MEDIEN (07)
1.
- Frankfurter Allgemeine Zeitung - "Da lacht der Lama" - 23.
Sept. 1999, S. 12 - Klaus Natorp
2.
- Der kosmische Raddreher aus dem Schneeland - (Frankfurter Allgemeine
Zeitung)
3.
- Weltmacht Dalai Lama? - Neue Zürcher Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung - 23. Sept. 1999, S. 12 - Klaus Natorp
"Da lacht der Lama"
Was ist er doch für ein Schelm,
dieser Dalai Lama. Lächelt immer freundlich, predigt aller Welt Liebe,
Toleranz und Gewaltlosigkeit, aber nur um uns alle einzulullen in unserer
naiven Gutgläubigkeit, während er doch in Wahrheit darauf aus ist, andere
Zivilisationen, vor allem westliche, mit der tibetischen Form des
Buddhismus zu unterwandern, einem "im Kern atavistischen,
fundamentalistischen, sexistischen und kriegerischen Kulturentwurf, der
eine globale Buddhokratie anstrebt.". So sehen es jedenfalls die Autoren
dieses mit wissenschaftlichem Anspruch daherkommenden Wälzers und werfen
allen, die es nicht wahrhaben wollen, Blindheit vor. Starker Tobak in
geballter Ladung. Der tibetische Buddhismus berufe sich zwar ständig auf
die "westlichen Werte" von Demokratie, Meinungsfreiheit,
Menschenrechten, Gleichberechtigung der Geschlechter und Humanismus,
schreiben Victor und Victoria Trimondi, stelle sie jedoch grundsätzlich in
Frage, denn wenn der "pazifistische Vorhang" des
"Mitgefühls" weggezogen werde, erschienen auf der
"tibetisch-buddhistischen Bühne Geisterglaube, Sexualmagie,
politischer und ritueller Mord, Kriegsideologien, Folterungen,
apokalyptische Visionen, Menschenverachtung und eine zutiefst
frauenfeindliche Kultur." Wenn dies alles richtig wäre, hätten die
chinesischen Kommunisten eigentlich gut daran getan, Tibet zu besetzen und
mit all dem aufzuräumen. Merkwürdig nur, dass die Mehrheit der Tibeter sich
partout nicht von Herrschaft des angeblich atavistischen Mönchsregimes
"befreit" fühlen will, der tibetischen Form des Buddhismus
weiterhin anhängt und den Dalai Lama auch vierzig Jahre nach seiner Flucht
immer noch als ihren geistigen und politischen Führer sieht. Da scheint
irgendetwas nicht zu stimmen mit den Schlussfolgerungen der Autoren, auch wenn
sie sich noch so große Mühe geben mit der ausführlichen Beschreibung der
diversen tantrischen Praktiken und anderer geheimer Rituale früherer
Zeiten, die den Tibetern von heute wahrscheinlich genauso fremd sind wie
Christen mittelalterliche Teufelsaustreibungen oder mit allerlei grausamen
Folterwerkzeugen erzwungene "Geständnisse" von "Hexen".
Außerdem scheinen die Verfasser die Bedeutung des tibetischen Buddhismus
als relativ kleiner Religionsgemeinschaft im Vergleich zu den viel größeren
Zweigen anderer buddhistischer Glaubensrichtungen maßlos zu überschätzen.
Ausgerechnet vom tibetischen Lamaismus sollen Pläne zur Unterwanderung
anderer Länder mit dem Endziel der Weltherrschaft geschmiedet werden?
Geradezu infam ist jener Abschnitt in dem Buch, in welchem die Trimondis
dem Dalai Lama quasi Mitschuld an den Verbrechen der japanischen Aum-Sekte
und ihres Gurus Shoko Asahara geben. Der Dalai Lama würde, wenn man ihm von
den Thesen des Autorenpaares (ihre richtigen Namen lauten Herbert und
Mariana Röttgen) berichtete, so laut lachen, wie lange nicht mehr. Und er
lacht gerne.
Unser Kommentar zu
Klaus Natorps Glosse:
Dieser Artikel von Klaus Natorp
zeigt anschaulich die Manipulierbarkeit westlicher Medienvertreter, die
sich durch das Lachen des Dalai Lama verzaubern lassen und wegen eines
buddhistischen Lächelns ihre Kritikfähigkeit und journalistische
Verantwortung aufkündigen. Da der Artikel ausschließlich polemisch ist und
inhaltlich unsere Thesen nicht überprüft, müssen wir uns damit begnügen,
Natorps eigene Logik zu hinterfragen.
Erstes Argument: Die Thesen der Trimondis vom
atavistischen Religionssystem des tibetischen Buddhismus könnten nicht
stimmen, weil der Dalai Lama so viele Anhänger unter den Tibetern hat.
Daraus ist zu schließen, dass ein politisches oder religions-politisches
System nur dann atavistisch sein kann, wenn es wenige Anhänger hat und wenn
es die Menschen emotional ablehnen? Das Gegenteil ist leider allzu oft der
Fall: Atavistische Unterdrückungssysteme wie Saudi Arabien, der Iran, Afghanistan
werden von den Massen getragen. Nächstliegendes und mahnendes Beispiel ist
jedoch der deutsche Nationalsozialismus. Dazu kommt noch, dass die
exiltibetische Community wegen des Shugden Konflikts (siehe in unserem Buch
S. 543ff) eine tiefe Spaltung erlebt, in der sich pro und anti-Dalai Lama
Fraktionen gegenüberstehen. Gerade erreicht uns die Nachricht, dass sich
verschiedene Parteien der Bevölkerung des Dorfes Rongpatsa wegen der
Shugden Frage gewalttätige Konfrontationen liefern.
Zweites Argument: Die sexualmagischen Rituale
der Tibeter spielten heute keine Rolle mehr und seien Kulturereignisse
eines längst vergessenen, finsteren Mittelalters. Das ist absurd und naiv.
Es gibt Hunderte von modernen Büchern in westlichen Sprachen, die über die
Aktualität dieser "mittelalterlichen" Riten berichten. Jeder
tibetische Lama (ebenso wie der Dalai Lama) führt ständig solche
"geheime" Rituale im Westen durch.
Drittes Argument: Der tibetische Buddhismus sei
eine Minderheit im Vergleich zu anderen buddhistischen Glaubensrichtungen.
Das stimmt - aber diese Minderheit ist im Westen am aktivsten, hat den
größten Zulauf, ist (dank Hollywood) Teil unserer popular culture
geworden und bildet auf Grund der Verflechtung mit den Machtinteressen
Chinas und der USA ein gefährliches politisches Sprengpotential. Wichtiger
ist jedoch, dass sich der tibetische Buddhismus hier als eine Alternative
zur westlichen, materialistischen Kultur anbietet. (Siehe in unserem Buch
S. 723 ff). Kleine religiöse Gruppen können heute (dank der modernen
Kommunikationstechnik) explosionsartig anwachsen. Eines der jüngsten
Beispiele ist die chinesische Falun Gong Sekte, die es innerhalb von 7
Jahren auf 60 Millionen Mitglieder gebracht haben soll. Der tibetische
Buddhismus konnte - nach eigenen Angaben - in etwas mehr als einem
Jahrzehnt, seine Anhängerschaft in Taiwan von wenigen Tausend auf eine
halbe Million erhöhen. Obgleich Herr Natorp seine Argumentationen immer
wieder aus Quantifizierbarkeiten ableitet, sagt dies auch in diesem Fall
nichts über die wirkliche Machtposition einer religions-politischen
Gruppierung aus. Der Lamaismus hat sich immer als eine elitäre Minderheit
gesehen, die autoritativ die Geschicke ihres Landes leitet. Nicht die Menge
der Anhänger ist entscheidend, sondern der reale Einfluss auf die
politischen Machtentscheidungen. Das Gespräch eine "lachenden"
Dalai Lama mit dem amerikanischen Präsidenten kann aufgrund der gereizten
Atmosphäre zwischen China und den Vereinigten Staaten einen großen Effekt
haben.
Viertes Argument: Der Dalai Lama habe Mitschuld
an den Verbrechen des Shoko Asahara. Eine Einschätzung der Beziehung des
"Gottkönigs" zu dem japanischen Guru überlassen wir in unserem
Buch dem Leser. Wir haben jedoch sehr detailliert und gewissenhaft das
Material zusammengetragen, das beweist, dass sich das Religionssystem der
AUM Sekte primär aus tibetisch-buddhistischen Ideologien und Praktiken
zusammensetzt (S. 670ff.).
Nur bei solch schmeichlerischen
Journalisten wie Herrn Natorp hat der Dalai Lama weiterhin etwas zu lachen,
ansonsten dürfte ihm bei der sich immer weiter ausufernden Kritik an seiner
Person und seinem System zunehmend das Lachen vergehen.
Aus: Stimmen der Zeit – Heft 12
– Dez. 2000 – Band 218
"Buddhismus zwischen
Rezeption und Kritik" von Hans Waldenfels
"Es ist verwunderlich,
wenn ein ansonsten so kompetenter Autor wie Klaus Natorp glaubt, der Dalai
Lama würde, wenn man ihm von den Thesen des Autorenpaares berichtet, so
laut lachen, wie lange nicht mehr. (vgl. FAZ 23. 09. 1999, 12) Ironie ist
eine schlechte Reaktionsmethode, wenn deutliche Anfragen im Raum
stehen."
Leserbrief in der FAZ
(Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Dienstag, 20 Juli 1999 - Nr.
165 / S. 14
Der
kosmische Raddreher aus dem Schneeland
Zu dem Artikel "Der Dalai
Lama lehnt Gewalt zur Lösung der Tibet-Frage ab" (FAZ vom 23. Juni):
Längst schon hat sich die westliche Welt an das häufige Erscheinen des XIV.
Dalai Lama gewöhnt, der die Menschen mit seinem Lächeln und den ständigen
Appellen zu einer friedlichen Lösung der aktuellen Probleme des "Schneelandes"
immer wieder beeindruckt. Wenn er dabei, wie jüngst erst wieder in Hessen,
von China Menschenrechte und Demokratie anmahnt, wird ihm wohl kaum jemand
widersprechen. Wer weiß denn schon, welch archaisch-magisches, extrem
androzentrisches und daher frauenfeindliches Weltbild, das sein gesamtes
Denken und Handeln bestimmt, sich hinter der Maske des lächelnden
Gottkönigs verbirgt?
Interpretiert doch die
tibetische "Bibel", das Vajrayana, alle Vorgänge in der realen
Welt als ein mythisches Drama, in dem die Menschen lediglich als Werkzeuge
von Göttern und Dämonen des tibetischen Pantheons fungieren, deren
mächtigste, der Meditationsbuddha Amithaba und der Boddhisattva
Avalokiteshvara (tibetisch Chenrezi), sich im Dalai Lama (tibetisch Kundun)
emanieren beziehungsweise inkarnieren. So wird dieser zum mythischen
Universalherrscher (Adi Buddha) und kosmischen Raddreher (Chakravartin).
Letzterer wird im Kalachakra-Tantra mit dem nicht minder dubiosen
Shambhala-Mythos zu einer ebenso aggressiv-kriegerischen wie
despotisch-totalitären Utopie verbunden, die nur Eingeweihte kennen.
Für Kenner der Materie, als die
sich die Forscher Victor und Victoria Trimondi in ihrem unlängst im
katholischen Patmos-Verlag erschienen Buch "Der Schatten des Dalai
Lama" ausgewiesen haben, erweist sich daher der XIV. Dalai Lama als
ein trojanisches Pferd, mit dessen Hilfe die archaisch-patriarchalische
Mönchskultur den Westen zu erobern und damit ihrem Endziel, der
buddhistischen Weltherrschaft, einen großen Schritt näher zu kommen hofft.
Professor Dr. Dr. Udo Köhler
Bad Nauheim
Zur Frage "katholischer
Patmos-Verlag" siehe: Buddhismusdebatte
Neue Zürcher Zeitung
FEUILLETON Donnerstag,
15.07.1999 Nr. 161 56
Weltmacht Dalai Lama?
Eine zweifelhafte Streitschrift
"Ex oriente lux" -
die christliche Verheißung nach Matthäus 2, 2, dass den
erlösungsbedürftigen Menschen «aus dem Osten das Licht» komme, entfaltet
seit einiger Zeit ihren ironischen Gehalt. Denn inzwischen ist es weniger
die Frohe Botschaft der Evangelien, die da leuchtet, als das Heils- und
Erleuchtungsversprechen der östlichen Religionen, zumal der verschiedenen
Buddhismen. Das ist plausibel angesichts der Anziehungskraft eines
authentischen, nicht guruzentrisch und mystagogisch pervertierten
Buddhismus. Aber es hat auch den Charakter einer Kompromissbildung, die den
ihrer Tradition entlaufenen westlichen Kindern des Christentums gestattet,
unter östlichen Vorzeichen ihr metaphysisches Bedürfnis zu befriedigen.
Zuviel wäre es behauptet, dass
sie jene kritische Distanz, die in der 300-jährigen Geschichte der
europäischen Aufklärung so mühselig in bezug auf das Christentum erlernt
und geübt wurde, gerechterweise auch gegenüber den östlichen Religionen
praktizierten. Eine zweite, nun universale Aufklärung, die freilich an die
buddhistische und auch die islamische Aufklärung anschließen könnte, wäre
die Aufgabe. Die Notwehr der konkurrenzgefährdeten Altreligionen, die
entweder auf ökumenische Assimilation oder die Entsorgung durch ihre sogenannten
«Sektenbeauftragten» setzen, genügt nicht. Eine Reaktion, vielleicht sogar
das Umschlagen einer Idealisierung in Desillusionierung war unter diesen
Umständen überfällig. Ein provozierendes Buch des neuseeländischen
Soto-Zen-Priesters Brian A. Victoria hat jüngst die Verstrickung des
Zen-Buddhismus in den japanischen Nationalismus und Imperialismus
offengelegt (NZZ vom 1. 6. 99). Die «Kriminal-, die Verbrechensgeschichte»
des Zen-Buddhismus - Karlheinz Deschners christentumskritisches
Jahrhundertwerk kann durchaus ihre östlichen Pendants finden.
Jetzt wird die derzeit
populärste, ja modischste Form des Buddhismus vom Bildersturm ereilt: der
tibetische, in seinem Zentrum der XIV. Dalai Lama, als
Friedensnobelpreisträger 1989 auch zu höchsten westlichen Ehren gekommen.
Man reibt sich die Augen: Just er, dieser friedfertigste, urbanste, auch
witzigste, selbstironischste aller lebenden Götter hienieden, diese Ikone
einer undogmatischen, wahrhaft humanen Religion, nach Gandhi das
Paradestück eines religiösen Weltethos, soll vom Sockel stürzen? Die
Ex-Grüne Jutta Ditfurth hat als Antipodin ihrer Parteigenossen Petra Kelly
und Gert Bastian, die ihrerseits in dem anzuzeigenden Buch das Opfer einer
Spekulation über einen tantristischen Ritualmord und Selbstmord werden,
schon heftig genug das Denkmal attackiert. Nun versuchen Victor und Victoria
Trimondi, vormals als Herbert und Mariana Röttgen Verleger des linken
Trikont-Verlags, in den siebziger Jahren spirituell angehaucht, in den
Neunzigern allem Anschein nach auf dem Rückweg zu den Altreligionen, die
Götterdämmerung zu vollenden: «Ex oriente lux»? Weit gefehlt: «Ex oriente
nox!», «Aus dem Osten die Nacht».
Die Situation für den
rücksichtslosen Frontalangriff ist in der Tat nicht ungünstig. Zu ignorant
ist man im Westen in bezug auf die Geschichte Tibets und den tibetischen
Buddhismus, zu stark die Neigung, angesichts der chinesischen Okkupation
und der von ihr verübten Verbrechen nur in Schwarz und Weiß zu malen.
Vergessen wird dabei, dass es auch militante tibetische Okkupationen
chinesischen Territoriums gegeben hat und generell die Beziehungen zwischen
beiden Ländern historisch äußerst verwickelt sind; dass der Lamaismus als
feudalistisch strukturierte Theokratie in seiner Geschichte keineswegs die
Inkarnation einer idealen Gesellschaft war; dass die tibetische Variante
des Buddhismus, der tantristische Vajrayana-Buddhismus, mit seinen zwei
Seiten, seiner subtilen esoterischen Lehre und seinem - gelinde gesagt -
missverständlichen exoterischen Gehalt, erhebliche Irritationen auslösen
kann; dass man schließlich aktuell, wie es die Auseinandersetzungen um den
17. Karmapa der Kagyüpa-Konfession und die Shugden-Affäre bis hin zu
religionspolitischen Morden in Dharamsala, dem indischen Exil des Dalai
Lama, zeigen, auch in seinem direkten Umfeld mit einiger Militanz und einer
tibetischen Form des Fundamentalismus rechnen muss.
Die Trimondis fallen also nicht
über ein harmlos-friedliches Paradies, das für Mentaltouristen so
anziehende Shangri-La, her, sondern sie stechen derzeit eher in ein
Wespennest. Sie tun das freilich - bei allen Recherchen, mit denen sie ein
über 800seitiges Buch füllen - mit einem sehr groben Stachel. Sie stützen
fast ihre gesamte Argumentation auf eine vergleichsweise schmale
Quellenbasis: auf das Kalachakra-Tantra aus dem 10. Jahrhundert u. Z.
Dieser hochgradig interpretationsbedürftige Text, den die Autoren gnadenlos
beim Wort nehmen, ohne ihm die hermeneutisch mildernden Umstände angedeihen
zu lassen, die die Theologie der Bibel seit je einräumt, ist nur in einer
erheblich kürzeren Fassung überliefert. Und auch diese ist bisher nicht
annähernd vollständig, wie die Autoren immerhin einräumen, in eine
westliche Sprache übersetzt.
Vor allem zweierlei lesen sie
aus dem Kalachakra heraus: einmal im frontalen Widerspruch zu einer
westlich-feministisch inspirierten Lesart, die diesem Text im besonderen,
dem tantristischen Buddhismus im allgemeinen eine besonders weibliche Note
abgewinnt, eine androzentrische Ausbeutung der weiblichen Energie, der
«Gynergie». «Das Mysterium des tantrischen Buddhismus besteht in der
Aufopferung des weiblichen Prinzips und in der Manipulation des Eros zur
Erlangung universeller androzentrischer Macht.» Diese Interpretation ist
trotz der Gewalt, die sie ihrerseits dem weiblichen Prinzip im Tantra
antut, nicht völlig abwegig. Westliche Tibet- Reisende werden sich aber
weiterhin an der augenfälligen Autonomie tibetischer Frauen erfreuen
können.
Wichtiger noch ist den Autoren
die mit dem mythischen Königreich «Shambhala» verbundene
religiös-politische Phantasie - eine Machtphantasie, die in
eschatologischer Zuspitzung auf eine «Buddhokratie» und - hochaktuell - auf
einen apokalyptischen «heiligen Krieg» gegen die «Mlecchas», die Anhänger
des Islams, hinausläuft. Gemeint ist letztlich aber die «Shambhalisierung»
der ganzen Welt. Und dieses Weltherrschaftsprojekt soll nun der Dalai Lama
als eine Art Gelbmützenversion Mao Tsetungs - so wie dieser der rote Dalai
Lama war -, mit List und Tücke, außen Lamm, innen Wolf, verfolgen. Deswegen
- so die Trimondis - seine weltweite Reisediplomatie. Deswegen seine
raffinierten Public Relations, die den virtuos gespielten bescheidenen
Mönch zu einem der effektivsten Macht- Manager gemacht haben. Deswegen auch
hinter der demokratischen Maske seine intensiven Kontakte zu allen braunen
Esoterikern dieser Erde, angefangen beim SS-Mann Heinrich Harrer,
fortgesetzt mit Mussolinis Chefideologen Julius Evola und Miguel Serrano,
der Speerspitze des «esoterischen Hitlerismus», endend beim mörderischen
AUM-Sektenführer Shoko Asahara. Der Buddhokrat und seine «Fünfte Kolonne».
Das ist starker Tobak. Der
Dalai Lama wäre fürwahr ein geradezu diabolisch begabter Schauspieler. Doch
dieses Porträt ist seinerseits von einer ausgewachsenen
politisch-religiösen Phantasie diktiert. Um den tibetischen Buddhismus,
auch seine derzeitigen fundamentalistischen Versuchungen, denen der Dalai
Lama opponiert (!), ernst zu nehmen, genügt weniger aggressives Geschütz.
Dem Dalai Lama
Weltherrschaftspläne zuzuschreiben, in einer Situation, in der er und das
tibetische Volk das ohnmächtige Opfer einer imperialistischen Politik sind,
das ist absurd, objektiv zynisch. Und es steht in einer fatalen Tradition.
Das Kalachakra ist keine Fälschung. Aber die angeblichen Weltherrschafts- ,
die Shambhala- Phantasien des tibetischen Buddhismus sind das Phantasma
einer Paranoia, wie es im Westen mit den sogenannten «Protokollen der
Weisen von Zion» verbunden ist - die «Protokolle des Weisen von Lhasa»
sozusagen. Die Autoren bekennen sich gerne zu einem religiösen
Friedensethos. Tatsächlich leisten sie ihren Beitrag zum ominösen «Kampf
der Kulturen».
An die Feuilleton-
und die Leserbriefredaktion der Neuen Zürcher Zeitung
Offener Brief an
Herrn Ludger Lütkehaus zu seinem Artikel "Weltmacht Dalai Lama"
in der NZZ vom 15. Juli 1999.
Zuerst ist zu sagen, dass der
Artikel von Ludger Lütkehaus zu Beginn überraschend offen und autonom die
Tibetfrage, den XIV Dalai Lama und seine Religion behandelt. Solch
kritische Töne sind aller jüngsten Datums, aber sie mehren sich zunehmend.
Unser Buch "Der Schatten des Dalai Lama" konnte durch das darin
zusammengetragene Faktenmaterial wesentlich dazu beitragen, dass es
westliche Journalisten heute wagen, die undifferenzierte Verherrlichung des
tibetischen Buddhismus, seiner Geschichte und seines Oberhauptes in Frage
zu stellen. Zum erstenmal - nach vielen Jahren der Geschichtsfälschung und
Beschönigung - kommen seit Erscheinen unseres Textes in der großen
Öffentlichkeit die kriegerische Vergangenheit Tibets, die
religionspolitischen Ritualmorde, die extrem feudalen
Unterdrückungsmechanismen der (exil)-tibetischen Gesellschaft, die
Frauenfeindlichkeit dieses religiösen Systems zur Sprache. Das heile Bild
von Shangri La, das noch vor einem Jahr die bürgerliche Presse beherrschte,
ist mittlerweile, zumindest im deutschsprachigen Raum, vom Sockel gestürzt.
Dadurch wurde auch der Dalai Lama als der Sanctus Sanctissimus aller
lebenden Religionsführer relativiert.
Das ist schon sehr viel für den
Anfang! Für Herrn Lütkehaus scheint dies auch genügend zu sein und so
kombiniert er seine Kritik an den exiltibetischen Zuständen mit einer
groben, uninformierten und teilweise äußerst polemischen Distanzierung von
wesentlichen Aussagen in unserem Buch. Im Zentrum seines Vorwurfs steht,
wir würden unbegründet behaupten, das System des Dalai Lama strebe die
Errichtung einer weltweiten Buddhokratie an, die sich der
Bewusstseinsmanipulation bediene und in Zukunft selbst vor kriegerischen
Mitteln nicht zurückschrecke. Dass eine solche Vision der wörtliche Inhalt
tibetischer Sakraltexte (insbesondere des Kalachakra Tantra) und
machtvoller Mythenbildungen (insbesondere des Shambhala Mythos) ist, das
kann von keinem geleugnet werden. Ein Blick in die übersetzten Schriften
und ihre Kommentare genügt, um sich selbst davon zu überzeugen. Es müssen
also von Herrn Lütkehaus andere Argumente angeführt werden, um die
"Harmlosigkeit" dieser verhängnisvollen Schriften, in denen -
nicht nur unserer Ansicht nach - die "politische Theologie" des
tibetischen Buddhismus aufgeschrieben ist, nachzuweisen:
1. Wir würden uns auf
eine "vergleichsweise kleine Quellenbasis: auf das Kalachakra Tantra
aus dem 10. Jahrhundert" stützen.
2. Wir ließen dem
Text keine "hermeneutisch mildernde Umstände angedeihen" sondern
würden ihn gnadenlos beim Wort nehmen.
3. Es gäbe von diesem
Text keine vollständige Übersetzung.
Zu 1. In jeder Religion wird
ein hierarchischer Unterschied zwischen verschiedenen sakralen Texten
gemacht: Der Koran ist für einen Moslem "heiliger" als die
Hadiths (Sprüche) des Propheten, die Hadiths sind bedeutender
als die Interpretationen der Exegeten. Ebenso ist das Kalachakra Tantra
für einen lamaistischen Buddhisten kein Text unter vielen anderen, sondern
explizit der "König aller Tantras", die summa theologia
des gesamten tibetischen Systems. Wer das Kalachakra Tantra erfasst hat,
der hat alle anderen Tantras und damit die gesamte Lehre erfasst - dieser
Satz ist ein oft wiederholtes lamaistisches Dogma. Doch steht dieser Text
nicht nur im Zentrum des tibetischen Buddhismus, weil er die gesamte tantrische
Orthodoxie in sich verdichtet, sondern auch weil er vom Dalai Lama selber
öffentlich und vielfach zum Zentrum seines Ritualwesens erklärt wurde.
Schließlich war er derjenige, der - wie einige Lamas behaupten - das
"Sakrileg" beging, dieses bisher streng geheim gehaltene Ritual
teilweise öffentlich zu machen und es mit großer Prachtenfaltung vor
Hunderttausenden zu zelebrieren. Die 25. von ihm geplante, öffentliche
Performance des Kalachakra Tantra findet heuer im August in Bloomingten
(USA) statt.
Entsprechend dieser
lamaistischen Sichtweise gehen wir vom Kalachakra Tantra als dem Angelpunkt
des gesamten Systems aus und führen dann auf 800 Seiten eine
"vergleichsweise äußerst umfangreiche Quellenbasis" an. Hunderte
von Textstellen aus den verschiedensten Tantras und ihren Kommentaren,
zahlreiche Aussagen traditioneller tibetischer Lehrer und moderner
westlicher Schüler des tibetischen Buddhismus werden von uns zitiert, um
die obige These (die Vision von einer globalen Buddhokratie) nachzuweisen.
Zu 2. Die Diskussion, ob die
Texte wörtlich oder "nur" symbolisch zu nehmen sind, ist schon
seit Jahrhunderten eine interne Streitfrage unter den lamaistischen
Gelehrten. Die herrschende Meinung dürfte - soweit man dies überschauen
kann - für eine wortwörtliche Auslegung der Tantras sprechen. Wenn man sich
im Internet die offizielle exiltibetische Homepage über das Kalachakra
Tantra ansieht, dann kann man leicht erkennen wie wörtlich die Inhalte von
dieser Seite genommen werden. Auch wir führen in unserem Buch zahlreiche
Persönlichkeiten (sowohl Lamas wie Tibetologen wie religiöse Nacheiferer)
an, von denen das Kalachakra Tantra wörtlich interpretiert wurde und zwar
teilweise mit verhängnisvollen Folgen. (Das bekannteste Beispiel ist der
Giftgasguru Shoko Asahara). Herr Lütkehaus unterstellt uns eine
Hermeneutik, die von zahlreichen Kronzeugen des tibetischen Buddhismus
praktiziert wird und die wir gerade deswegen als höchst problematisch
ansehen. Wir diskutieren jedoch auch in unserem Buch die sogenannte "nur"
symbolische Auslegung der Tantras und zeigen, wie fraglich selbst solche
meditativen Praktiken sein können, insbesondere weil, nach traditioneller
tantrischer Sicht, Innen- und Außenwelt nicht voneinander getrennt sind.
Zu 3. Es stimmt, dass es keine
vollständige Übersetzung des Kalachakra Tantras gibt, aber wir kennen so
viele Teilübersetzungen und so umfangreiche Kommentierungen, dass man ohne
Probleme und Fehler die Hauptlinien des Gesamtoeuvres rekonstruieren kann.
Insbesondere sind die so bedeutsamen und anrüchigen sexualmagischen
Praktiken im sogenannten Sekoddesha, einem Urtext des Kalachakra
Tantra, ins Italienische übersetzt, alle wichtigen kosmopolitischen
Eschatologien und die religionspolitischen Visionen des Shambhala Mythos
liegen in europäischen Sprachen vor. Das genügt um eine wissenschaftlich
fundierte Kulturkritik darauf aufzubauen. Wir haben nirgends behauptet,
eine rein tibetologische Studie verfasst zu haben, sondern haben eine
kulturkritische, teilweise tiefenpsychologische Analyse und Wertung des
tibetischen Buddhismus erstellt.
Die von Herrn Lütkehaus
behauptete "augenfällige Autonomie der tibetischen Frauen" ist
ein von unzähligen Beobachtungen und Feldstudien widerlegtes Klischee und
beruht nur auf der Institution der Polyandrie, die es im alten Tibet gab,
die aber ausschließlich ökonomische Gründe hatte. Jeder geschulte
Ethnologe, Religions- und Kulturforscher weiß um die untergeordnete
Stellung der Frau in allen buddhistischen Schulrichtungen und in den von
Buddhisten beherrschten Staaten.
Auch die Vision von einem
"Heiligen Krieg des Buddhismus gegen die Mlecchas " (den Islam)
stammt nicht von uns, sondern ist Teil des Shambhala Mythos und des
Kalachakra Tantras. Es handelt sich dabei um eine Prophezeiung, die sich
erst im Jahre 2327 erfüllen soll, die aber jetzt schon vorbereitet wird.
Religionen denken und handeln in anderen Zeiträumen als Journalisten und es
braucht manchmal Jahrzehnte, damit sich Kulturen verändern. Als die
irischen Mönche seit dem 6. Jh. das "heidnische" Europa
christianisierten, benötigten sie dazu 3 Jahrhunderte. Dass aber ein
entsprechender Akkulturationsprozess für den tibetischen Buddhismus im
Westen beschleunigt werden kann, das ist wiederum nicht unsere Meinung,
sondern diejenige vieler Lamas und westlicher Anhänger des Dalai Lama -
unter ihnen Robert Thurman und Richard Gere. Die letzten Ereignisse in
China zeigen, dass religiöse Strömungen (wie die Falun Gong Sekte) die
Kraft haben, in kürzester Zeit (in nur sieben Jahren) zur Macht zu
gelangen. Es ist deswegen nicht nur legitim sondern auch ethisch notwendig,
dass der Westen - ohne sein Toleranzgebot und seinen weltanschaulichen
Pluralismus aufzukündigen - die religiösen, geschichtlichen und politischen
Inhalte der asiatischen Religionssysteme genauso hinterfragt wie er es mit
seinem eigenen christlichen und abendländische Erbe gemacht hat. Dies gilt
ganz besonders für den tibetischen Buddhismus, der mit Kraft und Erfolg in
das westliche Kulturgefüge eindringt.
Schlichtweg polemisch und
bedauerlich wird Herr Lütkehaus, wenn er behauptet, wir hätten sinngemäß
das Kalachakra Tantra als die "Protokolle der Weisen von Lhasa"
(Lütkehaus) mit den von den Faschisten benutzten "Protokollen der
Weisen von Zion" gleichgestellt und entsprechend eine lamaistische
"Weltverschwörung" (mit dem Dalai Lama als eine Art
"Gelbmützenversion Mao Tse Tungs" - Lütkehaus) suggeriert. Das
ist eine billige Verzerrung und Verleumdung unserer Arbeit, die verhindern
sollen, dass der längst überfällige Diskurs über den Lamaismus geöffnet
wird.
Die berüchtigten
"Protokolle der Weisen von Zion" waren nachweislich ein von
Vertretern der russischen Orthodoxie verfälschter Text in antisemitischer
Absicht - das Kalachakra Tantra ist die höchste sakrale Anleitung, die das
Ritualwesen des Dalai Lama bestimmt. Beim Kalachakra Tantra handelt es sich
um eine "politische Theologie", welche sehr präzise die
sexualmagische und meditative Konstruktion eines mythischen
Weltenherrschers (des Chakravartin) beschreibt - eine auch in anderen
asiatischen Kulturkreisen bekannte Praxis. In den "Zion
Protokollen" geht es um die "Verschwörung" jüdischer
Geldpotentaten, in der Absicht die Regierungen der Welt zu manipulieren.
Die eine Dimension (das "Kalachakra Tantra") gehorcht den
Gesetzen eines magischen-mythischen Weltbildes, welches charakteristisch
ist für die gesamte tibetische Kultur, die andere ("Zion") den
rationalistischen Eroberungsstrategien einer jüdischen und
"terroristischen" Verschwörergruppe.
Die Weltherrschaftsidee ist
demnach eine religionspolitische Vision, die wir auch von den anderen
Glaubensrichtungen her (heute sehr aktuell aus islamischen Kreisen) kennen,
nur im Falle des Dalai Lama soll dies überhaupt nicht hinterfragt werden
dürfen, obgleich die sakralen Texte und die religiösen Praktiken des
Lamaismus ganz offen darauf hinzielen. Weshalb diese Angst, hierüber zu
diskutieren? Vielleicht weil damit eine Legende zerstört würde und damit
das westliche Sehnsuchtsbild von einer Religion und einem Religionsführer,
die das absolute Friedensgebot fordern? Die religiösen Fundamente des
tibetischen Buddhismus und seine Geschichte widersprechen leider völlig
solchen Wunschvorstellungen.
Es wäre besser, wenn Herr
Lütkehaus, anstatt unser Buch so niveaulos abzukanzeln, selber die von uns
zitierten tantrischen Texte und Quellen studieren und überprüfen würde.
Weiterhin sollte er vom Dalai Lama verlangen, die drei letzten noch in
Tibetisch beziehungsweise in Sanskrit vorliegenden, sehr aufschlussreichen
Kapitel des Kalachakra Tantra, übersetzen zu lassen und darüber eine
öffentliche Diskussion in Gang zu bringen. (Zahlreiche gute Übersetzer
stehen ihm zur Verfügung). Erst dann dürfte Herr Lütkehaus, da ihn unsere
Argumentation nicht überzeugt, unser Buch verurteilen. Nicht wir tragen zum
"Kampf der Kulturen" bei, sondern das gesamte
tantrisch-tibetische System, das von Grund auf die Vernichtung
Andersgläubiger formuliert und das nie, auch nicht vom XIV Dalai Lama,
revidiert wurde. Dennoch kritisieren wir den Dalai Lama nicht als Mensch
und Mönch, sondern als den obersten Repräsentanten einer höchst
ambivalenten religiösen Tradition, die ihre Geheimnisse nicht preisgeben
will und dabei ist, in unser westliches Kulturgefüge unüberprüft
einzudringen.
Zum Schluss noch zu dem
Vorwurf, wir wären "objektiv zynisch", weil wir das von den
Chinesen unterdrückte Volk der Tibeter angreifen würden. Zunächst greifen
wir in unserem Buch nicht das tibetische Volk an, sondern höchstens den
lamaistischen Buddhismus und sein Ritualwesen. Auch wenn ein Volk
unterdrückt ist wie das tibetische - wir bedauern dies offen und zutiefst
in unserem Buch - so darf man nicht als politischer, religiös und
intellektuell verantwortlicher Mensch aus blindem Mitleid die Augen vor den
verhängnisvollen Konsequenzen der lamaistischen Doktrin und ihren Praktiken
verschließen. Umso mehr wenn Lamas und tibetische Mönche seit vielen Jahren
naive und uninformierte westliche Gläubige und Sympathisanten erfolgreich
missionieren und dabei die Geschichte ihres Landes, die Grundlagen ihrer
Religion, die magischen Riten ihres Kultes verschleiern.
Wir schlagen im Übrigen
explizit in unserem letzten Kapitel einen friedvollen Ausweg aus dem
tantrischen Dilemma vor und bekennen uns klar für eine offene Form des
interreligiösen Dialoges. Aber eine "Heilung" erscheint uns nur
dann möglich, wenn man den Mut hat, zuerst nach den "Wunden"
dieses Systems zu fragen.
Victor und Victoria Trimondi
Zur Weltenherrschaft siehe: Buddhokratie und Weltenherrschaft
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