BUDDHISMUSDEBATTE
Zahlreiche Artikel zum Lamaismus finden Sie auch unter den
Segmenten Hitler-Buddha-Krishna und Kritisches Forum Kalachakra.
Siehe ebenfalls: Presseberichte und Interviews.
Mythos und Geschichte/Ritual
und Politik II
1.
- Ritual und Magie
2.
- Symbolwert und Alter der Tantras
3.
- Shambhala nur ein alter Mythos? - Professor Ernst
Steinkellner
4.
- Versprengte letzte Angehörige einer vor- modernen Kultur
5.
- Männliche Energie als der Tod?
6.
- Buddhismus - Mythos und Geschichte/Ritual und Politik I
Ritual und Magie
Eine oft an uns gestellte Frage lautet, ob die
tantrischen Rituale eine "magische" Auswirkung auf die
Gesellschaft haben können.
Dass wir es bei den tantrischen Ritualtexten mit
Magie zu tun haben, daran besteht kein Zweifel. Es ist ein Ziel aller uns
bekannten höheren Tantras, dem Tantrameister
übernatürliche Kräfte zu verschaffen, die es ihm ermöglichen, der
spirituellen wie der materiellen Welt seinen Willen aufzuzwingen. Er
verfügt über Zauberformeln (Mantras), mit denen er auf das Bewusstsein von
Göttern, Dämonen und Menschen Einfluss gewinnen möchte. Ob eine solche
Magie tatsächlich wirksam ist, das ist eine andere Frage.
Zuerst ist dazu zu sagen, der Dalai Lama, der
tibetische Klerus und die Anhänger des tibetischen Buddhismus gehen
selbstverständlich von einer solchen Wirksamkeit aus, ansonsten würden sie
ihre Rituale gar nicht durchführen. Durch ihre Riten soll zum Beispiel der
Frieden stabilisiert werden, sollen "böse Geister" vertrieben
werden, Krankheiten geheilt werden und vieles mehr. Neben diesen
"Heilritualen" gibt es aber ebenso "Schadrituale", die
sich zum Beispiel gegen die Feinde der buddhistischen Lehre oder gegen die
chinesische Besatzungsmacht richten. Über die letzteren ist jedoch bisher
in der Öffentlichkeit wenig bekannt.
Wir haben zur Frage, ob das Ritualwesen und die
tantrische Magie wirksam sind, eine differenziertere Meinung und können
diese mit dem folgenden Satz zusammenfassen: Rituale
sind nur für diejenigen wirksam, die daran glauben, aber der Glaube wird
nicht ursprünglich durch ein Ritual hervorgerufen.
Dieser entsteht in vielen Fällen - wir würden es so nennen - "durch
die Öffnung der Herzen". In dieser "sakralen" Technik ist
der Dalai Lama ein großer Meister. Er setzt seinen umwerfenden Charme ein,
um die Herzen der Menschen zu öffnen. Charme bedeutet aus dem Englischen
übersetzt nicht nur "Anmut" und "Liebreiz", sondern
auch "Zauber", "Zauberformel" und "Bann".
Sind die Herzen einmal geöffnet - oft nur durch ein flüchtiges Lächeln -
dann sind schon die Bedingungen für die Wirksamkeit eines Rituals gegeben.
Der amerikanische Regisseur Scorcese hat in einem
Interview über seinen Film Kundun, auf
dieses Phänomen hingewiesen: "Wenn man Bewegungen, Rhythmen, Musik,
Gesichter in einer bestimmten Weise zusammenstellt" - so Scorcese -, "dann kann in dieser Gesamtheit der
Bilder so etwas wie ein spiritueller Sog entstehen. .... Diese
Rituale zum Beispiel, die ich im Kundun
zeige, brauche ich nicht zu erklären. Sie sind etwas Wunderbares und
Universales." - Das will heißen, sie strukturieren die
gesellschaftliche Wirklichkeit, die sie in ihren spirituellen Sog
hineinziehen.
Symbolwert und Alter
der Tantras
Als Kritik an unserem Buch tauchen immer wieder
zwei Hauptargumente auf:
1. Es
handele sich bei den Tantras um 1000 Jahre alte
Texte, denen heute keinerlei Bedeutung mehr zukäme.
2. Wir
würden so naiv sein und die Tantras wörtlich nehmen, diese hätten jedoch
nur einen Symbolwert.
Zu 1. - Das Argument von der Bedeutungslosigkeit der Tantras wegen hohen Alters ist nicht stichhaltig.
Jede religiöse Tradition hält an ihren sakralen Texten fest und je älter
diese sind, als umso heiliger gelten sie. Unzählige moderne (!) Bücher und
Aussagen von Betroffenen (von tibetischen Lamas und ihren
"Weisheitsgefährtinnen") beweisen, dass die Jahrhunderte alten
Tantras auch heute noch praktiziert werden. Auch der XIV Dalai Lama beruft
sich durch Schrift und Tat auf die traditionellen Texte und führt die in
ihnen beschriebenen "alten" Rituale durch. Für eine prinzipielle
Reform der Tantras ist uns kein einziges Beispiel
bekannt.
Zu 2. - Die Frage ob eine tantrische Ritualhandlung
(zum Beispiel der sexualmagische Verkehr mit einer Frau) real oder
"nur" symbolisch durchgeführt werden müsse, oder ob die Tantra Texte wörtlich oder "nur"
allegorisch zu deuten seien, ist für das lamaistische Weltbild letztendlich
obsolet. Ebenso wie für einen Tantriker "Innenwelt" und
"Außenwelt" nicht getrennt sind, ebenso wenig gibt es für ihn einen
Wesensunterschied zwischen Realität und Imagination, Symbol und
Wirklichkeit. Im Zusammenhang mit der rituellen Tötung schreiben wir zu
diesem Thema auf S. 127 unseres Buches:
Letztendlich führt aber die Vorstellung,
dass alles nur Schein sei und keine eigene Existenz habe, zu einer
Gleichgültigkeit gegenüber der Frage, ob ein Mord real oder "nur"
allegorisch ist. Demnach ist in der Welt des Vajrayana
alles ebenso "wirklich" wie "symbolisch". "Wir
berühren Symbole, wenn wir Körper und materielle Gegenstände zu berühren
meinen." - schreibt Octavia Paz mit einem Blick auf den Tantrismus -
"Und umgekehrt: dem Gesetz der Umkehrbarkeit zufolge sind alle Symbole
wirklich und berührbar, die Ideen und selbst das Nichts hat einen
Geschmack. Es ist gleich, ob das Verbrechen wirklich oder symbolisch ist:
Wirklichkeit und Symbol verschmelzen, und indem sie verschmelzen, lösen sie
sich auf." (Paz, 91,92)
Dagegen ist es für einen modernen Europäer von
großer Bedeutung ob die Tötung eines Menschen tatsächlich oder nur
imaginativ stattfindet. Es gibt aber dennoch einen Grund, weshalb ein
Tantriker seine Handlungen real durchführen will: Eine reale Tat
(insbesondere wenn es sich hierbei, wie bei den Tantras üblich, um eine
soziale Normverletzung handelt) stellt für den Adepten auf seinem
Initiationsweg eine weit höhere Herausforderung dar als eine imaginative.
Die durch eine reale Normüberschreitung (z. B. die Sexualität mit einer
wirklichen Frau) freigesetzte psychische Energie ist von berühmten Maha Siddhas (tantrischen Großzauberern) klar erkannt
worden, und sie forderten deswegen von ihren Schülern die
"abscheulichen" Taten auch "wirklich" zu begehen - mit
dem paradoxen Anspruch gerade dadurch deren Unwirklichkeit (Nichtexistenz)
zu beweisen. Der Diskurs über dieses Thema ("real" oder
"symbolisch") ist ein Königsthema der großen indischen und
tibetischen Tantra Meister und wir kommen an vielen Stellen unseres Buches
darauf zu sprechen. Er ist keine westliche Erfindung.
Für unsere Symbolanalyse des tibetischen Buddhismus
ist es im übrigen nicht primär entscheidend, ob eine Tat real oder
imaginativ vollzogen wird, denn auch die Symbolhandlungen dieses religiösen
Systems erscheinen uns höchst problematisch, repressiv und unhuman. Es geht uns in unserer Studie vor allem um religiöse
Strukturen: Eine symbolisch destruktives Muster kann auch eine destruktive
Realität zur Folge haben.
Unter dem vorher Gesagten ist auch das folgende
Argument von Robert A. Thurman, dem
"Sprachrohr des Dalai Lama in den USA", zu unserem Buch zu beurteilen
(ORF/FUNK - "Religion" - 5. April 1999) .
Thurman attackiert uns, weil wir die Tantras
wörtlich nähmen:
Natürlich würden wir niemals jemanden
oder etwas töten. Die einzigen Opfer die wir da bringen sind Schalen mit
Tee oder Wein. Den größten Schaden, den wir anrichten, betrifft
ein paar Teepflanzen. Wir reißen die Blätter ab und kochen sie im Wasser.
Aber weil die beiden Autoren nur die Bücher über die Symbole gelesen haben,
missverstehen sie die Sache. In einem symbolischen Text kann z.B. stehen: "
Ich opfere eine Schale Blut", und dann hält man eine Schale mit Tee in
die Höhe. Das Blut symbolisiert die Essenz der Wirklichkeit, es
symbolisiert nichts was irgendwie mit Menschen zu tun hat. Es symbolisiert
die metaphysische Essenz der Dinge, genauso wie Blut die Essenz eines
menschlichen Körpers ist. So stellt man sich vor, das man die Essenz der
Welt opfert wenn man sagt, man opfert eine Schale mit Blut, aber man opfert
nicht Blut sondern Tee, wir sind ja nicht verrückt.
Buddhisten lernen Dinge nicht
buchstäbliche zu verstehen, sondern immer nach einer verborgenen Bedeutung
zu suchen. Wir lernen nicht so sehr auf die vordergründige Bedeutung zu
achten sondern auf die innere Bedeutung. Das ist im Tibetischen sehr
wichtig. Diese Leute dagegen verstehen die Mythen wortwörtlich, ein guter
Buddhist würde überhaupt keine Geschichte wortwörtlich verstehen. Man lehrt
uns nicht, das wir glauben müssen, ohne zu denken.
Manche Tibeter mögen die Mythen ja glauben, aber die meisten von uns lesen
die buddhistischen Texte nicht so wie fundamentalistischen Christen die
Bibel lesen, die glauben, das sie die Bibel beim
Wort nehmen müssen. Buddhisten haben ein subtileres Verständnis.
Weshalb - so fragen wir Thurman - benutzen die Tantriker bei ihrem Ritualwesen
immer wieder Schädel und Menschknochen und keine Plastik Substitute?
Selbstverständlich hat es Ritualmeister gegeben, die auch mit realem Blut
praktiziert haben, ebenso wie sie reale menschliche Innereien bei ihren
Riten verwertet haben. Viel wichtiger erscheint uns jedoch drüber zu
sprechen, weshalb - wie es Thurman oben ausdrückt
- die "Essenz der Welt" im tantrischen Ritual geopfert wird.
Dieser Ausspruch hat eine tiefe metaphysische Bedeutung, hinter der sich
letztendlich die Lebensfeindlichkeit des tibetischen Systems verbirgt.
Zu Robert A. Thurman
siehe: Buddhokratie und
Weltenherrschaft II
Ernst Steinkellner
Shambhala nur ein alter Mythos?
Professor Dr. Ernst Steinkellner ist
Leiter des Institut für Tibetologie und Buddhismuskunde an der Wiener Universität. Er gilt als
ein international hervorragender Kenner der Materie. Bei der Kritik unseres
Buches geht er teilweise mit bösartigen Unterstellungen vor, indem er uns
Behauptungen unterschiebt, die wir so niemals aufgestellt haben. Er trat in
der Fernsehsendung "Orientierung" am 2. März und der Sendung
ORF/FUNK - "Religion" am 5. April 1999 als
"Fachgelehrter" gegen uns auf. Unter anderem führte er das Argument
ein, wir würden willkürlich einen tausendjährig alten
"aggressiven" Mythos (den "Shambhala
Mythos") auf die Gegenwart übertragen und damit die Politik des Dalai
Lama belasten. Dass dieser Mythos "aggressiv" ist, darin
stimmen wir mit Steinkellner völlig überein, dass er aber heute keinerlei
Bedeutung haben soll, das wagen wir (und mit uns die meisten Buddhisten der
tibetischen Richtung) zu bezweifeln. Hier unser Brief an ihn zu diesem
Thema, der bisher unbeantwortet blieb:
11. April 1999
Sehr geehrter Herr Professor Steinkellner!
Sie wurden sicher in den letzten Wochen immer
wieder als Fachautorität zur Beurteilung unseres Buches "Der Schatten
des Dalai Lama" herangezogen. Dass diese negativ und polemisch
ausfällt, das konnten wir an einer Ihrer Äußerungen in der Sendung des ORF
"Orientierung" entnehmen und haben es auch von anderer Seite
vernommen. In Ihrem Fernsehauftritt sprachen sie vom "Shambhala Mythos". Wir hätten - so war Ihre
Darlegung - ein längst überholtes 1000 jähriges Mythologem hervorgeholt und
illegitimerweise auf die Gegenwart projiziert. Es
handele sich zwar dabei um eine "aggressive" Vision, die aber nur
aus einem historischen Kontext zu verstehen sei, nämlich aus den Kämpfen
indischer beziehungsweise innerasiatischer buddhistischer Religionsströmungen
mit dem Islam, der mit Gewalt in das bestehende (buddhistische)
Kulturgefüge eingedrungen sei. Eine Übertragung des Mythos auf die
Gegenwart sei völlig überzogen und nicht zu verantworten.
Sehr geehrter Professor Steinkellner, Sie wissen sehr
wohl, dass dies nicht stimmt, und dass der Shambhala
Mythos heute eine Attraktivität hat, die Hunderttausende von Menschen in
ihren Bann schlägt. Zuerst einmal, ein Mythos verliert nicht deswegen an
Anziehungskraft, weil er alt ist. Im Gegenteil, das gibt ihm erst die
notwendige "Patina" und das notwendige Charisma. Dann - wir
müssen es wohl annehmen - ist Ihre Aussage, der Shambhala
Mythos habe heutzutage keine Bedeutung mehr, eine bewusste Falschmeldung.
Wir möchten Ihnen, obgleich Sie das schon alles in unserem Buch nachlesen
können, folgende 8 Punkte ins Gedächtnis bringen:
1. - Der Shambhala Mythos
ist integerer Bestandteil des Kalachakra Tantras.
Dieses höchste Kultmysterium wird vom Dalai Lama immer wieder durchgeführt
(insgesamt schon 25 mal). Eine Absage vom Shambhala Mythos gibt es von seiner Seite ebenso wenig
wie eine Revidierung und Reformierung der Ritualistik
und der meditativen Praktiken, die diesen fördern und imaginativ festigen.
Alles "Alte" ist geblieben und alle Texte werden in ihrer ursprünglichen
Form angewendet. In den Interviews, die der Dalai Lama zum Thema "Shambhala" gegeben hat, lässt er geschickt offen,
ob es sich hierbei um ein reales oder ein imaginatives Reich handele,
beziehungsweise er betont die Kombination von beidem. Auch die Vision von
einer Endschlacht ist von ihm nie dementiert worden.
2. - Der Shambhala Mythos
spielt historisch in der tibetisch-mongolischen Politik eine eminente
Rolle. Wir haben in unserem Buch ausführlich die Gestalt des Burjaten Agvan Dorzhiev (der Gesandte
des XIII Dalai Lama am Zarenhof) behandelt, der
den Kalachakra Tempel in Petersburg bauen liess und der von einer Shambhalisierung
Russlands träumte. In den kriegerischen Auseinandersetzungen der
national-mongolischen Streitkräfte mit den bolschewistischen und
chinesischen Nachbarstaaten verdichtete sich in den 20. Jahren die Shambhala Vision zu einer kriegerischen Realpolitik.
3. - Seit Madame Blavatsky gilt der "Shambhala Mythos" als ein mächtiges Symbolbild in
der gesamten westlich- esoterischen und okkulten Szene. Lesen Sie unsere
Ausführungen zum Ehepaar Roerich. James Hiltons Bestseller von Shangri La ist eine Paraphrasierung dieses Mythos.
4. - Auf den visionären Faschismus hatte und hat
der Shambhala Mythos eine große Einwirkung. Nicht
nur bei Migül Serrano und seinen "esotersichen Hitlerismus", sondern bei einer
ganzen Anzahl von faschistischer Fiction- Literatur, zum Beispiel in
jüngster Zeit Russel McCloud Die Schwarze
Sonne von Tashi Lunpho.
5. - Das sogenannten New Age hat diesen Mythos
durch zahlreiche Bücher verherrlicht. Wenn Sie im Internet bei "Alta
Vista" den Button "Shambhala
Books" drücken [Frühjahr 1999], dann annonciert er sage und
schreibe allein 1.118.825 (!) Web Pages. Immer mehr Institutionen (Verlage,
Buchhandlungen, Cafés, Institute, Zentren )
schmücken sich weltweit mit dem Namen "Shambhala".
6. - Aber nicht nur Westler sondern auch die
tibetischen Lamas kultivieren diesem Mythos intensivst.
Darüber können Sie sich im Internet unter der offiziellen (!) Kalachakra Homepage (http://www.kalachakra.com)
informieren. Dort haben Sie auch die Möglichkeit, sich Schweizer Uhren
verschiedenster Qualität mit Shambhala Motiven zu
bestellen. Ausserdem ist dort eine bedenkliche
Vision von Khamtrul Rinpoche
abgedruckt: "Meine Begleiterin (die Göttin Tara, die ihn in
einem Traum durch Shambhala führt)
erzählte mir," - schreibt Khamtrul -
"dass der letzte Kulika König 'Rudra mit dem Rad' genannt werde, 'der
machtvolle und wilde König, der das Eisenrad in
seiner Hand hält' ... und er wird kein anderer sein als Seine Heiligkeit
der Dalai Lama, der alles Böse im Universum unterwerfen wird." ( Khamtrul - <kalachakra.com>)
7. Chögyum Trungpa hat mit seiner Idee vom "Shambhala Krieger" den Mythos im ganzen Westen
verbreitet und entsprechende "Trainingslager" eingerichtet. Seine
Ideen werden in vielen Zentren weiterhin kultiviert. In "Alta
Vista" gibt es unter dem Stichwort "Shambhala
Center" 197.435 (!) Eintragungen.
8.- Der japanische Giftgasguru Shoko Asahara hat
seine aktive Weltuntergangsvision aus dem Shambhala
Mythos abgeleitet und in die konkrete Tat umgesetzt.
Auch wenn man in all den genannten Fällen davon
ausgeht, dass es sich hierbei um Fehlinterpretationen eines
"überholten" Mythos handele, so ist es umso dringlicher und
notwendiger, sich von diesem Mythos, der schon jetzt solch verhängnisvolle
Auswirkungen gezeigt hat, öffentlich und klar zu distanzieren. Mythen
suggerieren machtvolle Bilder, die - das zeigt uns nicht nur die Geschichte
des Nationalsozialismus - Millionen von Menschen in den Abgrund treiben
können. Gerade zur Zeit erleben wir, wie der
"Mythos vom Amselfeld" den Balkan in Zerstörung und Schrecken
versetzt. Ein Ritualwesen, wie das Kalachakra
Tantra, das solche Destruktionsmythen zum Inhalt hat, beziehungsweise offen
oder insgeheim fördert, ist genau auf seine ethischen Qualitäten hin zu
hinterfragen, insbesondere wenn es von einem System kultiviert wird,
welches das Mitgefühlsgebot des Mahayana
Buddhismus auf seine Fahnen geschrieben hat.
All das, sehr geehrter Professor Steinkellner,
dürfte Ihnen mehr oder weniger bekannt sein. Dennoch behaupten Sie, wir
würden unseriöserweise einen "alten"
Mythos dem Dalai Lama und seiner Religion unterstellen, so als würden wir
uns mit einem Stadtplan des 18. Jahrhundert durch New York bewegen. Sollen
wir Ihre Aussage nun deuten als eine "bewusste" Diffamierung
unseres Buches oder als Unkenntnis? Das müssen Sie letztendlich selber
beantworten und verantworten.
Es ist verständlich, dass ein Werk wie das unsere,
welches nicht aus der Zunft der Tibetologen
stammt, von diesen als Sakrileg angesehen wird und zum Aufruhr führt. So
etwas hat es in der Wissenschaftsgeschichte immer wieder gegeben. Zum
Beispiel wurden Robert von Ranke-Graves Arbeiten zur griechischen
Mythologie, wo er die Mythen der Griechen aus einem Geschlechterkonflikt
zwischen patriarchalen und matriarchalen Kräften
ableitet, zu Beginn verhöhnt und verschrienen. Heute aber ist sein Buch zu
einem wissenschaftlich anerkannten Klassiker geworden.
Im Übrigen scheint es Ihrerseits und von Seiten
einiger anderer Kollegen von Ihnen ein grundsätzliches Problem mit
unserem Buch zu geben. Sie als Tibetologe und Buddhologe (?) übersehen wahrscheinlich, dass wir
keinen klassisch religionswissenschaftlichen sondern einen kulturologischen
und tiefenpsychologischen Text geschrieben haben. Was ist der Unterschied?
- Für uns sind die Fakten ebenso wichtig wie die Imaginationen. Der
tibetische Buddhismus präsentiert sich hier im Westen vor allem als ein imaginäres
System, das nur selten historisch und dogmengeschichtlich sondern vor allem
emotional, visionär und charismatisch rezipiert wird. Das - so versuchen
wir nachzuweisen - ist jedoch nicht nur eine westliche Fehlinterpretation,
sondern als ein atavistisches System wurde diese Religion auch in ihrer
Vergangenheit von den Tibetern und Mongolen selber emotional, visionär und
charismatisch verstanden und erlebt.
Um ein solches System überhaupt kritisieren zu
können, müssen wir erst einmal seine epistemologischen Grundvoraussetzungen
akzeptieren. Das führt dazu, dass wir im Buch die imaginativen Sichtweisen
gleichwertig mit den Fakten behandeln. Aber wir haben den größten Wert
darauf gelegt, das imaginäre Material als solches zu kennzeichnen und
deswegen gehen wir keineswegs unwissenschaftlich vor. Selbstverständlich
gewinnen - ausgehend von unserem Ansatz - auch solche Anschauungen wie
diejenigen Albert Grünwedels oder Siegbert Hummels einen ebenso großen
Stellenwert wie die vielen bizarren Shambhala
Visionen, die sich hier im Westen in esoterischen Zirkeln verbreitet haben,
denn sie zeigen, wie tief solche Bilder Menschen beeinflussen,
"inspirieren", ja besetzen können. Die Ursachen hierfür sind
nicht nur in der "falschen Rezeption" einer Kultur zu suchen,
sondern ebenso in den Mysterien, Ritualpraktiken, Initiationssystemen und
Visionen der übernommenen Religion selber. Wenn diese in ihrem Kern auf
Aggression, Menschenverachtung, Diskriminierung der Geschlechter, auf einem
Feindbilddenken, auf Totalitätsansprüchen und einer nicht aufgearbeiteten
Geschichte basiert, dann ist sie genauso zur Verantwortung zu ziehen wie
diejenigen, die sie angeblich "falsch" übernehmen.
Wir werden, sehr geehrter Professor Steinkellner,
unsere Positionen zu verteidigen wissen und diese Verteidigung mit großem
Engagement durchführen, damit der Lamaismus offen und ehrlich diskutiert
werden kann. Sie sollten ihren Ruf als bedeutender Fachwissenschaftler, den
Sie unbestritten genießen, nicht dadurch aufs Spiel setzen, dass Sie durch
eine zwar verständliche aber dennoch verantwortungslose Parteinahme für ein
ambivalentes Religionssystem Ihre wissenschaftlichen Kenntnisse
funktionalisieren lassen.
Mit freundlichen Grüssen!
V. & V. Trimondi
Versprengte letzte
Angehörige einer vormodernen Kultur ?
In der Auseinandersetzung mit unserem Text spielt
Ernst Steinkellner die tibetische Kultur und Religion als eine im
Weltmaßstab marginale Angelegenheit eines vertriebenen, traditionellen
Bergvolkes herunter, welches sich darum bemühe, mit der westlichen Moderne
einen Kompromiss zu finden. So auch in der Sendung ORF/FUNK -
"Religion" vom 5. April 1999:
"Die heute in Exil lebenden
Tibeter, sind eigentlich versprengte letzte Angehörige einer vor- modernen
Kultur. Sie sind natürlich in der neuen Umwelt konfrontiert mit Begriffen
und mit Vorstellungen, die nicht die eigenen sind. Sie versuchen damit
umzugehen, sie versuchen sie kennen zulernen,
Begriffe wie Demokratie, Menschenrechte, Ökologie etc. versuchen sie aus
ihrer Tradition zu beantworten, aber, man kann von ihnen natürlich nicht
erwarten, dass sie ihre eigene Tradition vollkommen missachtend in den
Orcus werfen. Das heißt, sie haben die Schwierigkeit, wenn ich das auf einen
kurzen Nenner bringe, aus einem vor- modernen Mittelalter in eine Neuzeit
geworfen zu sein und nun überleben zu müssen."
Wenn dies für einige Vertreter der
Exiltibeter auch zutreffen mag, so bietet sich im Gegensatz hierzu die
lamaistische Religion weltweit als Alternativentwurf zu unserer westlichen
Kultur in einem allumfassenden Sinne an. (Siehe die Vorstellungen von Robert A. Thurman u. a. auf S. 723 ff. unseres Buches sowie Buddhismus und Weltenherrschaft) Postmoderne und Vormoderne sollen sich im tibetischen
Buddhismus die Hand reichen und gemeinsam eine Bewusstseinsrevolution
bewirken. Unser Buch ist in der Tat keine ethnologische Studie über das
Schicksal von Aborigines aus den Himalajagebieten
(was Steinkellner offensichtlich von uns verlangt) sondern Teil der
kulturellen Globalisierungsdebatte, einfach deswegen, weil der tibetische
Buddhismus einen religions-politisch globalen Anspruch hat und wir uns
darauf antworten.
Männliche Energie als
der Tod?
Mit welch unlauteren, ja bösartigen Mitteln
Steinkellner versucht, unseren Text öffentlich als unseriös darzustellen,
zeigt eine weiteres Zitat aus der schon erwähnten Sendung (ORF/FUNK -
"Religion" vom 5. April 1999). Dort wird unterstellt wir würden
in unserem Buch das männliche Prinzip mit dem Tode, das weibliche mit dem
Leben gleichsetzen. Die entsprechende Stelle lautet:
"Der kluge Leser wird bald darauf
kommen, dass es innere Konflikte in dem Buch gibt etwa z.B. die feste
Meinung der Autoren, dass sie auf der Ebene der Rationalität, was immer das
nach ihren Begriffen sein soll, sie beschreiben nicht weiter was sie damit
meinen, stehen, dass sie aber andererseits das gesamte Buch im Lichte von
zwei metaphysischen Prinzipien strukturiert haben, die sie weibliche und
männliche Energie nennen, wobei diese Begrifflichkeit durchaus in sich
schon widersprüchlich beschrieben ist. Es sind zwei Energieformen die das
Weltgeschehen bestimmen. Wobei die weibliche Energie mit dem Leben und die
männliche Energie mit dem Tod, dem Nichts, identifiziert wird.
Also hier ist schon die Frage ob das Wort Energie noch Sinn macht. Diese
Widersprüche würden einen klugen Leser vermutlich darauf hinweisen, dass in
dem Buch etwas nicht stimmt.
Das der
Begriff Leerheit von den Autoren überhaupt völlig missverstanden wurde und
zwar in der längst aus der obsoleten erkannten Weise als absoluter
Leere und als radikaler Negativismus. Für die buddhistische Tradition ist
es der schlimmste Irrtum, den man begehen kann und genau den begehen die
Autoren hier ohne irgendein Gefühl dafür, dass etwas nicht stimmen
könnte."
An keiner Stelle in unserem Buch steht geschrieben,
dass das männliche Prinzip per se den Tod das
weibliche per se das Leben darstelle. Der einschlägige Passus über die
"Leere" (Shunyata) und das
"Nicht- Sein" erwähnt explizit Shunyata
(Leere) als die "paradoxale Kraft, alle Dinge zu gebären" und
zeigt auf, dass die "Leere" gerade nicht als reine Negativität
gefasst werden darf. Wir weisen weiterhin darauf hin, dass die
"Leere" in den Tantras oft einen weiblichen
und keinen männlichen Charakter trägt. Der "kluge Leser" möge die
entsprechende Stelle aus unserem Buch (S. 58) mit der Diffamierung von
Steinkellner vergleichen:
Die [tantrischen] Texte ziehen den
Begriff Shunyata (Leere) vor, wenn sie vom
"Raum" sprechen und weisen auf die geheimnisvollen Eigenschaften
der "Leere" hin, insbesondere auf ihre paradoxale Kraft, alle
Dinge zu gebären: Raum ist Leere... "aber Raum, wie er in der
buddhistischen Meditation verstanden wird, ist nicht passiv (im westlichen
Sinne)....Raum ist die notwendige, pulsierende Matrix für alles, was
existiert." (Gross 1993, 203)
Shunyata
(Leerheit) können wir als den zentralsten Begriff der gesamten
buddhistischen Philosophie ansehen. Sie ist die zweite Herzkammer des Mahayana
Buddhismus. (Die erste ist Karuna, das
Mitgefühl mit allen lebenden Wesen). Die "absolute Leere" löst
alle Phänomene des Seins bis hinauf in die Sphäre des Höchsten Selbst in
Nichts auf. Man darf über die Leere keine Aussage machen, denn die
Wirklichkeit von Shunyata ist unabhängig
von jeder begrifflichen Konstruktion. Sie transzendiert das Denken und wir
können nicht einmal behaupten, dass die phänomenale Welt nicht
existiert. Man hat diesen radikalen Negativismus mit Recht als die "Lehre
von der Leere der Leere" bezeichnet.
Angesichts dieser fundamentalen Unaussprechlichkeit und Eigenschaftslosigkeit von Shunyata wundert es einen, weshalb sie im Vajrayana Buddhismus grundsätzlich als ein "weibliches"
Prinzip vorgestellt wird. Aber das ist so! Als ihre männlichen polaren
Entsprechungen nennen die Tantras Bewußtsein (Citta) oder Mitgefühl (Karuna).
"Das Bewusstsein ist der Lord und die Leere ist die Lady; sie
sollten immer im Sahaja (höchsten
Erleuchtungszustand) vereinigt sein." - heißt es in einem Text. (Dasgupta, 1974, 101)
Auch Zeit und Leere ergänzen einander
polar. So ruft die Kalachakra Gottheit
(der Zeitgott) mit Emphase aus: "Durch die
Macht der Zeit sind in der Leerheit geschaffen worden Luft, Feuer, Wasser,
Erde, Eilande, Hügel, Ozeane, Sternbilder, Mond, Sonne, Sterne, Planeten,
Weise, Götter, Geister, nagas (Schlangendämonen),
der vierfache tierische Ursprung, Menschen und höllische Wesen."
(Banerjee, 1959, 16) Nachdem sie von der "männlichen" Zeit
befruchtet wurde, gebiert die "weibliche" Leere alle Dinge. Bei
dieser Vorstellung wird wohl die Beobachtung hineingespielt haben, dass die
Vagina leer ist, bevor sie Leben hervorbringt. Shunyata
darf deswegen im Tantrismus nie als reine Negativität verstanden werden,
sondern gilt als der "formlose" Ursprung allen Seins.
Wir verweisen also explizit auf die Gebärkraft der
Leere, auf ihren weiblichen Aspekt in den Tantras, auf ihre Auflösungs-
ebenso wie auf ihre Hervorbringungspotenz hin. Der Begriff "radikaler
Negativismus" wird ja von uns gerade im paradoxalen Sinne
gebraucht, als die "Leere von der Leere" - was ja wiederum als
Fülle zu verstehen ist.
Zu weiteren Statements von Ernst Steinkellner
siehe: Buddhismus (Lamaismus) und Aggressivität.
Zur Seriosität moderner Tibetologen siehe die
Einleitung von Kritische Literatur zum Buddhismus
und Bonner Tibetkonferenz
(1999).
Folgende andere Beiträge diskutieren
das Thema Mythos und Geschichte:
° MICHAEL von BRÜCK -
Religion und Politik im Tibetischen Buddhismus - September 1999
° COLIN GOLDNER - Dalai
Lama - Fall eines Gottkönigs - September 1999
° BARISCHER RUNDFUNK -
Interview mit Geseko von Lüpke
- März 1999
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