Trimondi Online Magazin

Kritische Auseinandersetzung mit dem Buddhismus

 

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BUDDHISMUSDEBATTE

Zahlreiche Artikel zum Lamaismus finden Sie auch unter den Segmenten Hitler-Buddha-Krishna und Kritisches Forum Kalachakra. Siehe ebenfalls: Presseberichte und Interviews.

Karmapa und Reting Rinpoche

1. - BÜRGERKRIEG ZWISCHEN DEM V. DALAI LAMA UND DEM X. KARMAPA

2. - DIE KARMAPA AFFÄRE

3. - RETING RINPOCHE


Die jetzt schon mythisierte Flucht des vom XIV Dalai Lama und von den Chinesen anerkannten 17. Karmapa, Ugyen Thinley Dorje, hat viele Fragen aufgeworfen. Weshalb konnte die Flucht von Peking nicht verhindert werden? Welches sind die Interessen des XIV Dalai Lama an dieser Flucht? Was bedeutet das Ereignis für die Entwicklung der Beziehungen zwischen China und der tibetischen Exilregierung in Dharamsala? Wie wird sich das Verhältnis zu dem konkurrierenden Karmapa hier im Westen gestalten?

Ugyen Thinley Dorje schien zuerst voll im chinesischen Sinne zu funktionieren. Im Oktober 1995 zum Beispiel war der einstige Nomadenjunge der Hauptgast bei den Nationalfeiertagen in Beijing und bedeutende Führer der chinesischen Regierung unterhielten sich mit ihm. Die nationale Presse berichtete ausführlich über seine anschließende Reise durch China, die für den Hierarchen organisiert wurde. Er soll ausgerufen haben: "Lang lebe die Volksrepublik China!" Aber was sich hinter den Kulissen abspielte, wissen wir nicht. Die Geschichte der vergangenen Karmapa läßt kaum einen Zweifel darüber aufkommen, dass es dabei um Machtspiele ging und geht.

Mittlerweile erweist sich Ugyen Trinley Dorje jedoch als gefügige Marionette in den Händen des Herrschers aus Dharamsala. (Spiegelinterview vom 7.05.01: "Der Menschheit dienen") Kurz nach seiner Flucht war im Time Magazine noch von ihm zu lesen: "Er hat das Potential die Leitfigur für die nächste Generation zu werden, wie dies der Dalai Lama für die jetzige ist." Im Spiegelinterview aber verzichtet der 15-jährige ganz und gar auf seine spirituelle und politische Führungsrolle und auch auf einen westlichen Studienabschluss, der ihm die Augen öffnen könnte für die Ungereimtheiten des tibetischen Systems. "Es gibt sehr viele gelehrtere, spirituell weiter entwickelte und politisch erfahrenere Lamas als mich. Trotz meines Titels - diese Mönche sind für eine politische Rolle besser geeignet." Im übrigen erkennt man im ganzen Sprachjargon des Mönchsteenies, das er vorher genau indoktrinierte Antworten eines erfahrenen über 60 Jahre alten Politikers und Diplomaten zum besten gibt. Das ganze Szenario ist die Fortsetzung des religionspolitischen Powerplays, das den Lamaismus von seinen Anfängen an bestimmt hat und über das im faszinierten, uninformierten Westen kaum berichtet wird.

Diesem Machtspiel um die lamaistischen Wiedergeburten des kommenden Millenniums wird ein neuer Akt hinzugefügt. Am 17. Jan. 2000 berichtete die South China Morning Post, dass die Chinesen eine Inkarnation des Reting Rinpoche, der im Februar 1997 starb, entdeckt hätten. Dem zweijährigen Junge wurde ein buddhistischer Name gegeben und man ordinierte ihn vor einer Statue im Jokhang Tempel (Lhasa). Die Zeremonie fand in Anwesenheit von chinesischen Parteifunktionären statt. Reting Rinpoche gilt als einer der wenigen Lamas, die nach dem Tode des Dalai Lama und bis zur Volljährigkeit von dessen Wiedergeburt die Regentschaft übernehmen können. Deswegen ist die Ernennung des Jungen durch Peking eine höchst politische Provokation und Dharamsala wird entsprechend heftig reagieren.

Bemerkenswert ist, dass Beijing immer weniger versucht, über die Geschichte und die Grundlehren des tibetischen Buddhismus aufzuklären, sondern bewusst und zielstrebig einen "Konkurrenz Lamaismus" oder "Alternativ Lamaismus" aufbaut und fördert. Eine solche Entwicklung halten wir für äußerst problematisch! Bei der lamaistischen Lehre handelt es sich um ein religiöses System, das im Kern von den Personen unabhängig ist, welche es praktizieren. Es ist als solches nicht mit humanpolitischen Grundsätzen des Westens vereinbar, ob es die Billigung Chinas hat oder nicht. Das haben wir in unserem Buch ausführlich nachgewiesen. Wir haben dort auch auf die Gefahren aufmerksam gemacht, welche von einem durch die Chinesen unterstützten Lamaismus für den Weltfrieden ausgehen könnten. (Der Schatten des Dalai Lama, S. 707 ff.)

Anderseits lässt das aktuelle Inkarnationsgerangel die ungeschminkten Machtinteressen aller Beteiligten offen zutage treten. Ein Grund mehr, endlich aus den Shangri-La Träumen aufzuwachen und sich mit den Hintergründen des Lamaismus auseinander zusetzen. Wir drucken hier einige Passagen aus unserem Buch ab, die sich mit dem Karmapa und mit Reting Rinpoche beschäftigen.


BÜRGERKRIEG ZWISCHEN DEM V. DALAI LAMA UND DEM X. KARMAPA

Während die Gelugpa [deren Oberhaupt der Dalai Lama ist] schon sehr früh mit den Mongolen zusammenarbeiteten und diese als ihre Schutzmacht ansahen, können wir die Kagyüpa mit dem Karmapa an der Spitze mehr oder weniger als die nationaltibetischen Kräfte bezeichnen (zumindest bis zum 17. Jh.). Schon der erste Dalai Lama war in kriegerische Scharmützel mit den "Rotmützen" (Kagyüpa) verwickelt. 150 Jahre später hatten sie, von dem Fürsten Tsang unterstützt, ihre Machtstellung so ausgebaut, dass die Gelugpa um Gut und Leben zittern mussten. Tsang nahm in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts Lhasa ein und übergab den Heiligen Tempel, den Jokhang, an die Priester der "Roten". Selbst das mächtige Gelugpa Kloster Drepung fiel unter seinem Ansturm. Während dieser Kämpfe soll ein missglückter Mordanschlag auf den V Dalai Lama durchgeführt worden sein. An seiner Stelle erschlug man jedoch seine leibliche Mutter.

Der "Gelbe Orden" konnte nur noch durch eine äußere Intervention gerettet werden. Es lag also nichts näher, als dass der "Große Fünfte" demonstrativ nach dem mongolischen Titel "Dalai Lama" griff, um dadurch die kriegerischen Nomadenstämme aus dem Norden zu bewegen, Tibet zu erobern und zu besetzen. Dieses staatspolitische Kalkül ging voll auf.

In seiner höchsten Not gelang es dem "Großen Fünften", sich mit Gushri Khan (1582 - 1654), dem Chef der Oirat Mongolen, zu verbinden. Der Khan fiel mit einer Zehntausendschaft in das "Schneeland" ein. Es kam zu einem blutigen "Bürgerkrieg", in dem sich zwar auf freiem Felde zwei weltliche Herrscher, der König von Tsang und Gushri Khan gegenüber standen, hinter denen sich jedoch die beiden mächtigsten Mönchshierarchen des Landes als die wirklichen Kräfte verbargen, der "Dalai Lama" und der "Karmapa", der einflussreichste Kirchenfürst im Kreise der Rotmützen.

Es ging bei diesem Bürgerkrieg um mehr als um die weltliche Macht. Man kämpfte entsprechend den tantrischen Obsessionen, von denen beide Parteien getrieben wurden, um den Weltenthron und die Herrschaft über den Zeitgeist. (Auch die "Rotmützen" praktizieren das Kalachakra Tantra). Während der Kämpfe besuchte der Dalai Lama das Kloster Ganden und erblickte dort oberhalb eines Altars das riesige, grinsende und schwarze Gesicht eines Dämons, in dessen aufgerissenes Maul viele menschlichen Köpfe hineinflogen. Diese Vision deutete er als den endgültigen Sieg über den Kagyüpa Orden.

Gushri Khan intervenierte entsprechend den Gesetzen seiner Ahnen mit rücksichtsloser Gewalt. Innertibet wurde durch ihn - nach einer Schrift der Kagyüpa - "in ein Land der Hungergeister verwandelt, wie die Herrschaftsgebiete des Totengottes." Erinnern wir uns daran, dass der Dalai Lama als eine Inkarnation des Avalokiteshvara auch den Totengott Yama repräsentiert. Der Mongole (Gushri Khan) befahl, die Anführer der Gegenseite in Fellsäcke zu nähen und zu ertränken. Im Jahre 1642 war der Rote Orden nach heftigen Widerständen endgültig besiegt. Viele Kagyüpa wurden aus ihren Klöstern vertrieben und diese in Stätten der Gelbmützen umgewandelt, so wie es vorher umgekehrt geschehen war. Eine Massenflucht war die Folge. Teile der besiegten Rotmützen wanderten nach Sikkim und Bhutan aus und verbanden sich mit den dortigen Dynastien.

Doch ließ sich der "Große Fünfte" (V. Dalai Lama) als intelligenter Despot nicht von Rachegefühlen hinreißen. Er wusste aus der Geschichte, dass die verschiedenen Fraktionen der Kagyüpa keine einheitliche Front bildeten. So überschüttete er nach der Festigung seiner Herrschaft einige von ihnen mit hohen Ehren und trieb damit Keile in ihre Reihen. Aber er ging noch einen Schritt weiter. Er drang nämlich in die Mysterien der Rotmützen ein, indem er von ihnen den "nationalen" Bodhisattva Avalokiteshvara (Chenrezi) als seinen persönlichen Inkarnationsgott übernahm. Diese Aneignung war - wie wir schon gezeigt haben - ein politisches Meisterstück. (Der Schatten des Dalai Lama, S. 463 - 465)

"Voodoo" gegen die Kagyüpa

Im Klostertempel von Ganden soll der "Große Fünfte" eine Art "Voodoo" Ritual zur Niederwerfung der Kagyüpa und der Tsang Sippe vollzogen haben. Er betrachtete sie, "deren Geist durch Mara und durch ihre Devotion gegenüber dem Karmapa verblendet war" als Feinde der Lehre. Bei dem Ritual wurde ein Abbild des Fürsten von Tsang in der Form eines Torma (Teigkuchens) benutzt. In die Teigfigur hineingearbeitet waren das Blut eines im Kampfe gefallenen Jünglings, Menschenfleisch, Bier, Gift und so weiter. (Der Schatten des Dalai Lama, S. 565)


DIE KARMAPA AFFÄRE

Ein spektakuläres Beispiel dafür, wie der Kundun [der Dalai Lama] aus der Spaltung anderer Sekten seine Vorteile zieht, ist die sogenannte "Karmapa Affäre". In den turbulenten Ereignissen, welche sich seit Beginn der 90er Jahre zwischen verschiedenen Fraktionen der Kagyüpa Sekte abspielten, ging es um radikale Konfrontationen und Gerichtsprozesse, um brutale Schlägereien und gegenseitige Mordvorwürfe.

Ursache für diese unbuddhistische Auseinandersetzung war, dass sich bei der Auffindung der 17. Inkarnation des neuen Karmapa, des Führers der Kagyüpa, zwei Hauptkandidaten und deren Befürworter gegenüberstanden - auf der einen Seite Situ Rinpoche und Gyaltsab Rinpoche, die sich für einen Jungen in Tibet einsetzten, auf der anderen Seite Shamar Rinpoche, der einen Knaben in Indien vorschlug. Ein dritter Abt Jamgon Kongtrol Rinpoche, dessen Stimme bei der Auswahl von großem Gewicht gewesen wäre, hatte kurz vor der Entscheidung einen mysteriösen, tödlichen Autounfall erlitten. Bald darauf warfen sich die übriggebliebenen Konkurrenten gegenseitig vor, die jeweils andere Partei habe durch magische Manipulation den Tod von Jamgon Kongtrol herbeigeführt. Es kam in Indien zu handfesten Streitigkeiten und blutigen Köpfen zwischen den beiden Mönchsfraktionen, selbst Schüsse wurden aufeinander abgegeben, so dass die indische Polizei eingreifen mußte.

Als seinen Karmapa Kandidaten repräsentierte Situ Rinpoche einen sino- tibetischen Knaben (Ugen Thinley), der auch die Unterstützung des Kunduns und der tibetischen Exilregierung fand. Shamar Rinpoche dagegen stellte am 17. März 1994 in Delhi seinen eignen Karmapa der Öffentlichkeit vor. Seit dieser Zeit geht durch die Kagyüpa Linie ein großer Riß, von dem auch die zahlreichen Gruppierungen westlicher Gläubiger betroffen sind. Oberflächlich konnte man den Eindruck gewinnen, als repräsentiere Situ Rinpoche den asiatischen und Shamar Rinpoche den europäisch- amerikanischen Teil der Rotmützen Anhänger. Das erweist sich jedoch bei einer näheren Hinsicht als eine Fehleinschätzung, denn Shamar Rinpoche baute im Königreich Bhutan eine beachtliche Hausmacht auf und Situ Rinpoche hat für seinen Kandidaten auch im Westen viele Befürworter. Es gibt nur noch wenige Gruppierungen, die zwischen den beiden Rivalen vermitteln wollen. Aber man weiß sehr wohl, was bei diesen grundsätzlichen Differenzen für die Kagyüpa Linie auf dem Spiel steht. Am Ende eines offenen Briefes von "neutralen" Rotmützenäbten ist zu lesen: "Wenn die Differenzen weiter andauern, dann ist sicher, dass keine Seite da als 'Gewinner' oder als 'Verlierer' herauskommen wird. Der einzige Verlierer wird die Karmapa Kagyüpa Linie als ganze sein."

Diese Spaltung der Kagyüpa aber kommt dem Dalai Lama zu Nutzen. Seit jeher in der tibetischen Geschichte war der Karmapa der Hauptkonkurrent des Kunduns und schon mehrmals mit Lhasa in kriegerischen Auseinandersetzungen verstrickt. Er war sein großer Gegner in dem oben geschilderten tibetischen Bürgerkrieg.

Auch nach der Flucht der beiden Hierarchen aus Tibet war diese Rivalität nicht beendet. Von Anfang an (seit Ende der 60er Jahre) hatte die Kagyüpa Sekte im Westen einen unvergleichlich höheren Zulauf als die orthodoxen Gelbmützen: die Rotmützen galten als jung, dynamisch, unkompliziert, ungezwungen und kosmopolitisch. Das unkonventionelle Auftreten des Kagyü Tulkus Chögyum Trungpa, der sich in den 70ern voll mit der künstlerischen Avantgarde Europas und Amerikas identifizierte, war auch für viele andere Meister der Sekte vorbildlich. Westliche Schüler des Buddhismus bevorzugten bis Mitte der 80er auf jeden Fall den roten Orden. Hier bildete sich ihrer Ansicht nach eine autonome von traditionellen Fixierungen unabhängige Gegenkraft heraus, zumindest traten die Kagyüpa so nach außen hin auf. Sie entwickelten sich zu einer machtvollen Konkurrenz der Gelugpa, die ebenfalls versuchten im Westen Proselyten zu gewinnen.

Das wird unter anderem der Grund dafür gewesen sein, weshalb sich der Kundun mit dem "verhassten" China auf den Kandidaten Situ Rinpoches, Ugen Thinley, geeinigt hat, der sich auf chinesischem Hoheitsgebiet im Kloster Tsurphu aufhält. Auf der westlichen Politikbühne ist er für den Dalai Lama oder dessen Nachfolger keinerlei Konkurrenz. Man kann das Oberhaupt der Rotmützen schwer besuchen und ohne chinesische Genehmigung wird der Hierarch kaum ausreisen dürfen. In diesem Fall decken sich also die Interessen des Kunduns mit denen Beijings. Für beide ist es machtpolitisch sinnvoll, dass der Karmapa nicht primär im Westen tätig wird.

Ein mehr westlich orientierter Karmapa wäre vor allem für die globalen Machtansprüche des Kunduns gefährlich. Es kann nur einen Weltenherrscher (Chakravartin) geben! Dagegen können ihm, als dem lachenden Dritten, zwei miteinander konkurrierende und sich gegenseitig schwächende Karmapa auf seinem Weg zur Alleinherrschaft nur recht sein. Deswegen wurde auch von Dharamsala der Versuch abgelehnt, beide Kandidaten als zwei Verkörperungen Karmapa anzuerkennen. Diese "Aufspaltung" eines Tulku in zwei Persönlichkeiten ist der Doktrin nach möglich. Bertolucci behandelt sie in seinem Film Little Buddha.

[Die Situation hat sich nach der Flucht des Karmapa geändert. Jedenfalls belassen die Jugend von Ugen Thinley und dessen Konkurrenz mit dem Karmapa des Shamar Rinpoche dem Dalai Lama erst einmal die volle Machtkompetenz. Im Kampf gegen die Shugden Fraktion wird ihm eine Dominanz über den höchsten Kagyüpa Repräsentanten zugute kommen. Wie wir oben erwähnt haben, wird in der westlichen Presse darüber diskutiert, ob der neue Karmapa die charismatische Nachfolge des XIV Dalai Lama antreten kann.]

Die offenkundige machtpolitische Konkurrenz des Dalai Lama mit dem Karmapa wird auch der Grund dafür gewesen sein, dass sich in westlichen Kagyüpa Kreisen lange das Gerücht gehalten hat, der Kundun habe den XVI Karmapa durch magische Praktiken ermordet. (Tibetan Review, August 1987, 21)

Bei diesem "Mordvorwurf" kommt einem nicht nur der tibetische Bürgerkrieg [siehe oben] sondern auch eine andere mysteriöse Geschichte in Erinnerung: Nach dem Tode des XV Karmapa (1922) wollte ein machtvoller Gelugpa Minister gegen den Willen der Rotmützen die Anerkennung seines eigenen Sohnes als die folgende Inkarnation des Kagyüpa Hierarchen durchsetzen. Diese autokratische Entscheidung wurde vom XIII Dalai Lama anerkannt und man zwang die Mönche des Stammklosters Tsurphu gegen ihren Willen den Knaben der Gelbmützen zu akzeptieren. Es dauerte aber nicht lange, sich das Kind auf ungeklärte Weise vom Dach eines Gebäudes zu Tode stürzte. Es kam nie zu einer Aufklärung des "Unfalls", auf jeden Fall kam er dem genuinen Kandidaten der Rotmützen zugute, der jetzt als der XVI Karmapa anerkannt wurde.

Die offizielle Geschichtsschreibung der Gelugpa wirft übrigens der 10. Inkarnation des Shamar Rinpoche vor, sie habe im 18. Jahrhundert einen Krieg der Nepalesen gegen Lhasa angezettelt. Man ließ daraufhin seine Besitztümer schleifen oder beschlagnahmte sie. Eine künftige Wiederverkörperung des Großabtes wurde von den Gelbmützen nicht akzeptiert. "Verdienst bedeutete immer weniger!" - kommentierte der XVI Karmapa diese Periode - "Es gab viele politische Zusammenstöße. Schwarz wurde weiß. Das Reale wurde unwirklich. Zu dieser Zeit war es praktisch nicht sinnvoll, irgendeinen Shamarpa anzuerkennen oder zu inthronisieren. Alles musste insgeheim geschehen. Die Inkarnationen erschienen, aber wurden nicht öffentlich bekannt gemacht." Erst im Jahre 1964 erlaubte der XIV Dalai Lama nach einer langen Meditation und aufgrund von Träumen die offizielle Wiedereinsetzung der Shamarpa Linie. Der Kundun hätte wissen müssen, dass sich nach der eigenen Doktrin die Geschichte wiederholt und dass alte Konflikte nicht nur wiederaufleben, sondern dass sich nach dem Inkarnationsgesetz immer wieder dieselben Personen (hier Shamarpa versus Dalai Lama) gegenüberstehen.

Entsprechend sind heute die Beziehungen des Gottkönigs zu den Nepalesen wiederum sehr gespannt. Nepal baut seit mehreren Jahren gute Kontakte zu seinem Nachbarland China auf und hat zurzeit (1998) eine "kommunistische" Regierung. Tibetische Flüchtlinge werden ständig aus dem Lande gewiesen. Es gab in der Vergangenheit mehrere bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Königlich Nepalesischen Armee und tibetischen Untergrundkämpfern (ChuShi GangDrug).

Bevormundungen der "Roten Sekte" (Kagyüpa) und der Versuch, sie zu spalten, werden dem Dalai Lama und den Gelugpa auch von Regierungskreisen aus dem Königreich Bhutan vorgeworfen. Die sogenannte "Schweiz des Himalaya" und ihr Herrscherhaus (das heute mit dem Shamarpa kooperiert) gehören traditionell der Kagyüpa Schule an und hatten deswegen mit Lhasa seit Jahrhunderten zum Teil sehr ernste Streitereien. Den Gelbmützen Klöstern und ihren Äbten, die seit den 60er Jahren als Flüchtlingsstätten im Lande geduldet wurden, werfen die Buthanesen kein geringeres Verbrechen vor als die politisch-motivierte Ermordung des Premier Ministers Jigme Dorji (1964) und eine von langer Hand geplante Revolte, um die Macht im Lande an sich zu reißen. Dabei soll seitens der "Gelbmützen" der Versuch unternommen worden sein, den buthanesischen Thronfolger zu liquidieren. In dieses vor seiner Vollendung aufgedeckte Attentat sei neben einer Mätresse des Königs, die unter dem Einfluss der Gelugpas stand, auch der Bruder des Dalai Lama, Gyalo Thondrup, verwickelt gewesen. Es ist angesichts solcher Anschuldigungen ohne weiteres zu verstehen, weshalb sich die Buthanesen im Streit um den neuen Karmapa hinter die Entscheidung Shamar Rinpoches gestellt haben und Ugen Thinley, den von Dharamsala bestätigten Kandidaten von Situ Rinpoche, als eine Marionette des Dalai Lama ablehnen. (Der Schatten des Dalai Lama, S. 473 - 474)


RETING RINPOCHE

Der Vorinkarnation des 1997 verstorbenen Reting Rinpoche spielte in der tibetischen Politik eine schillernde Rolle. Er war Regent, fand die Inkarnation des jetzigen Dalai Lama und kollaborierte mit den Chinesen. Hier eine Passage aus unserem Buch Der Schatten des Dalai Lama:

Reting Rinpoche entdeckt den XIV Dalai Lama

Nach dem Tode des XIII Dalai Lama sah der damalige Regent (Reting Rinpoche) in einem See, welcher der Schutzgöttin Palden Lhamo geweiht war, geheimnisvolle Buchstaben, die zusammen mit anderen Visionen darauf hinwiesen, dass sich die neue Inkarnation des Gottkönigs im Nordosten des Landes in der Provinz Amdo befinde. Eine Suchkommission wurde in Lhasa ausgerüstet und machte sich auf die beschwerliche Reise. In einer Hütte des Dorfes Takster soll einem der Komissionäre ein kleiner Knabe entgegen gelaufen sein und die Halskette des XIII Dalai Lama, die dieser in Händen hielt, verlangt haben. Der Mönch weigerte sich und wollte sie nur geben, wenn das Kind sage, wer er sei. "Ihr seid ein Lama aus Sera!" - soll der Knabe im Dialekt, der nur in Lhasa gesprochen wurde, gerufen haben. Aus den ihm vorgelegten Gegenständen wählte er anschließend diejenigen seines Vorgängers aus; die anderen legte er zur Seite. Auch die durchgeführte körperliche Untersuchung des Kindes zeigte die notwendigen fünf Merkmale, die einen Dalai Lama auszeichnen: Abdruck einer Tigerhaut auf dem Schenkel; verlängerte Augenwimpern mit gekrümmten Wimpern; große Ohren; zwei Fleischauswüchse auf den Schultern, welche zwei rudimentäre Arme des Avalokiteshvara darstellen sollen; Abdruck einer Muschel auf der Hand. (Der Schatten des Dalai Lama, S. 456)

Reting Rinpoche und der mysteriöse Tod des Dalai Lama Vaters

Das frühe Leben des jungen Dalai Lama verlief alles andere als friedlich. Sein Umfeld war in den 40er Jahren in gewaltsame und blutige Auseinandersetzungen verwickelt, die keineswegs immer auf das Konto der Chinesen gingen. Obschon der damalige Regent, Entdecker und erste Lehrer des Gottkönigs, Reting Rinpoche, 1941 die Regierungsgeschäfte an seinen Nachfolger Taktra Rinpoche übertragen hatte, wollte er später die verlorene Macht für sich zurückgewinnen. Seit 1945 kam es deswegen zu immer schärfer werdenden Dissonanzen zwischen der tibetischen Regierung und dem Ex-Regenten. Zu dessen getreuen Anhängern zählte auch der ungehobelte und durch seine Eskapaden landesweit gefürchtete Vater des Dalai Lama, Choekyong Tsering. 1947 starb dieser plötzlich als 47jähriger an einer Mahlzeit. Nicht nur Gyalo Thondup, ein Bruder des Kunduns, ist davon überzeugt, dass er von Regierungskreisen vergiftet wurde.

Kurz nach dem Giftmord entschied sich Reting Rinpoche zu einer offenen Rebellion. Seine Anhänger versuchten, den Regenten Taktra zu ermorden, und gingen die Chinesen um Waffen und Munition an. Sie wurden aber bald von den tibetischen Regierungstruppen überwältigt, die den Ex- Regenten gefangen nahmen. Mönche des Klosters Sera eilten diesem zur Hilfe. Zuerst ermordeten sie ihren Abt, einen Anhänger Taktras. Dann stürmten sie unter der Führung eines 18jährigen Lamas, Tsenya Rinpoche, der als die Inkarnation einer zornvollen Schutzgottheit (Dharmapala) anerkannt war und von seinen Mitmönchen als "Kriegsführer" bezeichnet wurde, nach Lhasa, um Reting Rinpoche zu befreien. Auch dieser Aufstand zerfiel aber unter dem Artilleriefeuer der Regierungstruppen. Mindestens 200 Sera Mönche kamen in diesem "Bürgerkrieg" der Mönche ums Leben. Retings Residenz wurde dem Erdboden gleichgemacht.

Bald darauf klagte man ihn wegen Hochverrats an, erklärte ihn für schuldig und warf ihn in die berüchtigten Kerker des Potala. Er soll grausam gefoltert und später erdrosselt worden sein. Andere berichten, man habe ihn vergiftet. Einem hohen Beamten, der mit den Aufständischen sympathisiert haben soll, wurden die Augballen ausgedrückt. Wie grausam und quälend die Atmosphäre dieser Zeit war, beschrieb später ein tibetischer Flüchtling (!): "Rivalität, interne Streitereien, Korruption, Nepotismus - es war dekadent und schrecklich. Alles wurde zu einer Angelegenheit von Show, von Zeremonien, von Wettrennen nach gesellschaftlichen Positionen." (Der Schatten des Dalai Lama, S. 590)

Scorceses "Kundun" und Reting Rinpoche

Scorseses Film "Kundun", dessen Drehbuch vom Dalai Lama selber redigiert wurde, ist ein exiltibetisches Propagandawerk, das in zahlreichen Szenen die jüngste Geschichte Tibets verfälscht, beziehungsweise verzerrt. Von der Hilfe des CIA bei der Flucht des Kunduns ist mit keinem Wort die Rede; dass sein Vater von politischen Fraktionen vergiftet wurde, dass der ehemalige Regent Reting Rinpoche brutal im Potala erdrosselt wurde, dass damals mindestens 200 Mönche aus dem Drepung Kloster, die Reting Rinpoche aus dem Gefängnis befreien wollten, unter den Maschinengewehren der tibetischen Armee starben - all das wird verschwiegen oder falsch dargestellt. Mao Dzedong erscheint als dekadenter Riese mit der Austrahlung eines adeligen Spielcasinobesitzers. Sogar in seiner eigenen Biographie schreibt der Kundun, dass er Mao sehr bewundert habe, im Film dagegen begegnet er dem "Großen Vorsitzenden" mit der ständigen fast misstrauischen Achtsamkeit eines jungen, wenn auch noch etwas unerfahrenen, spirituellen Meisters. (Der Schatten des Dalai Lama, S. 771)

 

 

 

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