MEDIEN (11)
1.
- "Röttgens Visionen" - DAO August 1999 - von Achim Bayer
2. –
„Dalai Lama: Sexdespot?“ - Katja Sindemann
"Röttgens Visionen"
DAO August 1999 - von Achim Bayer
Mit "Der
Schatten des Dalai Lama" von Herbert und Mariana Röttgen (alias Victor
und Victoria Trimondi) erschien ein weiteres Stück Verschwörungsliteratur
auf dem deutschen Buchmarkt.
Mit dem Dalai Lama-Kurs in
Schneverdingen im Herbst letzten Jahres verstärkte sich das allgemeine
Interesse an Tibet und dem Dalai Lama. In dieser Atmosphäre erschien im
März "Der Schatten des Dalai Lama", ein Buch, welches der
herausgebende Patmos-Verlag als "Kritisch" anpreist. In einer
großangelegten Werbekampagne verspricht Patmos zudem so einiges:
Nekrophilie (was laut Duden soviel heißt wie: "Abartiges, auf Leichen
gerichtetes sexuelles Triebverlangen; sexuelle Leichenschändung"),
ferner Vergewaltigung, Kindesmissbrauch, Kannibalismus, Atavismus und
ähnliche Scheußlichkeiten sollen dem Dalai Lama und dem tibetischen
Buddhismus hier nachgewiesen werden. Dieser Nachweis werde aber nicht in
irgendeinem Buch geführt – nein, "wissenschaftlich" soll es sein,
"fundiert" und "ein kulturhistorisches Grundlagenwerk".
Kann es denn dreist gelogen sein, was da in halbseitigen Zeitungsanzeigen
gedruckt steht?
Ein Werk des
Teufels?
Einige haben es ja schon immer
gewusst: der tibetische Buddhismus ist wahlweise ein Werk des Teufels oder
aber Teil einer jüdisch-außerirdischen Weltverschwörung mit Sitz im Inneren
der Erde. Nun kann man auch noch auf ein Werk verweisen, in dem die
Schandtaten des Dalai Lama auf über 800 Seiten nachgewiesen werden. Was auf
diesen 800 Seiten eigentlich steht, ist zweitrangig – das dicke Buch ist
ein Argument an sich.
Wer aber dennoch hineinschaut,
um die verkündeten Anschuldigungen zu überprüfen, dem wird es zunächst
nicht leicht gemacht. Dem über ein Kilo schweren Buch fehlt ein
Stichwortverzeichnis – merkwürdig für ein "wissenschaftliches"
Werk dieses Umfangs. Im Inhaltsverzeichnis (wie auch im Klappentext) sucht
man die Begriffe "Nekrophilie", "Vergewaltigung",
"Kannibalismus" oder "Kindesmissbrauch" vergebens. Es
hilft also nichts, dieses Buch will gelesen werden, vielleicht finden wir
ja irgendwo, wie versprochenen, Sex and Crime.
Zweifelhafte
Quellen und waghalsige Spekulationen
"Einzigartig" soll
dieses Buch laut Verlag sein, und Einzigartiges finden wir darin schon sehr
bald. Zum Beispiel in der Behauptung, die Anhänger des Dalai Lama
bezeichneten ihn als ihren "Gottkönig". Eine tibetische
Entsprechung für diesen Begriff gibt es nicht. Vielmehr taucht er
regelmäßig in deutschsprachigen Medien auf. Diese versuchen dabei, die
politische und religiöse Position des Dalai Lama in einen Begriff zu
fassen, der für die Leserschaft in einer vom Christentum geprägten
Gesellschaft verständlich ist. Röttgens aber verdrehen die Herkunft dieses
Begriffes, denn sie wollen Tenzin Gyatso (den 14. Dalai Lama) partout zum
"Lichtkönig aus dem Himalaja" ernennen. Dass obendrein der Himalaja
nur die westliche Begrenzung des tibetischen Hochplateaus bildet, und Lhasa
über 100 km davon entfernt liegt, ist in das Bewusstsein der Autoren nicht
vorgedrungen.
Nicht allein mangelnde
Sachkenntnis, auch eine gewisse Freizügigkeit (um es mal freundlich zu
sagen) bei der Auswahl von Belegquellen fällt schnell ins Auge: Es wird aus
einem wirren Diskussionsbeitrag zu einer Newsgroup zitiert, der "von
Exiltibetern verfasst worden sein sollen". Absender ist ein gewisser
Sam. Dabei gehört nicht viel dazu, eigentlich nur ein Internetzugang, um
einen Brief zu verfassen, der "von Exiltibetern verfasst worden sein
soll".
Die folgenden Kapitel setzten
den Stil der Einleitung konsequent fort: teilweise zweifelhafte Quellen,
mangelndes Fachwissen, waghalsige Spekulationen, bewusstes Verschweigen
bekannter Sachverhalte und (wen wundert es) innere Widersprüche, eine grobe
Missachtung wissenschaftlicher Grundsätze. Eine vollständige
Richtigstellung aller Fehlinformationen dieses Buches müsste mindestens so
umfangreich sein wie das Buch selbst. Deshalb muss ich mich in diesem
Artikel auf einige Punkte beschränken und empfehle interessierten Lesern,
für ein vollständigeres Bild auch weitere Rezensionen zu Rate zu ziehen.
Verheimlichung der
gräuslichen Gottheiten?
Das Gesicht des hässlichen
Buddhismus sehen die Autoren bildlich dargestellt: in Form der
"tibetischen Schreckensgötter", der "Einwohner eines
gewalttätigen und monströsen Schattenreiches". Diese seien aber – und
jetzt kommen wir zu Verheimlichung – in einer "geheimen Kammer"
verborgen, "Gokhang mit Namen, die nur von bestimmten Auserwählten
besucht werden darf".
Nun, einen "Gokhang"
wird man in einem tibetischen Kloster tatsächlich vergeblich suchen. Das
Haus (tib. Khangpa) der Beschützer (tib. Gönpo) wird einem entweder sowieso
gezeigt, oder man fragt nach dem "Gönkhang"- der ist in der Regel
allen Besuchern zugänglich. Wer schon mal eine solche Kapelle besucht hat,
hat leider außer in der röttgen'schen Phantasie keinen Grund, sich als
Auserwählter zu fühlen. Ein Bildnis der Gottheit Kalachakra (die die
Autoren zu einem tantrischen Godzilla aufbauen wollen) findet man übrigens
nicht im Gönkhang, sondern in der Haupthalle oder anderen Räumen,
Kalachakra gehört nicht zu den Gönpos.
Tantra in der
tibetischen Tradition
Im ersten Jahrtausend unserer
Zeitrechnung fanden Praktiken in den Buddhismus Eingang, die unter andrem
Alkoholkonsum und Geschlechtsverkehr als Mittel auf dem Mystischen Weg
lehrten. Diese tantrischen Praktiken standen im Widerspruch zum
Reinheitsdenken der Brahmanenkaste und folglich auch zu den buddhistischen
Mönchs- und Nonnengelübden (Vinaya), die den Gelübden eines
Brahmanenschülers entlehnt waren. Mit der Überlieferung des Buddhistischen
Gedankenguts nach Tibet stellte sich dort erneut die Frage nach dem
Verhältnis dieser verschiedenen ethischen und moralischen Systeme
zueinander. In Tibet setzte sich die Ansicht durch, dass zumindest Mönche
und Nonnen während des tantrischen Rituals Alkohol nur in minimalen Mengen
zu sich nehmen dürften und der Geschlechtsverkehr nur meditativ
visualisiert werden dürfte. In Röttgens "kulturhistorischem
Grundlagenwerk" wird uns allerdings eine andere Sicht der Dinge
präsentiert.
Über tantrische Texte, sogar
über das volkstümliche Erzählgut Tibets mit seinen oft deutlich frivolen
Pointen heißt es da: "Diese Texte wurden von Mönchen verfasst, für
Mönche geschrieben, von Mönchen gelesen und von Mönchen praktiziert [ ..]
".Nur auf dieser unbegründeten Spekulation fußt die Annahme, der Dalai
Lama würde die in einigen Tantras beschriebenen Sexualpraktiken physisch
ausführen. Umso wirrer erscheint in diesem Zusammenhang eine Aussage über
Tsongkhapa, den Gründer der Gelugpa-Schule: "Obgleich er nach seinem
Tode zu einer Person emotionaler Verehrung wurde, wirken seine Kommentare
zu den sakralen Liebestechniken [ ...] gefühlskalt und kalkulierend. Sie
sind wahrscheinlich nur das Produkt seiner Imagination, denn er selbst soll
nie mit einer wirklichen Karma Mudra (Weisheitsgefährtin [ sic] )
praktiziert haben..." Tsongkhapa also ein armer verklemmter Kerl, der
Dalai Lama (der ebenfalls der Gelugpa-Schule angehört) hingegen ein ganzes
Schweinderl vor dem Herrn – mit dem Autorenpaar geht die Phantasie mal
wieder gründlich durch.
Der Dalai Lama:
der gelbe Papst und ein verhinderter Weltenherrscher?
Wem noch nicht klar war, dass
der Dalai Lama eine diktatorische Weltherrschaft anstrebt, dem helfen
Röttgens hier auf die Sprünge. Der "gelbe Papst" sei der
"höchste Vertreter des Tantrismus", der "Höchste Meister des
Kalachakra-Tantra" und die einzige Manifestation des Adibuddha.
Folglich sähe sich "der tibetische Buddhokrat" auch in der Rolle
eines Weltenherrschers (Chakravartin) aus der buddhistischen Mythologie.
Jede einzelne dieser Behauptungen beweist eigentlich nur eins: In einer
tibetologischen Bibliothek hat sich "Der Schatten des Dalai Lama"
einen Ehrenplatz entweder in der Abteilung "Pseudo-Tibetica" oder
aber "Altpapier" verdient.
Im einzelnen: Tantrismus gibt
es im Buddhismus wie im Hinduismus, einen "höchsten Vertreter des
Tantrismus" hat es nie gegeben. Genauso gab und gibt es in der
tibetischen Tradition verschiedene Überlieferungslinien des
Kalachakra-Tantra, und auch dort gibt weder einen höchsten Meister noch den
Titel "Höchster Meister".
Der Sanskrit-Begriff
"Adibudda" ("ursprünglicher Buddha"; von Röttgens
natürlich als "höchster Buddha" übersetzt) wird in der westlichen
Literatur gerne überbewertet. Man glaubt hier das Äquivalent zum Gott des
Monotheismus gefunden zu haben. Im tibetischen Buddhismus spielt dieser
Begriff (beziehungsweise seine tibetische Entsprechung) keine große Rolle
Verschiedene Traditionen benennen verschiedene Adibuddhas, und das ohne
großen Disput, denn sie alle stehen nur symbolisch für den formlosen
Wahrheitskörper aller Buddhas,. Dieser ist in der buddhistischen Systematik
gleichbedeutend mit der grundlegenden Leerheit aller Dinge und der wahren
Natur des Bewusstseins, der allen Lebewesen innewohnenden Buddhanatur. Wenn
also Röttgens vom Dalai Lama behaupten: "letztlich ist er der ADI
BUDDHA", so trifft das auch auf jeden Regenwurm zu. Die Behauptung,
nur der Dalai Lama könne der Adibuddha sein, ist Unfug. Einen
buddhistischen Weltenherrscher hat es de facto nie gegeben. Der indische
König Ashoka, nach dessen Vorbild der Mythos vom Chakravartin gebildet
wurde, trat, nachdem er einen Großteil Indiens unterworfen hatte, zum
Buddhismus über und sah von da an von weiteren Eroberungszügen ab,. Auf dem
Thron eines röttgenschen Weltenherrschers dürfte es zudem ziemlich eng
werden, denn die Hindi-Form "Chakrabarti" ist heutzutage ein
indischer Familienname (so wie Kaiser im Deutschen).
Röttgens
atavistisches Weltbild
Atavistisch (laut Duden:
"in Gefühlen, Gedanken, Handlungen usw. einem früheren, primitiven
Menschheitsstadium entsprechend"), ist dem Autorenpaar zufolge der
tibetische Buddhismus. Aber worin besteht dieser Atavismus? "Mit einer
für ein modernes Bewusstsein kühn anmutenden gedanklichen
Konstruktion" erklärten "die tibetischen Lamas" politische
Entscheidungsträger "zu Handlangern göttlicher oder dämonischer
Mächte". Möglich, möchte man denken, wenn dieser Vorwurf in der
Einleitung präsentiert wird. In Hinblick auf gegenwärtige Politik fehlt es
dafür leider auf den folgenden (fast 800) Seiten an Belegen.
Statt dessen deutet sich bei
den Autoren selbst ein ebensolches Weltbild an: der Dalai Lama
"empfängt" Träume von irgendwoher und nur durch Blickkontakt
verzauberte er wehrlose Frauen. Tibet hat ein "Magische
Militärgeschichte", in der paranormale Wunderwaffen eine bedeutende Rolle
spielen. Auch sei die militärische Niederlage Tibets 1950 das Resultat des
Kampfes eines chinesischen mit einem tibetischen Dämonen. Und ein
geistesgestörter Amokläufer, der sich 1996 für den Dalai Lama hielt, sollte
dessen manifestierte "destruktive Energie" sein.
Aber erst auf der letzten Seite
vor dem Postskriptum lassen Röttgens die Katze vollends aus dem Sack:
"[ ...] wir können erst jetzt ein differenziertes Verhältnis zu den
mythischen Kräften und Mächten, die eine Kultur bestimmen, gewinnen [ ...]
.", und : " [ ...] das "dritte Reich" und "den
Führer" als die Epiphanie(oder Inkarnation) des [ ...] Wotan /
Odin" zu deuten sei "brillant und stimmig". Was den oben
genannten Atavismus angeht, schließen die Autoren also einfach von sich
selbst auf andere. Ich persönlich übrigens hielt Hitler bisher für die
Inkarnation der sieben Zwerge, Madonna für die heilige Jungfrau und Fidel
Castro für den Weihnachtsmann.
Wer sich für die politische
Geschichte Tibets oder für buddhistische Geistesgeschichte interessiert,
tut gut daran, Röttgens Visionen nicht allzu ernst zu nehmen.
P.S. Nachweise für
Kannibalismus, Unzucht mit Leichen usw. seitens des Dalai Lama werden in
diesem Buch nicht erbracht.
Unser Kommentar:
Mit solch hilflosen und naiven Kritiken
unseres Buches wie die von Achim Bayer, welche die Tradition eines Dr.
Peter Michel fortsetzt [hierzu: KGS], der in
mehreren Gazetten herumtobt, wir hätten einen "Tibet-Porno"
geschrieben und der zum Boykott unseres Buches aufruft, wird sich die
buddhistische Szene (und damit auch der Zeitschrift DAO) nur schlecht ihrer
Verantwortung entziehen können. Diese Verantwortung besteht erst einmal
darin, eine offene, unvoreingenommene und grundsätzliche Debatte über den
Buddhismus und nicht nur den Lamaismus zu beginnen. Solch ein Diskurs wird
von vornherein abgewürgt, wenn DAO unter der Rubrik "Kontroverse"
aus Rezensionen unseres Buches nur die "negativen" Passagen
abdruckt - so geschehen mit dem Artikel aus der "Presse" vom 27.
März. Der Verfasser, Hans Kronspiess, hat jedoch eine sehr differenzierte
und durchaus nicht nur negative Beurteilung unseres Textes publiziert.
[Siehe den gesamten Text unter: Die Presse]
Kritik ist nichts
Unbuddhistisches, sondern im Gegenteil - sie war schon eine Tugend des
historischen Buddha, der einem zweifelnden Schüler Folgendes gesagt haben
soll: "Deine Zweifel sind begründet, Sohn des Kesa. Höre meine
Weisung: Glaube nichts auf bloßes Hörensagen hin; glaube nicht an Überlieferungen
(!), weil sie alt und durch viele Genrationen bis auf uns gekommen sind;
glaube nichts aufgrund von Gerüchten oder weil die Leute viel davon reden;
glaube nicht, bloß weil man Dir das geschriebene Zeugnis irgendeines alten
Weisen vorlegt; glaube nie etwas, weil Mutmaßungen dafür sprechen oder weil
langjährige Gewohnheit dich verleitet, es für wahr zu halten; glaube nichts
auf die bloße Autorität deiner Lehrer und Geistlichen hin. Was nach eigener
Erfahrung und Untersuchung mit deiner Vernunft übereinstimmt und deinem
Wohl und heil wie dem aller anderen Wesen dient, das nimm als Wahrheit an
und lebe danach." (Anguttara Nikaya I, 174) Dies ist ohne Abstriche
der Grundgedanke, der uns bei der Erstellung unserer Studie geleitet hat.
Das rebellische Zitat gegen den
Dalai Lama, welches wir in der Einleitung unseres Buches abgedruckt haben,
stammt aus Shugden Kreisen. Es wird dort als exiltibetische Quelle
angegeben.
Die in der westlichen Presse
aber auch im buddhistischen Milieu immer wieder verwendete Bezeichnung des
Dalai Lama als "Gottkönig" ist - auch wenn sich Bayer dagegen
wehrt - durchaus berechtigt, ebenso wie es berechtigt ist,
"Kundun" als "lebender Buddha" zu übersetzen. Als
Inkarnation des Bodhisattva Avalokiteshvara steht der Dalai Lama - der
Lehre nach - über den Göttern. Er (d. h. Avalokiteshvara) wird deswegen
auch als ein "deva-raja", als ein "Gottkönig" verehrt.
Seine metaphysische Superiorität demonstriert er anschaulich am Ende des
öffentlichen Kalachakra Rituals, wenn er das mühsam erstellte Sandmandala
zerstört. Dieses gilt symbolisch als der Palast der Zeitgottheiten. Durch
seine und ihre Vernichtung (die Götter werden in dem Mandala durch kleine
Körner dargestellt) gibt der Dalai Lama - als Kalachakra Meister - seine
Herrschaft über die Zeit bekannt.
Es ist schön für Achim Bayer,
dass er den Gokhang (Gonkhang oder Gönkhang je nach Schreibweise) immer
frei betreten durfte. Nach den Berichten mehrerer Tibetreisender zählt er
deswegen zu den Privilegierten. Der Gokhang ist der Raum, in dem die
lamaistischen Schutzgottheiten, Schreckensgötter und Herukas verehrt
werden. Er gilt deswegen als ein "Ort des Schreckens" und als
eine Symbolstätte für das Schattenreich des tibetischen Buddhismus. Als
solch ein "dunkles" Symbol diskutieren wir diese Schreckenskammer
ausführlich in unserem Buch. Nirgendwo ist dort zu lesen, dass es sich
hierbei um die spezifische Verehrungsstätte der Kalachakra Gottheiten
handelt.
Zu diesem Passus
schrieb uns ein Leser aus Holland:
In Oktober dieses
Jahr war ich auf Ferien in Tibet und besuchte auch Samye. Dort war ich in
einem Zimmer, wo alle Statuen bedeckt waren mit Tüchern. Ein Mönch sagte
uns, dass es zu grauenhaft sei für uns Menschen, um sie anzuschauen. Daran
musste ich denken, wenn ich Obenstehendes las. In Footprint Tibet Handbook
heißt es Protector Chappel (Gonkhang): "It contains (from left to
right) images of: Ekajati, Mahakala in the form of Panjaranatha (gompo
Gur), and Vajrakumara (west wall); Peldon Masung Gyelpo, Cimara, and
Shridevi (north wall), and the retinue of Panjaranatha (east wall). A large stuffed snake and assorted weaponry are
also kept in this room." (p. 175)
Dass der sexualmagische
Geschlechtsverkehr im buddhistischen Tantrismus ausschließlich meditativ
visualisiert wird und nicht real vollzogen werden darf, das behauptet kaum
mehr einer der vielen Kritiker unseres Buches. Zu den ganz wenigen zählt
Achim Bayer. Zudem stellen wir - was Bayer verschweigt - den westlichen und
innertibetischen Diskurs über das Thema "reale oder imaginative
Frauen" seitenlang in unserem Buch dar. (Siehe hierzu auch Michael von
Brück unter: "Reale oder imaginierte Frau").
Ebenso geht’s bei den tantrischen Ritualen nicht um den Genuss von "a
bisser'l Alkohol" - wie Bayer meint - sondern um ganz andere Stoffe
wie Blut, Samen, Schleim usw.
Selbstverständlich wurden die
tantrischen Texte - der Lehre nach - von Bhikshu's (d. h. buddhistischen
Mönchen) und für Mönche verfasst. Wie aus den Hagiographien der Maha
Siddhas (der ersten Tantriker) ersichtlich, haben alle Initianten, bevor
sie dank tantrischer Praktiken Erleuchtung erfuhren, "Zuflucht"
genommen und das Gelübde abgelegt, nach den Regeln des Vinaya Pitaka zu
leben. Das Durchbrechen dieser Regeln ist Teil der tantrischen Performance,
aber um das Gesetz zu überschreiten, musste es erst einmal anerkannt
werden. (Siehe hierzu: Dowman, Keith - Die Meister der Mahamudra -
Leben, Legenden und Lieder der vierundachtzig Erleuchteten) Auch das
Kalachakra Tantra wurde - der Legende nach - von einem Mönch, nämlich vom
historischen Buddha selber gelehrt.
Bayer behauptet, dass die
Institution des ADI BUDDHA, die wir in das Zentrum unserer Studie stellen
und die wir eng mit der Person des Dalai Lama in Beziehung bringen, für den
Buddhismus atypisch wäre. In diesem Falle müssen wir ihm voll Recht geben.
Die Idee vom ADI BUDDHA trägt so viele Merkmale eines monotheistischen
Gottes, dass sie den ursprünglichen, skeptizistischen Vorstellungen eines
Gautama Buddha zutiefst widerspricht. Der ADI BUDDHA ist - und da sind sich
alle uns bekannten Indologen einig - eine Kulturimport, wahrscheinlich aus
dem Westen. Sein unbuddhistischer Ursprung bedeutet jedoch nicht, dass er
im Lamaismus eine Randerscheinung darstellt. Im Gegenteil - hier tritt er
in das Zentrum des Ritualwesens, insbesondere im Kalachakra Tantra. Dieses
Ritual gilt als der "König aller Tantras", es gilt als das
Zentralereignis der lamaistischen Ritualpolitik - dies ist jedenfalls die
vielfach belegbare Aussage des XIV. Dalai Lama, der die aufwendige
Kalachakra Performance mit großer Pracht 25 mal öffentlich durchgeführt hat
(das letzte mal im August 1999 in Bloomingten - USA). Es besteht ebenfalls
kein Zweifel daran, dass er den von ihm durchgeführten Kalachakra Ritualen
als der "höchste Tantra Meister" vorsteht, ob er sich nun so
nennt oder nicht. Auch wenn es weitere Kalachakra Traditionen bei den
anderen Sekten gibt (bei den Kagyüpa hat sich vor allem der verstorbene
Kalu Rinpoche als Kalachakra Meister hervorgetan, bei den Nyingmapa war es
Lopon Tsechu Rinpoche, der 1994 den ersten 13 Meter hohe Kalachakra Stupa
im Westen errichten ließ) - so konzentriert sich dennoch heute die Macht
und Pracht dieses Rituals in der Person des XIV. Dalai Lama.
Dass nach buddhistischer
"Lehre von der Leere" - wie Bayer daherplaudert - jeder Regenwurm
der ADI BUDDHA sein kann - ist - neben vielen anderen Bemerkungen - eine
schnoddrige Variante seiner Unwissenheit (Avidya). Er will sich partout
keine kritischen Gedanken über eines der hierarchisch ausgefeiltesten
Religionssysteme der Welt (den Lamaismus) machen, in dem die
"natürliche" Disposition zur Buddhaschaft so gut wie nichts
zählt.
Das Kalachakra Ritual besteht -
wie wir in unserem Buch zeigen - in der rituellen Konstruktion eines ADI
BUDDHA. Um dem Leser zu demonstrieren, wie differenziert und ausführlich
wir dieses Thema behandeln, möchten wir die Einleitung zum ADI BUDDHA
Kapitel hier zitieren (S. 210ff.):
"Das höchste Ziel der Kalachakra
Initiation ist die Erreichung eines spirituellen Zustandes, der als ADI
BUDDHA bezeichnet wird. Im Jahre 1833 zitierte der Gründer der westlichen
Tibetologie, der Ungar Csoma de Körös, zum ersten mal in einer europäischen
Sprache die berühmten Kalachakra Thesen, die der Maha Siddha
Tilopa an die Pforte der buddhistischen Universität zu Nalanda geheftet
haben soll. In ihnen wird der ADI BUDDHA als das Höchste EINE, aus dem
alles andere hervorgeht, vorgestellt: "Derjenige, der nicht den
höchsten ersten Buddha (ADI BUDDHA) kennt, der kennt nicht das Rad der Zeit
(Kalachakra). Derjenige, der nicht das Rad der Zeit kennt, kennt
nicht die genaue Aufzählung der göttlichen Attribute. Derjenige, der nicht
die Aufzählung der göttlichen Attribute kennt, kennt nicht die höchste
Intelligenz und kennt nicht die tantrischen Prinzipien. Derjenige der nicht
die tantrischen Prinzipien kennt, und alle diejenigen, die im Kreis der
Seelenwanderung umherirren, stehen außerhalb des Weges, den der höchste
Triumphator anweist. Deswegen muß die Lehre vom ADI BUDDHA von jedem wahren
Lama gelehrt werden und jeder wahre Schüler, der Befreiung anstrebt, muss
sie hören." (Körös, 21, 22) Kein anderes Tantra hat die Idee des ADI
BUDDHA so in das Zentrum seiner Lehre gestellt wie das Kalachakra Tantra.
Die Annahme, es handele sich
bei dem ADI BUDDHA um eine Wesenheit, die in der obersten geistigen Sphäre
verweilt, vom historischen Buddha als das Nirwana bezeichnet, wäre
falsch. Dies wird ersichtlich, wenn wir die drei Bewusstseinstore
untersuchen, welche in dieses letzte Reich der Erleuchtung (Nirwana)
führen: 1. die Leere (Shunyata) - 2. das Zeichenlose (Animitta)
und 3. das Wunschlose (Apranihata).
Nirwana, die raison d' être des
Buddhismus, ist wegen dieser drei Tore eine durch Begriffe nicht mehr definierbare
Größe. Wir können sie nur umschreiben, nie jedoch mit unserem Verstand und
durch unsere Worte erfassen. Edward Conze, der bedeutende Historiker des
Buddhismus, hat eine große Zahl solcher Notationen zusammengestellt, mit
denen buddhistische Autoren versuchten, die höchste spirituelle Stufe ihrer
Religion zu "bebildern". Wir wollen hiervon einige zitieren:
Nirwana ist das Todlose, Unwandelbare, Endlose, Dauerhafte, der Frieden,
die Rast, die Ruhe, die Befreiung, der Verzicht, das Unsichtbare, die Zuflucht,
das Höchste Gut.
An dieser Aufzählung zeigt sich
schon der unpersönliche "Charakter" des Nirwana. Das Nirwana
ist also auf keinen Fall eine Person, sondern ein Geisteszustand. Aus
diesem Grunde war in der frühbuddhistischen Ikonographie die körperliche
Abbildung des erleuchteten Buddhas verboten. Er durfte nach seinem Eintritt
ins Nirwana nur symbolisch und niemals physisch dargestellt werden -
zum Beispiel als ein Rad oder als eine Feuersäule oder sogar durch seine
Abwesenheit, indem der Künstler einen "leeren" Thron schuf.
Anschaulicher konnte man den "Erhabenen", der schon in der
"Leere" weilte, nicht "porträtieren".
Das Nirwana ist demnach
keine Schöpfung, nicht einmal die erste Ursache der Schöpfung, sondern ein
Stillstand. Es ist kein Handeln, sondern Nichthandeln; kein zielgerichtetes
Denken, sondern ein Nichtdenken. Es ist absichtslos und kennt keine Motive.
Es befiehlt nicht, sondern schweigt. Es ist ohne Anteilnahme und
Engagement. Es steht außerhalb der Zeit. Es ist geschlechtslos. Es ist in
der historischen Anfangsphase des Buddhismus nicht einmal mit dem
mystischen "Klaren Licht" identisch. All das - die Schöpferkraft,
das Höchste Klare Licht, das Handeln, das Denken, die Motivation, das
Befehlen - trifft jedoch auf den ADI BUDDHA zu.
Der ADI BUDDHA ist nicht wie
das Nirwana geschlechtsneutral, sondern er ist der Große Kosmische
Androgyn, der die Geschlechterpolarität in sich integriert hat. Er ist aus
sich selbst entstanden, aus sich selbst existierend, das heißt er hat
keinen Vater und keine Mutter. Er ist geburtslos und todlos, ohne Anfang
und ohne Ende. Er ist die höchste Glückseligkeit und bar aller Leiden. Er
ist unbefleckt und ohne Makel. Er ist der Zusammenfall der Gegensätze, das
Ungeteilte. Er ist Weisheit und Methode, Form und Formlosigkeit, Mitgefühl
und Leere. Er ist die Ruhe und die Bewegung, er ist statisch und dynamisch.
Er hat unzählige Namen. Er ist der All-Gott, der höchste Herr. Hören wir
uns einen alten indischen Hymnus an, der ihm gewidmet wurde:
Er ist der Eine
und verkündet die Lehre von der Einheit; er steht an der Spitze der Wesen.
Er durchdringt
alles; er ist der unfehlbare Weg.
Er ist der Sieger,
einer, dessen Feind besiegt ist, ein Eroberer, ein Weltenherrscher,
der die großen Kräfte besitzt.
Er ist der
Anführer der Schar, der Lehrer der Schar, der Herr der Schar, der Meister
der Schar, der Mächtige.
Er hat große
Macht, hält allen Lasten stand. Nicht braucht er von anderen geführt zu
werden; er ist der große Führer.
Er ist der Herr
der Rede, der Meister der Rede, der Beredte, der Meister der Stimme, das
ewige Wort.
(Grönbold,
1995, 53)
Wir stehen hier vor einer
interessanten historischen Wende in der Geschichte der buddhistischen
Lehre. Anstelle der unbenennbaren, unpersönlichen und geschlechtslosen
Leere des Nirwana, sind wir auf einmal mit einem androgynen Allherrscher
konfrontiert. Ein im Nirwana verweilender Buddha steht außerhalb aller
Zeit, der ADI BUDDHA dagegen ist nach der Aussage des Maha Siddhas
Tilopa identisch mit dem Zeitgott Kalachakra. "Er ist das Rad
der Zeit, ohne Gleichem und unzerstörbar." (Carelli, 21) "Der
ADI BUDDHA lässt das Rad der Zeit entstehen, den Zyklus von Schöpfung und
Zerstörung, den Zyklus niemals endenden Wandels, der unsere Existenz
definiert." - lesen wir bei E. Bernbaum (Bernbaum, 1982, 133) Er ist
der "König des Kalachakra Tantras".
Er kennt die gesamte
Geheimlehre der Tantras, beherrscht den Körper, die Sprache, das
Bewusstsein und besitzt alle magischen Kräfte. Das Kalachakra Tantra
feiert ihn als den Herrn der Illusionen, "der viele illusionäre Formen
hervorbringt. Er benutzt solch emanierte Formen, um Bäume auszureißen und
auch um die Gipfel der Berge zu erschüttern." (Newman, 1987, 296) Er
ist ein Dharmaraja, ein Gesetzeskönig, weil er als Hierarch allen
Wesen befiehlt. Als höchster universeller Richter urteilt er über Götter
und Menschen. Er besiegt als Heilsbringer die Feinde des Buddhismus und
führt seine Anhänger in das goldene Zeitalter. Der ADI BUDDHA steht
handelnd im Zentrum des buddhistischen Universums, das gleichzeitig aus ihm
emaniert. Dennoch kann er in der anthropomorphen Gestalt eines
Menschen, eines Yogis erscheinen.
Wenn wir den ADI BUDDHA in
Begriffen des philosophischen Idealismus beschreiben würden, dann müssten
wir Worte wie der "absolute Geist", die "absolute
Subjektivität", das "absolute Ich" einführen. Er ist das Ego
Ipsissimus des Yogis, das dieser durch seine sexualmagischen Praktiken
zu erreichen sucht. Stolz ruft er am Ende seiner Einweihung in einem
tantrischen Text aus: "ICH - der ich das Universum bin. ICH bin sein
Schöpfer ... Das Universum löst sich in mir auf. ICH - der ich die Flamme
des einen großen und ewigen Bewusstseinsfeuers bin." (Dyczkowski, 189)
Selbstverständlich sprechen diese Sätze nicht das individuelle
"Ich" an, sondern das "Über Ich" eines göttlichen
All-Wesens.
Neben die absolute
Versubjektivierung des ADI BUDDHA, dessen Wille Gesetz und dessen Macht
ohne Grenzen ist, tritt seltsamerweise eine Auffassung, die in diesem
Höchsten Wesen eine große kosmische Maschine erkennen will. Man hat sich
den All Buddha auch wie ein Uhrwerk, bei dem jedes Rad mit anderen Rädern
in Beziehung tritt und alle Räder ineinander greifen, vorgestellt. In
unendlichen Wiederholungen, ohne dass sich jemals etwas an diesem
Ereignislauf ändern könnte, läuft die Mechanik der buddhistischen
Kosmogonie und ihres Beherrschers ab. Alles hat seinen Platz, seine
Ordnung, seine Repetition. Selbst ihre eigene Vernichtung ist - wie wir
zeigen werden - zu einem eingebauten Ereignis dieser Mega-Maschine geworden
ebenso wie die unweigerlich darauf folgende Wiederauferstehung des
göttlichen Apparates. Ein nie endender Prozess, der nie gestoppt, nie
zurückgedreht, nie variiert werden kann. Friedrich Nietzsche muß auf diese
kosmische Uhr geblickt haben, als er seine Vision von der "Ewigen
Wiederkehr" hatte. Der ADI BUDDHA ist diese Weltenuhr, der dieu
machine oder die göttliche Maschine. Absoluter Wille und absolute
Mechanik, absolute Subjektivität und absolute Objektivität, das Absolute
Ich und das Andere sollen im absoluten Archetyp des ADI BUDDHA ihre Einheit
finden. Diese Paradoxie wird von den tantrischen Lehrern als ein großes
mystisches Geheimnis ausgegeben.
Zweifelsohne weist demnach der
All- Buddha (ADI BUDDHA) des Kalachakra Tantras alle
Charaktermerkmale eines universellen Gottes auf, eines Weltenherrschers (Pantokrator),
eines Messias (Salvator) und eines Schöpfergeistes (Creator);
zweifelsohne trägt er monotheistische Züge.
Die Idee von einem omnipotenten
göttlichen Wesen, das in vielen Zügen den vorderasiatischen Vorstellungen
eines Schöpfergottes entspricht, fand schon Eingang in den Mahayana
Buddhismus und wurde von den frühen Tantras (4. Jh. n. Chr.) übernommen.
Ihre Reife und endgültige Ausformulierung erhält sie erst in der Kalachakra
Lehre (10. Jahrhundert). Viele westliche Forscher wurden durch die
monotheistischen Züge des ADI BUDDHA dazu veranlasst, hier
nichtbuddhistische, vor allem vorderasiatische Einflüsse zu vermuten.
Überzeugend hat man auf iranische Quellen hingewiesen. Weiterhin verdanke
das Bild seine Fortentwicklung und seine Kontur einer Reaktion auf den
Islam. Die persönlich gefärbte Theophanie Allahs bot in Indien und
Innerasien für die einfache Bevölkerung ein attraktives und emotionales
Gegenmodell zur elitären und "abstrakten" Nirwana Lehre
der gelehrten buddhistischen Mönche an. Es lag also nahe, entsprechend
charismatische Bilder in den eigenen Kult zu übernehmen. Als Übergott
stellte der ADI BUDDHA auch eine Alternative zur hinduistischen
Vielgötterei dar, die in der damaligen Zeit den Buddhismus ebenso stark
bedrohte, wie später die Lehre des Korans.
Eine solche Versubjektivierung
des Gottesbildes hat es in den philosophisch orientierten Lehrmeinungen der
frühen buddhistischen Schulen bis hin zu dem großen Gelehrten Nagarjuna
(2./3. Jh. n. Chr.) nicht gegeben. Sie alle waren darum bemüht, den
"Buddha" als eine Bewusstseinsebene, als ein kognitives Feld, als
eine Erleuchtungsstufe, als Leerheit, kurz als einen mentalen Zustand
darzustellen, nicht jedoch als einen Creator Mundi (Schöpfergott).
Im ADI BUDDHA System spielt jedoch der kreative Aspekt eine ebenso große
Rolle wie zum Beispiel die Epiphanie des göttlichen Zorns oder der
apokalyptische Richterspruch der göttlichen Vernichtung. Das höchste
mentale und transpersonale Buddha- Bewusstsein aber existiert auf einer
Ebene jenseits von Schöpfung und Zerstörung, jenseits von Leben und Tod.
Der ADI BUDDHA ist nach der
Doktrin das "theologische" Prinzip, welches das gesamte
tantrische Ritualwesen durchdringt. In seiner vollendeten Form erscheint er
als der "androgyne Kosmokrator", in seiner unvollendeten Gestalt
durchläuft er noch als praktizierender Yogi die einzelnen Initiationsstufen
des Kalachakra Tantra. Grundsätzlich deckt sich der mystische Leib
des Tantra Meisters mit dem des ADI BUDDHA, aber es kommt erst zur vollen
Identität, wenn der Yogi alle Elemente seines humanen Körper
"vernichtet" und ihn in einen göttlichen Leib
transformiert hat.
Sehen wir uns jetzt die
Machtentfaltung des ADI BUDDHA an, wie sie im Kalachakra Tantra beschrieben
wird. Sie weist im Wesentlichen fünf Aspekte auf:
1. - Einen inneren Aspekt,
der sich durch mikrokosmische Vorgänge im androgynen Energieleib des
Yogi (beziehungsweise des ADI BUDDHA) beschreiben läßt. Davon gibt es eine
"physiologische Landkarte", dargestellt durch ein kompliziertes
Symbolzeichen, das sogenannte Dashakaro Vasi (die zehn
Energiewinde). Dieses Zeichen werden wir genauer untersuchen.
2. - Einen zeitlich-astralen
Aspekt, der sich bis in die Sterne ausdehnt. Der ADI BUDDHA umfasst in
seiner makrokosmischen Dimension das gesamte Universum. Soweit die
Himmelslichter (Sonne, Mond und Sterne) angesprochen sind, gelten sie im Kalachakra
Tantra - wie in allen archaischen Kulturen - als die Indikatoren der
Zeit. Wer sie beherrscht, ist entsprechend Herrscher über die Zeit. In
diesem Kapitel analysieren wir die verschiedenen tantrischen Zeitmodelle.
3 - Einen
räumlich-kosmischen Aspekt, der sich ebenfalls über das gesamte Weltall
erstreckt. Der ADI BUDDHA ist, obgleich auch eine Person, ebenso mit der
Struktur des buddhistischen Kosmos identisch, oder - anders ausgedrückt -
das makrokosmische Modell des Alls zeigt eine Homologie zum mikrokosmischen
Leib des ADI BUDDHA. Beide haben die Form eines Mandalas (eines kosmischen
Diagramms). Hier beschreiben wir den Aufbau des Universums, über das der
ADI BUDDHA seine Macht ausübt.
4 - Einen global-
politischen Aspekt, der sich in der Idee von einem buddhistischen
Weltenherrscher (Chakravartin) verdichtet. Der ADI BUDDHA beansprucht
- so werden wir zeigen - durchaus die realpolitische Macht über den
gesamten Erdkreis.
5 - Ein mytho- politisches
Programm. Das Kalachakra Tantra behandelt die Thematik vom
Weltenherrscher nicht nur in seiner Allgemeinheit, sondern hat eine spezifische
Utopie, Ideologie und Staatsform entwickelt, die im sogenannten Shambhala
Mythos zusammengefasst ist. Diese global politische Programmatik des
ADI BUDDHA ist für das Verständnis des Kalachakra Tantra und später
für die Analyse der tibetischen Geschichte so bedeutsam, dass wir ihr einen
gesonderten Abschnitt widmen.
Im zweiten, dem politischen
Teil unserer Studie (Politik als Ritual) werden wir alle diese fünf
Aspekte im Zusammenhang mit dem XIV. Dalai Lama untersuchen. Er ist der
zurzeit höchste Kalachakra Meister, dessen Person, dessen Handeln
und Denken der Vorstellung eines ADI BUDDHA am nächsten kommt.
Wie hemmungslos immer wieder
mit unserem Text umgegangen wird zeigt der letzte Abschnitt von Bayers
Kritik. Dort wirft uns der Autor ein atavistisches Weltbild ("Röttgens
atavistisches Weltbild")vor, weil wie die Aussage von C.G. Jung
unterstützen, der Nationalsozialismus sei ein Epiphanie des germanischen
Gottes Wotan gewesen. In einer Fußnote schreiben wir (Bayer triumphiert:
"Die Röttgens (lassen) die Katze vollends aus dem Sack"):
# Eine Deutung des
Nationalsozialismus aus seinen "okkulten und mythologischen
Hintergründen" gilt unter den meisten etablierten Historikern und
Kulturforschern des Westens immer noch als höchst unseriös. Dabei gibt es
keine politische Bewegung des 20. Jahrhunderts, die sich so bewusst und
effektiv aus dem Mythos abgeleitet hat. Wir verdanken C. G. Jung mehrere
Artikel zu Hitler und seiner Bewegung, in denen der Tiefenpsychologe das
"Dritte Reich" und den "Führer" als die Epiphanie (oder
Inkarnation) des gewalttätigen Germanengottes Wotan/Odin deutet,
dessen Geist sich nicht nur in dem Diktator sondern ebenso dessen Anhängern
niedergesenkt. Jung nähert sich mit dieser Analyse - wie es Miguel Serrano
klar gesehen hat - der Darstellung des tibetischen Tulku Prinzips. Da seine
Artikel eine gewisse Sympathie mit den Nazis durchblicken lassen, wurden
sie nach dem zweiten Weltkrieg von ihrem Autor aus dem Verkehr gezogen.
Auch wenn wir uns von Jungs Sympathien für den Faschismus strikt
distanzieren, so halten wir dennoch seine Diagnose des Hitlerismus als
"Wotan Kult" für brillant und für völlig exakt. Wenn wir
die Gottheit, die hinter einer politischen Bewegung die Fäden zieht,
erkannt haben, dann bedeutet das ja keineswegs, dass wir deswegen zu
Anhängern dieser Gottheit und ihrer Mysterien (im konkreten Falle zu einem
Anhänger des Wotankultes und der Nazis) werden müssen. Im Gegenteil wir
können erst jetzt ein differenziertes Verhältnis zu den mythischen Kräften
und Mächten, die eine Kultur bestimmen, gewinnen - wir können sie ebenso
bekämpfen wie ihnen folgen, wir können sie ebenso öffentlich anklagen und
verurteilen wie mit ihnen Kompromisse schließen, versuchen, sie zu
pazifizieren oder wir sie mit anderen Gottheiten bekannt machen usw. #
[Siehe hierzu: Buddhismus und Faschismus die
Besprechung von Rüdiger Sünners Buch "Schwarze Sonne", zu Jung
siehe auch in: H-B-K-Literatur]
Ein atavistisches Weltbild
steht im Banne eines Mythos, d.h. im konkreten Fall im Bann der tibetischen
Götter. Wir sind dagegen der Meinung, dass der Mythos veränderbar und
transformierbar ist. Mythologie und Aufklärung - ein Missverständnis von
Jürgen Habermas - brauchen sich nicht zu widersprechen.
____________________________________
Weiterhin zur Frage des
atavistischen Weltbildes siehe unser Interview für den Bayrischen Rundfunk. Zum Thema Weltenherrscher
(Chakravartuin): "Buddhokratie und
Weltenherrschaft"
Katja Sindemann
Die Fernsehjournalistin Katja
Sindemann hat einiges zur Verbreitung unseres Buches und ebenso zur
Auslösung einer kritischen Buddhismusdebatte beigetragen. Anderseits hat
Sie in ihrer Berichterstattung durchgängig versucht, unsere Arbeit als
wissenschaftlich "unseriös" darzustellen. Insgesamt produzierte
sie drei Fernsehsendungen zu unserem Text, die mit jeweils
unterschiedlicher Gewichtung mehrmals ausgestrahlt wurden - mindestens 6
mal: ORF 2/ TV - "Treffpunkt Kultur" - 23. Februar 1999 * ORF/ TV
- "Orientierung" - 2. März 1999 * 3 SAT/TV - 3. März 1999.
Außerdem verfasste sie zwei Artikel in Zeitschriften: In dem buddhistischen
Magazin "URSACHE UND WIRKUNG" (Mai 1999) und in "DIE
FURCHE" (Februar 1999).
Ihre im Folgenden abgedruckte
erste Rezension aus der FURCHE annonciert weitgehend die inhaltliche
Ausrichtung, die bei all ihren späteren Produktionen vorherrschend war:
Katja Sindemann steigt immer sehr reißerisch in das Thema ein, indem sie
die Sexualthematik des tibetischen Buddhismus mit sensationellen Bildern
präsentiert. Zum Beispiel wurden in der Fernsehsendung "Treffpunkt
Kultur" zu Beginn tantrische Paare in orgiastischer Umarmung gezeigt.
Mit solch erregenden Szenen oder entsprechenden Artikelüberschriften
mobilisierte sie ein größeres Publikum. Ob gewollt oder nicht, beim
"normalen" Zuschauer, der überhaupt nicht über die Sexualmagie
des Tantrismus informiert ist, blieb jedenfalls der Eindruck zurück, dass
es sich bei dieser östlichen Religion um etwas äußerst Dubioses handelt.
Frau Sindemann hat also den Lamas, obgleich sie unser Buch immer wieder
kritisiert, einen Bärendienst erwiesen. Ebenso haben ihre Berichte - trotz
oder vielleicht wegen ihres reißerischen Stils - das Interesse an der
gesamten Thematik geweckt und sie hat deswegen nolens volens dabei
mitgeholfen, eine längst überfällige Diskussion in Gang zu bringen.
Die Furche - Wien Nr. 8 / 25.
Februar 1999
Neues Buch "entlarvt"
Tibetischen Buddhismus
Dalai Lama:
Sex-Despot?
Der Buddhismusboom provoziert
auch Gegenstimmen. Ein neues Buch über den Dalai Lama trägt kaum zur
sachlichen Debatte bei.
Von Katja Sindemann
Zweifellos hat der Tibetische
Buddhismus eine unglaubliche Erfolgsstory zu bieten und ist derzeit eine
Religion mit enormen Zuwachsraten. Der Dalai Lama hat durch seine Auftritte
und Bücher große Popularität erlangt, und das Interesse am Schicksal des
tibetischen Volkes erfasste inzwischen die Weltöffentlichkeit. Doch so viel
Ansehen ruft auch Gegner aller Schattierungen auf den Plan. Bereits seit
einiger Zeit mehren sich Bücher und Medienberichte, die sich kritisch mit
dem Tibetischen Buddhismus und der Struktur der tibetischen Gesellschaft
auseinandersetzen.
Nun bringt der katholische
Patmos-Verlag mit "Der Schatten des Dalai Lama" ein Buch heraus,
das einen Generalangriff auf die Religion und die Person ihres Führers
darstellt. Die Vorwürfe sind gewaltig: "atavistisch",
"frauenfeindlich", "aggressiv", "morbid". Die
zentrale These des Buches lautet, dass im Ritual des Tantrischen Buddhismus
die Frau vom männlichen Tantra Meister energetisch ausgebeutet wird. Der
Tantrismus, eine Bewegung, die im achten Jahrhundert in Nordindien
entstand, integriert die Sexualität als Teil der religiösen Praxis - im
Gegensatz zum zölibatären Buddhismus.
Der fortgeschrittene Meister
sucht sich eine geeignete Gefährtin, mit der unter größter Geheimhaltung
sexuelle Praktiken ausübt, die jedoch dem Ziel dienen sollen, sexuelle
Begierde zu überwinden und innere Freiheit zu erlangen. Keinesfalls ist bei
dieser Meditationspraxis an eine partnerschaftliche Verbindung zwischen
Mann und Frau gedacht.
Doch die Autoren des
vorliegenden Buches, die unter dem Pseudonym Victor und Victoria Trimondi
firmieren, sehen im Tantrischen Buddhismus nur ein Ziel: die sexualmagische
Ausbeutung der Frau durch den Mann, der spirituelle und weltliche Macht
erlangen will. Durch den Raub der weiblichen Sexualenergie und
anschließender Ausschaltung alles Weiblichen würde sich der Yogi zu einer
Gottheit, einem Übermenschen erheben, der jedoch nicht wie beabsichtigt
androgyn, sondern nach wie vor männlich ist.
Solches unterstellen die
Autoren auch dem Dalai Lama. Dieser würde als höchster Repräsentant des
Tibetischen Buddhismus durch die Ausführung des sogenannten
"Kalachakra-Rituals" einen Machtfülle akkumulieren, die ihm dazu
verhelfen soll, die Weltherrschaft zu erobern und eine weltweite
"Buddhokratie" zu errichten. Als Argument ziehen die Autoren den
Mythos vom Shambhala-Reich hinzu, der die Aggressivität des Buddhismus
beweisen soll. Nach diesem Mythos soll das legendäre Königreich Shambhala
eine schlagkräftige Armee mit Zerstörungswaffen besitzen, die die Feinde
des Buddhismus in einer Endzeitschlacht besiegen wird.
Unfundierte Kritik
Tatsache ist, dass die Legende
von jenem verborgenen Shambhala-Reich zu einer Zeit entstand, als der
Buddhismus in Nordindien von eingefallenen Moslems zurückgedrängt wurde.
Einen aus dieser spezifischen historischen Situation entstandenen Mythos
zur Begründung der These heranzuziehen, der Dalai Lama wolle die Welt
erobern, ist aber mehr als fragwürdig. Um zu beweisen, dass der Dalai Lama
auch innenpolitisch eine "orientalischer Despot" sei, führen die
Autoren zahlreiche Beispiele aus der älteren und jüngeren tibetischen
Geschichte an.
Richtig ist, dass der Staat
Tibet in seiner Vergangenheit eine feudalistische Struktur mit all ihren
Schattenseiten aufwies. Die Bemühungen des Dalai Lama, im Exil
demokratische Institutionen aufzubauen, werden von den Autoren als
"westliche Schminke" zurückgewiesen. Dass eine Kultur, die
Jahrhunderte lang durch die Verzahnung von Politik und Religion geprägt
war, nicht binnen einer Generation in eine säkulare, aufgeklärte
Gesellschaft zu verwandeln ist, wird unterschlagen.
Das Anliegen fundierter
Religions- und Gesellschaftskritik machen die Autoren durch die Fülle an
einseitigen, polemischen und teilweise völlig überspannten Interpretationen
zunichte. Auch die Auswahl ihrer Quellen ist teilweise wissenschaftlich
fragwürdig. So wird das Buch nicht zu einer sachlichen Debatte führen,
sondern lediglich eine Polarisierung zwischen Tibetfreunden und
Buddhismusgegnern hervorrufen.
Unser Brief an
Katja Sindemann vom 28. April 1999:
Sehr geehrte Frau Sindemann!
Der Dank dafür, dass Sie unser
Buch in die Öffentlichkeit gebracht haben, wurde Ihnen von unserer Seite
schon des öfteren ausgesprochen. Wir brauchen ihn deswegen nicht zu
wiederholen. Noch nicht zur Sprache gebracht haben wir jedoch Ihre subtile
und grobe Art und Weise, mit der Sie in mehreren Sendungen und
Presseartikel versuchen, unsere Analyse des tibetischen Buddhismus und
seines Oberhauptes als "unseriös" zu diffamieren. Da Sie sich
hierbei in allen Fällen (sowohl in der Presse, als auch im Fernsehen) der
Verbreitung von "lamaistischen Sexszenarios", die Sie in unserem
Buch entdeckt haben wollen, bedienen, hat das dem Verkauf keineswegs
geschadet. Die Leute hören ja gerne etwas über "Bettgeschichten",
ganz besonders wenn sie von Priestern oder "Sexdespoten" - wie
den Dalai Lama - erzählen. Das bringt darüber hinaus hohe Einschaltquoten
beim TV, für eine junge Mitarbeiterin des ORF wie Sie etwas sehr
Wünschenswertes.
Sie haben deswegen weit mehr
als unser Buch dazu beigetragen, dass sich jetzt in der Öffentlichkeit die
Vorstellung durchsetzt, die Lamas trieben es mit 12-jährigen Mädchen und
veranstalteten Sexorgien unter der Regie Ihres Höchsten Meisters und
Staatschefs. Als Journalistin wissen Sie nur zu gut, dass sich
Zuschauer/innen und Presseleser/innen nicht unbedingt an den kritischen
Äußerungen sondern viel eher an den Sensationsbildern, die Sie ihnen
vorsetzen, orientieren. Von schlüpfrigen Geschichten bleibt ja immer etwas
hängen, auch wenn man sie mit Entrüstung zurückweist. Uns betrifft diese
Sensationsmache viel weniger als die Tibeter und praktizierenden Buddhisten
oder speziell die Tibetergemeinschaft aus Rapperswil, deren Protestbrief zu
Ihrer Sendung Sie uns mehr oder weniger "scheinheilig"
zuschicken. Die Unterschreiber sollten weit mehr Ihre Berichterstattung zur
Verantwortung ziehen als uns.
Denn Sie wissen sehr wohl,
geehrte Frau Sindemann, dass wir in unserem Buch ein äußerst kompliziertes
sakrales System, welches auf der spirituellen, psychischen und zum Teil
auch physischen Ausbeutung der Frau beruht, analysiert haben. Sie als Frau
waren dazu aufgefordert, die Jahrhunderte alte Ausbeutungsmechanik des
Tantrismus völlig klar und ungeschminkt darzustellen, die Diskussion
darüber zu öffnen und für die Rechte Ihres Geschlechtes zu "kämpfen".
Nicht nur durch unseren Text sind Sie über die problematische Rolle des
Weiblichen in der Welt des Lamaismus informiert gewesen, sondern ebenso
durch die Publikationen von June Campbell und die sich daran anschließenden
Diskurse. Doch Sie haben sich exemplarisch wie eine "beschützende
Mutter" vor die Machtinteressen des tibetischen Mönchsklerus gestellt.
Deswegen sind Sie ein weiteres Beispiel dafür, wie manipulativ diese
Religion mit den Frauen umgeht. Lesen Sie das Kapitel über Giordano Bruno
in unserem Buch, wo wir beschrieben haben, weshalb das so sein kann.
Statt eine differenzierte und
ehrliche Diskussion zu beginnen, haben Sie in Ihren Sendungen und
Presseartikel daraus eine schlüpfrige Sittengeschichte des tibetischen
Klerus gemacht, die unserer Phantasie entstanden sei. Besser hätten sie
geschwiegen, wenn Sie das System des Dalai Lama weiterhin unterstützen
wollten, aber dafür war Ihnen das Thema zu "geil".
Verantwortungslos haben Sie
auch gegenüber all den Frauen gehandelt, die Opfer des tibetischen
Religionssystems geworden sind. Wir haben hier mittlerweile mehrere Briefe
von Leserinnen unseres Buches vorliegen, die mit einer erschreckenden
Deutlichkeit über ihre Erfahrungen mit den magischen Manipulationen der
Lamas berichten und unsere Analyse voll bestätigen. Das gleiche gilt von
Berichten über die Machenschaften innerhalb der tibetischen Exilregierung.
Sie wissen weiterhin, Frau
Sindemann, dass buddhokratische Visionen unter Anhängern des Vajrayana
keine Seltenheiten sind und dass der Lamaismus in seinem Ritualwesen,
seinen Visionen, seinen Symbolen und seiner Geschichte auf eine
Buddhisierung der Welt hinzielt. Als Indologin ist es Ihnen bekannt, dass
solche sakral-politische Entwürfe, mit einem "übermenschlichen"
Wesen an der Spitze, für den asiatischen Kulturraum gar nichts besonderes
darstellen. In der Geschichte vieler Länder dieses Kontinents war ein
"Chakravartin" (Weltenherrscher) eine ständig erwartete
Heilsfigur. Zahlreiche "sakrale" Herrscher Indiens, Tibets,
Chinas oder Südostasiens nahmen für sich in Anspruch, eine entsprechende
Rolle schon innezuhaben oder anzustreben.
Nur mit der Person des XIV.
Dalai Lama wird dieser globale Machtanspruch nicht mehr verbunden. Dennoch
praktiziert der tibetische Hierarch ständig Rituale (das Kalachakra
Tantra) und verbreitet prophetische Mythen (den Shambhala Mythos),
welche die Errichtung einer Buddhokratie zum Inhalt und als Ziel haben,
auch wenn er sich nach außen hin ständig auf die Prinzipien der westlichen
Demokratie und des Mahayana Buddhismus beruft.
Dabei handelt es sich aber
nicht um eine "Verschwörung" - wie Sie uns zu Unterstellen suchen
- sondern um die Durchführung eines
religiös-politischen Programms. Eine "Verschwörung" würde
bedeuten, dass sich eine Gruppe von Menschen in einem Geheimbund
zusammenschließt, um die Macht im Staate zu erobern. Davon kann im Falle
des tibetischen Buddhismus nicht die Rede sein. Die weltweite Errichtung
des Dharmas (der buddhistischen Lehre) ist - wie Sie ebenfalls wissen -
durchaus ein offenes und nicht ein geheimes Thema unter
Buddhisten des tibetischen Weges, sie ist Teil der dogmatischen Lehre und
durch viele orthodoxe Aussagen gestützt. Das gleiche gilt für die
Errichtung einer globalen Buddhokratie. Aber auch das ist ein Tabuthema für
die breite Öffentlichkeit ebenso wie die sexuellen Ausbeutungsmechanismen
des tantrischen Buddhismus und dieses Tabu zu brechen, dazu waren Sie als
Indologin, Journalistin und Frau nicht bereit.
Nicht wir sind
"unseriös" sondern Professor Ernst Steinkellner ist es, wenn er
behauptet, der "Shambhala Mythos" sei eine historische
Antiquität, der heutzutage keinerlei Bedeutung mehr zukomme. Wir schicken
Ihnen unseren Brief in dieser Frage an den "größten" Tibetologen
Österreichs zu. Donald S. Lopez Jr. hat Recht wenn er solche Kollegen von
sich als Prisoners of Shangri-La bezeichnet. Mythen haben jedoch
eine große Macht! Im Falle des Nationalsozialismus wurde das ganz besonders
deutlich. Es gibt zunehmend Historiker, die auch im Stalinismus und
Maoismus das mythisch-religiöse Moment betonen und über die unlängst auch
der ORF berichtet hat. Spätestens nach den Ereignissen der "iranischen
Revolution" hätte der Westen aufwachen müssen. Eine Auseinandersetzung
mit den dogmatischen, visionären und religionsgeschichtlichen Grundlagen
der Ayatholla Bewegung blieb jedoch eine Randerscheinung. Weder die
"Taliban in Afghanistan", noch die "Schlächtereien in
Algerien", noch die religiösen Programme der "Hamas", noch
der Mord an Ministerpräsident Rabin durch israelische Fundamentalisten,
noch die aggressiven Heilserwartungen chiliastischer Christen führen zu
einer breiten Diskussion über die Mythen und Bilder, nach denen sich diese
Bewegungen orientieren. Der zur Zeit tobende Kosovokrieg ist ohne den
"Mythos vom Amselfeld" überhaupt nicht denkbar! Selbst die
zahlreichen fundamentalistischen Strömungen im Westen oder die brutale
Gewalt in den amerikanischen Schulen werden von Mythologemen bestimmt. Es
sind (mehr denn je) mythische Bilder, die das Bewusstsein der Menschen
beeinflussen. Deswegen kann der aggressive "Shambhala Mythos" des
tibetischen Buddhismus ebenso gefährlich werden, wie entsprechende
Vorstellungen des islamischen Djihad (Heiliger Krieg).
Und deswegen tragen wir alle,
insbesondere aber Menschen, die - wie Sie - in den Medien tätig sind, die
Verantwortung, so lange noch Zeit ist, die Mythen zu untersuchen und davor
- wenn nötig - zu warnen, bevor sie sich ausgebreitet und verankert haben
und bevor die von einigen Fanatikern wortwörtlich verstanden und durch
Gewalt in die Realität umgesetzt werden.
Nicht unser Buch, sondern Ihre
Berichterstattung, Frau Sindemann, versucht von vornherein die längst
überfällige Diskussion über ein Religionssystem zu verhindern, das mit
großer Vehemenz in unser westliches Kulturgefüge eindringt und dem es
bisher gelungen ist, unter Berufung auf die bedauernswerte Lage der
tibetischen Flüchtlinge, jeden kulturkritischen und philosophiekritischen
Diskurs über seine Grundlagen und seine Geschichte zu unterbinden. Eine
offene Auseinandersetzung aber sollte ein demokratisches Prinzip des
Westens bleiben und nicht durch "geile" Sensationsmache ersetzt
werden. Wir haben mit unserem Buch, das explizit ein Dialogbuch sein will,
die Tore für eine Diskussion geöffnet. Das wäre auch für den tibetischen
Buddhismus und den XIV. Dalai Lama eine Chance, denn es werden - wie wir
wissen - andere Schriften folgen, welche einen solchen Dialog nicht mehr
zulassen wollen und ihre Kritik wird radikaler als die unsere ausfallen.
Zuerst hatten wir noch Zweifel,
ob Sie wirklich die Ursache für die Sensationsmache wären, oder ob nicht
die Redaktion von "Treffpunkt Kultur" Ihre besten
Absichten in eine falsche Richtung gezogen habe. Als wir dann aber Ihren
"Sexdespoten - Artikel" in der Furche zu Gesicht bekamen,
mussten wir uns damit abfinden, dass Sie nicht nur ein "Opfer"
sondern auch ein "Täter" der Sensationspresse sind. Nicht unser
Buch ist ein "Skandalbuch", sondern es ist in der Tat ein
Skandal, wie Sie sich von den Anforderungen der Sensationsmedien motivieren
lassen. Man wird Ihnen das letztere - da können Sie sicher sein - von
tibetischer Seite bald vorwerfen, da Sie im österreichischen Raum mit ihrer
Berichterstattung das Gegenteil erreicht haben, was Sie vorgeben,
initiieren zu wollen, nämlich eine fundiert Diskussion über den tibetischen
Buddhismus und sein Oberhaupt.
Als Anlage schicken wir Ihnen
einige Pressestimmen, die durchaus in der Lage waren, sich nicht einseitig
verdammend mit unserem Buch und mit dem Thema auseinander zusetzen.
Mit freundlichen Grüssen
V. & V. Trimondi
Als Antwort
erhielten wir von Frau Sindemann in einem undatierten Brief folgende knappe
Zeilen:
Sehr geehrter Herr und Frau
Röttgen!
Ich habe Ihr Schreiben
erhalten.
Für die Verwirklichung Ihrer
Ziele und der Verteidigung Ihrer Position wünsche ich Ihnen weiterhin viel
Kraft.
Mit freundlichen Grüssen
Katja Sindemann
Sollen wir das nun
ironisch oder aufmunternd verstehen? Wir haben uns für das Letztere
entschieden.
V. & V.
Trimondi
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