn, zwölf sechzehn oder zwanzig Jahren notwendig". Die
beiden Autoren weisen unter Hinzuziehung des vierten
Buches des Kalachakra-Tantras nach, dass ohne
eine lebende Karma Mudra, zumindest nach den
Urtexten, keine Erleuchtung in diesem Leben erreicht werden könne.
"Die Vereinigung mit ihr gilt deswegen als das Hauptereignis im
äußeren Handlungsablauf des Rituals". (171) Weiterhin sei es in den
Höheren Einweihungen für den Adepten Pflicht, die fünf Fleischarten (Kuh-,
Hunde-, Pferde-, Elefanten- und Menschenfleisch!) "rituell zu
verspeisen, sowie die fünf Nektare
zu trinken (Blut, Samen, Menses ...)." Die Autoren fügen hinzu, dass
in Texten, die sich an ein größeres Publikum richteten, solcherlei
Tatbestände euphemistisch umschrieben würden. (171) Die Autoren zählen noch
viele weitere Einzelheiten der Höheren Einweihungen auf, die wir uns
ersparen wollen.
Bei den Stufen 12 bis 15 ist
festzustellen, dass statt bisher nur eine Mudra, nun "zehn Weisheitsgefährtinnen an dem
Ritual teilnehmen", wobei alle zehn dem Meister vom Schüler angeboten
werden müssten. (183) Ziel bleibt, wie auch sonst im buddhistischen
Tantrismus, dass die "Gynergie" und die
Macht der Frau am Ende in den Händen des männlichen Gurus landet. Die Riten
müssen von Anfang bis Ende "als eine kontrollierte Performance
angesehen werden". Zwar würden Elemente der Orgie benutzt werden, doch
der Tantra-Meister behalte immer die volle Kontrolle über das Geschehen.
(189) "Vergessen wir auch nicht, dass der Tantra-Meister die magische
Kunst beherrscht, die Todesenergie der Frau für seine eigenen Machtzwecke
einzusetzen. Vergessen wir auch nicht, dass am Ende des eschatologischen
Feuers durch die Untergangsstute (...) nicht sie, sondern der Yogi als
"ADI BUDDHA" den Weltenthron besteigt." (233)
Das höchste Ziel der Kalachakra-Initiation sei die Erreichung eines
spirituellen Zustandes, der als "ADI BUDDHA" bezeichnet werde.
Dabei sei die Annahme, "es handle sich bei dem "ADI BUDDHA"
um eine Wesenheit, die in der obersten geistigen Sphäre verweilt ...",
falsch. Dies würde ersichtlich werden, wenn wir die Bewusstseinstore
untersuchten, die in das letzte Reich der Erleuchtung (Nirwana) führten:
"1. die Leere (Shunyata) - 2. das
Zeichenlose (Animitta) und 3. das Wunschlose (Apranihata)". (210) Nirwana sei das Todlose, Unwandelbare, Endlose, die Zuflucht, das
Höchste Gut usw. An dieser Aufzählung zeige sich schon der unpersönliche
Charakter des Nirwanas, es sei auf keinen Fall eine Person, sondern ein
Geisteszustand. Auch sei es keine Schöpfung sondern ein Stillstand, kein
Handeln sondern ein Nicht-handeln, kein Denken sondern ein Nicht-denken.
All dies - Schöpferkraft, das Höchste Klare Licht, das Handeln, das Denken,
die Motivation, das Befehlen - treffe jedoch sehr wohl auf den "ADI
BUDDHA" zu! Er sei nicht wie das Nirwana geschlechtsneutral, sondern
er sei der "Grosse Kosmische Androgyn",
der die Geschlechterpolarität in sich integriert habe. (211) Der "ADI
BUDDHA" stehe handelnd im Zentrum des buddhistischen Universums, das
gleichzeitig aus ihm entstehe. Dennoch könne er in der anthropomorphen
Gestalt eines Menschen, eines Yogis erscheinen. Würden wir den "ADI
BUDDHA" in Begriffen des Idealismus beschreiben, müssten wir Worte wie
"absoluter Geist", "absolute Subjektivität" oder
"absolutes ICH" gebrauchen. Er sei das "Ego Ipsissimus" des Yogi, das
dieser durch seine sexualmagischen Praktiken zu erreichen suche. Stolz rufe
er am Ende seiner Einweihung in einem tantrischen Text aus: "ICH - der
ich das Universum bin. ICH bin sein Schöpfer ... Das Universum löst sich in
mir auf ..." (212)
Neben die absolute Versubjektivierung
- man müsste wohl anmerken, im Größenwahn, - trete eine Auffassung über den
"ADI BUDDHA", die in diesem Wesen eine große kosmische Maschine
erkennen möchte. So habe man sich den All-Buddha auch wie ein Uhrwerk
vorgestellt. "In unendlichen Wiederholungen, ohne dass sich jemals
etwas an diesem Ereignisablauf ändern könnte, läuft die Mechanik der
buddhistischen Kosmologie und ihres Beherrschers
ab".
Eine solche Versubjektivierung
des Gottesbildes habe es in den frühen buddhistischen Schulen (2./3. Jh. n.
Chr.) nicht gegeben. Sie seien alle bemüht gewesen, den Buddha als eine
Bewusstseinsebene, als Leerheit usw. darzustellen, nicht jedoch als einen Creator Mundi. Der spätere
"ADI BUDDHA" sei ein theologisches Prinzip, welches das gesamte
tantrische Ritualwesen durchdringe. Grundsätzlich decke sich der mystische
Leib des Tantra-Meisters mit dem des "ADI BUDDHAS", aber es komme
erst zur vollen Identität, wenn der Yogi alle Elemente seines humanen
Körpers "vernichtet" und ihn in einem göttlichen Leib "transformiert"
habe. (214) "Der Leser und die Leserin sollten niemals aus dem Blick
verlieren, dass der ADI BUDDHA und damit die Übersonne identisch ist mit
dem mystischen Leib des initiierten Yogi." (227)
Der "ADI BUDDHA" habe neben
anderen auch einen global-politischen Aspekt, der sich in der Idee von
einem buddhistischen Weltenherrschers verdichte. Er beanspruche durchaus
die realpolitische Macht über den Erdenkreis. Hinzu komme ein mytho-politisches Programm, das Kalachakra-Tantra
behandle die Thematik vom Weltenherrscher nicht nur in seiner
Allgemeinheit, sondern habe eine spezifische Utopie, Ideologie und
Staatsform entwickelt, die im sog. "Shambhala-Mythos"
zusammengefasst sei. (215) Wie schon angedeutet, besteht eine Homologie des
buddhistischen Kosmogramms mit der Körpergeographie des Yogi.
"Alles ist im Körper" - dieser berühmte okkulte Satz sei für den
Tantrismus von fundamentaler Bedeutung. (240) Wenn der Yogi die
"Energieströme" in einem mystischen Leib kontrolliere,
kontrolliere er den Kosmos in dem Masse, wie er Glückseligkeit durch seine
Adern fließen ließe ... Alles geschehe parallel. (241) So wie der androgyne
Körper des "ADI BUDDHA" oder des "erleuchteten" Yogi
die Energien beider Geschlechter in sich konzentrierten, so liege auch der
buddhistischen Kosmographie ein Geschlechterdualismus zugrunde. (241)
Wie nun zeitgenössische tibetische
Lamas versuchen, ihre traditionelle buddhistische Kosmologie mit dem
modernen naturwissenschaftlichen Weltbild in Einklang zu bringen, erklären
die Autoren mit einem Zitat des Kagyüpa-Gurus Kalu Rinpoche. Dieser meinte,
jede dieser Kosmologien sei vollkommen für die Wesen, deren "karmische
Projektionen sie dazu veranlassen, ihr Universum in dieser Weise zu
erfahren ... " deshalb sei auf einer "relativen Ebene jede
Kosmologie gültig ..." Auf einer letzten Ebene sei jedoch keine
Kosmologie "absolut wahr". Sie könne nicht universell [!] gültig
sein, solange es Wesen in grundverschiedenen Situationen gebe! Der Kosmos
sei eine Erscheinungsform des Geistes und die "Welt hat kein Sein
außerhalb des Bewusstseins"! Die Kosmographie des Buddhismus
beschreibe demnach nicht die Natur, sondern ausschließlich Formen des
Geistes.
Aus dieser, postmodern klingenden
Auffassung, die stark an den Radikalen Konstruktivismus
erinnert, möchte Rinpoche mit einem Satz
"die Grundlagen unseres naturwissenschaftlichen Weltbildes
auflösen". Er folgert nämlich daraus, "wenn nichts mehr endgültig
ist, dann ist als Folge dessen alles [!] möglich ...". Aber erst wenn
die gesamte Menschheit das "buddhistische Paradigma" übernommen
habe, könne sie auch den "gigantischen Meruberg",
die Weltenachse, in der Mitte ihres Universums wahrnehmen. Diese Fähigkeit
hätten heute nur wenige Auserwählte. (242) Leider gehen die Autoren nicht
weiter auf dieses Zitat ein. Sie hätten hier mit Argumenten, die auch gegen
den Radikalen Konstruktivismus formuliert worden
sind, entgegnen können. Bei dem Zitat Rinpoches
fällt schon der offensichtliche logische Fehlschluss auf, dass aus der
Feststellung, nichts sei mehr endgültig, gefolgert wird, dann sei alles -
und nicht etwa einiges oder manches - möglich. Außerdem ließe sich fragen,
wenn nichts mehr endgültig, universell wahr ist, warum dann nicht auch das
"buddhistische Paradigma", wenn man also diese Hypothese auf sich
selbst anwenden würde? Dieser radikale Skeptizismus in den Worten Rinpoches setzt dann eben auch sich selbst in Frage.
In seiner politischen Funktion sei der
"ADI BUDDHA" ein Weltenherrscher, ein "Kaiser des
Universums". Im frühen Buddhismus gab es noch einen Unterschied
zwischen einem Buddha und einem Weltenkaiser, Gautama wählte den Weg eines
spirituellen Buddhas und nicht den eines "weltlichen Chakravartin". Doch im Mahayana-Buddhismus
schwinde diese Unterscheidung mehr und mehr. Im Vajrayana-Buddhismus,
insbesondere im Kalachakra-Tantra sei der Chakravartin das Resultat von sexualmagischen Riten.
Aus dem "asozialen" Yogi, "der sich während seiner
Initiationszeit wie ein Outlaw" benahm, sei ein glänzender König
geworden.
Das Zeittantra erweise sich deswegen
als ein Mittel, die Welt nicht nur spirituell, sondern auch machtpolitisch
zu erobern, schließlich umfasse die Idee vom Chakravartin
das gesamte Universum. Der eminent politische Charakter des indischen Chakravartin habe ihn zum Ideal des tibetischen
Lamaismus werden lassen, das sich jedoch erst in der Person des V Dalai
Lamas (1617-1682) entwickeln sollte. Selbst der V Dalai Lama, der zum
ersten Mal in der Geschichte Tibets in seiner Person die weltliche und
spirituelle Macht vereinen wollte, sei noch vorsichtig gewesen, sich
öffentlich als Chakravartin zu bezeichnen. (259)
Als Gesetzgeber wache der Chakravartin darüber,
dass die menschlichen Normen mit den göttlichen, sprich buddhokratischen,
übereinstimmten. Er selbst gelte als die inkarnierte Darstellung des
höchsten universellen Gesetzes. Der "Weltenherrscher" reagiere
ebenso als Hüter der kosmischen wie der sozial-politischen Ordnung. (262)
Die Autoren weisen darauf hin, dass
Indiens Geschichte ebenso wie die des mittelalterlichen Europas von dem
Streit zwischen spiritueller und weltlicher Macht geprägt wurde. Der Kampf
zwischen Brahmanen und Königen sei auch im alten Orient ein Dauerthema
gewesen. Diese Auseinandersetzung habe man sowohl im Abendland als auch in
Asien als einen Geschlechterkampf interpretiert und die zwei
Geschlechterrollen auf die jeweiligen Machtträger übertragen. Mal habe der
König das männliche Prinzip repräsentiert und der Priester das weibliche,
mal war es umgekehrt. In Indien würden wir die weitverbreitete Vorstellung
finden, dass das Weibliche aktiv, das Männliche passiv sei, und dass durch
Meditation, etwa durch Stillstand des Atems, Herrschaft ausgeübt werden
könne. Damit seien wir mit der Ansicht konfrontiert, dass die Yogapraxis
auf die Politik übertragbar sei. Im tantrischen Buddhismus kehre sich die
Zuordnung jedoch um, die Göttin ist passiv, der Gott aktiv.
Wenn sich aber Geistliches und
Weltliches in einer Person wie im Falle des Dalai Lamas vereinige, dann
feiern beide eine mystische Hochzeit. (263) Die Mächte der zwei Kräfte
sollten in "einem großen Strom" zusammen fließen, aus dem
"ein universeller Radlehrer", ein Chakravartin
entstehe, der das männlich und das weibliche Prinzip, die weltliche und
priesterliche Macht verdichtet habe und deswegen mit der höchsten
Herrschaft befähigt sei, den als Rad vorgestellten Kosmos regiere. Die
Hochzeit zwischen dem männlichen und dem weiblichen Prinzip, die hier das
Fundament für die absolute politische Macht darstelle, erweise den Chakravartin als Androgyn, einen "doppelgeschlechtlichen
Übermenschen". (264)
Diese Machtvision wird im Kalachakra-Tantra durch den "Shambhala-Mythos"
mit einer politischen Utopie verbunden, die aggressiv und kriegerisch,
despotisch und totalitär sei. Seit Jahrhunderten hätten die tibetischen Lamas
das "Wunderland" bewusst mystifiziert und offen gelassen, ob es
existierte oder nicht. (267) Die totalitäre Macht des Shambhalakönigs
erstrecke sich nicht nur auf die Einwohner seines Landes, sondern ebenso
auf die anderen Menschen unseres Planeten. Typisch sei die Rolle der
Geschlechter im Shambhalareich. Es seien
ausschließlich Männer, die in dem androzentrischen
Staat politische Macht ausübten. Von Frauen erführen wir nur etwas von
ihren Funktionen als Königin Mutter, die Gebärerin des Thronfolgers, und
als "Weisheitsgefährtin". (270) Beherrscht werde dieses buddhokratische Weltenreich von einem omnipotenten
Priesterkönig, dem Chakravartin, einer weiteren
Emanation des "ADI BUDDHA". (318)
Der Shambhala-Staat
unterscheide klar zwischen Freund und Feind. Die ursprüngliche Idee eines
buddhistischen Pazifismus sei ihm völlig fremd. Im Jahre 2327 n. Chr., so
lauteten die Prophezeiungen im Kalachakra-Tantra,
werde der 25. Kalki den Thron von Shambhala besteigen. Die Aufgabe dieses Herrschers sei
es, in einer gewaltigen eschatologischen Schlacht die "Feinde der
buddhistischen Lehre" zu vernichten und ein goldenes Zeitalter zu
begründen. (274) Wie die Legende besage, sei der historische Buddha
höchstpersönlich der Verfasser des Kalachakra-Tantras.
Dann müsse er, so die beiden Autoren, "seine gesamte Friedensvision
und Botschaft vergessen haben und eine wirklich große Faszination für das
Kriegshandwerk gehabt haben." Waffen spielten im Zeittantra eine
hervorragende Rolle. (275) Da die traditionell tibetische und die
mongolische Gesellschaft den Shambhala-Mythos
sehr konkret und real kultivieren würden, ohne jemals einen Unterschied
zwischen einem weltlichen und einem metaphysischen Aspekt zu machen, sei es
problematisch, dass der lebende XIV Dalai Lama das Kalachakra-Tantra
und den Shambhala-Mythos in das Zentrum seines
Ritualwesens stelle. Seine ständigen Bekenntnisse zu den Grundsätzen
westlicher Demokratie seien daher unglaubhaft. (286)
Westliche Buddhisten, stellen die
Autoren fest, hätten die Gewohnheit tantrische Bilder und Mythen
ausschließlich zu verinnerlichen oder zu "verpsychologisieren".
Nach diesem westlichen Verständnis werde eine Verinnerlichung so
verstanden, dass man das äußere Bild, z.B. einen Krieg, als ein Symbol für
einen inneren psychisch-geistigen Vorgang zu verstehen habe. Gemäss dem magisch-orientierten östlichen Denken
bedeute die Identität von Innen und Außen etwas anderes, nämlich dass die
inneren Vorgänge im mystischen Leib des Yogis den äußeren Ereignissen
entsprächen. Das Äußere sei also nicht wie im westlichen Symbolverständnis
eine Metapher für das Innere, sondern beide, Innen und Außen, entsprächen
sich. Der Shambhala-Krieg würde also innen und
außen stattfinden. Für von der pazifistischen Botschaft des Buddhismus
sensibilisierte Westler sei die "Verinnerlichung" des Mythos
vielleicht ein Ausweg aus dem militanten Ambiente des Kalachakra-Tantras.
In der tibetisch-mongolischen Geschichte sei die Prophezeiung von Shambhala jedoch seit Jahrhunderten wörtlich genommen
worden. (287)
Die Aggressivität der Tantras, die
sexuellen Exzesse, das "Frauenopfer", der energetische
"Vampirismus", die omnipotenten Machtansprüche usw., all dies
werde vom XIV Dalai Lama systematisch verschleiert, auch wenn die meisten
tantrischen Texte heute öffentlich zugänglich seien. Das gelänge einmal
durch das Argument, dass es sich immer nur um ein Symbolereignis handle,
das niemals real vollzogen werde, zum anderen, weil die Tantras
behaupteten, dass die negativen Handlungen sich am Ende des Rituals in
positive verwandelt hätten. Was das erste Argument anbelange, so könnten
zahlreiche Fälle nachgewiesen werden, in denen die Tantratexte
durchaus wörtlich verstanden wurden. Außerdem würde dieses Argument auch
deswegen in sich zusammenfallen, weil für "einen Vajrayana-Buddhisten
im Gegensatz zu einem modernen Westler zwischen Symbol und Realität kein
Unterschied gemacht werden darf." (321)
Das zweite Argument, die Tantras würden
Negatives in Positives verwandeln, müsste einer empirischen Prüfung
standhalten. Seit vielen Jahrhunderten würden in Tibet Tausende von
tantrischen Ritualen durchgeführt, die Autoren haben jedoch berechtigte
Zweifel, dass diese Ritualpolitik bisher etwas in der Geschichte der
Tibeter erreicht habe. (322) Es seien nicht einzelne politische
Verfehlungen des Dalai Lamas, welche seine Person und sein Amt für den
Westen zu einem Problem machen könnten. Wer dagegen tiefer in das
tibetische System hinabsteige, der müsse unweigerlich die sexualmagische
Welt des Tantras betreten. Für einen Westler tue sich hier eine völlig
fremdartige Dimension auf, er werde eine Ableitung politischer
Entscheidungen aus dem Kalachakra-Tantra und aus
dem Shambhala-Mythos kaum ernst nehmen. Doch
gerade diese Verbindung von Ritual und Politik, von sakraler Sexualität und
Macht sei das zentrale Anliegen des Lamaismus. Es sei zur
Zeit überall im Westen üblich, kritisieren die Autoren, krass
zwischen einem religiösen Fundamentalismus und dem "eigentlich
humanpolitischen Anliegen aller Religionen" zu unterscheiden. Das habe
zur Folge, dass alle religiösen Traditionen der Welt in Europa und
Nordamerika "als hochwertige spirituelle Alternativen zum dekadenten
Materialismus der Industrieländer" eindringen konnten. "Eine fundierte
Religionskritik war in den letzten Jahren nicht besonders gefragt",
beklagen sie. (326)
Die Despotie der Kirche, die
Inquisition, die Entmündigung des Menschen, die Verfolgung Andersgläubiger
- all das seien schwer zu überwindende Hindernisse bei der Herausbildung
der modernen westlichen Kulturen gewesen. Das Abendland habe mit der
Aufklärung seine alten "Götter" und Mythen gestürzt, jetzt hole
es sie durch die unkritische Übernahme exotischer Religionen wieder ins
Land. Da die Menschen im Westen davon überzeugt seien, dass die Trennung
von Staat und Religion für jeden vernünftigen Mensch auf der Welt
einsichtig sein müsse, könne und wolle er die religions-politischen Abläufe
der importierten atavistischen Kulturen nicht verstehen. Der Faschismus sei
schließlich ein klassischer Fall für die Reaktivierung archaischer Mythen
gewesen. (327) (Die beiden Autoren gehen in einem gesonderten Kapitel
darauf ein, ohne jedoch besonders viel Neues zu Tage zu bringen.).
Alle Kriterien des sakralen Königtums
würden auch auf den XIV Dalai Lama und sein Staatswesen zutreffen. Seine
Institution unterliege nicht der Gewaltenteilung (zwischen Priesteramt und
Königswürde), er sei nicht der menschliche Stellvertreter eines Buddhawesens sondern er ist - der Lehre nach - dieses Buddhawesen selbst. (330) Die tantrische Buddhokratie sei ein verwobenes Ganzes aus
kosmologischen, religiösen, territorialen, administrativen, ökonomischen
und innerphysiologischen Ereignissen. (429) Die tibetischen Götter seien
es, denen Tenzin Gyatso,
der XIV Dalai Lama, seinen menschlichen Leib zur Verfügung gestellt habe
und die durch ihn sprächen und handelten. (335) Im Sinne der tibetischen
Inkarnationslehre ist er als Mensch nur die körperlich-menschliche Hülle.
(343) In einem religiösen System, in dem der Mensch letztendlich nichts,
die hinter ihm stehenden Götter dagegen alles bedeuteten, stelle der humane
Leib nur das Instrument dar, damit ein höheres Wesen in Erscheinung treten
könne. Das Inkarnationssystem sei unpersönlich, anti-genetisch und
anti-aristokratisch. (450)
Um die tibetische Geschichtsauffassung
und die Politik des XIV Dalai Lamas zu verstehen müsse man 4 Vorstellungen
aus der archaischen Weltsicht berücksichtigen: 1. Die Geschichte und
Politik Tibets würden von den tibetischen Göttern bestimmt. 2. Geschichte
und Politik Tibets seien Ausdruck eines mythischen Geschlechterkampfes. 3.
Geschichte und Politik Tibets orientierten sich am eschatologischen Plan
des Kalachakra-Tantras. Geschichte und Politik
Tibets seien das magische Werk eines höchsten Tantra-Meisters, des Dalai
Lamas, der als "sakraler König" und Yogi die Geschicke des Landes
steuere. (335) Die Autoren halten das Kalachakra-Tantra
für ein hohes Politikum, es sei das magisch-metapolitische Instrument, mit
dem sich der Kundun (= lebender Buddha) den
Westen und die Welt erobern wolle. (348) Sie räumen aber ein, ob er selbst
sexualmagische Praktiken durchgeführt habe, sei sein Geheimnis und einen
Nachweis können die Autoren nicht bringen. Sie glauben jedoch, aus gewissen
Äußerungen könne man ablesen, "dass der Dalai Lama über die
Konsequenzen, die aus den tantrischen Riten folgen, genauestens
informiert" sei. (349)
Es bedarf bestimmt keiner großen
Phantasie sich die Stellung der Frau in der alt-tibetischen Gesellschaft
vorzustellen, wenn man das bisher Gesagte berücksichtigt. Grundsätzlich
galten Frauen als minderwertige Geschöpfe, entsprechend bedeute das
tibetische Wort für Frau wörtlich übersetzt "niedrig Geborene".
Mann bedeute dagegen "Wesen von höherer Geburt". Kindersegen sei
aufgrund des Fluchs, den die Wiedergeburt mit sich brachte, etwas
Belastendes. (363) Frauen konnten nach herrschender Lehre keine Erleuchtung
erlangen, sie galten als unterentwickelt. (364) Ein Teil der tantrischen
Partnerinnen habe sich später, nachdem sie bei den Ritualen als Mudra gedient hätten, den Lebensunterhalt durch
Prostitution verdient. So sei der Spruch aufgekommen, in Lhasa liefen ebenso viele Dirnen herum wie Hunde. (365)
Die tibetischen Nonnen würden zwar an bestimmten Riten teilnehmen, lebten
aber insgesamt eingeschränkter als die Laienfrauen. Noch heute schulde eine
tibetische Nonne nach dem Gesetz dem geringsten Mönch den höchsten Respekt,
was keineswegs umgekehrt der Fall sei. (365)
Seit sich der tantrische Buddhismus im
Westen verbreitet habe, sei er zunehmend mit dem modernen Feminismus in
Berührung gekommen. Die Autoren Trimondi
unterscheiden 4 Gruppen, die sich mit dem Buddhismus auseinandersetzen: 1.
Die Befürworterinnen, die sich dem patriarchalen Mönchssystem bedingungslos
unterwerfen. 2. Radikale Feministinnen, die dieses strikt ablehnten und
bedingungslos verdammten. 3. Diejenigen Frauen, die eine Reform des
Buddhismus anstrebten, um eine gleichberechtigte Partnerschaft zu
erreichen. 4. Feministinnen, die in das System eingedrungen seien, um für
sich die im Tantrismus entwickelten Machtmethoden nutzbar zu machen, d.h.
die ein "gynozentrisches Projekt"
verfolgten. (404) Die befürwortende Gruppe habe sich erst als Reaktion auf
die drei anderen heraus kristallisiert. Ihr Hauptargument gegen die Behauptung,
die Frau werde im Vajrayana unterdrückt, bestehe
darin, dass die Lehre grundsätzlich sexuell neutral sei. (405) Die
Diskriminierung der Frauen in allen historischen Etappen des Buddhismus sei
jedoch so augenfällig, dass sie eine umfangreiche Literatur von
feministischer Kritik hervorgebracht habe. Diese zweite Gruppe Frauen
demaskiere und klage das System ungeschminkt an. Für den frühen Buddhismus
sei dies vor allem Diana Y. Paul. Der sexuelle Missbrauch von Frauen in den
modernen westlichen Zentren sei unter anderem von Sandy Boucher bekannt
gemacht worden. In vielen dieser feministischen Kritiken seien soziale
Argumente ebenso häufig zu finden wie theologische und philosophische.
(405) Leider seien jedoch die Transformationen weiblicher Energie in
männliche und das "tantrische Frauenopfer" bisher kein Punkt der
Anklage geworden. (406)
Zu der dritten Gruppe der
"Reporterinnen" zählen die Autorinnen Allione,
Willis, Macy und Gross. Letztere halte es für möglich, dass sich "aus
der Begegnung von Feminismus und Buddhismus eine neue weltumspannende
Vision" entwickeln könne. Im buddhistischen Tantrismus sehe Gross eine
Technik, um die Geschlechterpolarität in Form der Gleichberechtigung zu
überwinden. Man könne aber freiweg sagen, dass
sie den alchemistischen Prozess, mit dem die "weiblicher Energie"
während des tantrischen Rituals abgesaugt wird, nicht verstanden habe. Wie
die männlichen Traditionalisten griffen diese Feministinnen nach dem Bild
einer Androgynität, das fälschlicher Weise als ein "geschlechtsneutraler"
Zustand befürwortet werde. (407)
Es folgten viertens diejenigen Frauen,
die die Geschlechterthematik im Buddhismus ausschließlich zu ihren Gunsten
umkehren wollten. Dazu zähle die amerikanischen
Schriftstellerinnen Andrews, Campbell und Shaw, letztere habe von allen den
radikalsten Ansatz. Alle weiblichen Bilder, die der Tantrismus liefert,
würden als Machtsymbole der Göttin umgedeutet. Die Autoren Trimondi meinen was dabei herauskomme, sei ein
umfassendes, von einer weiblichen Übergottheit beherrschtes Weltbild. (408)
Eine solche matriarchale Schau der Sicht
unterscheide sich jedoch nicht wesentlich von der eines androzentrischen
Tantrikers: Auch er sehe den Weltenkörper als weiblich an und erfahre die
Kräfte, die das Universum leiten, als die "Energien der Göttin".
Erst in der letzten Instanz wolle der Vajra-Meister
das ganze Sagen haben! (408) Als Beweis für die These von der
"Frauenpower" im buddhistischen Tantrismus werde von
feministischer Seite gerne das Candamaharosana-Tantra
angeführt, in denen sich "der Mann völlig dem weiblichen Diktat zu
unterwerfen" habe. Doch, so werfen die Autoren Trimondi
ein, das Candamaharosana-Tantra sei in Wahrheit
einer sehr gewalttätigen männlichen Gottheit gewidmet. Der Adept unterwerfe
sich hier im Rahmen einer harten Übung sexuell der Frau, um dann nach dem
"Gesetz der Umkehrung" einen umso größeren Triumph über das
Weibliche und die eigenen Leidenschaften zu feiern. So müsse die
"Domina-Rolle", auf die sich Shaw so stolz berufe, als "ein
ephemeres Moment auf dem männlichen Weg zur Erleuchtung gewertet
werden". (409)
So seien solche feministische
Annäherungen an den Vajrayana-Buddhismus bei
näherer Hinsicht als ein Hineintappen in eine gut getarnte Falle zu werten.
Die Ursache sei in dem tantrischen "Gesetz der Umkehrung" zu
sehen. In der Logik dieses Gesetzes liege es, dass die Yogini
vor ihrer Bezwingung und Beherrschung durch den Guru "zu einer Göttin
erhöht werden" müsse. Das aggressiv Weibliche, das sich
gesellschaftlich in der Form eines radikalen gynozentrischen
Feminismus ausdrücken könne, sei deswegen Teil des tantrischen Projekts.
(410) Es gebe verschiedene Gründe für diese Selbstzerstörung des radikalen
Feminismus. Einer liege in der unreflektierten Übernahme der tantrischen
Physiologie durch die Frauen. Wenn solche Frauen einen Yoga praktizierten,
wie es Shaw empfehle, dann bedienten sie sich genau derselben Techniken,
die auch die Männer benutzten, und gingen von denselben energetischen
Bedingungen in ihrem Körper aus. Sie würden unwissend beginnen, ihren
weiblichen Leib zu zerstören und ihn durch eine männliche, nicht kompatible
Struktur zu ersetzen. Dies sei ganz im Sinne der buddhistischen Doktrin,
Dank der androzentrischen Rituale werde ihre
Weiblichkeit aufgelöst, und sie würden energetisch zu einem Mann
transformiert! (412)
Im achten Jh. n.Chr. führten indische
Mönche den Vajrayana in Tibet ein. Obgleich viele
Elemente der einheimischen Kultur in den tantrischen Buddhismus absorbiert
worden seien, gelte dies nicht für die Grundlagen. Ritualschriften, welche
erst in Tibet verfasst worden seien, zählten nicht zum offiziellen
Lehrgebäude. Mit dem Zeittantra schließe die "kreative
Geschichte" des Vajrayana im 10. Jh. ab. Es
sei das Finale und der Höhepunkt des buddhistischen Tantrismus. (45) Nur
wenn es zu einer grundsätzlichen Absage an die traditionellen, tantrischen
Mysterien käme, so die Autoren Trimondi, würde
sich die Rolle der Frau im sakralen Zentrum des tibetischen Buddhismus
ändern. Doch gäbe es bisher nicht den geringsten Hinweis, auch nicht, dass
der lebende Dalai Lama in irgendeiner Weise seine androzentrische
Tradition, die im Kern in der Opferung des Weiblichen bestehe, aufkündigen
wolle. (419) Der Vergleich der tibetischen Tara mit der christlichen Maria
sei mittlerweile in buddhistischen Kreisen ein Gemeinplatz. (375) Die
"Schwarze Jungfrau" werde schon seit Jahren von Feministinnen als
apokryphe Muttergottheit angepriesen. (376) Was sich dahinter verberge,
könne auch als die Vereinnahmung eines nichtbuddhistischen Kultus durch den
Vajrayana bezeichnet werden. Denn Maria und Tara
seien beide so kulturspezifisch, dass ein Vergleich der zwei
"Göttinnen" nur auf einer sehr allgemeinen Ebene Sinn habe. Weder
gebäre Tara einen Messias, noch dürften wir uns eine Maria vorstellen, die
sich mit einem christlichen Mönch sexualmagisch vereinige. Trotz solcher
Unterschiede liesse der Tantrismus die Absorption
fremder Götter ohne Bedenken zu, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass
die tibetische Gottheit den Ursprungsplatz einnehme und die nichtbuddhistische
von dieser abgeleitet werde.
Die Literatur, in der buddhistische
Autoren Christus als Bodhisattva vorstellten,
wachse von Jahr zu Jahr. (380) Anlässlich interreligiöser Gespräche
beschreibe der XIV Dalai Lama "so viele Parallelen zwischen Christus
und Buddha (..), dass seine (christlichen!)
Zuhörer ganz aus sich zu dem Schluss gelangen, bei Christus handle es sich
um einen Bodhisattva." (745) Oft sei der
Dalai Lama den vorwiegend katholischen Teilnehmern in vielen Punkten
christlicher erschienen als die Christen. Wenn er jedoch jegliche
Vereinnahmung anderer Religionen durch den Buddhismus von sich weise, so
gelte dies keinesfalls für seine Anhänger. (745) Ökumenische Treffen hätten
von tibetischer Seite her nicht die Begegnung mehrerer Glaubensrichtungen
im Sinne, dies widerspreche dem gesamten tantrischen Ritualwesen. Sie
beabsichtigten vielmehr eine Unterwanderung fremder Religionen, in der
Absicht, sie letztlich in das eigene System zu integrieren. (746) Einen
ähnlichen Prozess der Vereinnahmung gebe es auch gegenüber dem New Age
durch den Buddhismus. (752) Es sei diesem gelungen, die intellektuelle und
wissenschaftliche Elite der New Age-Bewegung an sein eigenes atavistisches
System zu fesseln. Zu diesem Kreis bekannter Persönlichkeiten gehörten u.a.
Carl Friedrich von Weizsäcker, David Bohm, Francisco Varela, Ken Wilber und Fritjof Capra. (754) Wenn wir uns die
interreligiösen Aktivitäten der Buddhisten im Westen und des Dalai Lamas
mit anderen Glaubensrichtungen betrachteten, so müssten wir uns stets vor
Augen halten, dass das gesamte lamaistische System in seinem Kern mit
anderen Religionen inkompatibel sei und auch sein wolle. Der tantrische
Buddhismus, insbesondere das Kalachakra-Tantra
und der damit verbundene Shambhala-Mythos beinhalteten:
"1. Die Vernichtung Andersgläubiger. 2. Eine kriegerische
Gewaltphilosophie und die Entfesselung eines Weltkrieges. 3. Die Grundlagen
für eine faschistische Ideologie. 4. Die Verachtung des Menschen, des
Individuums (zugunsten der Götter) und insbesondere der Frau (zugunsten des
androzentrischen Tantra-Meisters). 5. Die
Opferung des anderen zur Akkumulation eigener materieller und spiritueller
Vorteile. 6. Die Verbindung von religiöser und staatlicher Macht. 7. Die
Eroberung der Welt und die Errichtung einer globalen buddhokratischen
Mönchsdiktatur mit manipulativen und kriegerischen Mitteln." (741 f.)
Die Autoren behaupten, dass ein
"rationaler" und "ehrlicher" Diskurs zwischen der
westlichen Kultur und dem Buddhismus "überhaupt nicht stattfindet und
niemals stattgefunden hat, da bei solchen Begegnungen die Magie, die
sexualmagischen Praktiken, die Mythologie (...), die Geschichte, die
Kosmologie und die politische Theologie des buddhistischen Tantrismus als
Thema völlig ausgespart blieben und bleiben." (762) Nicht was der
Dalai Lama sage, nicht sein Lächeln und die freundlichen Worte zählten,
sondern das religiöse System, das hinter ihm stehe. (783)
Das Werk der Trimondis
versucht den weiten Bogen zwischen den empirischen Fakten aus der
Geschichte Tibets, dem Leben der heutigen Exiltibeter einschließlich des
XIV Dalai Lamas und den theoretischen Grundlagen des Buddhismus,
insbesondere des tantrischen, zu spannen. So entsteht ein Wechselspiel
zwischen zwei Ebenen, auch wenn sich beide nicht immer von
einander trennen lassen. Problematisch erscheint mir in diesem
Zusammenhang die sehr im Vordergrund stehende Darstellung sexualmagischer
Riten in längst vergangenen Jahrhunderten und die zur gleichen Zeit
entstandenen Tantratexten, die zur Analyse
dienen. Hier erkennt der Leser nicht immer, ob es sich nun um einen
historischen Vorgang handelt, der - zwar tragisch und nach heutigen
Maßstäben moralisch zu verwerfenden wäre - aber einmal zu Ende ging oder um
einen noch bis heute gültigen theoretischen Sachverhalt. Der Schwerpunkt
des Buches liegt auf der empirischen Ebene, leider, denn seine Stärke liegt
zweifellos in der theoretischen Aufarbeitung der tibetischen
"Politischen Theologie". Anhand der empirischen Fakten lässt sich
jedenfalls, die besonders gegen Ende des Werkes heftig vorgetragene
"Verschwörungstheorie" eines den Westen untergrabenden Buddhismus
nicht nachvollziehen. Gut tut, dass die Autoren von der
sonst üblichen Beweihräuchern des XIV Dalai Lamas abrücken, eher mager
erscheinen dagegen die Belege, die ihn als gefährlichen "Weltenbeherrscher" herausstellen wollen. Auch die
angeführten Beispiele westlicher Unterstützung des Buddhismus durch mehr
oder weniger prominente Personen, die stark angewachsene Zahl
buddhistischer Zentren in den Industrienationen, geben keinen Nachweis für
eine Macht bereitstehender "Shambhala-Krieger".
Gerade die im Westen meditierenden Hobby-Buddhisten sind bestimmt nicht
bereit zu kämpfen, denn für sie dürfte ihr Buddhismus nicht mehr sein als
eine momentane religiöse Präferenz. Die Gefahr für unsere Kultur dürfte
eher darin liegen, die Grundlagen und den Wert unseres westlichen
Weltbildes nicht mehr zu erkennen und beides einer Beliebigkeit
preiszugeben. So besteht das große Verdienst dieses Buches in der scharfen
Analyse eines reaktionären Weltbildes, das auf die Fragen unserer heutigen
Welt keine brauchbaren Antworten mehr geben kann.
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