BUDDHISMUSDEBATTE
Zahlreiche Artikel zum Lamaismus finden Sie auch unter den
Segmenten Hitler-Buddha-Krishna und Kritisches Forum Kalachakra.
Siehe ebenfalls: Presseberichte und Interviews.
Karmapa und
Reting Rinpoche
1. - BÜRGERKRIEG
ZWISCHEN DEM V. DALAI LAMA UND DEM X. KARMAPA
2. - DIE KARMAPA AFFÄRE
3. - RETING RINPOCHE
Die jetzt schon mythisierte Flucht des vom XIV
Dalai Lama und von den Chinesen anerkannten 17. Karmapa,
Ugyen Thinley Dorje, hat viele Fragen aufgeworfen. Weshalb konnte die
Flucht von Peking nicht verhindert werden? Welches sind die Interessen des
XIV Dalai Lama an dieser Flucht? Was bedeutet das Ereignis für die
Entwicklung der Beziehungen zwischen China und der tibetischen
Exilregierung in Dharamsala? Wie wird sich das
Verhältnis zu dem konkurrierenden Karmapa hier im
Westen gestalten?
Ugyen Thinley Dorje schien zuerst
voll im chinesischen Sinne zu funktionieren. Im Oktober 1995 zum Beispiel
war der einstige Nomadenjunge der Hauptgast bei den Nationalfeiertagen in
Beijing und bedeutende Führer der chinesischen Regierung unterhielten sich
mit ihm. Die nationale Presse berichtete ausführlich über seine
anschließende Reise durch China, die für den
Hierarchen organisiert wurde. Er soll ausgerufen haben: "Lang lebe die
Volksrepublik China!" Aber was sich hinter den Kulissen abspielte,
wissen wir nicht. Die Geschichte der vergangenen Karmapa
läßt kaum einen Zweifel darüber aufkommen, dass
es dabei um Machtspiele ging und geht.
Mittlerweile erweist sich Ugyen
Trinley Dorje jedoch
als gefügige Marionette in den Händen des Herrschers aus Dharamsala. (Spiegelinterview vom 7.05.01: "Der
Menschheit dienen") Kurz nach seiner Flucht war im Time Magazine
noch von ihm zu lesen: "Er hat das Potential die Leitfigur für die
nächste Generation zu werden, wie dies der Dalai Lama für die jetzige
ist." Im Spiegelinterview aber verzichtet der 15-jährige ganz und gar
auf seine spirituelle und politische Führungsrolle und auch auf einen
westlichen Studienabschluss, der ihm die Augen öffnen könnte für die
Ungereimtheiten des tibetischen Systems. "Es gibt sehr viele
gelehrtere, spirituell weiter entwickelte und politisch erfahrenere Lamas
als mich. Trotz meines Titels - diese Mönche sind für eine politische Rolle
besser geeignet." Im übrigen
erkennt man im ganzen Sprachjargon des Mönchsteenies, das er vorher genau
indoktrinierte Antworten eines erfahrenen über 60 Jahre alten Politikers
und Diplomaten zum besten gibt. Das ganze Szenario ist die Fortsetzung des
religionspolitischen Powerplays, das den Lamaismus von seinen Anfängen an
bestimmt hat und über das im faszinierten, uninformierten Westen kaum
berichtet wird.
Diesem Machtspiel um die lamaistischen
Wiedergeburten des kommenden Millenniums wird ein neuer Akt hinzugefügt. Am
17. Jan. 2000 berichtete die South China Morning Post, dass die
Chinesen eine Inkarnation des Reting Rinpoche, der im Februar 1997 starb, entdeckt hätten.
Dem zweijährigen Junge wurde ein buddhistischer
Name gegeben und man ordinierte ihn vor einer Statue im Jokhang
Tempel (Lhasa). Die Zeremonie fand in Anwesenheit
von chinesischen Parteifunktionären statt. Reting
Rinpoche gilt als einer der wenigen Lamas, die
nach dem Tode des Dalai Lama und bis zur Volljährigkeit von dessen
Wiedergeburt die Regentschaft übernehmen können. Deswegen ist die Ernennung
des Jungen durch Peking eine höchst politische Provokation und Dharamsala wird entsprechend heftig reagieren.
Bemerkenswert ist, dass Beijing immer weniger
versucht, über die Geschichte und die Grundlehren des tibetischen
Buddhismus aufzuklären, sondern bewusst und zielstrebig einen "Konkurrenz
Lamaismus" oder "Alternativ Lamaismus" aufbaut
und fördert. Eine solche Entwicklung halten wir für äußerst problematisch! Bei
der lamaistischen Lehre handelt es sich um ein religiöses System, das im
Kern von den Personen unabhängig ist, welche es praktizieren. Es ist als
solches nicht mit humanpolitischen Grundsätzen des Westens vereinbar,
ob es die Billigung Chinas hat oder nicht. Das haben wir in unserem Buch
ausführlich nachgewiesen. Wir haben dort auch auf die Gefahren aufmerksam
gemacht, welche von einem durch die Chinesen unterstützten Lamaismus für
den Weltfrieden ausgehen könnten. (Der Schatten des Dalai Lama, S. 707 ff.)
Anderseits lässt das aktuelle Inkarnationsgerangel
die ungeschminkten Machtinteressen aller Beteiligten offen zutage treten.
Ein Grund mehr, endlich aus den Shangri-La
Träumen aufzuwachen und sich mit den Hintergründen des Lamaismus
auseinander zusetzen. Wir drucken hier einige
Passagen aus unserem Buch ab, die sich mit dem Karmapa
und mit Reting Rinpoche
beschäftigen.
BÜRGERKRIEG
ZWISCHEN DEM V. DALAI LAMA UND DEM X. KARMAPA
Während die Gelugpa
[deren Oberhaupt der Dalai Lama ist] schon sehr früh mit den Mongolen zusammenarbeiteten
und diese als ihre Schutzmacht ansahen, können wir die Kagyüpa
mit dem Karmapa an der Spitze mehr oder weniger
als die nationaltibetischen Kräfte bezeichnen (zumindest bis zum 17. Jh.).
Schon der erste Dalai Lama war in kriegerische Scharmützel mit den
"Rotmützen" (Kagyüpa) verwickelt. 150
Jahre später hatten sie, von dem Fürsten Tsang unterstützt, ihre
Machtstellung so ausgebaut, dass die Gelugpa um
Gut und Leben zittern mussten. Tsang nahm in den 30er Jahren des 17.
Jahrhunderts Lhasa ein und übergab den Heiligen
Tempel, den Jokhang, an die Priester der
"Roten". Selbst das mächtige Gelugpa
Kloster Drepung fiel unter seinem Ansturm.
Während dieser Kämpfe soll ein missglückter Mordanschlag auf den V Dalai
Lama durchgeführt worden sein. An seiner Stelle erschlug man jedoch seine
leibliche Mutter.
Der "Gelbe Orden" konnte nur noch durch
eine äußere Intervention gerettet werden. Es lag also nichts näher, als
dass der "Große Fünfte" demonstrativ nach dem mongolischen Titel
"Dalai Lama" griff, um dadurch die kriegerischen Nomadenstämme
aus dem Norden zu bewegen, Tibet zu erobern und zu besetzen. Dieses
staatspolitische Kalkül ging voll auf.
In seiner höchsten Not gelang es dem "Großen
Fünften", sich mit Gushri Khan (1582 -
1654), dem Chef der Oirat Mongolen, zu verbinden.
Der Khan fiel mit einer Zehntausendschaft in das "Schneeland"
ein. Es kam zu einem blutigen "Bürgerkrieg", in dem sich zwar auf
freiem Felde zwei weltliche Herrscher, der König von Tsang und Gushri Khan gegenüber standen, hinter denen sich jedoch
die beiden mächtigsten Mönchshierarchen des Landes als die wirklichen
Kräfte verbargen, der "Dalai Lama" und der "Karmapa", der einflussreichste Kirchenfürst im
Kreise der Rotmützen.
Es ging bei diesem Bürgerkrieg um mehr als um die
weltliche Macht. Man kämpfte entsprechend den tantrischen Obsessionen, von
denen beide Parteien getrieben wurden, um den Weltenthron und die
Herrschaft über den Zeitgeist. (Auch die "Rotmützen" praktizieren
das Kalachakra Tantra). Während der
Kämpfe besuchte der Dalai Lama das Kloster Ganden und erblickte dort
oberhalb eines Altars das riesige, grinsende und schwarze Gesicht eines
Dämons, in dessen aufgerissenes Maul viele menschlichen Köpfe hineinflogen.
Diese Vision deutete er als den endgültigen Sieg über den Kagyüpa Orden.
Gushri Khan
intervenierte entsprechend den Gesetzen seiner Ahnen mit rücksichtsloser
Gewalt. Innertibet wurde durch ihn - nach einer Schrift der Kagyüpa - "in ein Land der Hungergeister
verwandelt, wie die Herrschaftsgebiete des Totengottes." Erinnern wir
uns daran, dass der Dalai Lama als eine Inkarnation des Avalokiteshvara
auch den Totengott Yama repräsentiert. Der
Mongole (Gushri Khan) befahl, die Anführer der
Gegenseite in Fellsäcke zu nähen und zu ertränken. Im Jahre 1642 war der
Rote Orden nach heftigen Widerständen endgültig besiegt. Viele Kagyüpa wurden aus ihren Klöstern vertrieben und diese
in Stätten der Gelbmützen umgewandelt, so wie es vorher umgekehrt geschehen
war. Eine Massenflucht war die Folge. Teile der besiegten Rotmützen
wanderten nach Sikkim und Bhutan aus und
verbanden sich mit den dortigen Dynastien.
Doch ließ sich der "Große Fünfte" (V.
Dalai Lama) als intelligenter Despot nicht von Rachegefühlen hinreißen. Er
wusste aus der Geschichte, dass die verschiedenen Fraktionen der Kagyüpa keine einheitliche Front bildeten. So
überschüttete er nach der Festigung seiner Herrschaft einige von ihnen mit
hohen Ehren und trieb damit Keile in ihre Reihen. Aber er ging noch einen
Schritt weiter. Er drang nämlich in die Mysterien der Rotmützen ein, indem
er von ihnen den "nationalen" Bodhisattva
Avalokiteshvara (Chenrezi)
als seinen persönlichen Inkarnationsgott übernahm. Diese Aneignung war -
wie wir schon gezeigt haben - ein politisches Meisterstück. (Der
Schatten des Dalai Lama, S. 463 - 465)
"Voodoo" gegen die Kagyüpa
Im Klostertempel von Ganden soll der "Große
Fünfte" eine Art "Voodoo" Ritual zur Niederwerfung der Kagyüpa und der Tsang Sippe vollzogen haben. Er
betrachtete sie, "deren Geist durch Mara und durch ihre
Devotion gegenüber dem Karmapa verblendet
war" als Feinde der Lehre. Bei dem Ritual wurde ein Abbild des Fürsten
von Tsang in der Form eines Torma
(Teigkuchens) benutzt. In die Teigfigur hineingearbeitet waren das Blut
eines im Kampfe gefallenen Jünglings, Menschenfleisch, Bier, Gift und so
weiter. (Der Schatten des Dalai Lama, S. 565)
DIE
KARMAPA AFFÄRE
Ein spektakuläres Beispiel dafür, wie der Kundun [der Dalai Lama] aus der Spaltung anderer
Sekten seine Vorteile zieht, ist die sogenannte "Karmapa
Affäre". In den turbulenten Ereignissen, welche sich seit Beginn der
90er Jahre zwischen verschiedenen Fraktionen der Kagyüpa
Sekte abspielten, ging es um radikale Konfrontationen und Gerichtsprozesse,
um brutale Schlägereien und gegenseitige Mordvorwürfe.
Ursache für diese unbuddhistische
Auseinandersetzung war, dass sich bei der Auffindung der 17. Inkarnation
des neuen Karmapa, des Führers der Kagyüpa, zwei Hauptkandidaten und deren Befürworter
gegenüberstanden - auf der einen Seite Situ Rinpoche
und Gyaltsab Rinpoche,
die sich für einen Jungen in Tibet einsetzten, auf der anderen Seite Shamar Rinpoche, der einen
Knaben in Indien vorschlug. Ein dritter Abt Jamgon
Kongtrol Rinpoche,
dessen Stimme bei der Auswahl von großem Gewicht gewesen wäre, hatte kurz
vor der Entscheidung einen mysteriösen, tödlichen Autounfall erlitten. Bald
darauf warfen sich die übriggebliebenen Konkurrenten gegenseitig vor, die
jeweils andere Partei habe durch magische Manipulation den Tod von Jamgon Kongtrol
herbeigeführt. Es kam in Indien zu handfesten Streitigkeiten und blutigen
Köpfen zwischen den beiden Mönchsfraktionen, selbst Schüsse wurden
aufeinander abgegeben, so dass die indische Polizei eingreifen mußte.
Als seinen Karmapa
Kandidaten repräsentierte Situ Rinpoche einen sino- tibetischen Knaben (Ugen
Thinley), der auch die Unterstützung des Kunduns und der tibetischen Exilregierung fand. Shamar Rinpoche dagegen
stellte am 17. März 1994 in Delhi seinen eignen Karmapa
der Öffentlichkeit vor. Seit dieser Zeit geht durch die Kagyüpa
Linie ein großer Riß, von dem auch die
zahlreichen Gruppierungen westlicher Gläubiger betroffen sind.
Oberflächlich konnte man den Eindruck gewinnen, als repräsentiere Situ Rinpoche den asiatischen und Shamar
Rinpoche den europäisch- amerikanischen Teil der
Rotmützen Anhänger. Das erweist sich jedoch bei einer näheren Hinsicht als
eine Fehleinschätzung, denn Shamar Rinpoche baute im Königreich Bhutan eine beachtliche
Hausmacht auf und Situ Rinpoche hat für seinen
Kandidaten auch im Westen viele Befürworter. Es gibt nur noch wenige
Gruppierungen, die zwischen den beiden Rivalen vermitteln wollen. Aber man
weiß sehr wohl, was bei diesen grundsätzlichen Differenzen für die Kagyüpa Linie auf dem Spiel steht. Am Ende eines
offenen Briefes von "neutralen" Rotmützenäbten ist zu lesen:
"Wenn die Differenzen weiter andauern, dann ist sicher, dass keine
Seite da als 'Gewinner' oder als 'Verlierer' herauskommen wird. Der einzige
Verlierer wird die Karmapa Kagyüpa
Linie als ganze sein."
Diese Spaltung der Kagyüpa
aber kommt dem Dalai Lama zu Nutzen. Seit jeher in der tibetischen
Geschichte war der Karmapa der Hauptkonkurrent
des Kunduns und schon mehrmals mit Lhasa in kriegerischen Auseinandersetzungen verstrickt.
Er war sein großer Gegner in dem oben geschilderten tibetischen
Bürgerkrieg.
Auch nach der Flucht der beiden Hierarchen aus
Tibet war diese Rivalität nicht beendet. Von Anfang an (seit Ende der 60er
Jahre) hatte die Kagyüpa Sekte im Westen einen
unvergleichlich höheren Zulauf als die orthodoxen Gelbmützen: die Rotmützen
galten als jung, dynamisch, unkompliziert, ungezwungen und kosmopolitisch.
Das unkonventionelle Auftreten des Kagyü Tulkus Chögyum Trungpa, der sich in den 70ern voll mit der
künstlerischen Avantgarde Europas und Amerikas identifizierte, war auch für
viele andere Meister der Sekte vorbildlich. Westliche Schüler des
Buddhismus bevorzugten bis Mitte der 80er auf jeden Fall den roten Orden.
Hier bildete sich ihrer Ansicht nach eine autonome von traditionellen
Fixierungen unabhängige Gegenkraft heraus, zumindest traten die Kagyüpa so nach außen hin auf. Sie entwickelten sich zu
einer machtvollen Konkurrenz der Gelugpa, die
ebenfalls versuchten im Westen Proselyten zu gewinnen.
Das wird unter anderem der Grund dafür gewesen
sein, weshalb sich der Kundun mit dem
"verhassten" China auf den Kandidaten Situ Rinpoches,
Ugen Thinley,
geeinigt hat, der sich auf chinesischem Hoheitsgebiet im Kloster Tsurphu aufhält. Auf der westlichen Politikbühne ist er
für den Dalai Lama oder dessen Nachfolger keinerlei Konkurrenz. Man kann
das Oberhaupt der Rotmützen schwer besuchen und ohne chinesische
Genehmigung wird der Hierarch kaum ausreisen
dürfen. In diesem Fall decken sich also die Interessen des Kunduns mit denen Beijings. Für beide ist es
machtpolitisch sinnvoll, dass der Karmapa nicht
primär im Westen tätig wird.
Ein mehr westlich orientierter Karmapa
wäre vor allem für die globalen Machtansprüche des Kunduns
gefährlich. Es kann nur einen Weltenherrscher (Chakravartin)
geben! Dagegen können ihm, als dem lachenden Dritten, zwei miteinander
konkurrierende und sich gegenseitig schwächende Karmapa
auf seinem Weg zur Alleinherrschaft nur recht sein. Deswegen wurde auch von
Dharamsala der Versuch abgelehnt, beide
Kandidaten als zwei Verkörperungen Karmapa
anzuerkennen. Diese "Aufspaltung" eines Tulku
in zwei Persönlichkeiten ist der Doktrin nach möglich. Bertolucci behandelt
sie in seinem Film Little Buddha.
[Die Situation hat sich nach der Flucht des Karmapa geändert. Jedenfalls belassen die Jugend von Ugen Thinley und dessen
Konkurrenz mit dem Karmapa des Shamar Rinpoche dem Dalai
Lama erst einmal die volle Machtkompetenz. Im Kampf gegen die Shugden Fraktion wird ihm eine Dominanz über den
höchsten Kagyüpa Repräsentanten zugute kommen. Wie wir oben erwähnt haben, wird in der
westlichen Presse darüber diskutiert, ob der neue Karmapa
die charismatische Nachfolge des XIV Dalai Lama antreten kann.]
Die offenkundige machtpolitische Konkurrenz des
Dalai Lama mit dem Karmapa wird auch der Grund
dafür gewesen sein, dass sich in westlichen Kagyüpa
Kreisen lange das Gerücht gehalten hat, der Kundun
habe den XVI Karmapa durch magische Praktiken
ermordet. (Tibetan Review, August 1987, 21)
Bei diesem "Mordvorwurf" kommt einem
nicht nur der tibetische Bürgerkrieg [siehe oben] sondern auch eine andere
mysteriöse Geschichte in Erinnerung: Nach dem Tode des XV Karmapa (1922) wollte ein machtvoller Gelugpa Minister gegen den Willen der Rotmützen die
Anerkennung seines eigenen Sohnes als die folgende Inkarnation des Kagyüpa Hierarchen durchsetzen. Diese autokratische
Entscheidung wurde vom XIII Dalai Lama anerkannt und man zwang die Mönche
des Stammklosters Tsurphu gegen ihren Willen den
Knaben der Gelbmützen zu akzeptieren. Es dauerte aber nicht lange, sich das
Kind auf ungeklärte Weise vom Dach eines Gebäudes zu Tode stürzte. Es kam
nie zu einer Aufklärung des "Unfalls", auf jeden Fall kam er dem
genuinen Kandidaten der Rotmützen zugute, der jetzt als der XVI Karmapa anerkannt wurde.
Die offizielle Geschichtsschreibung der Gelugpa wirft übrigens der 10. Inkarnation des Shamar Rinpoche vor, sie habe
im 18. Jahrhundert einen Krieg der Nepalesen gegen Lhasa
angezettelt. Man ließ daraufhin seine Besitztümer schleifen oder
beschlagnahmte sie. Eine künftige Wiederverkörperung des Großabtes wurde
von den Gelbmützen nicht akzeptiert. "Verdienst bedeutete immer
weniger!" - kommentierte der XVI Karmapa diese
Periode - "Es gab viele politische Zusammenstöße. Schwarz wurde weiß.
Das Reale wurde unwirklich. Zu dieser Zeit war es praktisch nicht sinnvoll,
irgendeinen Shamarpa anzuerkennen oder zu
inthronisieren. Alles musste insgeheim geschehen. Die Inkarnationen
erschienen, aber wurden nicht öffentlich bekannt gemacht." Erst im
Jahre 1964 erlaubte der XIV Dalai Lama nach einer langen Meditation und
aufgrund von Träumen die offizielle Wiedereinsetzung der Shamarpa Linie. Der Kundun
hätte wissen müssen, dass sich nach der eigenen Doktrin die Geschichte
wiederholt und dass alte Konflikte nicht nur wiederaufleben, sondern dass
sich nach dem Inkarnationsgesetz immer wieder dieselben Personen (hier Shamarpa versus Dalai Lama) gegenüberstehen.
Entsprechend sind heute die Beziehungen des
Gottkönigs zu den Nepalesen wiederum sehr gespannt. Nepal baut seit
mehreren Jahren gute Kontakte zu seinem Nachbarland China auf und hat
zurzeit (1998) eine "kommunistische" Regierung. Tibetische
Flüchtlinge werden ständig aus dem Lande gewiesen. Es gab in der
Vergangenheit mehrere bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der
Königlich Nepalesischen Armee und tibetischen Untergrundkämpfern (ChuShi GangDrug).
Bevormundungen der "Roten
Sekte" (Kagyüpa) und der Versuch, sie zu
spalten, werden dem Dalai Lama und den Gelugpa
auch von Regierungskreisen aus dem Königreich Bhutan vorgeworfen. Die
sogenannte "Schweiz des Himalaya" und ihr Herrscherhaus (das
heute mit dem Shamarpa kooperiert) gehören
traditionell der Kagyüpa Schule an und hatten
deswegen mit Lhasa seit Jahrhunderten zum Teil
sehr ernste Streitereien. Den Gelbmützen Klöstern und ihren Äbten, die seit
den 60er Jahren als Flüchtlingsstätten im Lande geduldet wurden, werfen die
Buthanesen kein geringeres Verbrechen vor als die
politisch-motivierte Ermordung des Premier Ministers Jigme
Dorji (1964) und eine von langer Hand geplante
Revolte, um die Macht im Lande an sich zu reißen. Dabei soll seitens der
"Gelbmützen" der Versuch unternommen worden sein, den buthanesischen Thronfolger zu liquidieren. In dieses
vor seiner Vollendung aufgedeckte Attentat sei neben einer Mätresse des
Königs, die unter dem Einfluss der Gelugpas
stand, auch der Bruder des Dalai Lama, Gyalo Thondrup, verwickelt gewesen. Es ist angesichts solcher
Anschuldigungen ohne weiteres zu verstehen, weshalb sich die Buthanesen im Streit um den neuen Karmapa
hinter die Entscheidung Shamar Rinpoches gestellt haben und Ugen
Thinley, den von Dharamsala
bestätigten Kandidaten von Situ Rinpoche, als
eine Marionette des Dalai Lama ablehnen. (Der Schatten des Dalai Lama,
S. 473 - 474)
RETING
RINPOCHE
Der Vorinkarnation
des 1997 verstorbenen Reting Rinpoche
spielte in der tibetischen Politik eine schillernde Rolle. Er war Regent,
fand die Inkarnation des jetzigen Dalai Lama und kollaborierte mit den
Chinesen. Hier eine Passage aus unserem Buch Der Schatten des Dalai Lama:
Reting Rinpoche entdeckt den XIV Dalai Lama
Nach dem Tode des XIII Dalai Lama sah der damalige
Regent (Reting Rinpoche)
in einem See, welcher der Schutzgöttin Palden
Lhamo geweiht war, geheimnisvolle Buchstaben,
die zusammen mit anderen Visionen darauf hinwiesen, dass sich die neue
Inkarnation des Gottkönigs im Nordosten des Landes in der Provinz Amdo befinde. Eine Suchkommission wurde in Lhasa ausgerüstet und machte sich auf die beschwerliche
Reise. In einer Hütte des Dorfes Takster soll
einem der Komissionäre ein kleiner Knabe entgegen
gelaufen sein und die Halskette des XIII Dalai Lama, die dieser in Händen
hielt, verlangt haben. Der Mönch weigerte sich und wollte sie nur geben,
wenn das Kind sage, wer er sei. "Ihr seid ein Lama aus Sera!" -
soll der Knabe im Dialekt, der nur in Lhasa
gesprochen wurde, gerufen haben. Aus den ihm vorgelegten Gegenständen
wählte er anschließend diejenigen seines Vorgängers aus; die anderen legte
er zur Seite. Auch die durchgeführte körperliche Untersuchung des Kindes
zeigte die notwendigen fünf Merkmale, die einen Dalai Lama auszeichnen:
Abdruck einer Tigerhaut auf dem Schenkel; verlängerte Augenwimpern mit
gekrümmten Wimpern; große Ohren; zwei Fleischauswüchse auf den Schultern,
welche zwei rudimentäre Arme des Avalokiteshvara
darstellen sollen; Abdruck einer Muschel auf der Hand. (Der Schatten des
Dalai Lama, S. 456)
Reting Rinpoche und der mysteriöse Tod des Dalai Lama Vaters
Das frühe Leben des jungen Dalai Lama verlief alles
andere als friedlich. Sein Umfeld war in den 40er Jahren in gewaltsame und
blutige Auseinandersetzungen verwickelt, die keineswegs immer auf das Konto
der Chinesen gingen. Obschon der damalige Regent, Entdecker und erste
Lehrer des Gottkönigs, Reting Rinpoche,
1941 die Regierungsgeschäfte an seinen Nachfolger Taktra
Rinpoche übertragen hatte, wollte er später die
verlorene Macht für sich zurückgewinnen. Seit 1945 kam es deswegen zu immer
schärfer werdenden Dissonanzen zwischen der tibetischen Regierung und dem
Ex-Regenten. Zu dessen getreuen Anhängern zählte auch der ungehobelte und
durch seine Eskapaden landesweit gefürchtete Vater des Dalai Lama, Choekyong Tsering. 1947 starb
dieser plötzlich als 47jähriger an einer Mahlzeit. Nicht nur Gyalo Thondup, ein Bruder des
Kunduns, ist davon überzeugt, dass er von
Regierungskreisen vergiftet wurde.
Kurz nach dem Giftmord entschied sich Reting Rinpoche zu einer
offenen Rebellion. Seine Anhänger versuchten, den Regenten Taktra zu ermorden, und gingen die Chinesen um Waffen
und Munition an. Sie wurden aber bald von den tibetischen Regierungstruppen
überwältigt, die den Ex- Regenten gefangen nahmen. Mönche des Klosters Sera
eilten diesem zur Hilfe. Zuerst ermordeten sie ihren Abt, einen Anhänger Taktras. Dann stürmten sie unter der Führung eines
18jährigen Lamas, Tsenya Rinpoche,
der als die Inkarnation einer zornvollen Schutzgottheit (Dharmapala) anerkannt war und von seinen Mitmönchen als "Kriegsführer" bezeichnet
wurde, nach Lhasa, um Reting
Rinpoche zu befreien. Auch dieser Aufstand
zerfiel aber unter dem Artilleriefeuer der Regierungstruppen. Mindestens
200 Sera Mönche kamen in diesem "Bürgerkrieg" der Mönche ums
Leben. Retings Residenz wurde dem Erdboden
gleichgemacht.
Bald darauf klagte man ihn wegen Hochverrats an,
erklärte ihn für schuldig und warf ihn in die berüchtigten Kerker des Potala. Er soll grausam gefoltert und später erdrosselt
worden sein. Andere berichten, man habe ihn vergiftet. Einem hohen Beamten,
der mit den Aufständischen sympathisiert haben soll, wurden die Augballen ausgedrückt. Wie grausam und quälend die
Atmosphäre dieser Zeit war, beschrieb später ein tibetischer Flüchtling
(!): "Rivalität, interne Streitereien, Korruption, Nepotismus - es war
dekadent und schrecklich. Alles wurde zu einer Angelegenheit von Show, von
Zeremonien, von Wettrennen nach gesellschaftlichen Positionen." (Der
Schatten des Dalai Lama, S. 590)
Scorceses
"Kundun" und Reting
Rinpoche
Scorseses Film "Kundun",
dessen Drehbuch vom Dalai Lama selber redigiert wurde, ist ein
exiltibetisches Propagandawerk, das in zahlreichen Szenen die jüngste
Geschichte Tibets verfälscht, beziehungsweise verzerrt. Von der Hilfe des
CIA bei der Flucht des Kunduns ist mit
keinem Wort die Rede; dass sein Vater von politischen Fraktionen vergiftet
wurde, dass der ehemalige Regent Reting Rinpoche brutal im Potala
erdrosselt wurde, dass damals mindestens 200 Mönche aus dem Drepung Kloster, die Reting Rinpoche aus dem Gefängnis befreien wollten, unter den
Maschinengewehren der tibetischen Armee starben - all das wird verschwiegen
oder falsch dargestellt. Mao Dzedong erscheint
als dekadenter Riese mit der Austrahlung eines
adeligen Spielcasinobesitzers. Sogar in seiner eigenen Biographie schreibt
der Kundun, dass er Mao sehr bewundert
habe, im Film dagegen begegnet er dem "Großen Vorsitzenden" mit
der ständigen fast misstrauischen Achtsamkeit eines jungen, wenn auch noch
etwas unerfahrenen, spirituellen Meisters. (Der Schatten des Dalai Lama,
S. 771)
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